Kapitel 120: Nur beste Freunde?
"Und du willst echt nicht ins Meer, Oxana? Schau wie wunderbar blau es ausschaut." Roland blickte sehnsüchtig hinaus auf die Wellen, die man gerade noch so über den Poolrand hinaus erblicken konnte. "Mir ist das einfach viel zu salzig", erklärte ich ihm jetzt zum dritten Mal. "Aber wenn du unbedingt willst, komme ich mit zu Strand. Nur ins Wasser bekommst du mich dann trotzdem nicht." Roland schien einen Moment über meinen Vorschlag nachzudenken, doch als einzige Antwort spritzte er mir mit einer schnellen Handbewegung Wasser ins Gesicht und schwamm lachend eilig davon. Ich hatte ihn angerufen, nachdem ich den Brief von meinem Scheidungsanwalt bekommen hatte und Roland schlug vor, lieber ans Meer nach Sead Azul zu fahren, als im Trübsal zu versinken.
Und anstatt zu betrauern, dass eine Lebensabschnitt vorbei ging, riet er mir dazu, lieber auf einen Neubeginn anzustoßen. Eigentlich war mir immer noch nicht nach Feiern zumute, aber Roland schaffte es mich in Windeseile davon zu überzeugen, dass ein Glas Sekt jetzt genau das Richtige war. Und bei dem Ausblick, der sich uns von der Terrasse des Cafés bot, mit der frischen Brise, die vom Meer herüber wehte, und den warmen Sonnenstrahlen, die meine Haut kitzelten, konnte ich gar nicht anders, als glücklich zu sein.
Verträumt blickte ich aufs Meer hinaus und beobachtete die Möwen, als Roland seinen Arm über den Tisch schob und nach meiner Hand griff. "Du trägst deinen Ehering immer noch", stellte er mehr fest, als das er fragte und fuhr mit seinen Fingerkuppen den goldenen Ring an meinem Finger ab. Ich nickte zögerlich. "Ich konnte ihn bis jetzt nicht abnehmen". "Das verstehe ich", entgegnete Roland, "aber findest du nicht, dass jetzt die richtige Zeit wäre, ihn weg zu legen?" Roland hatte Recht. Ich sollte mich ganz von der Vergangenheit lösen. Dazu gehörte auch dieser Ring. Und das würde ich auch tun. Aber im Moment genoss ich es nur, dass Roland sanft meine Hand streichelte.
Wir blieben noch lange in dem Café sitzen, aßen etwas und unterhielten uns. Roland war zwar nur ein paar Straßen weiter gezogen, aber dennoch hatte sich unsere Freundschaft nach seinem Auszug verändert. Sie war längst nicht mehr so innig gewesen, wie zu unseren WG-Zeiten. Und in den letzten Wochen und ganz besonders jetzt, in diesem Moment, war es, als ob wir wieder zusammen leben würden, als ob Roland gerade erst in die Simlane gezogen wäre. Und wie damals setzten wir uns auf den warmen Boden und schauten in die Sterne. Nicht etwa schweigen, nein, sondern fröhlich plappernd wie in alten Tagen.
Es wurde spät und Zeit aufzubrechen. Alleine die Fahrt zurück nach Sierra Simlone Stadt würde fast eine Stunde in Anspruch nehmen, trotzdem schien jetzt der richtige Moment, mich bei Roland für diesen wunderbaren Tag zu bedanken. Zutraulich strich ich ihm über die Schulter und setzte dazu an, ihm einen Wangenkuss zu geben. Doch Roland drehte seinen Kopf so, dass meine Lippen seinen weichen Mund trafen. Mir schein es, als ob wir in dieser Position eine halbe Ewigkeit verharren würden. Ich blickte in Rolands halb geöffnet Augen und versuchte zu ergründen, was er gerade dachte. Meine eigene Vernunft riet mir dazu, mich sofort von ihm zu lösen, doch sein durchdringender Blick machte mich einfach machtlos.
