Kapitel 13 - Naike nach Hause telefonieren
Kapitel 13 – Naike nach Hause telefonieren
"Wer will mich hier loswerden?", knurrte der umfangreich tätowierte, aber sehr gut aussehende Mann, der Dank Frau Dederichs gerade schmerzhaft vom Himmel gefallen war. Mir wurde ganz heiß - wie peinlich! "Niemand ... äh ... ich meine doch. Also, eigentlich ich! Es tut mir so leid, das Ganze hier ist ein Missverständnis. Ich brauche keinen Partner, bin ja schon mit einem anderen zusammen. Es war bloß eine dumme Idee meiner Freundin, bitte seien Sie mir nicht böse, ja? Es liegt ganz bestimmt nicht an Ihnen!" Der Unbekannte zuckte mit den Schultern. "Tja, das ist ziemlich schade, ich dachte man könnte sich mit dir ein bisschen amüsieren." Ich wedelte hilflos mit ihren Armen und wusste nicht, wohin ich sie stecken sollte. "Tut mir echt leid, vielleicht in einem anderen Leben."
"Okay, ich geh dann mal. Sollten Sie mal Bedarf haben, ich heiße Jack und arbeite zu fast jeder Tages- und Nachtzeit am Hafen." Ich kratzte mir verlegen am Kopf. "Äh, danke. Bis irgendwann dann mal und überhaupt so", stotterte ich vor mich hin, während das arme Zauber-Opfer leicht humpelnd von dannen zog und dann, wie in der Sim-Welt üblich, am Rand des Grundstückrand verschwand.
"Jess, was in Gottes Namen hast du dir dabei wieder gedacht? Ich bin vergeben, verflixt noch mal, ich brauche keinen Jack oder Peter oder Jürgen, ich hab Adam! Und er ist der Einzige, den ich will. Basta!", motzte ich aufgebracht. "Aber ich wollte dir doch nur helfen!", entgegnete Jessica traurig, aber diese Tour berührte mich so gar nicht. "Leb dein blödes Helfersyndrom an anderen aus, ja? Armin zum Beispiel, ihm muss bestimmt bei irgendetwas geholfen werden!" Jessicas Gesichtsausdruck glich dem nach einem Biss in eine Zitrone. Sie murmelte eine Entschuldigung, schüttelte den Kopf, als fehlte es ihr an jeglichem Verständnis, und schlurfte dann in die Küche.
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An dieser Stelle endeten meine Erinnerungen. Ja, so war es vor dem Schlag gewesen. Hätte ich damals nicht doch besser auf Jessica hören und diesen herbei gezauberten Jack daten sollen? Wären mir dann die angebrochene Nase und das blaue Auge erspart geblieben? Ich nahm einen weiteren Schluck Cappuccino und überlegte, was ich nun tun sollte. Mitten in meine unschönen Gedanken klingelte das Telefon.
"Le Normand, hallo? Ach Joseph, grüße Sie! – Ja klar,
dich. Schön mal wieder von dir zu hören! – Was, jetzt gleich? Das ist ungünstig, ich ... – In einer Stunde? Ja, das passt besser. – Gut, also dann um neun Uhr vor dem
Chez Poulain. Bis dann!" Adams Bruder. Was konnte der nun von mir wollen?, überlegte ich verwundert.
Eine Stunde später sollte ich es erfahren. Joseph war pünktlich eingetroffen und begrüßte mich freundlich. Unverschämt gut sah er aus. Was mochten die Tallis-Sims wohl für Eltern gehabt haben? Joe hatte helleres Haar und seine Augen standen nicht so eng beieinander wie die seines älteren Bruders, aber das gewisse Etwas, auf das ich offenbar ansprang, war auch bei ihm nicht zu leugnen. "Hi Naike!", rief er fröhlich, hielt dann aber inne und machte ein mitfühlend schmerzverzerrtes Gesicht. "Au Mann!"
"Was ist?", fragte ich ihn und fühlte mich dabei ziemlich albern, da mir völlig klar war, worauf seine Worte anspielten. Sein Blick wurde ernst. "Das fragst du noch? Schau mal in den Spiegel, du bist ja fürchterlich zugerichtet."
