Fotostory At Heart ♦ abgeschlossen ♦

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September 2004
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32
Ort
Büttelborn
Geschlecht
w

Hallo zusammen,

hier meine erste Sims 4 FS :)

Info zu Häusern, Kleidung und Haaren: Ich spiele sowohl mit Downloads, als auch mit Galerie-Objekten. Alle Häuser, die nicht von mir gebaut wurden sind, sofern nicht explizit erwähnt, von bambierfurt (Forum und Galerie). Ins Besondere geht es hier um die Wohnhäuser von den Hauptfiguren.

***

Prolog

Als Mutter starb wurde alles anders. Man sollte meinen, Krebs ist mit 30 Jahren noch so weit entfernt. Von einem selbst und von seiner Familie. Und man kann sich nicht darauf vorbereiten. Nicht auf die Ohnmachtsanfälle, auf die Schwäche. Nicht auf die Abwesenheiten und Arztbesuche. Nicht an den Krankenhausgeruch und die Medikamente zum Frühstück, weil ihr so übel war. Ein Virus, der sich durch die ganze Familie frisst. Als sechsjährige verstehst du nicht, dass deine Mutter komische Dinge sagt, weil ein Knoten in ihrem Kopf ist. Und als zwölfjährige bist du nicht bereit, das Erbrochene deiner Mutter überall auf zu wischen. Aber Lydia hat sich tapfer geschlagen. Und ich habe nicht verstanden, dass Mutter von uns gehen würde, bis sie kurz vor meinem 7. Geburtstag wirklich ging. Einen Vater gab es nicht. Lydias Vater war Mutters Jugendliebe gewesen und hatte sie im 3. Monat der Schwangerschaft verlassen. Heute schreiben Sie sich Briefe. Ich habe meinen Vater nie kennen gelernt. Er fehlt mir nicht.

Und für ein Ehepaar in den Sechzigern ist es auch nicht die Erfüllung der Träume die zwei unehelichen Kinder ihrer in ihren Augen verhurten toten Tochter aufzunehmen. Sie ließen sich das nicht anmerken, aber Opa verriet es mir vor 2 Jahren an seinem Sterbebett. Oma lebt in einem Heim. Sie kann sich nicht um sich selbst kümmern und wir können es auch nicht. Deswegen leben Lydia und ich heute zusammen. Ich bin mittlerweile 17. Ich heiße Lilly und falls sie jemand hören möchte... dies ist meine Geschichte.


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Staffel 1 - All Gone


Folge 1 - Freunde und Feinde

"Du solltest dich echt für diesen Kurs einschreiben! Ich habe gehört, der Lehrer ist super. Und super attraktiv", keck lächelt Judith mir entgegen. Ihre blonden Wellen legen sich über ihren grünen Pulli. Meist ist es zu einem geflochtenen Zopf gebunden – seit „Tribute von Panem“ trägt sie ihre Haare kaum noch anders.

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Sie ist traumhaft, wie immer. Der Tag ist sonnig und hell. Um uns rum liegen Schüler auf den Wiesen verteilt, knutschen, lachen, oder lernen. Im Juni lässt es sich hier wirklich aushalten. Schön ist die zu einem Beton-Block geformte Berufsschule aber trotzdem nicht. Judith und ich sitzen an einem der heiß begehrten Picknicktische und lassen uns die Sonne auf den Kopf scheinen. Judith lächelt strahlend, wie immer und ihr Lächeln ist wertvoller als alles andere für mich.

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"Ich habe schon genug mit der Ausbildung zu tun. Ich kann es mir nicht leisten, jetzt noch Malen zu lernen. Es wäre ein Hobbie und ich brauche das Geld, was ich mit den Überstunden in der Kantine verdiene." Meine Freundin ist in einer wohlhabenden Familie aufgewachsen und kann sich von ihrem Ausbildungsgehalt als Kosmetikerin den gesamten Führerschein und ihre Freizeit finanzieren. Naja, wohlhabend ist vielleicht übertrieben. Ihre Mutter arbeitet Tag und Nacht, um Ihren Kindern alles zu ermöglichen. Sie ist die wohl liebste Person, die ich kenne – jederzeit bin ich willkommen. Schon seit Judith und ich uns in der ersten Klasse kennengelernt und verliebt haben. Also nicht richtig verliebt. Eben wie Schwestern.

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Es ist jetzt auch nicht so, dass Lydia nicht gut in ihrem Job verdient, aber wenn ich mir nicht ewig anhören will, dass ich ihr auf der Tasche liege, musste ich mich eben ins Zeug legen. Und dazu gehört die Ausbildung zur Köchin. Dann und erst dann kann ich mich mit dem Gedanken beschäftigen, irgendwas aus meinem Hobbie zu machen. "Du musst malen nicht lernen, du kannst es schon-"
"Ich weiß, was du meinst."
"-aber du lässt es schleifen."
"Ja."

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Sie lächelt mich an. Ich stochere mit der Gabel verloren in meinem Salat herum. Die Schulkantine ist schrecklich. Es ist eine Schande, dass ich mich als Köchin im zweiten Jahr nicht einbringen, sondern nur Teller waschen darf. Außerdem habe ich schlecht geschlafen und keinen Appetit. Meine Träume werden immer abstruser. Alle paar Stunden werde ich wach und schwitze mehr als sonst schon bei diesem Wetter. Meistens träume ich von einem großen Nichts, in das ich falle. Kennt man ja. Judith isst nichts. "Hast du gut gefrühstückt?", fragte ich. "Ja, Mum hat was stehen lassen". Ich sehe ihr an, dass sie lügt.

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Seit nunmehr 11 Jahre lieben wir uns wie Schwestern. Ich weiß alles über Sie. Dass sie tut, als wäre sie leicht zu haben, aber noch immer Jungfrau ist. Dass sie mit jedem flirtet, aber niemanden näher an sich ran lässt, als ihre Haustür. Dass sie ihren Bruder mehr liebt, als sie zugibt (vor allem gegenüber ihm) und dass sie ihre Mutter eklig findet, weil sie übergewichtig ist. All die unschönen Details, die man in einer Freundschaft voneinander wusste, ohne, dass sie jemand aussprechen muss. Sie stand auf und zieht ihren Pullover zu Recht, nimmt ihre Tasche und lächelt mir zu: "Ich muss früher in der Klasse sein, ich halte heute einen Vortrag über tierversuchsfreie Kosmetik." Ich hebe den Daumen. "Gefällt mir, wünsche dir viel Erfolg!"
"Danke! Ich rufe dich heute Abend an und sag dir, wie es gelaufen ist." Ich sehe ihr hinterher. Eine größere Liebe konnte es in meinem Leben nicht geben.

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*

Nach dem Unterricht verbringe ich drei Tage die Woche zwei Stunden in der Kantine, so auch heute. Ich putze und wasche Geschirr, wische die Tische ab und leere die Mülleimer. Mit schrumpeligen Fingern und fettigem Haar quäle ich mich mit dem Fahrrad und 20 Euro mehr im Portemonnaie in den Stadtpark. Ich drücke mich davor, nach Hause zu kommen. Lieber mache ich die Hausaufgaben im Park und lerne für die bevorstehende Ernährungsprüfung. Elektrolyte und so ein Zeug. Als ob ich dafür an einem Donnerstagabend den Kopf habe. Donnerstags kommt Lydia später nach Hause und ich nutze diese Zeit in der Regel um Dinge zu tun, die ich sonst nicht tun darf. Wie eigentlich alles. Daher verbringe ich keine Minute zu viel zu Hause.

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Aber ich nehme meine Ausbildung sehr ernst und die Natur tut mir gut, daher fahre ich selten nach der Schule und Arbeit ins Schwimmbad, sondern lerne lieber. Die Weiber, die sich im Bikini auf dem Sprungbrett räkeln, nur um vor den Augen der Jungs total ungeplant beim Aufschlag ins Wasser das Oberteilt zu verlieren sind mir zuwider. Sie nehmen die Schule nicht ernst, machen die Ausbildung auf den Druck der Eltern hin und würden sich jedes Wochenende die Birne zu dröhnen, wenn man sie ließe. Judith‘ Vater ist an einer Überdosis gestorben. Wir schließen uns diesem Mist nicht an.

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Dass Judy (mein liebster Spitzname für sie) und ich auf dem gleichen Areal lernen und in die gleichen Schulen gingen ist kein Zufall. Meine Begabungen reichen über kochen, malen und texten, weswegen ich eine Ausbildung als Köchin schon mit 14 in Betracht zog. Mit der Kunst Geld zu verdienen, würde sicherlich irgendwann schöner sein, doch fürs erste, ist es ausreichend, zu kochen. Ich hasse das kochen nicht. Ich kann es gut und ich bin kreativ, aber es ist nicht die Erfüllung meiner Träume. Judith‘ Fähigkeiten sind anderer Natur. Da bei ihr jede Wimper genau so liegt, wie sie will und ihre Tante eine ausgesprochen gute Kosmetikerin ist, konnte sie bei ihr unter kommen. Außerdem werden bei uns die Berufszweige Einzelhandelskauffrau und Friseurin gelehrt. Die Köche genießen ihren eigenen Komplex auf Grund der Räume, die für die praktischen Teile gebraucht werden.

Als die Sonne untergeht schwinge ich mich aufs Rad und will es gut sein lassen. Judith hat sich noch nicht gemeldet. Vor unserem Haus steht ein kleiner Audi.

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Ich bremse schlagartig ab. Lydia ist zu Hause. Warum? Sie sollte ein Meeting haben? Warum ist sie schon da?! Es gibt keine Hintertür, kein Fenster. Sicherlich hat sie sowieso schon gemerkt, dass ich nicht zu Hause bin. Eigentlich fragt es sich nur noch, wie groß der Knall sein wird. Also gehe ich zur Tür und schließe auf. Wütende Schritte kommen aus dem Bad. Eine gellende Ohrfeige trifft brennend meine Wange. "Wo zum Teufel bist du gewesen?!" Doch sie schreit nicht. Es ist nur leichte Schärfe in ihrer Stimme. Schärfe und Hass.

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***

Anmerkung des Autors: Wie ihr an Hand des Prologs und der ersten Folge schon merkt, kommen in dieser FS einige gesellschaftlichen Tabu-Themen zur Sprache. Ich möchte euch bitten, auf euch selbst zu hören und diese FS entsprechend zu meiden. Es besteht eine Trigger-Gefahr in einigen Bereichen. Die Essstörung von Judith und die Misshandlungen von Lydia an Lilly werden in der ersten Staffel eine zentrale Rolle spielen.
 
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Wah, toller Auftakt für deine Story!
Ich mag deinen Schreibstil sehr gerne und freue mich schon drauf, mehr aus Lillys und Judiths Leben zu erfahren - auch wenn du ja bereits angedeutet hast, dass uns da auch einige dunkle Wege erwarten...
Ich lese jedenfalls mit! :)


Lilly ist übrigens eine absolut umwerfende Simmin! Ihre feinen Gesichtszüge faszinieren mich.
 
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Oh, vielen Dank Anstaltsdame :) Ja, ich habe mich auch in Lilly verliebt und bin fast verzweifelt, weil mir ihr Gesicht so breit vor kam, bis ich endlich merkte, dass es an der Frisur liegt :D
 
Hallo Psychodoll :hallo:

Ich wollte dir einen kleinen Kommentar hinterlassen :)

Lilly hat mit ihren 17 Jahren doch schon einiges erlebt (und Lydia ebenfalls). Krebs ist einfach eine schreckliche Krankheit; nicht nur für den, der direkt davon betroffen ist, sondern auch für die Angehörigen. Du hast ein starkes Bild dafür gefunden: Ein Tumor, der sich nicht nur durch den Kopf der Mutter "frisst", sondern dessen Schrecken um sich greift. Der Tod der Mutter, den eigenen Vater nicht zu kennen und bei den Großeltern aufzuwachsen, das ist sicher schwer.

Dein Prolog lässt bereits erahnen, dass das hier keine "einfache" Geschichte werden wird und ich bin gespannt, was uns erwartet.

Die 1. Folge hat mir gut gefallen.

Auf den ersten Blick erscheinen Judith und Lilly als eher ungleiche Freundinnen. Doch du zeigst schnell, dass hinter Judith weitaus mehr steckt, als der heitere Sonnenschein, z.B. die Essstörung, über die sie und Lilly nicht reden, aber die dennoch im Raum steht...
Lilly finde ich sehr interessant. Sie wirkt einerseits sehr ernst, gewissenhaft und erwachsen (kaum verwunderlich), andererseits schwingt diese gewisse Sehnsucht bei ihr mit, sich selbst zu verwirklichen und mehr zu erreichen, als einfach nur (finanziell) auf eigenen Beinen zu stehen (und vermutlich ihrer Schwester zu entkommen). Es ist traurig, wie hasserfüllt Lydia ihr gegenübersteht.

Ich freue mich auf das nächste Kapitel. Verschickst du auch Benachrichtigungen? Ich bin im S4-Bereich ja nicht so häufig unterwegs, aber deine Geschichte möchte ich sehr gerne weiterverfolgen.

Liebe Grüsse,
Bloody


 
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Hallo BloodOmen,

ja ich verschicke Benachrichtigungen :) Vielen Dank für den Feedback!

Ich hätte die nächste Folge auch schon fertig. Aber ich kenne mich - die Muse hat mich für 11 Kapitel geküsst. Wenn sie nun lange Zeit eine Pause macht und ich zu viele Kapitel nacheinander raus haue, gibt es vielleicht irgendwann eine Durststrecke :/ Daher warte ich mal noch ein paar Tage ;)


Benachrichtungen:

* BloodOmen1988
 
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Hallo BloodOmen,

ja ich verschicke Benachrichtigungen :) Vielen Dank für den Feedback!