Schließlich lösten wir uns voneinander. Es blieb bei diesem einen Kuss, der alles oder auch nichts bedeuten konnte. War es ein rein freundschaftlicher Kuss? Oder steckte mehr dahinter? Auf der Rückfahrt verhielten wir uns weiterhin wie die zwei besten Freunde, die wir waren. Wir redeten, wir lachten. Ich setzte Roland bei seinem Haus ab. Bei seiner Frau Brandi und seinen Kindern, wie ich mir noch einmal deutlich in Erinnerung rief. Und trotzdem, da war diese Knistern zwischen uns. Und so sehr ich mich auch bemühte es zu ignorieren, so spürte ich doch, wie es stärker und stärker wurde.
Als ich nach Hause kam, waren die Kinder bereits im Bett und auch Tristan war in seinem Zimmer. Also legte ich mich ins Bett und schlief mit einem angenehm beschwingten Gefühl ein. Und mit ebenso einem Gefühl wachte ich am Morgen wieder auf. Fröhlich summend ging ich in die Küche und bereitete mit ein Brot zu. Immer noch verschlafen kam Tristan aus seinem Zimmer, holte sich eine Schüssel Müsli und setzte sich an den Tisch. "Wo warst du denn gestern?", fragte er kauend. Alleine bei den Gedanken an den Ausflug mit Roland musste ich lächeln. "Ich war in Seda Azul", antwortete ich ihm. "Ich musste einfach einmal einen Tag entspannen."
"Und, war es schön?" Es war zwar eine ganz normale Frage, trotzdem ließ mich Tristans Tonfall aufhorchen. "Ja, es war schön", antwortete ich zögerlich und blickte misstrauisch zu meinem Mitbewohner und Freund hinüber. "Ich werde euch wohl mal einen Tag alleine lassen können." "Vielleicht wären wir aber auch gerne mitgekommen?", platzte Tristan mit seiner Erwiderung heraus. "Ich meine damit nicht unbedingt mich, aber ich könnte mir vorstellen, dass deine kleine Tochter nichts gegen einen Tag am Strand einzuwenden gehabt hätte, insbesondere wenn man bedenkt, dass ihr Eltern sich gerade scheiden lassen und ihre Schwester das Haus terrorisiert. Aber das war nur so ein Gedanke von mir."
Sofort vergaß ich Tristans vorwurfsvollen Ton und rügte mich innerlich selbst dafür, dass ich nicht an Klaudia gedacht hatte. "Sie ist hinter dem Haus", erklärte er, noch ehe ich fragen konnte, wo meine Tochter gerade war. "Schon gestern saß sie dort und streichelte einen bemalten Backstein und sprach mit ihm. Sie hätte fast geweint, als sie sah, wie du weg gefahren bist, ohne auch nur zu fragen, ob sie mit will." Mein schlechtes Gewissen wuchs mit jedem von Tristans Worten. Eilig legte ich das Küchenmesser beiseite und trat durch die Hintertür in den Garten.
Als Klaudia mich die Treppe hinunter kommen sah, legte sie den Backstein beiseite und drehte sich beleidigt von mir weg. Es tat weh zu sehen, dass meine Tochter sich mir gegenüber in dieser Art und Weise verhielt. Es reichte, dass Kinga wütend auf mich war. Noch eine Tochter wollte ich nicht gegen mich aufbringen. "Pummelchen, es tut mir leid. Ich hätte dich fragen sollen, ob du mit ans Meer möchtest", entschuldigte ich mich bei ihr. "Ich verspreche dir, dass wir dafür etwas ganz Tolles zusammen unternehmen werden."
Zu meinem Glück war meine jüngere Tochter nicht halb so nachtragend wie Kinga. "Was wollen wir denn zusammen machen?", fragte sie sofort begeistert und vergessen war der Ärger, den sie verspürt hatte. "Was du möchtest, Pummelchen", antwortete ich ihr. "Wenn du magst, können wir auch ans Meer fahren. Oder wir fahren in einen Freizeitpark nach SimVegas. Du darfst dir alles aussuchen."