"Ach so, das meinst du. Tja, ich Dussel hab' mir eine Tür vor den Kopf gehauen, kuriose Geschichte!", log ich und lachte viel zu gespielt, wie ich mir selbst eingestehen musste. "Du meinst wohl eher, eine "Tür" hat dir vor den Kopf gehauen. Eine Tür namens Adam nämlich, nicht wahr?", mutmaßte Joe Tallis ohne den Anflug eines Zweifels an seiner kühnen These. "Äh … du weißt es?", fragte ich ihn beunruhigt, die Antwort bereits ahnend. "Natürlich, deswegen bin ich ja hier. Adam hat mir erzählt, dass mal wieder die Pferde mit ihm durchgegangen sind. Das waren aber wohl eher Mammuts als Pferde", seufzte Joe und betrachtet mitleidig mein verpflastertes Gesicht.
"Ach, das ist halb so schlimm, das wird schon wieder", versuchte ich den unangenehmen Gang des Gesprächs abzuwiegeln, doch Joe widersprach. "Sag mal, spinnst du? Wie kannst du das nur so leicht nehmen? Mein Bruder hat dich schwer verletzt! Naike, du musst die Finger von ihm lassen, er tut dir nicht gut. Ad war schon immer sehr jähzornig. Er kann sehr lieb und äußerst charmant sein, aber manchmal ist es dann wieder bei irgendwelchen Anlässen soweit und er tickert aus. Glaubst du allen Ernstes, du könntest das ändern? Das haben schon ganz andere versucht." Verunsichert kaute ich auf meiner Unterlippe herum und beschloß dann, Joe seine Sorgen besser zu nehmen, ehe sich das Gespräch noch vertiefte und ich vielleicht Dinge erfahren würde, die ich gar nicht wissen wollte.
"Du, ich finde es wirklich anständig von dir, dass du mich warnst, aber ich kenne ihn doch auch schon eine Weile. Mach dir mal keine Sorgen, ich werde schon meine Konsequenzen ziehen. Vorläufig werde ich ihn sowieso nicht mehr treffen."
"Eine gute Entscheidung, belasse es bloß dabei!", stellte Joseph erleichtert fest.
"Joe, ich danke dir, dass du gekommen bist!" Ich umarmte den jungen Mann mit den wunderschönen honigfarbenen Augen und hätte ihn am liebsten nicht mehr losgelassen, so gut fühlte er sich an. Absolut durchtrainiert, aber dennoch weich und warm. Und dieser Duft erst! Allerdings vergriff er sich ein wenig zu fest in meinem Haar, was einen Schauder über meinen Rücken jagte. "Also dann, bis demnächst!", verabschiedete er sich, doch ich ergriff noch einmal seinem Arm. "Joseph, warte! Was macht Adam eigentlich gerade?" Unmittelbar bildete sich eine steile Sorgenfalte auf seinen zuvor entspannten Zügen. "Das interessiert dich doch noch? Also eigentlich habe ich ihn heute tagsüber nur matt auf dem Sofa herumliegen sehen." Ich vernahm diese Aussage mit Genugtuung. Offenbar litt der Kerl. Das hatte er auch verdient! Aber mit diesem Gedanken kam auch gleich wieder diese verflixte Sehnsucht hervor. Das Gefühl, das ich nicht haben sollte.
Da es noch recht früh am Abend war, entschloss ich mich, zur Ablenkung noch ein paar Lebensmittel im
All-in-One-Shop einzukaufen. Der Bringdienst war für unsere immer noch wenig umfangreiche Haushaltskasse nach dem Hausbau leider nur im Notfall erschwinglich. Doch wer stand da plötzlich vor dem hell beleuchteten Eingang? Mir wurde es siedeheiß und mein Hals fühlte sich plötzlich wie zugeschnürt an. Blitzschnell machte ich auf dem Absatz kehrt und wäre dabei beinahe gestolpert.
"Naike! Was machst du denn hier? – Ich wollte ... Mensch, jetzt bleib doch mal stehen!", rief die Stimme, die ich gerade am wenigsten hören wollte. Oder die ich gerade am dringendsten hören wollte? Ach, schei*e!