Danke, dass du mich benachrichtigen willst :)

Ich hätte die nächste Folge auch schon fertig. Aber ich kenne mich - die Muse hat mich für 11 Kapitel geküsst. Wenn sie nun lange Zeit eine Pause macht und ich zu viele Kapitel nacheinander raus haue, gibt es vielleicht irgendwann eine Durststrecke :/ Daher warte ich mal noch ein paar Tage ;)

Ja... Vany und ich haben uns auch entschieden, dass wir unsere FS erst komplett fertig schreiben wollen, bevor wir sie veröffentlichen. Es macht keinen Spaß, wenn man mittendrin auf einmal unterbrechen oder pausieren muss :-/ So ging es mir bei meiner ersten (und bisher einzigen) FS. Blöd ist auch, wenn man hinterher merkt, dass man etwas in einem bereits veröffentlichten Kapitel hätte anders machen müssen, damit ein späteres Kapitel so gestaltet werden kann, wie man es möchte). Von daher ist es sicher sinnvoll, erst ein paar Kapitel vorzuschreiben. :) In diesem Sinne: GO! Ich freue mich einfach auf ein neues Kapitel ^_^ Wenn es da ist, dann ist es da ^_^
 
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huhu psychodoll!

hier mag ich auch lesen FOTOSTORIES!! wuhuuu :D :love:

Schöne Themen - mal etwas ernstere, das gefällt mir.
Ich drücke Lilly die Daumen, dass sie sich verwirklichen kann.
Deine Story klingt spannend und auch das Thema Krebs oben fand ich sehr interessant und natürlich vor allem traurig. Muss mich Bloody anschließen, du hast den Tumor gut beschrieben. Es ist eben nicht so, dass es den Menschen irgendwie nach und nach auffrisst, seine Persönlichkeit schluckt usw, als Angehöriger ist man ebenfalls hilflos und muss viele Dinge aushalten, die man für einen geliebten Menschen natürlich aushalten WILL, nur am Können kann es durchaus auch mal scheitern.

Ich bin sehr gespannt, worauf deine Story hinausläuft und wie es weiter geht.

Fühl dich nicht gehetzt, arbeite so, wie es dir passt. Es ist wirklich nicht schön, wenn man sich selbst so unter Druck setzen muss/lässt. Bloody und ich kennen das ja auch und ich muss sagen, ich bin dankbar für unsere kleine Sommerpause, aber dennoch haben wir schon im Voraus sehr viel gebastelt, sodass wir kein Updateproblem bekommen. Die FS schreiben wir aber, wie Bloody sagte, komplett fertig. Von daher lass die Muse dich noch ein wenig häufiger küssen xD
Hast du den Inhalt denn schon grundsätzlich geplant? Oder passiert das bei dir beim Schreiben? Finde andere Arbeitsweisen immer sehr interessant!

Bitte mich auch benachrichtigen, aus ebensolchen Gründen, wie Bloody :D

Liebe Grüße,
Vany
 
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Hallo Vany :)

Vielen Dank für dein Feedback. Einiges im Inhalt ist geplant, anderes nicht. Die groben Eckdaten und Ereignisse schon, wie alles dazu kommt im Detail aber oft nicht.

Einiges kommt bei mir oft mit den Fotos. Wenn ich grade ein Blackout habe, mache ich Fotos für eine der Folgen. Durch das Eigenleben der Sim machen sie oft Dinge, die ich nicht geplant hat, aber super passen. Das ist klasse.


Benachrichtungen:

* BloodOmen1988
* Vany89
 
Hallo Psychodoll,

gerne doch! :)

Ja das kenne ich auch, dann hat man was geschrieben und dann geht das mit den Bildern nicht und plötzlich steht was ganz anderes da. Aber das finde ich so schön an den Sims, man kann so rum, oder so rum schreiben und man kommt immer weiter. Wenn ein Zusammenhang noch nicht steht, dann einfach das Sims laufen lassen und schon hat man die Lösung, weil die Sims einfach handeln!

Das Spiel zeigt einem auch sehr häufig Wege auf, auf die man sonst nicht gekommen wäre. Und dennoch gibt's Momente, in denen man erstmal gar nicht weiß, wie man das mit Bildern zeigen soll und dann bin ich immer glücklich, wenn es denn dann geklappt hat :D

Ich bin auf jeden Fall gespannt, wie es weiter geht :)
 
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Folge 2 – Macht

Die Gewalt lebt davon, daß sie von Anständigen nicht für möglich gehalten wird.
© Jean-Paul Sartre

*

Brennend erscheint ein roter Abdruck auf meiner Wange. „Du hast pünktlich zu Hause zu sein. Das weißt du“, immer noch eine beängstigend ruhige Stimme. Lydia macht kehrt und geht leichten Schrittes in die Küche. Ich reibe mir die Wange. Glasige Augen verschwimmen meine Sicht. Ich lege meinen Rucksack auf den Boden und schlurfe in die Küche. Da sitzt sie am Tisch, erwartend, die Zeitung lesend. Einen Moment lang kann ich mich nicht bewegend, verharrend im Türrahmen.

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Natürlich ist das nicht das erste Mal. Und sicherlich auch nicht das letzte. Aber die Ohrfeigen sind selten so heftig und es gibt eben Momente, in denen mir bewusst wird, was hier passiert. Vielleicht hindert mich auch irgendwas in mir daran, mich ihr zu nähern. Unsere Beziehung ist schwierig. Aber ich liebe sie. Sie hat mich stark gemacht. Vielleicht nicht stark genug. „Nun tu nicht so, als wäre dir das neu. Wenn dich sonst keiner erzieht, muss ich es eben tun“, nach einem Seufzer, ohne den Blick von der Zeitung abzuwenden, sagt sie: „ich hätte gerne Rührei zum Abendessen. Und bitte versalze es nicht wieder.“ Ich koche jeden Abend für sie, außer dienstags. Da esse ich bei Maria, da Lydia meist sehr spät nach Hause kommt.

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Langsam schleichend drückt sich ein schweres Gefühl auf meine Lungen. So muss Cinderella sich gefühlt haben. Lydia gibt mir alles, was ich brauche. Sicher, das sollte wohl irgendwie selbstverständlich sein. Sie ist meine Schwester und könnte ich für mich sorgen, würde ich es tun. Aber ich kann es nicht. Ich habe zu Essen, ein Dach über den Kopf. Sie bezahlt mir alles, mit Ausnahme meiner Ausbildung. Ich bekomme Taschengeld und zwar ein Gutes. Manchmal glaube ich, sie will sich Vergebung erkaufen. Aber das ist vielleicht nur meine Hoffnung auf die Reue in ihr, denn meistens, macht sie nicht den Eindruck, als wäre es ihr wichtig, was ich denke, oder fühle. Oder als wäre ich ihr als Person überhaupt irgendwie wichtig. Mehr so ein Schmarotzer, den sie durchfüttert. Dass wir ein Fleisch und Blut sind, spielt bei ihr keine Rolle.

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Ich weiß nicht, ob sie sich nur um mich kümmert, weil Mum es am Sterbebett von ihr verlangt hat und ich weiß auch nicht, warum sie mich so sehr hasst. Ich denke, ich bin ihr egal und all ihre Zugeständnisse rühren von Schuldgefühlen gegenüber unserer Mutter. Schließlich müsste sie mir kein Taschengeld geben. Ich darf ja auch essen, wann und was ich will, solange ich auch einkaufen gehe. Dafür stellt sie mir ein gewisses Budget und das ist sehr großzügig für uns beide. Es gibt nur Bio-Produkte und dass ich ihr nur selten Fleisch zubereite stört sie auch nicht. Sicher, sie lobt mich nicht. Aber sie beschwert sich auch nicht. Mit Sicherheit wirke ich auch nicht, wie ein Mädchen, das sich so behandeln lässt. Ich kann mich gegen jeden wehren. Niemand fasst mich an, wenn ich das nicht will. Mit Ausnahme von Lydia. Es ist, als wäre ich eine Marionette, wenn sie den Raum betritt.

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Ich stelle ihr den Teller vor die Nase. Ich habe keinen Hunger und wir essen auch nicht zusammen. Niemals. Da sie nichts sagt, ist das Essen wohl in Ordnung. Ich nehme mein Handy und meinen Rucksack und verschwinde in mein Zimmer. Ich mag sie lieben und zugleich hassen, aber ich muss keine Minute zu viel mit ihr in einem Raum sein. Alles, was ich tu, könnte…

Miss Perfect arbeitet bei einer Bank als Abteilungsleiterin und bringt genug Geld für fünf Geschwister nach Hause. Doch sie kann damit gut umgehen und gibt keinen Cent zu viel aus. Sie ist die Kontrolle in Person, kann ohne Regeln nicht funktionieren und gibt weniger aus, als es ihr gut tun würde. Judy würde sagen, dass sie chronisch unterv… naja, ihr wisst schon. Ich habe jedenfalls noch nie einen Partner kennen gelernt, den sie hätte. Ich weiß nicht, was sie für ein Mensch ist, wenn sie nicht zu Hause ist. Aber ich vertraue darauf, dass sie das Kind in ihr zumindest noch kennt. Obschon sie auch in meiner Erinnerung nie viel gelacht hat.

Sie macht sich meine Abhängigkeit zu Nutze und es gelten strikte Regeln in ihrem Haus. Pünktlich zu Hause sein, keine Jungs, keine laute Musik (und schon gar nicht meine), solche Sachen eben. Die wenigsten Dinge davon machen mir Probleme.
Ich schließe die Tür hinter mir, ziehe mir einen Pulli über und schmeiße mich aufs Bett. Ich ziehe die Ärmel über meine Handgelenke und Hände. Das mache ich immer, wenn ich grade das Gefühl habe, unter zu gehen. Mein Handy liegt neben mir – ich warte auf Judy‘s Anruf.

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Es ist Oma’s Haus, doch sie hat es uns überlassen. Wir blieben nach ihrem Auszug ins Heim und renovierten ein paar Räume. Badezimmer, neue Einrichtung für die Küche. Oma’s altes Nähzimmer ist meines, das alte Schlafzimmer Lydias. Es gibt kein Wohnzimmer, nur eine Galerie, da Großvater gemalt hat. Viele Bilder wollte ich behalten. Lydia hat sie alle entsorgt. Nur eines, konnte ich retten. Es hängt neben meinem Bett und ist mein größter Besitz.

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Nach Mutters Tod war Opa mein Lieblingsmensch. Er hat mich stets verteidigt. Ich war sein Liebling.
Mein Handy klingelt. Der Klingelton ist „Let it go“ aus dem Film Frozen. Judy und ich haben ihn 5 Mal im Kino gesehen. „Hey“, sage ich matt. „Lil, ich höre förmlich bis hier her, dass du jemanden schlagen möchtest.“ Ich muss lächeln. „Erzähl mir zuerst, wie dein Referat war. Lief es gut?“ sie seufzt. „Joa, war okay. Ich habe eine 1-, angeblich wären die Bilder zu verstörend gewesen. Als ich antwortete, dass das so sein soll… naja, du kennst ja die Schröder. Wenn jemand eine andere Meinung hat, als sie, wird sie stutenbissig. Aber schlechter ging nicht, ich war einfach zu gut.“ Sie kichert.

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Judy ist eine begnadete Rednerin. Ich bin auch nicht schlecht, aber es liegt ihr einfach im Blut. Sie könnte einem Inuit Kühlschränke verkaufen. „Es ist wieder passiert, oder?“ fragt sie. „Nur eine Ohrfeige, ich war zu spät zu Hause. Oder Lydia zu früh.“ Sie fragt nicht, warum ich mich nicht wehre, oder zurück haue. So ist das eben. Sie kennt die Geschichte, also hält sie die Klappe. „Ich würde ja nochmal rum kommen, aber das Aufsichts-Essen steht an.“
„Was du heute auch brauchst.“ Stille. Ich halte eben nicht die Klappe. „Vermutlich. Bye, Lil. Ich melde mich nachher“, und sie legt auf. Ich starre auf das Bild von Opa und rolle mich zusammen.

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Über den Punkt der Frage, ob ich diese Behandlung verdient habe, bin ich schon lang hinaus. Ich schwanke in der Antwort täglich. Wenn Lydia nett zu mir ist, bedeutet das, dass sie mich ignoriert. Ich habe sie seit Jahren nicht mehr lächeln sehen und nur selten begrüßen wir uns, wenn einer nach Hause kommt. Wenn es nach ihr geht, wäre ich eben einfach besser nicht da… Ein kleines Wunder, dass ich mich weder ritze, schlage, eine Essstörung habe, oder Drogen nehme. Ein kleines aufflammen meiner Rebellion zeigt sich in einem schlecht gestochenen Tattoo an meinem Oberarm. Oder meinem ganzen Arm.

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Das ist ein Jahr her und Lydia hat mich anschließend an den Haaren in mein Zimmer gezogen und hungern lassen. Ich bin abgehauen, habe einen Veggie-Burger beim gelben M gegessen und bin wieder ins Bett geklettert. Und lag da, genau wie jetzt. Gleich bleibt mein Herz stehen, denke ich, gleich ist alles vorbei.

Aber es geht immer weiter. Jeden Tag.
 
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Ich glaube, ich hau Kapitel 3 mal hinter :D

***

Folge 3 – Der Boden unter den Füßen

Hunger und Liebe sind die Triebkräfte aller menschlichen Handlungen.
© Anatole France (1844 - 1924)

*

Ich bin in Hotpan und Pullover eingeschlafen. Mein Herz schlägt noch, gut zu wissen. Mit einem Blick auf mein Handy erkenne ich, dass in zehn Minuten mein Wecker klingelt. Judy hat auch nochmal angerufen und eine SMS geschrieben: „Schläfst wohl schon. Habe zwei Scheiben Brot gegessen. Belag war eklig. Liebe dich!“ Eine gute Nachricht. Ich richte mich auf und torkele ins Badezimmer. Es ist kurz vor sieben – Lydia ist schon lang aus dem Haus. Ich stelle mich unter die Dusche, schminke mich, kämme mir die Haare und ziehe mir was Frisches an. Ich brauche selten lange, um etwas zu finden, was ich anziehen kann. Ich trage eigentlich nie Kleider, oder Röcke.