"Können wir etwas zusammen mit Papa machen?" Diese Frage überrumpelte mich, auch wenn ich sie eigentlich hätte voraussehen müssen. "Du kannst natürlich gerne etwas mit deinem Papa unternehmen. Aber ich bleibe dann lieber zu Hause, Pummelchen", erklärte ich ihr. Dann nahm ich ihre kleine Hand und sprach weiter: "Dein Papa und ich sind jetzt nicht mehr verheiratet. Ich glaube nicht, dass er mich sehen möchte." Ich hatte erwartet, dass Klaudia geschockter reagierte, aber sie nahm es erstaunlich gut auf. "Ist schon in Ordnung, Mami. Die Eltern von Mechthild sind auch geschieden und sie sagt, dass ist gar nicht sooo schlimm. Und ich kann mit Papa ja auch etwas machen. Aber jetzt will ich etwas mit dir unternehmen."
Klaudia wollte sich etwas Tolles überlegen und ich war froh, dass es meiner Tochter wieder besser ging. Ich hatte fast schon das Gefühl, dass doch noch alles gut werden würde, doch dann ertönte auch schon der ohrenbetäubende Krach aus Kingas Zimmer. Ich überlegte, ob ich an ihre Zimmertür klopfen sollte, sie bitten sollte, endlich diesen Krach abzustellen und mit mir zu reden. Doch dann wurde mir bewusst, dass es ohnehin keinen Sinn gehabt hätte.
Ich konnte sie verstehen. Nicht nur, weil ich es war, die sie belogen hatte. Ja, ich wusste, dass sie zu Recht wütend war, aber ich wusste auch, wie sie sich fühlen musste. Sie hasste mich, so wie ich meinen Dad gehasst hatte. Und ich wusste nur zu gut, dass dieses Gefühl nicht plötzlich verschwinden würde. Ich hatte es schon an dem Tag in ihren Augen gelesen, als sie die Wahrheit über ihren Vater erfahren musste. Gedankenverloren wusch ich den Staub von meinen Händen. Dabei blieb mein Blick auf meinem Ehering haften. Roland hatte vollkommen Recht, es war Zeit, den Ring abzunehmen. Ich war nicht länger verheiratet, also gab es keinen Grund mehr, ihn zu tragen. Fast acht Jahre lang hatte ich den Ring nicht einmal abgenommen und jetzt zog ich ihn einfach von meinem Finger und legte ihn in mein kleines Schmuckkästchen.
Am Abend kam Roland mich besuchen und auch an den nachfolgenden Abenden war er immer wieder ein Gast in meinem Haus. Meist quatschten wir einfach nur miteinander oder sahen zusammen mit Tristan DVDs und spielten Darts. Unser Kuss am Meer war fast wieder vergessen. Aber eben nur fast. Jedes Mal, wenn ich Roland ansah, spürte ich dieses leichte Kribbeln. Und mehr als einmal erwischte ich mich bei dem Gedanken was wäre, wenn er nicht nur mein bester Freund wäre?
Doch solche Gedanken schob ich hastig wieder beiseite. Es war nicht so, als ob einer von uns beiden wirklich geflirtet hätte. Wir waren gute Freunde, sehr gute Freunde, doch manchmal war es so, als ob wir die Grenzen unserer Freundschaft zu weit erkundeten. Es geschah ganz zaghaft, wenn Roland zum Beispiel seinen Arm um mich legte, oder wenn meine Hand fast unbewusst zu seiner Hüfte fand. Sobald uns bewusst wurde, dass wir zu weit gegangen waren, kehrten wir sofort wieder um, aber ich spürte, wie mir diese Umkehr von Mal zu Mal schwerer fiel.