"Adam, schleich dich, sonst hex ich dir ein Frettchen in die Hose!", fuhr ich ihn mit grimmiger Miene an, doch das beeindruckte ihn scheinbar nicht mal im Ansatz, denn seine Worte klangen nun noch eindringlicher: "Mon ange, bitte! Ich ... Verdammt, Naike, jetzt lass mich nicht hier stehen!"
"Lalalala …", sang ich mir zur Beruhigung vor und redete dann formelhaft flüsternd auf mich selbst ein: "Nicht hinhören, geradeaus gucken und immer weitergehen. Bis zum Taxi. Nein, er sieht beschissen aus, er ist kein bisschen anziehend und überhaupt keinerlei Aufregung wert. Lalalala ..." Adam war nun nicht mehr zu vernehmen. War, war er überhaupt noch hinter mir? Ich traute mich nicht umzusehen und konzentrierte mich stattdessen auf den Taxifahrer, der glücklicherweise gerade mit seinem gelben Wagen vor dem Laden auf der Straße stand. "Guten Abend, bitte bringen Sie mich so schnell wie möglich zur Simlane Nr. 10", bat ich ihn leicht stotternd und wedelte mich ein paar Simoleons. Der Taxifahrer sah sie besorgt an: "Fehlt Ihnen etwas, Miss?" – "Nein, danke, alles in bester Ordnung, mir geht es gut. Mir geht es richtig prächtig! Bitte fahren Sie gleich los! Ich schwang mich schnell auf den Rücksitz und fing nach ein paar Metern Fahrt an zu weinen.
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Am nächsten Tag, ich führte gerade ein paar längst überfällige Reparaturarbeiten im Haushalt durch, um mich von meinem Kummer abzulenken, hörte ich draußen Lärm und durcheinander redende Stimmen. Ein bisschen genervt, aber auch neugierig, lief ich aus dem Haus. Was war da los?
"Was geht denn hier ab, eine Demo oder was?" Verwundert entdeckte ich erneut die Wahrsagerin Frau Dederichs, versammelt mit Jessica und einer Art ... Riesenbaby? "Äh, darf ich die Herrschaften mal fragen, was hier los ist?"
"Es ist vollbracht!", rief Frau Dederichs freudig und warf ihre Arme jubelnd in die Höhe. Ich kratzte mich wieder einmal verwundert am Kopf und konnte mir, trotz meiner nur mäßigen Laune, ein Grinsen nur schwer verkneifen. "Kann mich mal bitte jemand aufklären, was hier abgeht? Jess, wer ist dieser Thomas-Magnum-Verschnitt in Pampers Trainers?"
Jess klärte mich gleich freudestrahlend auf: "Du, ich dachte, jetzt, wo du dich ja endlich von Adam getrennt hast, wärst du offen für einen anderen Mann." Auf diese Eröffnung folgte eine galante Handbewegung: "Darf ich vorstellen: Tädäää – Herr Bruno Bieri!"
Ich wunderte sich langsam über gar nichts mehr und nahm mir vor, mich zukünftig auch über nichts mehr zu ärgern. Offenbar hatte es sowieso keinen Sinn, hier in dieser verrückten Welt, in der alle irgendwie durchgeknallt erschienen, aber ganz offensichtlich keiner etwas dafür konnte. "Jess, ich habe mich nicht von Adam getrennt, wie kommst du darauf? Ich will ihn nur gerade nicht mehr ..." Mein Blick war plötzlich wie von selbst Richtung Strasse geglitten und mein Körper schien nach einem sofortigen Doppelkorn zu verlangen, um die nun auf mich zukommende Situation, deren Verlauf ich bereits vage erahnen konnte, halbwegs durchzustehen. Wenn man vom Teufel sprach …
Langsam kam Adam dem kleinen Grüppchen vor der Simlane 10 entschlossen näher. Seine Augenbrauen waren derart angespannt zusammengezogen, wie ich es vorher noch nie gesehen hatte. Sie hatten sich regelrecht mit seinen Augen vereint. Aber dann forderte erst einmal das Riesenbaby meine Aufmerksamkeit. "Darf ich mich vorstellen, ich bin Bruno Bieri. Darf ich Sie zu einem kleinen Umtrunk einladen, Fräulein Le Normand? Auf was haben Sie Lust?", zwinkerte er mir fröhlich zu und war ganz offensichtlich kein Stück beleidigt über meine bisherigen Kommentare über seine Erscheinung.