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Müsli, Tee (ich hasse Kaffee), Rucksack packen und rauf aufs Rad. Heute ist Freitag. Judy und ich treffen uns morgens bei ihr, da wir beide eine Stunde später haben. Etwa zehn Radminuten wohnen wir auseinander. Lydia und ich wohnen zentral in der Nähe des Stadtparks. Judy wohnt mit ihrer Mutter und ihrem Bruder eher außerhalb. Die Kleinstadt ist nicht groß. Raus gekommen sind wir noch nie. Die Träume von einer WG in der Großstadt, kann uns jedoch keiner nehmen. Judy‘s Haus ist kleiner als unseres, aber besser ausgestattet. Es mangelt ihnen an nichts, außer gemeinsamer Zeit.

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Ich lasse mein Rad fallen und trete ein. Ich habe einen Schlüssel, doch die Tür steht eigentlich immer offen. „Guten Morgen!“, rufe ich in den Flur. Aus der Küche dringt ein toller Duft nach Rührei. „Lilly! Komm rein!“, ich betrete die Küche. Maria, Judy’s Mutter, steht wie immer am Herd. „Ich kann auch Rührei ohne Speck machen, wenn du willst.“

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„Nein, danke, ich habe gefrühstückt.“
„Oh, schade“, seufzt sie. Sie weiß, dass ihr Rührei unangetastet bleiben wird. Sie selbst diätet permanent, Judy frühstückt nie und Marc, Judy‘s Bruder, ist unter der Woche in der Großstadt. Er arbeitet als Polizist. Schlussendlich isst sie es meist doch selbst aus Frust und ärgert sich anschließend über sich selbst. Judy kommt zur Küche herein. Ihre Mutter fragt nicht mal, ob sie etwas möchte. Sie nimmt sich eine Nektarine aus dem Obstkorb als Alibi und umarmt mich von hinten über den Stuhl gebeugt. „Schade, dass du gestern nicht mehr ans Telefon gegangen bist.“ Sie zieht einen Schmollmund. Ich zucke mit den Achseln.

*

„Iss sie“, sage ich beiläufig und Judy beißt von der Nektarine ab. Mir zu liebe. Sie verzieht das Gesicht. „Die ist faul“, sagt sie und schmeißt das Obst von sich in die Büsche. Ganz sicher, denke ich. Ich bin heute nicht besser. Mein Mittagessen steht zu Hause im Kühlschrank. Wir sind auf dem Weg nach Hause. Eine Aneinanderreihung von schulischen Belanglosigkeiten ist nicht erzählwürdig. Wir fahren zu Maria. Lydia erlaubt keinen Besuch. Da es freitags aber keinen Nachmittagsunterricht gibt, verbringen wir den Tag meist gemeinsam. Sie seufzt laut. „Marc kommt heute! Er dürfte sogar schon zu Hause sein!“. Marc ist fast zwölf Jahr älter, als Judy. Sie ist und bleibt der kleine verwöhnte Nachzügler. Marc steckte mitten in der Pubertät, als ich in die Familie platzte. Damals war ich sechs Jahre alt und es war kurz vor dem Tod meiner Mutter. Ich lernte ihn erst richtig kennen, als er die Ausbildung mit 21 begann. Die 3 Jahre davor begegnete mir lediglich seine geschlossene Zimmertür.

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Ich kannte die beiden noch nicht, als ihr Vater starb, aber er muss 4, oder 5 Jahre komplett geschwiegen haben. Dann beschloss er, aktiv gegen Drogen zu kämpfen.
Judy lässt ihr Fahrrad auf die Wiese vor dem Haus fallen und stürzt durch die Tür. Ein piepsiger Schrei sagt mir, dass ihr Bruder angekommen ist. Das hat für alle was Positives. Sie isst nur anständig, wenn er da ist. „Hey Marc“, sage ich, als ich durch die Tür trete. Wir grüßen uns kurz.

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Die Küche duftet gut. Maria kommt mittags nach Hause, um für ihre Kinder zu kochen. Marc wohnt natürlich in der Großstadt. Wenn ich von „zu Hause“ rede, wissen wir alle, dass er nur kommt, um Judy zum Essen zu bewegen. Tatsächlich ist das sehr regelmäßig an den Wochenenden, da er sehr verständnisvolle Kollegen hat, die regelmäßig bereit sind, Wochenenddienste mit ihm zu tauschen. Er erzählt dann von spannenden Fällen, wilden Verfolgungsjagden und ganzen Drogenringen, die er auffliegen lässt. Als Streifenpolizist erlebt er wohl kaum mehr als eine Verhaftung pro Monat. Aber wir haben Spaß und nur das zählt.

Maria bereitet und ein üppiges Essen zu und auch Judy isst einen Teller davon. Ich wundere mich darüber, doch ich freue mich.

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Marc beäugt sie misstrauisch. „Ich bleibe bis Sonntag, Jud‘“, sagt er schmatzend, „dass du mir ja nicht wieder meine Schlüssel versteckst.“ Nach dem Essen verabschiedet Judy sich nach oben, um duschen zu gehen und ich packe langsam meine Sachen. Lydia würde bald nach Hause kommen und ich wollte vorher noch die Küche putzen, was ich auch tu. Sogar für eine Folge Once upon a time ist noch Zeit. Als Lydia kommt, sprechen wir kein Wort miteinander. Ein guter Tag. Sie unterschreibt meine Arbeit über Ernährung mit 48 von 51 Punkten wortlos und ich gehe rauf in mein Zimmer. Den Pulli kann ich auf dem Schreibtisch liegen lassen. Ich bin gelassen und lege mich aufs Bett, um ein Buch zu lesen. Stephen King. Wie fast immer. Mein Handy klingelt. Es ist Judy. „Wir haben uns doch grade erst getrennt!“, lache ich.

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„Lilly, ich bin’s, Marc“, laute Geräusche und Autos stören die Verbindung, „d-du musst kommen. Also nicht hier her. Ins Krankenhaus.“
„Ich bin gleich da.“
Panik. Herzrasen. Ich denke nicht, ich fühle nicht. Etwas bricht. Es ist nicht das erste Mal. Aber man gewöhnt sich nicht daran. Und mit jedem Mal wird der Faden, an dem ihr Leben hängt immer poröser. Wenn ich im Krankenhaus ankomme, kann alles passiert sein. Alles zu Ende sein. Ich nehme meinen Pulli, mache mir einen Zopf, klettere aus dem Fenster und radle so schnell ich kann.
 
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Endlich komme ich zum Schreiben, uff.
Ich habe das neue Kapitel schon vor ein paar Tagen gelesen, aber die Woche war stressig und naja... jedenfalls hatte ich so Zeit, die Geschichte ein bisschen auf mich wirken zu lassen.

Haha, und während ich tippe sehe ich, dass du in der Zeit, bis ich auf den Antwort Button geklickt habe, ein neues Kapitel rausgehauen hast! Yay!


Dass die Beziehung zwischen Lilly und Lydia kompliziert ist, hat uns der Prolog ja schon angedeutet, aber die beiden zusammen zu sehen ist irgendwie dennoch schlimmer als erwartet für mich. Ich würde so gerne nachvollziehen können, woher dieser Hass von Lydia auf Lilly kommt und wieso sie offensichtlich ihrer Schwester, die ihre einzige lebende Verwandte ist, so kalt und berechnend gegenübersteht. Insgeheim hoffe ich, dass du uns da zumindest eine Erklärung gibst, die man dafür verwenden kann, um sich innerlich mit 'Lydia ist auch nur gebrochen; sie will das nicht, aber sie kann nicht anders' beruhigen zu können.
Auch wenn mir eigentlich nichts einfällt, das ein solches Verhalten auch nur ansatzweise entschuldigen könnte. Nichts rechtfertigt, einen anderen Menschen zu terrorisieren.
Das Gemälde ihres Großvaters, das sie vor Lydias Wegwerfaktion hat retten können, ist irgendwie so düster und melancholisch, weshalb ich finde, dass es gut zu Lillys Leben passt und froh bin, dass ihr wenigstens dieser Anker zu einem geliebten Mensch geblieben ist...
Ich hoffe so sehr, dass Lilly es schafft, irgendwie aus diesem entsetzlichen Abhängigkeitsverhältnis auszubrechen und sich zu befreien und nicht davon aufgefressen wird. :/


Der Shot, in dem Lilly auf dem Bett liegt und im Spiegel reflektiert finde ich hier übrigens besonders genial! Tolle Aufnahme!


Das neue Kapitel... oh man.
Schon als Judy so reichlich gegessen hat, während des Abendessens ahnte ich Böses, als sie sich anschließend zum Duschen entschuldigte, fühlte ich mich bestätigt.
Die Familiendynamik bei Judy wirkt leider wie ein Brutkasten für EDs und man kann so manche Projektion erahnen.
Essstörungen sind... hm. Marya Hornbacher hat es mit diesem Zitat für mich ziemlich auf den Punkt gebracht:

“And so I went through the looking glass, stepped into the netherworld, where up is down and food is greed, where convex mirrors cover the walls, where death is honor and flesh is weak. It is ever so easy to go. Harder to find your way back.”
Marya Hornbacher, Wasted: A Memoir of Anorexia and Bulimia
Hoffentlich überlebt Judy und fängt an, in die richtige Richtung zu kämpfen.
Leicht gesagt, ich weiß.

Mah, krasser Cliffhanger, ich bin super gespannt, wie es weiter geht!
 
  • Danke
Reaktionen: Psychodoll1991
Huhu Psychodoll,

nun schaffe ich es endlich bei dir zu schreiben. Wie auch Anstaltsdame habe ich auch schon vorher lesen können, aber ich konnte einfach noch nichts dazu sagen.
Das 3. Kapitel habe ich jetzt noch nicht gelesen, hole ich aber gleich nach :3
Kapitel 2:
Die arme Lilly :( gleich so eine "Begrüßung". Ich bin echt gespannt, warum Lydia so ist und warum sie sich so verhält.
Lydia wirkt kühl und sehr distanziert. Fast so, als würde sie Lilly an etwas die Schuld geben. Aber wer weiß, was da früher alles passiert ist? Natürlich rechtfertigt das nicht, einen anderen Menschen zu schlagen.

Stutzig macht mich, dass Lydia Lilly eigentlich zum Leben alles lässt, sie gibt ihr Geld und das offenbar nicht zu wenig. Eigentlich fehlt es ihr materiall an nichts! Nur am Zwischenmenschlichen. Wenn man sich einfach nicht wohl fühlt, was soll man da machen? Lydia wirkt auf mich so, als würde sie Gefühle ganz, ganz klein schreiben. Nur die Wut lässt sie raus. Es ist bestimmt auch nicht angenehm, wenn man sich um die kleine Schwester kümmern muss, wenn man stark sein Muss, weil die Mutter verstorben ist. Gerade, wenn man auch irgendwie 2 Geschichten hat, die sich unterscheiden. Die Beiden hatten unterschiedliche Väter. Ich lass mich einfach überraschen, worauf das hinausläuft und was wir noch erfahren ^^ mag mir ungern schon ein Urteil bilden. Vielleicht ist Lilly für sie auch zwischenzeitlich eine billige Putzhilfe ^^ keine Ahnung.

Dass Lilly sich so wie eine Marionette fühlt, wenn Lydia im Raum ist, zeugt ja von einem äußerst ungleichen Machtverhältnis, das wir ja auch schon kennengelernt haben.
Die Szene in ihrem Bett und die Bemerkung über das Tattoo und Lillys Rebellion fand ich sehr interessant und gut geschrieben. Gefällt mir gut.

Was mir bei dem Kapitel aufgefallen ist (ich weiß nicht, ob du Kritik haben möchtest, wenn nein, einfach sagen, dann lasse ich das im nächsten Kommentar ^^). Ich habe es dir in einen Spoiler geschrieben, dann sticht es nicht gleich ins Auge und wenn du es nicht lesen möchtest, kannst du es ignorieren :)
edit: (ich erkläre das iwie so lang, deswegen sieht das jetzt so viel aus xD ist es aber nicht o_O)

Es kommen einige Sätze vor, da fängst du Sätze an, die dann aber irgendwie umformuliert zu Ende gebracht werden.
Zitat: "Glasige Augen verschwimmen meine Sicht."

Meine Sicht verschwimmt, als meine Augen beginnen glasig zu werden.

-> würde ich es so wortwörtlich nehmen, wie es da steht, spazieren da gerade gläserne Augen her, wodurch ihre Sicht nicht mehr klar ist :D

Zitat: "Da sitzt sie am Tisch, erwartend, die Zeitung lesend. Einen Moment
lang kann ich mich nicht bewegend, verharrend im Türrahmen."

-> hier haben wir 2 Beispiele für das, was mir jetzt ab und an aufgefallen ist. Es spricht gewiss nichts gegen das Partizip I. Es gibt allerdings hier und da auch Sätze, wo es besser wäre, den Satz im Infinitiv zu schreiben.

Ich hab den Satz mal versucht umzuschreiben, weil ich finde, dass es sonst viel zu kompliziert wird für das, was du eigentlich sagen willst ^^. Ich kenn das, ich verwurschtel mich dann immer in irgendwelchen Dingen und komm nicht mehr raus, bis Bloody in den Roh-Kapiteln gnadenlos mit ihrem Pinkstift durch meine Sätze rauscht und aus einem total komplizierten Satz dann etwas völlig einfaches macht :D.

Es hätte auch heißen können "Sie sitzt erwartungsvoll/abwartend am Tisch und liest die Zeitung. Es soll ja denke ich zeitgleich sein. Ich würde auch nicht den kompletten Satz mit Partizipien füllen, sondern sie hier und da anwenden, wenn es passt.

Beim 2. Satz hast du auch erst anders anfangen wollen und dann wieder mit dem Partizip 1 weiter gemacht. Das passt jetzt natürlich von der Formulierung her nicht zusammen.

Entweder:
"Einen Moment lang kann ich mich nicht bewegen und verharre im
Türrahmen."
Oder:
"Einen Moment lang verharre ich bewegungsunfähig im Türrahmen."
Es liest sich irgendwie runder.

Das Partizip macht es mMn etwas komplizierter, als es sein muss.