Inzwischen hatte Adam unsere Gruppe erreicht und wandte sich zuerst an mich. "Na, auf was hat "Frollein Länourmon" denn so Lust, häh?", provozierte er mich in lästerlichem Ton und hob dabei mit seinem Zeigefinger meinen Kinn einen Zentimeter an. "Vielleicht auf ein lauschiges Tête-à-Tête mit diesem Muskel-Baby? Ging ja schnell mit 'nem neuen Macker bei dir: Deshalb hast du mich also gestern ignoriert!" Er schäumte sichtlich vor Wut.
"Aber nein, Ad, du irrst!", versuchte ich die Situation händeringend zu klären. "Frau Dederichs hat ihn gerade erst herbeigezaubert, ich kenne ihn überhaupt nicht. Jess wollte mich wieder einmal mit einem Date beglücken, da sie dich als ungeeignet für mich empfindet. Und, ehrlich gesagt, stimme ich ihr inzwischen zu – schau dir doch meine verdammte Nase an!", stieß ich den letzten Satz aufgebracht hervor. Adam verzog keine Miene. "Herbeigezaubert ... ah ja ... alles klar. Das kann ich natürlich bestens nachvollziehen, keine Frage ... Naike, hör auf mir einen solchen Mist zu erzählen!" Adams Stimme übertönte meine deutlich lauter und klang so tief und mächtig, dass ich einen Schritt zurück taumelte und mir ein bisschen mulmig wurde. Ich tippte auf einen ausgewachsenen Bariton, und mir wurde ein wenig schwach auf den Beinen, denn dieser berühte mich unerwünschterweise tief in meinem Inneren. Dummerweise meldete sich daraufhin Herr Bieri in diesem Moment sehr unpassend, aber mutig zu Wort: "Wie, ich bin herbeigezaubert? Kann mich an nichts erinnern. Wer sind Sie ungehobelter Klotz überhaupt, dass Sie sich hier so aufzuspielen!?" Adam schnappte nach Luft, seine beinahe schwarzen Augen waren inzwischen unter den Augenbrauen kaum mehr zu sehen und blitzten den unbekannten Störenfried böse glühend an. Herr Bieri tat unbeeindruckt, als sei er völlig angstfrei. "Und jetzt entschuldigen Sie Fräulein Le Normand und mich bitte, wir wollen zusammen den Tag genießen." Es verschlug es vor Aufregung den Atem. Das war jetzt zu kühn, das konnte nicht gut ausgehen.
Und ich sollte Recht behalten. "Ich werde Ihnen jetzt mal zeigen, wer hier mit wem den Tag verbringt!", brüllte Adam zur Kampferöffnung und stürzte sich dann mit vollem Körpereinsatz auf den verblüfften Bodybuilder. Jessica wurde blass. "Naike, um Himmels Willen, halt ihn zurück! Er wird ihn noch umbringen!", rief sie ängstlich. "Jess, wie denn bitte? Denkste, ich spring jetzt mit in diesen Sandhaufen?", jammerte ich und mir wurde abwechselnd heiß und kalt. "Dann ruf wenigstens die Polizei!", jammerte Jessica. Adam prügelte inzwischen ohne Rücksicht auf Herrn Bieri ein, der zwar kräftig war, aber gegen die kalte Wut und die gezielten Schläge seines Gegners nicht viel ausrichten konnte. Wie unter Schock beobachtete ich mit offenem Mund die Szene und nahm zwei Stimmen in ihrem Kopf wahr, die wie Affen umher tobten. Während der erste Affe, ähnlich wie Jessica, angstvoll fiepte, schien der andere erstaunlicherweise Vergnügen zu empfinden. "Schau, schau doch! Er schlägt sich für dich. Und dann auch noch mit einem solchen Muskelprotz, ist der echt mutig!", tönte dieser zweite Affe und grinste seinen verstörten Artgenossen frech an. "Naike, jetzt tu doch endlich was!", wimmerte Jessica, und ich bemerkte jetzt, dass Frau Dederichs verschwunden war. Sie hatte offenbar längst das Weite gesucht. "Geh du doch zum Telefon, Jess! Du hast uns schließlich das ganze Chaos hier eingebrockt!", schrie ich zurück, denn ich traute mich nicht von der Stelle, da ich irrigerweise glaubte, mit reiner Anwesenheit das Schlimmste verhindern zu können.
Endlich ließ Adam von Herrn Bieri ab, der sich nur mühsam aufrichtete. "So, das wär's! Und jetzt will ich Sie niemals mehr auf diesem Grundstück sehen, sonst wiederholen wir dieses romantische Tête-à-Tête beim nächsten Mal noch etwas ausführlicher, ist das klar?", drohte er seinem vermeintlichen Nebenbuhler schwer atmend. "Sie … Sie sind ja gemeingefährlich!", stotterte Bruno Bieri und hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Nase, während etwas Blut durch seine Finger rann. Dann nahm er Reißaus, zwar humpelnd, aber sichtlich so schnell ihn seine muskelbepackten kurzen Beine tragen konnten.
Nachdem sie minutenlang wie versteinert die Prügelei verfolgt hatte, fand Jessica nun schnell wieder zu ihrer alten Form zurück und schaute den Prügelknaben von oben bis unten verächtlich an, als wäre er ein ekliger Tatzelwurm, den es schnellstens zu entfernen galt. "Monsieur Tallis! Was fällt Ihnen ein, Ihre … Ihre "Neigungen" hier vor unserem Haus an einem völlig unbedarften Mann auszulassen? Ich werde persönlich dafür sorgen, dass Sie wieder im Knast landen, wenn Sie auch nur ein einziges Mal wieder einen Fuß auf dieses Grundstück setzen!" Mir schwindelte und mir kamen langsam die Tränen. "Jess! Hör auf, lass ihn in Ruhe, sonst ...", versuchte ich die aufgebrachte alte Dame zu beschwichtigen. "Sonst was?", fiel mir Adam ins Wort. "Glaubst du etwa, ich schlage auch alte Damen?" Ich sah in seine noch immer funkelnden Augen, deren Glut jedoch zunehmend erlosch, und zögerte für einen Augenblick, um das Unvermeidliche aber dann doch noch auszusprechen. "Ja, das glaube ich", entgegnete ich dann traurig. Die Wut in Adams Augen wich tiefer Enttäuschung, entsetzt starrte er mich an. "Excusez moi, mon ange. Es tut mir leid", hauchte er resigniert. "Alles tut mir sehr leid. Adieu!" Dann drehte er sich um und ging.
"Adam? Wo willst du hin?", schrie ich zutiefst verzweifelt hinter ihm her. "Bleib verdammt noch mal stehen!" Aber er entfernte sich weiter, ohne sich noch einmal umzudrehen. Ich sackte in den Sand. Mehr und mehr heiße Tränen rannen über meine Wangen herab, brannten auf den versehrten Hautstellen und flossen in meinen trockenen, sich noch immer wie zugeschnürt anfühlenden Hals. Sollte das das Ende unserer leidenschaftlichen Liebe gewesen sein, die doch gerade erst begonnen hatte?
"Schluss! Aus! Ich spiel nicht mehr mit! Das ist doch zum Kotzen hier, einer irrer als der andere! Ich muss in einem fast leeren Haus leben, man wird beim kleinsten Fehler im Job dauernd gefeuert, nagt deshalb am Hungertuch, meine Mitbewohnerin zwingt mir dauernd fremde Kerle auf, und der, den ich haben will, ist ein unberechenbarer Wilder!" Die Worten schossen nur so aus meiner Kehle gegen die Fensterscheibe.
"Holt mich hier bitte jemand raus? – Hallo? Keiner da? Naike! Siehst du mich nicht leiden?" Meine Stimme verhallte im leeren Haus. Nichts passierte. Verzweifelt entschloss ich mich zu einer eiskalten Dusche, die ich sonst hasste wie nur sonst was. Und während das Wasser erleichternd auf mich herunter prasselte und meinen Verstand zunehmend klärte, kam mir wieder die Idee, die ich bisher, seit dem einzigen Mal nach meiner Ankunft, nicht erneut umgesetzt hatte, obwohl das längst überflüssig gewesen war.