Beim 3. Kapitel finde ich die Bilder auch wieder toll. Ich liebe das Haus auf dem 2. Bild. Sieht so schön harmonisch aus, auch wenn man sieht, dass im Nachhinein auch dort nicht alles harmonisch abläuft. Diese süßen Ballons links sine ja auch goldig xD
Jetzt hab ich Hunger auf Rührei *-* gut beschrieben :)
Judy's Bruder sieht nett aus und das kapitel zeigt einen schönen Einblick in Judy's Probleme. Ihre Mutter macht auch einen ganz lieben Eindruck.
Jetzt hoffe ich, dass nichts schlimmeres passiert. Ob Judy wohl zusammengebrochen ist? ohoh :( ich hoffe mal, dass sie sich wieder berappelt. Gut geschrieben, besonders das Ende fand ich sehr emotional. Durch die kurzen Sätze wirkt das auch nochmal sehr gut. Gefällt mir.
Und jetzt hoffe ich, dass das neue Kapitel bald kommt, damit wir wissen, was mit Judy ist :S

weiter so, freue mich auf den nächsten Teil!

:hallo:
 
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Hallo ihr beiden und vielen Dank für eure Rückmeldungen :)

@ Anstaltsdame – Es gibt eine Erklärung für Lydias Verhalten. Wie befriedigend die ist, muss jeder für sich selbst entscheiden. Ich persönlich habe aktuell damit zu kämpfen, Lydia nicht als totales Monster zu zeichnen, muss aber einfach feststellen, dass nicht wirklich viel übrig bleibt, wenn ich mich mit ihrer Geschichte befasse.

Aber ihr dürft gespannt sein. Sicherlich gibt es noch die ein oder andere Enthüllung. Derzeit schreibe ich an Kapitel 20. Lydia wird ebenfalls (so mein Plan und wenn überhaupt so lang jemand mitliest) eine große Rolle in Staffel 2 spielen. Ich hatte eigentlich noch viel mehr mit ihr vor, allerdings muss ich mich selbst ein wenig bremsen, um im Jugendschutz zu bleiben für dieses Forum ;) Auf der einen Seite ärgert mich das. Auf der anderen neige ich als Dramen-Schreiberin dazu, vieles zu übertreiben und bleibe so vielleicht noch auf dem Boden.

Richtig, nichts rechtfertigt das. Zumindest für uns nicht, uns Menschen, die ein normales Empfinden für Gerechtigkeit haben.

Zu Judy: In den folgenden Kapiteln wird nochmal stark auf die Auslöser eingegangen. Es gibt hier einige interessante Aspekte, die (rein nach Krankheitsbild) eher in die Bulimie passen, als in die Anorexie. Sie zeigt ja beide Seiten. Ich bin selbst noch nicht ganz sicher, in welche Richtung sich das entwickeln wird und halte mir vieles offen bis jetzt.
Danke für deine Komplimente :)


@ Vany – Um Macht geht es hier, das hast du richtig erkannt. Ich selbst habe lang nicht verstehen können, wie man sich von einem Menschen schlagen lassen kann, bis ich irgendwie nicht ganz freiwillig gezeigt bekam, wie es zu sowas kommen kann. Ein sonst starker Mensch, der sich nichts gefallen lässt, der sich dann so untergraben lässt? Das ist in einer Liebesbeziehung leichter zu beschreiben. Vielleicht hat Lilly auch einfach nur das Gefühl, niemanden mehr zu haben und klammert sich an ihren letzten Anker, auch wenn dieser sie schlecht behandelt.

Kritik ist immer gerne gesehen. Ich verstehe, was du meinst. Manchmal mag ich diese Sätze und formuliere bewusst so, weil es für mich die Szene grade emotional unterstreicht. Oft achte ich dann gar nicht darauf, ob es wirklich grammatikalisch passt, auch wenn ich in Deutsch eigentlich nicht gerade schlecht bin. Ich werde das bei mir mal beobachten und ggf. umformulieren, um es in Zukunft ein wenig flüssiger zu gestalten.

Das Haus ist (wie im ersten Post beschreiben) von bambierfurt und ich habe mich regelrecht verliebt. Zum Spielen an sich finde ich es etwas unpraktisch, da es sich um drei Häuser auf einem Grundstück handelt, so bin ich richtig dankbar für diese FS :D


Am liebsten würde ich es ja sofort online stellen, aber dann bin ich wohl etwas schnell fertig :D Vielleicht wieder Donnerstag ;)
 
Waaaaah! Kapitel 20?! :Oo:
Wow, jetzt bin ich beeindruckt und muss über mich schmunzeln, die ich gestern sehr stolz darauf gewesen bin, schon Bilder für's 4. Kapitel zu schießen... :lol:

Ich bin ehrlichgesagt sehr interessiert an Lydias Geschichte und bin gespannt, ob der Verlauf der Story mein Denken über sie noch richtungsweisend verändern kann...

Ach... die meisten Essstörungen sind in ihrer Dauer im Fluss und die Grenzen oft verschommen. Ich bin sehr gespannt über die auslösenden Faktoren und darauf, mehr von Judys Seelenleben zu erfahren.
 
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wie viele Kapitel hast du denn für die jeweiligen Staffeln geplant? komme grad mit den Staffeln durcheinander, wie das gemeint ist xD

hach das ist echt schwer, wenn man in so einer Situation ist. Ich war noch in keiner solchen, von daher kann ich es nicht ganz nachempfinden, aber du beschreibst es sehr gut und es ist glaubhaft.

Klar, manchmal verwuselt man die Grammatik dann plötzlich, wenn man einen Satz bastelt xD das merkt man dann selbst irgendwie kaum noch und dann ist ja gut, wenn Kritik erwünscht ist, dann weise ich gerne ab und an darauf hin, wenn es mir stark auffällt. ich baue auch oft solche Satzungetüme :D

stimmt, das mit dem Haus von bambierfurt hattest du erwähnt, das war mir entfallen. Schön, dass du es nun nutzen kannst :)


Haaaach!! aber gut, wir warten natürlich, wenn auch gespannt :P
Ich lese dann ab Mittwoch vermutlich nur noch mit dem Handy für die nächsten 2,5 Wochen, daher nicht wundern xD
 
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@ Anstaltsdame – Oh, keine Sorge. Ich brauche für fünf Bilder doppelt so lang, als für das Schreiben des Kapitels. Ich schreibe schon sehr lange und intensiv und wenn ich mal eine kreative Stunde habe, kommen da schon mal 10 Kapitel bei rum (sind ja auch nie besonders lang). Darüber schlafe ich dann sicherlich noch ne Nacht und bis zur Veröffentlichung werden die alle sicher noch zwei bis drei Mal gegen gelesen.
Mit den Bildern bin ich auch ständig unzufrieden, so dass ich manchmal ewig brauche für auch nur ein einziges… Bilder habe ich bis Kapitel 4, oder 5 geschossen. Mehr auch nicht.


@ Vany – Ich hatte von Anfang an bestimmte Langzeitpläne mit einigen der Figuren, die aber über derartig große Zeitspannen gehen, dass es keinen Sinn macht, das quasi in eine Story zu packen. Also dachte ich, ich gliedere es auf, wie eine Serie. Dort gibt es Staffeln, mit einer Anzahl an Folgen. Das gibt mir die Möglichkeit, jede Staffel so enden zu lassen, dass nun endgültig Schluss ist, oder mit den Figuren einen neuen Plot zu starten.

Ich kann quasi zwischen den Staffeln einen Break einlegen und die Figuren altern lassen. Eine abgeschlossene Geschichte sozusagen, aber das Leben der Figuren geht weiter und lässt sich ausbauen, oder es endet eben mit „Happily ever after“ :D

Geplant habe ich keine bestimmte Anzahl, da ich auch nicht genau weiß, wie diese Staffel enden wird (oder an welchem Punkt), derzeit sieht es aber aus, als würde es stark auf das Ende zugehen und ich würde schätzen, wir bewegen uns bei Staffel eins zwischen 25 und 30 Folgen.
 
Hallo Psychodoll,

mir gefällt deine Fotostory sehr gut :)

Ich finde es auch wirklich gut, dass du Tabuthemen ansprichst. Das ist manchmal auch nötig um anderen Leuten bestimmte Themen näher zu bringen , mit denen sie bisher noch nicht in Kontaktgekommen sind.

Grad das Thema Essstörung ist in der heutigen Zeit zu einem richtigen Problem geworden. Ich habe selber eine Freundin die seit Jahren dagegen ankämpft, und ich höre immer die schrecklichen Kommentare und merke die Blicke von wildfremden Leuten die sich den Mund darüber zerreißen.

Aber auch deine Personen sind sympatisch :)

Ich bleibe auf jeden Fall dran ;)
 
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Hallo Anik,

vielen Dank für dein Feedback. Ja diese Themen stoßen immer wieder auf Ablehnung, oder werden absolut falsch verstanden. Es gibt richtige Klischees. Bspw. dass jeder, der sich verletzt gleich Borderline hat. Oder, dass eine Bulimie nur aus fressen und brechen besteht. Beides Schwachsinn.

Außerdem habe ich beim Schreiben einen Hang zum Drama und da ja nicht ständig jemand sterben kann, greife ich diese Themen auf ;D
 
Ich habe da was für euch :D

***​

Folge 4 – Herz steh‘ still

Einsam fühle ich mich dann,
wenn ich eine Hand suche
und nur
Fäuste
finde.


© Kristiane Allert-Wybranietz (*1955)

*

„Ja, Judith Gallenger. Sie dürfte noch keine zehn Minuten eingeliefert sein.“
„Lilly!“, Marc kommt auf mich zu gerannt. Wir halten uns kurz die Hände und teilen das Leid. Ich sehe ihn fragend an. „Sie ist stabil, aber ihre Blutwerte sind katastrophal“, wir rennen beinahe durch die Gänge, „sie wird durch eine Sonde ernährt und anschließend kommt sie hoch auf die Geschlossene. Sie mussten sie reanimieren.“ Ich bleibe schockiert stehen. Tränen schießen mir in die Augen. „S-Sie… ihr Herz stand still?“ Noch einmal, drückt er meine Hand, dann zieht er mich weiter. „Sie konnten sie noch nicht wiegen, aber…“, er verstummt. „Ich weiß, was sie wiegt“, er sieht mich eindringlich an, bleibt stehen, hält mich fest. „Sie schickt mir einmal die Woche ihre Maße, damit ich intervenieren kann. Diesmal ging es zu schnell… Du willst es nicht wissen“, sage ich und laufe weiter. Ich drohe umzukippen. Das Herz meiner lieben Judy stand still.

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Hunderte Menschen wuseln um uns herum. Sie kennen mich und ich kenne sie. Judy liegt hier nicht das erste Mal und in dieser Stadt kennt sowieso jeder jeden. Ich bin auch unregelmäßig in der Notaufnahme. Immer mal wieder… Eigentlich waren wir der Meinung, nach ihrem Zusammenbruch im Januar wäre das schlimmste überstanden.
Auf die Geschlossene zu kommen, würde ihr gar nicht gefallen. Sie hasst es. Sie hat Angst vor der Sonde und Panik vor den Ärzten. Ihr die Kontrolle zu nehmen ist das schlimmste überhaupt. Marc biegt in ein Zimmer ab, zwei Krankenschwestern stehen an einem Bett.

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Man gewöhnt sich niemals an diesen Anblick, mag man ihn noch so oft gesehen haben. Ihre dünnen Arme fallen aus dem Bett. Die Haare liegen fettig und matt auf dem Kissen. Sie trägt bereits einen Kittel. Marc wendet den Blick beschämt ab. In ihrem Mund steckt ein Schlauch. Ein Arzt betritt hinter uns das Zimmer. Marc muss nicht fragen. „Keine Hypoxie, zumindest sind die Werte normal. Ob ihr Hirn wirklich keinen Schaden genommen hat, können wir aber erst sagen, wenn sie aufwacht. Wir haben Sie in ein künstliches Koma versetzt. Die Vermutung liegt nahe, dass wir in den nächsten Tagen die Sedierung zurückfahren können. Wenn alles gut läuft, ist sie Ende nächster Woche vielleicht schon wieder wach. Danach verlegen wir sie auf die Geschlossene – wie lang sie dort bleiben wird, kann ich ihnen nicht sagen.“ Stille. Wie still ein Raum sein kann in dem so viel passiert. Ich kann gar nichts sagen und während Marc die Sprache wieder findet, trete ich an ihr Bett.

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Sie liegt unter der Decke ihres Bettes. Als ich ihre Hand nehme, spüre ich, wie kalt sie ist. Ich kann mir keinen Vorwurf machen. Ich begleite diesen Weg von ihr schon seit sie neun ist und versuche seither alles, was mir möglich ist, ohne sie zu bevormunden. Es gab Höhen und Tiefen. Marc tritt an das Bett. „Sie lag vor der Toilette. Ich vermute, sie hatte einen Herzstillstand, als sie sich übergeben hat.“ Er sagt es, als würde er das Wetter vorlesen. Wir haben diesen Moment schon zu oft erlebt. Trotzdem können wir jetzt endlich weinen.

*

Ich bleibe die ganze Nacht an ihrem Bett und Marc schläft auf dem Gang. Zwischenzeitlich ist Maria zu uns gestoßen und wacht seither weinend an Judy‘s Bett. Irgendwann früh morgens schickt mich Marc nach Hause. Mir fällt auf, dass ich ihn noch nie umarmt habe.

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Die Sonne geht auf und ich hoffe inständig, dass Lydia nicht zu Hause ist. Noch schläft. Irgendwas. Und tatsächlich sind alle Rollläden noch unten. Ich mache mir einen schwarzen Tee und falle aufs Bett. Ich darf hier oben nicht trinken, oder essen, aber eine Bestrafung ist mir egal.

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Ich starre auf Opa’s Bild und frage mich zum hundertsten Mal, was er wohl gedacht hat, als er es malte. Ich kann den Gedanken nicht mal zu Ende denken, da bin ich schon eingeschlafen.