Ich zog mich an, setzte mich an den Schreibtisch und öffnete Skype. Von meinem nach der Ankunft im Internetcafé eingerichteten Account "NaikeSimlane" tippte den Nicknamen in die Suche ein, den ich früher benutzt hatte, als mein Zwilling und ich noch vereint, wir ein- und diesselbe Person gewesen waren. Zutiefst erleichtert nahm ich zur Kenntnis, dass er noch immer aktiv war. Und mein Alter Ego war online!
NaikeSimlane: Hi, Naike. Nimmst du mich auf deine Kontaktliste?
NaikeLeNormand: Oha, wen haben wir denn da? Klar. Hallo, äh … auch Naike!^^
NaikeSimlane: Muss ich dir erst noch erklären, was hier abgeht?
NaikeLeNormand: Nein, ich verfolge doch alles haarklein auf dem Bildschirm mit und drehe ab und zu an einem Rädchen. *zwinker*
NaikeSimlane: "Wie kannst du dann noch zwinkern?
NaikeLeNormand: Wie kannst du nur jammern? Dein Leben ist doch spannend! Und jetzt zieh bitte erstmal diese doofe Brille aus, bist doch nicht Puck, die Fliege! Brauchst sie eh nicht mehr, dein Auge hat doch kaum was abbekommen!
NaikeSimlane: Ja gut, hast ja Recht, ich neige zur Theatralik. So besser?
NaikeLeNormand: Wesentlich besser.
NaikeSimlane: Du, ich will raus. Das Spiel hier ist eine körperliche und seelische Tortur, das hält kein Sim auf Dauer aus!
NaikeLeNormand: Für eine Tortur warst du aber ziemlich glücklich, als Adam wieder an deiner Tür klingelte, nicht wahr? Hab dich schwer beneidet!^^
Naike Simlane: Ach, das mein ich doch nicht. Ich rede von meinem geschundenen Gesicht und davon, dass ich mit Jess auf keinen grünen Zweig mehr komme. Und Armin hat übrigens Mundgeruch, wollte ich noch anmerken. *urgs* Was denkst du, was ich bisher alles durchgestanden hab! Schau dir das Haus an, stillos und ohne jegliche Gemütlichkeit! Und Adam, er ist weg. Es ist aus! Ich hätte ihn mit Jess sowieso nicht unter einen Hut bringen können. Ach, es hat alles keinen Zweck. Können wir nicht tauschen? Ich will nach Hause!
NaikeLeNormand: Ich sag dir jetzt mal was, Naike No. 2. Das Leben ist ein Spiel mit Höhen und Tiefen, Aufs und Abs. Sowohl für dich als auch für mich. Für uns alle. Der eine von uns ist genauso wenig real wie der andere. Würdest du gerne einen Roman lesen, in dem nur glückliche Menschen vorkämen? Die einen Glücksfall nach dem anderen auszuhalten hätten, ohne Anfang und ohne Ende? Wäre es nicht ein bisschen anspruchslos, kein Problem mehr lösen zu müssen? Glaube mir, du würdest dich zu Tode langweilen! Kein Sieg ohne Niederlage, keine Liebe ohne Leid. Neutralität wäre die Folge, alles würde dahin plätschern – nein, nicht einmal die Zeit gäbe es mehr!
Mein süßes Ich aus tausend Pixeln, wenn du es wirklich willst, hole ich dich raus. Aber bitte denke noch einmal darüber nach. Alles wäre vorbei, das Leid, aber damit auch die Freud'.
NaikeSimlane: ...
NaikeSimlane: Hm, ich glaube, du hast schon Recht. Aber ein Wohlgefühl bekomme ich durch diese Art von hochweiser Erkenntnis leider auch nicht. Meine Nase tut noch genauso weh wie vorher, und von meinem Herz scheint ein Stück zu fehlen. Was macht er eigentlich gerade?
NaikeLeNormand: Ich bin doch im Internet, kann ihn gerade nicht sehen.
NaikeSimlane: Ach Schei*e, ich liebe diesen Arsch!
NaikeLeNormand: Ich auch.
Und mein Leben hier war für sie der einzige Weg, dies auszuleben, dachte ich bei mir.