*

Ein lautes Hämmern an der Tür gibt eine Vorwarnung, dann knallt sie gegen die Wand. „Hast du gedacht, ich merke es nicht?!“, diesmal schreit sie. Ich stehe quasi im selben Moment und weiche zurück an die Wand. Ihr Dutt liegt perfekt. Ihr Kleid passt wie angegossen. Sie ist schon heute Morgen perfekt und kontrolliert. Sie knallt mir sofort eine, so fest, dass mein Kopf sich dreht. „Dachtest du, ich merke nicht, dass du weg bist?!“
„Judy liegt im Krankenhaus!“, rufe ich noch. Doch natürlich interessiert sie das nicht. Sie holt erneut aus und bevor ich mich schützen kann, trifft sie mich so hart, dass ich falle und mit dem Kopf auf meinen Nachttisch schlage. Alles wird schwarz und beginnt sich zu drehen. Ein stechender Schmerz fährt mir durch den Kopf, so stark, dass ich nicht mal schreien kann. Als ich reflexartig an meinen Hinterkopf fasse, wird meine Hand nass. „Ich dachte, ich hätte mich klar ausgedrückt! Als wir hier blieben und ich dich nicht in ein Heim schickte! Du würdest spuren, egal, was ich sage! Du würdest immer dein Bestes geben, mich nicht zu verärgern, damit aus dir nicht so eine Versagerin wird, wie aus unserer Mutter! Sie hat sich tot gearbeitet, um DIR was zu essen zu kaufen, statt ein anständiges Studium zu machen!“

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Lydia wurde vor mir geboren, wollte ich sagen. Lydias Vater hat Mum in ihrer Ausbildung geschwängert, wollte ich sagen. Mum war keine Versagerin, wollte ich sagen. Doch ich bringe keinen Ton heraus. Noch immer sehe ich nur Umrisse. Ich hab es ja verdient, denke ich. Ich war unterwegs, obwohl ich nicht sollte. Warum versteht sie nicht, wie wichtig Judy in meinem Leben ist? Sie ist die Schwester, die ich gerne gehabt hätte... Ich höre, wie sie nach der Tasse auf meinem Nachttisch greift und sie mit viel Kraft auf meinen Rücken wirft. Sie zerschellt und als ich mich dem Schmerz entgegen strecke, rolle ich mich auf die Scherben. Keuchend atme ich. Ich glaube, meine Lunge platzt. Mein Herz platzt. Ich zerberste in viele kleine Lilly’s und verglühe im Nichts. Wütende Schritte stampfen aus dem Zimmer und lassen mich zurück. Ich greife nach meinem Kopfkissen, meinem Laken und ziehe mich irgendwie auf mein Bett.

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Ich presse meinen Kopf gegen mein Kissen, damit ich nicht weiter blute. Dann weine ich. Wie wäre es, wenn es das jetzt war, denke ich. Wenn mein Herz nun… einfach stehen bleibt…


***

Anmerkung des Autor: Die letzte ist Szene ist mit den Moderatoren so abgesprochen und von meiner kleinen Schwester noch einmal entschärft worden. Der Sinn der Szene ist es aber natürlich dennoch zu schocken. Lydia gibt Lilly nicht einfach immer mal einen Klaps, sie empfindet keine Reue und alle ihre Taten sind kontrolliert. Ich wollte zeigen, wie grausam sie ist, denn nichts geschieht hier im Affekt. Sie ist sich ihrer Handlungen voll bewusst.
 
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***

Folge 5 – Die Schuldfrage

Schuld ist nicht teilbar.
© Peter Rudl (*1966)

*

Ich kann mich nicht erinnern, aufgewacht zu sein, oder mich bewegt zu haben. Aber als ich erwache, geht die Sonne schon wieder unter und ich liege in meinem Bett.

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Mein Kopf droht zu zerbersten. Ich versuche aufzustehen, was mir gelingt. Ich hebe mein Shirt und versuche im Sitzen im Spiegel gegenüber von meinem Bett auf meinen Rücken zu sehen – es sieht nicht aus, als hätte ich mich schlimm geschnitten. Scheinbar haben die Scherben nur ein wenig in meine Haut gedrückt, als ich auf dem Boden lag. Mein Haar ist klebrig und mein Kissen total versaut. Langsam stehe ich auf und torkele ins Badezimmer. Ich habe eine gewisse Routine, auch, wenn mich Lydia selten schlimm verletzt. Meist ist es nur ein Unfall. Ich wasche mein Gesicht, nehme zwei Schmerztabletten und schaffe es, meinen Pullover über den Kopf zu ziehen. Die warme Dusche wirkt erlösend, doch auch danach wirken die Schmerztabletten noch nicht. Ich muss das zumindest ansehen lassen. Ich hole mein Handy und verlasse das Haus. Lydia kommt mir von ihrem Auto entgegen. Sie würdigt mich nicht einmal eines Blickes.

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„Ich fahre nur ins Krankenhaus…“, sage ich. Sie nickt, läuft an mir vorbei und schließt die Haustür hinter sich. Ich nehme den Bus.

*

„Wir nähen mit drei Stichen, denke ich und schicken dich dann ins röntgen. Auf deinem Rücken sehe ich nichts. Wie ist das passiert?“
„Bin vom Rad gefallen.“
„Die Wunde sieht aus, als wäre sie schon ein paar Stunden alt, Lilly, warum bist du nicht gleich ins Krankenhaus gekommen?“, Dr. Thomas Benz. Wir kennen uns bereits. Er hat mich schon öfter behandelt, wobei ich nur ins Krankenhaus komme, wenn es wirklich schlimm ist. Das schlimmste an der ganzen Sache ist eigentlich, dass alle mich für ein tollpatschiges, ungeschicktes Kind halten, was sich ständig verletzt (vielleicht sogar, um sich wichtig zu machen). „Ich dachte nicht, dass es so schlimm ist. Habe ein Handtuch drauf gedrückt. Erst als die Kopfschmerzen kamen, habe ich mir Sorgen gemacht.“ Er sagt nichts. „Okay, die Schwester wird dich nähen und dann schauen wir nochmal, wie es drin aussieht.“

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Natürlich ist alles in Ordnung. Wie immer. Nach dem nähen flechte ich mir die Haare so, dass man die Naht nicht sieht. Es tut weh, aber ich habe keine Lust hundert Menschen eine Lüge unterbreiten zu müssen. Anschließend esse ich eine Kleinigkeit in der Krankenhaus-Kantine und schaue bei Judy vorbei. Sie liegt da, wie gestern. Marc ist auch da. „Hey Lilly“, sagt er. Und dann: „wie siehst du denn aus? Du bist noch blasser als gestern.“ Ich setze mich neben ihn. „Es ist nichts. Wie geht’s ihr?“

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Er blickt mit traurigem Gesicht auf seine kleine Schwester. „Unverändert. Was ja nicht schlecht ist. Wenn es so bleibt, beginnen sie morgen damit, die Medikamente zu reduzieren.“ Seine Augen werden glasig. „Sie sieht noch viel kleiner und dünner aus, als sowieso schon. Ich dachte, ich könnte es auch mal schaffen, sie zu retten. Aber irgendwie kann ich meine Schuld nicht begleichen.“
„Inwiefern?“
„Als sie anfing zu hungern, begann ich wieder zu sprechen“, die Stille ist greifbar. „Heute weiß ich, dass sie schon lange nicht mehr wäre, wenn ich nicht wieder mit ihr gesprochen hätte. Sie hat so sehr darunter gelitten. Unter Dad’s Tod, meiner… Reaktion darauf. Und ich war nur mit mir beschäftigt. Ich glaube-“
„Du bist nicht schuld.“

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„Bist du sicher?“

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„…, niemand ist schuld. Und niemand kann sie retten. Außer sie selbst. Und wenn du wütend auf jemanden sein willst, sei es auf euren Vater, der sich tot gesoffen und tot gekokst hat.“ Er sieht mich geschockt an. „Du bist erstaunlich.“
„Bin ich nicht. Ich sage nur, was ich denke und wenn dir an deinem Vater wirklich noch etwas liegen würde, wärst du schon getürmt.“ Lange lässt er den Blick nicht von mir. „Ich finde es eben erstaunlich, dass ich über ein Jahrzehnt älter sein kann, als du und dennoch sprichst du aus, was ich nicht sagen kann.“ Wir schweigen. Diesmal ist es nicht unangenehm. Diverse Schwestern huschen durch das Zimmer. Waschen sie, lüften, checken die Werte und die piepsenden Geräte. Stunden vergehen. Bis sich Marc eine Pause gönnt und ich an das Bett trete.

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„Ich bitte dich wirklich nie darum. Weil ich dir eine gute Freundin sein und dir nichts vorschreiben will, …“, ich will nicht weinen, aber mein Körper scheint das anders zu sehen, „aber, wenn dir an unserer Freundschaft was liegt, dann bitte, hör auf zu hungern. Nein, du MUSST aufhören. Ich kann dich darum nicht bitten. Wenn es nötig ist, werde ich dich Monate in der Klinik lassen. Aber ich sehe nicht weiter zu, wie du dich so sehr kaputt machst.“ Ich bin so wütend, so verzweifelt. Ich weiß nicht, wie ich all diese Gefühle kanalisieren soll. Beinahe schreie ich Judy noch an, warum sie mir verdammt nochmal nicht antwortet. Ich trete gegen das leere Bett, was neben ihr steht und stürme aus dem Zimmer. Ich kann nicht mehr in ihrer Nähe sein. Nicht heute. Heute trägt sie ihr Leiden selbst.

***
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo Psychodoll :hallo:

Ich finde leider jetzt erst die Zeit, dir ein paar Zeilen zu hinterlassen und ich hoffe, dass ich demnächst wieder regelmäßiger kommentieren kann.

Die Beziehung von Lilly und Lydia beschäftigt mich. Obwohl Lilly auf den ersten Blick sehr eigenständig wirkt, ist sie ja doch in gewisser Weise abhängig von Lydia. Dieses "Machtgefälle", das zwischen den beiden besteht, ist erschreckend und die Situation mit Sicherheit belastend. Es ist bestimmt nicht einfach, wenn auf der einen Seite eine gewisse Verbundenheit besteht, und auf der anderen Gewalt und Psychospielchen an der Tagesordnung sind.

Es ist ja nicht nur so, dass Lydia Lilly körperlich angeht (ich fürchte, die Aussage, "Lydia hat mich an den Haaren in mein Zimmer gezogen" ist wörtlich zu nehmen?), sondern sie straft ihre Schwester ja auch dadurch, dass sie sie als Mensch nicht (be)achtet.
Dann aber kümmert sie sich auch wieder (zumindest in materieller Hinsicht), was darauf schließen lässt, dass Lilly ihr dann doch nicht vollkommen egal ist (sonst hätte sie die Verantwortung ja auch sicher abgeben können). Ich könnte mir vorstellen, dass Lydia und Lilly unter anderem so schlecht miteinander auskommen, weil Lydia so ein Kontrollfreak ist und einfach nicht "funktioniert", wenn sie nicht alles 100% im Griff hat. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es wirklich nur die Schuldgefühle sind, sie dazu bringen, für Lilly zu sorgen.

Ich will damit nicht rechtfertigen, was sie tut - denn dafür kann es schlicht keine Entschuldigung geben. Nichts rechtfertigt, wie sie ihre Schwester behandelt. Aber ich habe irgendwie das Gefühl, dass mehr dahinter steckt als das, was wir bereits über Lydia erfahren haben.

Was Lilly angeht, so bleibt zu hoffen, dass sie begreifen wird, dass sie nicht daran schuld ist, dass Lydia sich so verhält.

Was Judy betrifft, so kann ich mich Anstaltsdame nur anschließen... Es tut mir leid, wenn ich heute und an dieser Stelle nicht mehr dazu sagen kann. Aber es gibt Tage, da möchte ich mich nicht allzu intensiv mit der Thematik beschäftigen. Hoffentlich kommt sie wieder auf die Beine. Irgendwann.

Liebe Grüße,
Bloody

/Edit: Aaah, kaum kommentiert, da gibt es schon eine neue Folge :-D
 
  • Danke
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Hallo BloodOmen :)

Vielen Dank für dein Feedback. Ich lasse das erste mal soweit unkommentiert :D

Das mit der ES kann ich natürlich verstehen und genau aus diesem Grund habe ich ja darauf hingewiesen, dass die Story an sich triggern kann. Passt einfach auf euch auf.

Aber ich kann dich beruhigen: eine Besserung ist in Sicht, zumindest aber erstmal eine Verschiebung der Prioritäten in der Story.

Haha, na dann warte ich mal, ob noch was nach kommt. Wenn nicht, ist es aber auch nicht schlimm ;)
 
Huhu,

ich schaffs auch erst jetzt was dazu zu sagen. Ich war jetzt 2,5 Wochen im Urlaub, daher konnte ich bisher immer nur lesen und meinen Danke-Klick da lassen :)

Nun hab ich aber mal Zeit gefunden :)

Die beiden Kapitel, zu denen ich noch nichts gesagt habe, sind sehr toll geschrieben. die arme Judy :( ich bin gespannt, wie das mit ihr weiter geht. auch Lilly und Judys Bruder scheinen froh zu sein, dass sie ihr Leid zumindest miteinander teilen können, dann ist niemand der beiden allein.
Lydias Reaktion war ganz schön heftig :S ich hoffe Lilly kann ihr irgendwann etwas entgegen setzen, natürlich nicht die selbe Gewalt, aber eigenes Geld verdienen und da raus, aber irgendwie scheint sie ja nichts zu tun. Also gehe ich davon aus, dass sie sich gegenseitig doch irgendwie brauchen. Ich bin gespannt, wie sich das weiter entwickelt und warum Lydia so ist und Lilly so ganz anders.
Ich gehe felsenfest davon aus, dass das alles einen tieferen Hintergrund hat. Ich finde es sehr toll, dass du die charaktere so tiefgründig gestaltet hast. Das merkt man deutlich, du hast dir viele Gedanken darüber gemacht. Der Leser wird nicht einfach vor ein absurdes Bild gestellt, dass er nicht versteht und nicht greifen kann. Natürlich gibt es immer noch Dinge, die ich nicht verstehe, aber ich bin mir sehr sicher, dass man die Erklärungen im Laufe der Story bekommt. Es wird bestimmt keine Erklärung kommen á la "das ist eben so!" ^^

Dann freue ich mich auf den nächsten Teil :) weiter so!
 