NaikeLeNormand: Ich mache dir einen Vorschlag: Du spielst noch ein paar Wochen weiter und überlegst dir bis dahin, ob du weitermachen möchtest. Ich bau dir inzwischen das Haus um, damit du dich wohler fühlen kannst. Denk aber daran, dass die Geldmittel noch immer recht knapp sind. Jess und du, ihr müsst echt reinkloppen. Und weiterhin möchte ich dir mal den Tipp geben, darüber nachzudenken, was du bist.
NaikeSimlane: Wie, was ich bin?
NaikeLeNormand: Na, so eine Art Hexe! Du hast vor lauter Liebe und Leid deine magischen Fähigkeiten völlig vergessen. Naike, du hast einen gewissen Einfluss auf den Lauf der Dinge, nutze das!
NaikeSimlane: Doch, ich weiß das schon, aber ich manipuliere ungern. Soll ich Adam etwa verhexen, dass er plötzlich sanft wie ein Schaf wird? Das will ich doch gar nicht! Außerdem geht bei meinem Zaubern dauernd was daneben, ich erinnere dich nur an den peinlichen Auftritt mit den Flügeln oder dem Fischschwanz!
NaikeLeNormand: Ja, *lol*. Joseph hat sich köstlich amüsiert!
NaikeSimlane: Na prima. *grummel*
NaikeLeNormand: Apropos Joseph, schau dich mal auf der Insel um, ich hab dir ein paar heiße Kerle angesiedelt. Und ich meine jetzt NICHT Bruno Bieri!
NaikeSimlane: Hihi ja, köstlich! Ich dachte gestern, ich spinne.
NaikeLeNormand: Also, sei nicht so bieder monogam! Ist eh unmenschlich bzw. in deinem Fall unsimlisch.^^
NaikeSimlane: *g* War schön, mit dir zu sprechen, jetzt geht es mir schon ein ganzes Stück besser. Wir treffen uns dann wieder in ein paar Wochen, ok? Und bitte vergiss’ das mit dem Haus nicht, ich hab letztens auf dieser Download-Seite mit selbstgebauten Häusern anderer Sims-Spieler eines mit Heuboden gesehen, das will ich haben!
NaikeLeNormand: Was willst du Stadtmädchen mit einem Heuboden?
NaikeSimlane: Och, warte mal ab ... *breitgrins*
Es war für mich wieder äußerst seltsam gewesen, mit meinem Alter Ego zu reden, aber ich war sehr froh, dass mir diese Möglichkeit nun wenigstens hin und wieder offen stand. Vielleicht sollte ich meine magischen Möglichkeiten wirklich mehr ausnutzen? Wenigstens in Notsituationen? Ich beschloss, vorerst abzuwarten und einen Blick in die Karten zu werfen, was die nächste Zeit bringen würde. Ich legte ein Großes Blatt aus und entdeckte bei Adams Personenkarte gleich die Wolken, es schien ihm also tatsächlich alles andere als gut zu gehen. Aber das wusste ich ja eh schon von Joseph. Wirklich interessant war aber, dass die Wolken nicht zwischen unseren Personenkarten lagen, was auf eine unklare Beziehung hingedeutet hätte. Das war ein gutes Zeichen! Die Sense hingegen, der Hinweis auf seine Neigung zu Gewalttätigkeit, lag allerdings nach wie vor im aktuell gelegten Blatt ungünstig in seiner Nähe. Nur was bedeutete die Lilie daneben, das Symbol für Sexualität? Ich rätselte, wie ich immer rätselte, wenn ich mir selbst die Karten legte. Und als ich dann noch die Schlange in Adams Nähe entdeckte, wurde ich unruhig. Gab es etwa noch eine andere Frau in seinem Leben? Ich beschloss, zukünftig erheblich wachsamer zu sein, denn die Aussage der Schlange war, was diese Problematik anging, normalerweise immer eindeutig.
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Wie wird sich Naike in ein paar Wochen entscheiden? Bleibt sie in der Sim-Welt?
Wird sie Adam verzeihen oder den Rat ihres Zwillings beherzigen und sich einen der anderen heißen Kerle schnappen?
Und bekommt sie jetzt tatsächlich endlich ein schönes Haus?