  • Danke
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Oh Vany, herzlichen Dank für deinen Kommentar! Da ich nämlich sonst eine normale Geschichtenschreiberin bin und das, was ich hier in 3 Sätze packe, teilweise in 10 beschreibe, habe ich permanent das Gefühl, viel zu wenig zu erklären und die Story kommt mir oft abgehackt vor.

Ich bin froh, dass du sagst, dass man merkt wie viel ich mir bei den Char gedacht habe, denn so ist es tatsächlich auch. Nur kann ich ja nicht zu 5 Bildern einen elend langen Text schreiben und muss daher einen Mittelweg zwischen meinem eigentlichen Stil und einer FS finden. Das ist echt nicht leicht und ich habe Angst, dass viele Emotionen und Hintergründe nicht rüber kommen und alles viel zu schnell geht - es soll ja in den Folgen auch was passieren (in den meisten zumindest).

Du hast Recht, es hat definitiv seine Gründe, warum sich die Mädchen so unterschiedlich entwickelt haben. Wie zufrieden ihr am Ende mit der Erklärung seid, das sei dahin gestellt. Für die endgültige Auflösung, braucht ihr auch noch etwas Geduld :D
 
Da in dieser Folge nicht ganz so viel passiert und man auch mehr zu lesen, als zu schauen hat, stelle ich sie schon mal online :D

***

Folge 6 – Geheimnisse

Was ist Wahrheit in einer Welt, in der Bilder und Tränen lügen können?
© Werner Braun (1951 - 2006)

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Da ich vor lauter Kopfschmerzen und schlechtem Gewissen nicht schlafen kann, wandere ich nunmehr seit 2 Stunden durch mein Zimmer. Sonntagabend 21:00. Meine Hausaufgaben habe ich Hausaufgaben sein lassen. Die Nachbarn denken sicher schon, ich bin ein Spanner, weil ich immer wieder am Fenster stehen bleibe und den Menschen auf der Straße hinterher starre. Nun weiß ich, dass Ms Tongh ihren dritten Gärtner verführt und noch immer ungemähten Rasen pflegt, Mr Miller hat sein Handy in den Pool geworfen und der Hund von nebenan hat einen riesigen Haufen direkt auf den Rasen von Ms Tongh gesetzt. Meinem schlechten Gewissen habe ich aber nicht weglaufen können. Auf dem Weg zur Treppe Richtung Küche, durchbricht die Stille des Hauses ein Schluchzen. Lydia weint? Um mich zu vergewissern, schleiche ich mich an ihre Tür. Kein Zweifel. Sie spricht mit jemandem, scheint zu telefonieren.Da sie mir sicherlich nicht sagen wird, warum sie das tut und auch kein Mitleid von mir möchte, schleiche ich mich zurück und mache mir in der Küche etwas zu essen.

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Auf dem Handy lese ich eine SMS von Marc. „Sie haben die Medikamente reduziert. Mit etwas Glück wacht sie am Dienstag schon auf. Ich verbringe die Nacht zu Hause und fahre morgen wieder aufs Revier. Mutter braucht Hilfe.“ Also fahre ich morgen zu Maria und biete Trost. Etwas Wiedergutmachung kann nicht schaden. Oben knallt die Tür. Schnell setze ich mich mit meinem Grillkäse hin – Lydia erlaubt nicht, dass wir im Stehen essen. Zu viel Dreck. Zerstreut und abwesend nimmt sie ihre Tasche, flüchtet hinaus, schlägt die Tür hinter sich zu und fährt weg. Sie hat mich nicht mal bemerkt. Das Stück Käse noch im Mund verharre ich und starre aus dem Fenster. So habe ich sie noch nie gesehen. Ich esse meinen Grillkäse auf, wasche ab und gehe zurück in mein Zimmer. Lydias Tür steht offen.

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Ich erhasche einen Blick auf ihr Bett, welches voller Papiere und Fotos liegt, daneben eine Box, die ich noch nie in ihrem Zimmer gesehen habe. Auch nicht beim sauber machen. Ich kann nicht anders und gehe in das Zimmer. Sicherlich wird sie nicht in fünf Minuten zurück sein. Ihr Zimmer ist adrett und sauber. Viel weiß und wenig Schnickschnack. Wie Lydia selbst – korrekt. Überall auf dem feinen Satin-Stoff liegen Fotos von Mum, Opa und Oma. Kaum welche von Lydia, noch weniger von mir. Auf einem Bild spielen Lydia und ich. Sie ca. zehn, ich um die vier. Weitere Bilder von uns im Wald, Mum und ich, Lydia allein, Mum und Opa, Lydia, Oma und Opa. Ein Bild auf dem ich auf Opas Schoß sitze. Ein Bild von Mums Beerdigung. Unter all den Bildern liegen diverse Briefe. Hauptsächlich Briefe von Lydias Vater an sie. Vielleicht war sie deswegen so aufgelöst. Die Daten liegen alle weiter zurück, bis auf eines. Er gratuliert ihr zu irgendwas.

Ein Klacken im Türschloss lässt mich aufhorchen. Ich platziere alles, wie es war und stürme ins Badezimmer, mache die Dusche an. Schritte laufen die Treppe hoch, in Lydias Zimmer, Tür zu. Ich atme erleichtert auf. Wahrscheinlich hat sie Zigaretten geholt. Vielleicht hat sie auch nur über Mum nachgedacht und deswegen geheult. Mums Geburtstag nähert sich. Wir haben so wenig, was uns an sie erinnert. Ich habe ein Bild im Nachttisch, doch Lydia scheint sie verstecken zu wollen, was dazu passt, dass in unserem Haus mit Omas Auszug alle Bilder abgehängt wurden. Oma ist die einzige, die uns noch von Mum erzählen kann. Ich werde sie morgen besuchen.

*

Als die Sonne auf geht, bin ich schon bei Thomas im Krankenhaus, der mich bereitwillig für die ganze Woche krankschreibt, weil er „nicht weiß, wie ich überhaupt auf die Idee komme, mit so einem Kopf auch nur an die Schule zu denken“. Ich rufe in der Schule und bei meinem Ausbildner an und fahre mit dem Bus ans andere Ende der Stadt. Hier stehen ein altes Gymnasium und ein Altenheim. Altenheim, Krankenhaus mit Psychiatrischer Abteilung, Feuerwehr, Berufsschule, zwei Grundschulen und eine Gesamtschule. Ein Polizeirevier gibt es hingegen nicht, auch kein Kino, oder Einkaufscenter. Wenn man es genau nimmt, ist es hier ziemlich langweilig.

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Die Pflegerinnen kennen mich natürlich bereits und lassen mich einfach zum Zimmer meiner Oma gehen. Ich habe sie schon sicher einen Monat nicht gesehen und noch schnell einen Strauß Tulpen am Kiosk geholt. Sie freut sich sehr, mich zu sehen und drückt mich fest an sich. Ich hatte zu ihr nie das beste Verhältnis, verglichen mit Opa. Sie hat viel Schlechtes über meine Mutter gesagt und lässt kein gutes Haar an ihr. Ich versuche dieses Thema zu vermeiden. Sie bleibt die einzige Verwandte, die mich nicht umbringen will. Ich besuche sie viel zu selten. Einmal im Monat vielleicht.
Gedankenlos blickt sie fast durch mich hindurch. „Was ist an deinem Kopf passiert?“, fragt sie fürsorglich. „Ich bin mit dem Rad hin gefallen“, sage ich. Sie glaubt mir – ich hatte keinen Zweifel daran. Sie ist nicht mehr so aufmerksam, wie einst. Der Park draußen vor dem Heim sieht friedlich aus. Einige haben heute Besuch. An einem Montag. „Ich habe Angst, Oma. Vor dem nächsten Zeugnis.“ Und vor so vielen anderen Dingen, die sie nicht verstehen würde. Zu ihrer Zeit hat man nicht gehungert – wenn man mal zu wenig zu essen hat, verzichtet man wahrscheinlich nicht freiwillig darauf. Und dass Lydia mich schlägt soll sie nicht wissen. „Angst zu haben, ist okay, Lilly. Aber du solltest sie überwinden und stärker daraus hervor gehen. Dein Großvater hat immer gesagt: ,Angst lässt uns nicht im Jetzt, sondern im Vielleicht leben. Letzten Endes lässt sie uns gar nicht leben.‘“ Sie lächelt. „Dein Großvater war ein großer Mann, Lilly. Er hat alles getan, damit es euch gut geht.“

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Sie lächelt mich an und ich ringe mir ebenfalls eins ab. „Und wie geht es dir hier?“ Sie sieht traurig aus. „Es ist einsam. Aber wir dürfen nun Tiere halten und einige meiner Freundinnen haben ihre Katzen bekommen. Das ist wundervoll. Da es niemanden mit keiner Allergie gibt, sind nun ein Haufen Wollknäule im Aufenthaltsraum, wenn wir Monopoly spielen.“ Wir lachen gemeinsam. Oma liebt Katzen. Ich auch, aber Lydia will keine Tiere in der Wohnung. Omas Kater Mikesch starb kurz vor Opa. Ich bin froh, dass sie Freundinnen gefunden hat. Auf ihrem Nachttisch steht ein Foto von Lydia und mir. Es ist noch keine vier Jahre alt. Lydia hält mich im Arm. Damals, wurde ich noch toleriert. „Wann hat dich Lydia besucht?“
„Oh, du weißt doch, sie hat so viel zu tun mit der Arbeit.“ Ich nicke. „Wie geht es dir mit ihr?“ Ich bemühe mich, ihr ein Lächeln zu schenken.

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„Wir verstehen uns nicht immer bestens, aber es geht schon.“ Oma kauft mir die Lüge ab. Sie hätte auf der Stelle einen Herzinfarkt, würde ich ihr die Wahrheit sagen. Wieder fällt mein Blick auf das Bild von Lydia und mir. Ob sie mich damals schon gehasst hat?

***
 
Zuletzt bearbeitet:
huhu :)

ich reagiere jetzt einfach mal auf das, was du schreibst WÄHREND ich lese... also die Gedanken kamen auf, während ich an genau der Stelle war und die hab ich dann aufgeschrieben :)

oh, ich möchte ja gerne wissen, warum Lydia weint o_O

Sicherlich wird sie nicht in fünf Minuten zurück sein
oh ich hoffe es!!! *bibber* :S

Ein Klacken im Türschloss lässt mich aufhorchen. Ich platziere alles, wie es war und stürme ins Badezimmer, mache die Dusche an. Schritte laufen die Treppe hoch, in Lydias Zimmer, Tür zu. Ich atme erleichtert auf.
wahh xD ich hab gerade mitgefiebert, dass sie sie nicht entdeckt!! :S

Vielleicht hat sie auch nur über Mum nachgedacht und deswegen geheult. Mums Geburtstag nähert sich.
irgendwie glaube ich nicht, dass es eine so einfache Erklärung dafür gibt xD

Wieder fällt mein Blick auf das Bild von Lydia und mir. Ob sie mich damals schon gehasst hat?
das frage ich mich auch!


Das Kapitel war wirklich nicht lang, aber es wirft einige Fragen auf und ich bin jetzt schon gespannt, wann die geklärt werden :) Außerdem fand ich es sehr spannend. Ich bin gespannt, was das mit Lydia zu bedeuten hat, warum sie geweint hat und ob sie Lilly wirklich nicht bemerkt hat, aber sonst hätte sie wohl schon getobt!
Ihre Oma scheint nett zu sein, auch wenn Lilly offenbar immer noch keine Person hat, der sie wirklich voll und ganz vertraut und ihr all ihre Sorgen mitteilen kann :S

Schönes Kapitel, sehr spannend und ich freue mich auf die Fortsetzung!

zu deinem letzten Post
Da ich nämlich sonst eine normale Geschichtenschreiberin bin und das, was ich hier in 3 Sätze packe, teilweise in 10 beschreibe, habe ich permanent das Gefühl, viel zu wenig zu erklären und die Story kommt mir oft abgehackt vor.
Oh, das Problem kenne ich. Mittlerweile kürzen wir aber nur noch bedingt und schreiben dennoch viel xD Ich denke, es darf den Lesern schon abverlangt werden, mehr Buchstaben zu lesen :3 also mach es so, wie es dir am besten gefällt. Ich finde es zum Beispiel sehr spannend zwischen den Zeilen zu lesen, ab und an kommen einem dort noch mehr Hinweise entgegen, als im Text selbst.

Ich würde meinen Schreibstil nicht für eine FS verändern. Es ist doch dein Stil :) Mach es so, wie es dir gefällt und du hast nicht zu viel Text. Dann kommen eben noch ein paar Bilder dazu :P Wir haben für geplante Kapitel momentan immer so 10-20 Bilder, wenn dann plötzlich ein Kapitel dabei ist, dass über 20 hat, ist das schon echt ... o_O ... aber wir setzen uns da keine Grenze, wenn das Kapitel nunmal größer wird, dann ist es größer und solange es nicht ständig 30 Bilder hat, sondern auch mal nur 12 oder 15, ist das doch bestimmt eine willkommene Abwechslung :)

Ich bin froh, dass du sagst, dass man merkt wie viel ich mir bei den Char gedacht habe, denn so ist es tatsächlich auch.

Das merkt man auf jeden Fall. Man erfährt ja noch lange nicht alles, aber man hat auf Leser auf jeden Fall das Gefühl, dass es da noch mehr Hintergründe gibt.

Nur kann ich ja nicht zu 5 Bildern einen elend langen Text schreiben und muss daher einen Mittelweg zwischen meinem eigentlichen Stil und einer FS finden. Das ist echt nicht leicht und ich habe Angst, dass viele Emotionen und Hintergründe nicht rüber kommen und alles viel zu schnell geht - es soll ja in den Folgen auch was passieren (in den meisten zumindest).
Ich muss grad mal eben nachhaken, wie kommst du denn auf die 5 Bilder? Du brauchst doch in der FS nur MINDESTENS 5, wenn du 10 oder 15 Bilder posten möchtest, dann kannst du das doch ruhig tun? Wäre doch schade, wenn du nicht so schreiben kannst, wie du magst, nur weil du dich an 5 Bilder halten möchtest, oder waren die Bilder jetzt nur so daher gesagt? ich hab grad den Eindruck bekommen, dass du glaubst es gäbe eine Mindest Bilderanzahl :)


Du hast Recht, es hat definitiv seine Gründe, warum sich die Mädchen so unterschiedlich entwickelt haben. Wie zufrieden ihr am Ende mit der Erklärung seid, das sei dahin gestellt. Für die endgültige Auflösung, braucht ihr auch noch etwas Geduld
Ich lasse mich überraschen xD
 
Hallo Vany :)

Danke für deine ausführliche Antwort :)

Ich muss grad mal eben nachhaken, wie kommst du denn auf die 5 Bilder? Du brauchst doch in der FS nur MINDESTENS 5, wenn du 10 oder 15 Bilder posten möchtest, dann kannst du das doch ruhig tun? Wäre doch schade, wenn du nicht so schreiben kannst, wie du magst, nur weil du dich an 5 Bilder halten möchtest, oder waren die Bilder jetzt nur so daher gesagt? ich hab grad den Eindruck bekommen, dass du glaubst es gäbe eine Mindest Bilderanzahl :)

Nein, ich meinte das mehr in dem Sinn, dass es mir leicht fällt, viel zu schreiben, aber schwer fällt (auch mit den Möglichkeiten, die man mit Sims 4 hat) Bilder zu schießen und ich ja keine 3 Seiten Text für 5 Bilder machen kann :D Das meinte ich. Dass ich tendenziell mehr Text als Bilder habe.
 
ah ich verstehe :) vielleicht hilft dir das ja, also wir machen das meistens so, wir gucken, was wir für Bilder im Text brauchen und schreiben uns einen kleinen Vermerk dazu in jedes Kapitel an die richtige Stelle. Dann muss man nur durchgucken, was man benötigt und was machbar ist und macht das Bild davon.

Ich weiß gerade nicht, wie du schreibst und dann Bilder dazu machst, aber oft hilft es erst mal den Überblick über das zu bekommen, was man eigentlich braucht.
Wenn ich währenddessen einen Szenenwechsel habe, kann ich mir das dann auch genau zusammen sortieren und erst die Bilder einer jeden Szene zusammen fotografieren und erst dann kommt der nächste Teil.
Deiner Story und den Themen nach zu urteilen hast du diese Story aber auch im Kopf und versuchst es dann mit Sims nachzustellen, als das zu beschreiben, was deine Sims tun, richtig? so machen wir das ja auch :)

Das richtige Verhältnis ist echt manchmal nicht so einfach, fand es bei dir aber bisher angenehm. nicht zu viel und nicht zu wenig Text/Bilder.
 
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Genau so mache ich das auch :D

Genau und manchmal ist das gar nicht so einfach in Sims 4 muss ich sagen. Warum zur Hölle können die nicht mehr auf dem Bett entspannen? xD

Danke dir :) Das beruhigt mich. Bei den neueren Kapitel schaffe ich es nun langsam, mehr Bilder ein zu bauen.
 
hihi interessant, dass wir da ähnlich vorgehen xD

oh, das können sie nicht mehr? ich hab bisher nur so rumgespielt, dabei merkt man gar nicht, was nicht mehr geht was man für ne FS brauchen könnte, das stimmt :S das ist ja ärgerlich xD

Bin gespannt! Wann geht's weiter? :D
 
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Ich mach mir das Dokument immer bei Fotografieren auf meinem zweiten Bildschirm auf und muss nur ablesen ;)

Leider nein, sie können leider nur ein Nickerchen machen... da haben sie ja aber die Augen zu! Ich musste ein paar Szenen umschreiben, weil ich erst beim Fotos machen merkte, dass sie sich eben nicht "nachdenklich aufs Bett legen", sondern nur nachdenklich aufs Bett setzen können! xD Und meistens lächeln die halt dann so dümmlich in der Gegend rum :D Daher gibts da auch nicht viel wirklich ausdrucksstarke Bilder.

Ich habe die Bilder für die nächsten beiden Folgen schon geschossen, bearbeitet und hochgeladen, also wahrscheinlich morgen :)
 
Ein gutes Beispiel dafür, dass man erst die ganze Geschichte schreiben sollte, bevor man die erste Folge online stellt, ist die folgende Änderung:

In den neueren Folgen hat sich ein gewisses Schema durchgesetzt. Wenn ihr an den Anfang der jeweiligen Kapitel scrollt, werdet ihr unter dem Folgennamen nun ein Zitat finden (außer beim Prolog).
Diese sind nicht wichtig, habe ich aber nachträglich noch hinzugefügt, weil es so weitergehen wird.
 
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Folge 7

***

Folge 7 – Familie

Von allen Geschenken, die uns das Schicksal gewährt, gibt es kein größeres Gut als die Freundschaft - keinen größeren Reichtum, keine größere Freude.
© Epikur von Samos

*

Ich starre jeden Morgen auf das gleiche Bild, erwache im gleichen Bett und halte den gleichen Tagesablauf. Es ödet mich an. Andererseits ist mir wahrscheinlich schon genug für fünf Leben passiert. Es ist Donnerstag. Die Sedativa von Judy sind auf ein Minimum reduziert. Wir warten jeden Tag darauf, dass sie aufwacht und ich bin quasi ständig im Krankenhaus. Maria ist eine Woche beurlaubt angesichts der Umstände und verbringt jeden Tag zusammen mit mir bei Judy.
In der Schule verpasse ich nichts. Wir haben nächste Woche Ferien und ich muss nur in den Betrieb. Da ich die ganze Woche krankgeschrieben bin, lerne ich viel und versuche, mich nicht an zu strengen.

So radle ich auch heute Morgen ins Krankenhaus (mit leichtem Schwindel), lasse mir bei der Gelegenheit die Fäden ziehen, setze mich in Judy’s Zimmer und lerne. Maria ist schon da. „Hallo Lilly“. Ich lächle und hebe die Hand zum Gruß. „Ihr Zustand ist unverändert. Aber es sieht gut aus“, bringt mich Maria auf den neusten Stand. Jedes Mal, wenn ich sie so da liegen sehe, wird mir schmerzlich bewusst, wie sehr sie mir fehlt. Es klopft an der Tür, Marc tritt herein. Maria springt auf und umarmt ihn. „Ich dachte, du kommst erst morgen?“, bemerkt Maria schluchzend. „Ich habe Urlaub eingereicht“, erwidert Marc tonlos, „hey, Lilly.“ Ich winke wieder, diesmal mit gestelltem Lächeln.

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Sie unterhalten sich über Gott und die Welt, damit keiner über Judy reden muss. Es gibt erstaunlich viele Themen. Es kommt mir vor, wie ein Theater, aber ich verstehe es. Als es draußen dämmert, sind Maria und Marc auf den Sesseln schon lange eingenickt. Meine Prüfungsvorbereitung ist gesichert, das Ernährungslehrbuch habe ich nämlich jetzt das zweite Mal durch… als mein Blick auf Judy fällt. Ihre Augen sind geöffnet.
Ich springe auf, mein Sessel kippt, mein Buch fliegt auf den Boden. „Judy“, ein Keuchen, mehr bringe ich nicht raus.

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Ich drücke den Knopf zur Alarmierung der Schwestern und mache daraus ein Sturmläuten. Sie fixiert mich mit ihrem Blick. Sie weint. Ich nehme ihren Kopf in meine Hände. „Alles wird gut“, kann ich weinend sagen, als die Tür auf kracht, Marc und Maria hochschrecken und die Schwestern samt Arzt rein stürmen. „Bitte verlassen sie das Zimmer“, sagt der Arzt, „Bitte hier ist eindeutig zu viel Tumult. Wir brauchen Ruhe, um den Beatmungsschlauch zu entfernen.“ Maria weint, Marc hält sie in den Armen und wir beide führen sie hinaus. Die Sekunden scheinen nun Stunden zu dauern. Wir alle laufen rastlos umher. Eine quälende halbe Stunde später, dürfen wir endlich zu Judy. Sie lehnt auf dem Bett und kann keuchend sprechen, doch es scheint ihr sehr schwer zu fallen. Die Sonde für die künstliche Ernährung bleibt. „Nicht aufrichten, Schatz, bitte bleib liegen.“
„Mama, es tut mir so leid“, sie weint und kann kaum atmen. Maria streichelt ihr über den Kopf. „Schhht, Hauptsache, wir haben dich endlich wieder.“ Judy’s Blick trifft meinen. Ich kann ihn nicht deuten. Sie wirkt verloren, als ich den Raum erneut verlasse.

*

Ich stehe auf dem Gang am Wasserspender. Seit einer geschlagenen Stunde vertreibe ich mir hier die Zeit und traue mich nicht, wieder in das Zimmer zu gehen. Die Ängste der letzten Tage hinterlassen ein taubes und erschöpftes Gefühl. Sie hat mir so sehr gefehlt und dennoch bin ich so wütend. Dabei möchte ich gar nicht wütend sein. „Warum bist du raus gegangen?“, eine männliche Stimme hinter mir spricht mich an, „sie hat nach dir gefragt“. Als ob ihn das grade was angeht.

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„Ich brauchte Wasser“, überheblich lächelnd drehe ich mich mit dem Becher zu ihm um. Er rollt genervt mit den Augen. Ich gehe ihm aus dem Weg. „Außerdem seid ihr ihre Familie“, ich öffne die Tür zum Zimmer, ohne eine Antwort ab zu warten. Maria kommt mir entgegen. „Oh, Liebes. Ich gehe nur und hole einige Sachen für Judy. Die Besuchszeit ist bald um und ich möchte rechtzeitig wieder da sein. Die Ausnahmen von der ersten Nacht gelten heute sicher nicht mehr“, und sie stürmt an mir vorbei. Judy’s und mein Blick treffen sich. Marc folgt seiner Mutter, um mit ihr zu sprechen. Erst ist es lange still. Dann schließe ich die Tür hinter mir. „Sie mussten dich zurückholen.“
„Ich weiß“, erwidert sie flüsternd. Ich helfe ihr dabei, sich aufzusetzen und setze mich auf den Stuhl neben ihr Bett. Schweigend starren wir uns an. „Ich dachte wirklich, dieses Mal hätte ich dich verloren.“ Sie schweigt. „Du warst tot, Judy. So richtig.“

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Sie kann nichts antworten. Ich habe das Gefühl, es kostet sie alle Mühe, die Augen offen zu halten. Ich setze mich zu ihr, ziehe sie an mich und wir legen uns hin. Sie weint. „Dieses Mal werde ich es schaffen“, sagt sie. „Das wirst du“, mehr kann ich nicht antworten. Eine erschöpfte und traurige Stille erfüllt den Raum. Voll unausgesprochener Gedanken und Hoffnungslosigkeit.

*

Als Maria Judy’s Sachen bringt, stelle ich erschrocken fest, dass es viel später ist, als es sein dürfte. Marc bietet mir an, mich nach Hause zu fahren. In seinem Kombi sei genug Platz für mein Rad. „Vielen Dank“, kann ich zumindest auf dem Beifahrersitz sagen. „Kein Problem.“ Zu Hause wird mich eine Explosion erwarten. Und ich werde völlig allein damit sein. „Wir leiden alle, Lilly, weißt du. Als diese ganze ******* anfing, hat Mutter gekocht und gekocht und Judith hat sich immer mehr gewehrt. Irgendwann ging gar nichts mehr. Du warst dabei. Wir beide sind die einzige, die es schaffen können, sie am Leben zu halten.“

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Ich nicke und flechte mir meine Haare, um mich ab zu lenken. Ich habe wenig Lust jetzt darüber zu sprechen. „Aber dafür müssen wir zusammenhalten.“ Ich sehe ihn an und er lächelt. Irgendwie sieht er anders aus, als sonst. „Marc, sei mir nicht böse, aber du hast keine Ahnung, wie oft ich sie gestützt und Händchen gehalten habe. Du warst nicht da“, er wirkt vor den Kopf gestoßen. Er fährt in die Einfahrt zu unserem Haus und sieht dabei aus, wie ein kleiner hilfloser Junge. „Ich helfe dir mit deinem Rad“, sagt er tonlos. Wir heben es aus dem Kofferraum und er trägt es bis an den Treppenabsatz unseres Hauses. Lydia öffnet die Tür. Ihre Augen funkeln wütend. Sie rast die Treppe hinunter, ich weiche zurück. Alles geht so schnell, ich mache kaum einen Atemzug.

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Ich stolpere und knalle auf den Boden, doch ich kann es mir nicht leisten, Schmerzen zuzulassen, denn Lydia hebt schon wieder die Hand.

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Als sie ausholen will, um mich an den Haaren ins Haus zu zerren, ergreift eine Hand die ihre. Und für eine entsetzliche lange Sekunde steht die Welt still.


***​
 
Zuletzt bearbeitet:
Puuh... Lydia ist echt seltsam, ich frage mich, ob sie jetzt nur nicht schlägt, weil Marc noch da ist. Andererseits frage ich mit, warum sie dann überhaupt böse guckt und nicht gleich einen auf nette Schwester macht... hmm. Ich frage mich, ob das mit dem Anruf und den Fotos etwas zu tun hat.

Marc tut mir einerseits leid, da Lilly ihm das einfach so an den Kopf knallt, aber sie hat ja eigentlich auch recht. Irgendwie vermute ich, dass Marc noch eine wichtige Person wird, wenn nicht sogar auch für Lilly. Er hat Lydias Reaktion ja nun mitbekommen. Zumindest zum Teil, ihr wütendes Gesicht usw.

Ich verstehe, dass Lilly irgendwann nicht mehr kann. Sie gibt sich schon so lange Mühe bei Judy, hilft ihr, wo sie kann. Sie wirkt gerade sehr resigniert. Kann ich natürlich schon verstehen. Dennoch bringt es vermutlich gar nichts, wenn sich Judy dadurch schlecht fühlt, sie weiß ja einerseits, dass sie etwas falsch macht, sie kann es nur nicht ändern irgendwie...
bin gespannt, wie es weiter geht. nachdenklich machendes Kapitel...
 
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Hallo Vany,

vielen Dank für dein Feedback. Das Problem bei Lydia ist, dass sie zwar unglaublich kontrolliert scheint, ihr aber eigentlich alles egal ist. Sie hat ihre Motivationen und Prinzipien. Wirklich viel gemacht hat sie auch nicht - wir erleben alles aus Lillys Sicht und sie sah sofort eine Bedrohung in Lydias Augen. Vermutlich hätte sie vor Marcs Augen keine Konsequenzen walten lassen. Aber Marcs Polizisten-Sinn, hat interveniert und ja, diese Szene hat Einfluss auf Lilly, was wir spätestens am Wochenende lesen werden ;D

Es ist für beide Freundinnen schwierig, denke ich. Sie bedeuten sich gegenseitig wirklich alles und doch können sie sich nicht vor allem beschützen. Judy macht sich (in meinem Kopf-Skript, denn wir erfahren ihre Gedanken ja wenig) schwere Vorwürfe, weil sie durch ihre Krankheit Lilly nicht entsprechend stützen kann. Lilly kommt irgendwann am Ende ihrer Kräfte an und sicher macht sie Judy auch irgendwo Vorwürfe. Wen hat sie denn, wenn eine Judy im Koma liegt? Sie ist völlig allein.

Ich bemühe mich auch immer wieder, mich selbst daran zu erinnern, wie ich mit 17 war. Lilly muss erwachsen sein, aber es darf auch die trotzigen, zickigen Momente geben, die nicht immer reifen Reaktionen und nicht immer selbstständigen Entscheidungen. Lydia ist ihre Bezugsperson und an so jemanden bindet man sich, ob man möchte, oder nicht. Als solche hat sie noch einen langen Weg vor sich, um zu begreifen, dass Menschen, von denen man abhängig ist, nicht dein bestes wollen und dass es manchmal besser ist, niemanden zu haben, als die falschen.
 
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Folge 8

***

Folge 8 – Schockstarre

Zunächst sollte man reiflich bedenken,
wie ähnlich man den anderen ist:
Sie erfahren Freude und Leid genau wie ich.
Darum muss ich sie beschützen wie mich.

© Dalei Lama

*

Marcs Hand umschließt Lydias Handgelenk. Ihr wütender Ausdruck weicht blankem Entsetzen. Ich kann gar nichts tun. Ich kann nicht aufstehen, nicht atmen. Die Zeit läuft mit einem Mal viel langsamer und ich kann Marcs Gesichtsausdruck überhaupt nicht lesen. Er wirkt entschlossen und stark. Die Luft wird schwül und das Atmen fällt schwer. Lydia wirkt entsetzlich wütend un überrascht zugleich. „Vielleicht solltest du heute Nacht woanders schlafen, Lilly“, bringt Marc schließlich raus. Das erweckt mich aus meiner Schockstarre. „Nein!“, ich richte mich sofort auf, hechte zu den beiden und bringe Marc dazu, die Hand zu senken, „Nein, es ist alles okay, wirklich. Lydia hat sich wahrscheinlich nur Sorgen gemacht und ich bin gestolpert. Du kannst gehen!“ Ich weiß nicht, warum ich sie schütze. Es passiert instinktiv. Lydia sieht mich mit einem vernichtenden Blick an.

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Sie macht auf dem Absatz kehrt und geht in das Haus. „Ich wünsche, Sie hier nicht mehr zu sehen. Und du kommst her, Lilly.“ Meinen Namen aus ihrem Mund zu hören klingt wie eine Fremdsprache. Ich schnappe meinen Rucksack und mein Handy, was aus der Tasche gefallen ist und spute Lydia hinterher. Als ich auf Marc zurückschaue, regt er sich nicht. Er wirkt fassungslos und verloren. Ich forme ein „Danke“ mit meinem Mund und schließe die Tür. Auf einmal fühle ich mich unendlich allein. Sogleich packt mich eine Hand an meinen Haaren und zieht mich zurück. „Aaaah“, ich schreie kurz auf. „Wo warst du? Wer war das? Und warum zum Teufel bringt er dich nach Hause?“, ich schaffe es, mich los zu reißen. „Das kannst du mich auch normal fragen!“, sie erhebt die Hand, ich zucke zurück an die Wand.

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„Ist ja gut!“, schreie ich, „das war Marc. Er ist Judy’s Bruder. Er wollte mich nicht alleine nach Hause radeln lassen. Er ist Polizist.“
„Willst du mir damit etwa drohen?!“
„Nein! Ich wollte sagen, dass ich gut aufgehoben war!“ Erst jetzt merke ich, dass mein Herz nicht nur wieder schlägt, sondern bis zu meinem Hals pocht. In welcher Welt glaube ich eigentlich, dass es sie interessiert, ob es mir gut geht? Lydia lässt ihre Hand sinken. „Das interessiert mich einen Scheiß, Hauptsache, du bist pünktlich zu Hause. Du kennst die Regeln. Und so lang du hier lebst, hast du mit Männern nichts an Hut. Ich habe keinen Bock, für ein Balg auch noch mein Geld zu verblasen!“, sie wirkt so dominant wie immer. Sie duldet keine Widerworte. „In dein Zimmer!“ Ohne sie anzusehen rase ich nach oben und schließe die Tür. Was zum Teufel ist hier gerade passiert? Ich stürze an mein Fenster. Marcs Auto ist weg.

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Er hat sich zwischen uns gestellt. Noch nie hat mich jemand beschützt. Mein Atem geht schnell, mein Herz noch schneller. Ich habe keine Ahnung, wie ich mit dieser Situation umgehen soll. Sicher werden wir uns morgen begegnen und sicher wird er mich fragen, was das sollte. Ich habe ihn weg geschickt. Was, wenn ich mitgegangen wäre? Was, wenn er mich weiter geschützt hätte? Wird er es nun allen erzählen? Niemand weiß, dass sie mich schlägt. Sicher, sie tut nicht so, als würde sie mich lieben und vielen war schon aufgefallen, wie oft ich blaue Flecke habe. Aber man sieht uns nie zusammen. Es ist, als existieren wir völlig autark voneinander, wie zwei Fremde. Und wenn es nun jemand wüsste… würde dann auch jemand was dagegen tun?

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Ich lasse mich rücklinks auf mein Bett fallen. Was, wenn das alles mein Ausweg sein könnte?

*

Nachdem mir Lydia am nächsten Morgen sehr eindrücklich klar macht, was passiert, wenn einer von unserer komplizierten Beziehung erfährt, verwerfe ich die Gedanken wieder, die mich wach gehalten haben. Es wundert mich, dass sie zu sehen scheint, dass sie etwas Falsches tut. Sie wirkt auf mich immer, als sei es für sie normal, mich auf ihre… diese Art zu erziehen.
Sie hat zu viel, was mir wichtig ist. Kennt zu viele Leute. Zu viele in Machtpositionen. Judy würde niemals Hilfe bekommen und Maria hätte schon bald keine Chance mehr, ihre Familie zu ernähren. „Wobei ihr das ja ganz gut tun würde. Die Kleine geht sowieso bald drauf und Maria ist… maßlos“, sagt Lydia dazu.

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Ich schlucke meine Wut und radle weinend zum Krankenhaus. Judy wird bereits vorbereitet für die Verlegung auf die psychiatrische Abteilung. Marc ist nicht da. „Vorläufig bleibe ich acht Wochen. In den ersten beiden darf ich keinen Besuch empfangen und nur eine halbe Stunde am Tag mein Handy haben“, sie macht ein Gesicht, als würde die Welt untergehen, „ich werde steeeerben. Ohne Handy?!“ Gemeinsam lachen wir. Sie spürt sicherlich, wie es mir geht. Doch sie fragt nicht. Ich würde ohnehin nicht antworten.

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Marc tritt durch die Tür, gefolgt von einer Krankenschwester, die Judy ins Badezimmer begleitet. Danach herrscht Stille im Raum. Frei nach dem Motto, wenn ich meine Augen verstecke, sieht mich keiner, vermeide ich es, ihn anzusehen. „Passiert das öfter?“ Mist, offensichtlich hat es nicht geklappt. „Es ist alles in Ordnung“, stöhne ich. Seltsam. Irgendwas ist anders. Als ich ihn doch ansehe, kommt er mir ganz anders vor, als sonst. Nicht mehr, wie Judy’s großer Bruder. Hört sich das doof an, wenn ich sage, wie ein Mensch? Mit Geschwistern der besten Freunde ist es immer so eine Sache. Sie sind wie Aliens von einem anderen Stern, die nicht in dein Universum gehören.

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„Ich glaube nicht, dass das so ist“, sagt er ernst. Naja und plötzlich ist so jemand dann in deiner Umlaufbahn.


***​
 
wow, ich bin sehr von Mark überrascht :D also ich meine als Polizist ist er es gewohnt einzugreifen und ja auch irgendwie dazu verpflichtet, aber... keine Ahnung, die Reaktion war hart aber total realistisch. Aber auch Lillys Reaktion war verständlich und ich habe mit keiner Sekunde dami gerechnet, dass sie ihre Chance ergreift. Dafür steckt sie zu tief drin.

Ich bin so gespannt darauf, was Lydia da für Bilder in den vorigen Kapiteln hatte, warum sie plötzlich gefahren ist und warum sie überhaupt so ist, wie sie ist. puh :ohoh:

Judy versucht natürlich einen Ausweg aus der kritischen Situation zu finden, weswegen sie versucht diese Witze zu reißen, auf die Lilly bereitwillig eingeht, immerhin gibt es da etwas, was beide sehr bedrückt und über das sie aber beide nicht sprechen können. Ach je. Es passt auf jeden fall und ist glaubwürdig. Die Story ist greifbar, weswegen ich immer wieder überrascht bin, wenn ich feststelle, dass du das alles in der kunterbunten sims 4 welt zeigst und dass es dennoch super passt.

Mark wird natürlich nicht locker lassen, das habe ich mir schon gedacht und finde es gut. Es wird Lilly zwar in schwierige Situationen bringen (denke ich) und sie auch bestimmt nerven, aber es ist wichtig - glaube ich - vielleicht ist er ja ihre einzige Chance? :(


Weiter so :) sorry, dass die Antwort so verzögert kam, mir kam noch eine Geschäftsreise dazwischen und diverse Vorbereitungen ^^

Bis zum nächsten Kapitel!

LG Vany :hallo:
 
Hallo Vany,

vielen Dank für dein Feedback. An dieser Stelle kann ich verraten, dass wir gegen Ende der FS noch einige Situationen aus Marc's Sicht hören werden. Dies wird ebenfalls noch einige Lücken füllen ;)

Einiges macht auch die Bildbearbeitung. Bei den ganz düsteren Kapiteln nehme ich bewusst Farbe raus. Siehe zB das Kapitel, als Judy ins Krankenhaus kommt.

Das ist doch kein Problem, ich freue mich über jeden Kommentar :)
 
Folge 9

***

Folge 9 – Schutz

Geborgenheit ist das Wissen von einem Menschen, in dem ich überleben darf…

© Hans-Christoph Neuert

*

Judy klagt uns täglich ihr Leid in der halben Stunde, in der sie ihr Handy benutzen darf. Die Maltherapie sei schrecklich langweilig und überhaupt könne sie ja gar nicht malen. Sie dramatisiert die unwichtigen Dinge, um nicht darüber reden zu müssen, wie schwierig die Situation ist. Ich kenne dieses Verhalten und es ist okay. Ihr gut zu zureden würde nicht nützen. Ich habe so viel über Anorexie gelesen, bin in so vielen Foren angemeldet, ich fühle mich, wie ein Experte.
Ich darf wieder arbeiten gehen und habe mein Leben zurück. Den grauen Alltag. Vorkommnisse mit Lydia gibt es kaum noch, was daran liegt, dass ich peinlich darauf achte, keinen Kontakt zu ihr zu haben. Ich komme nach Hause, koche und verschwinde in mein Zimmer. Aber Marc besteht darauf, dass ich jede freie Minute bei Maria verbringe. Er wirkt wie ein großer Bruder und doch anders. Sicherlich fühlt er sich auf Grund seines Berufes verpflichtet. Dass ich bei den Gallengers noch intensiver Ein- und Ausgehe als vorher, hat den großen Vorteil, dass ich die tollsten Speisen der Welt serviert bekomme, da Maria endlich ein Kind im Haus hat, was die Arbeit auch würdigt und sie isst.

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Sie ersetzt mir die Mutter. Ich lasse nicht zu, dass dieser Familie etwas zustößt. Eher stößt es mir zu.

Marc bleibt über das Wochenende. Maria genießt das volle Haus sehr und ich versuche ein Teil davon zu sein. Die Regeln meiner Schwester sind klar definiert: Eigentlich will Lydia nur ausschließen, dass ich irgendwo übernachte. Ich bin bei Dämmerung zu Hause, spätestens aber um neun Uhr. Außer natürlich, ich muss für sie kochen… sie lässt mich dies per SMS wissen. Sie schreibt mir dann, wann sie nach Hause kommt und ob sie ein Essen erwartet. Dämmerung definiert sie auch ganz gerne mal unterschiedlich.
Tatsächlich ist es gar nicht so oft der Fall, dass ich für sie kochen muss, da sie in ihrer Position sehr oft in den Genuss von Geschäftsessen kommt und sich ihre Figur auch nicht von alleine hält. Oft koche ich aber auch einfach aus Spaß und in der Hoffnung, in Vorleistung treten zu können. Ich füge mich diesen Regeln, weil ich mit Ihnen aufgewachsen bin und die Konsequenzen bei Nichteinhaltung kenne, weiß aber natürlich um ihren Schwachsinn – als ob ich vor neun Uhr nicht schwanger werden könnte?

Diese Abende sitzen Marc, Maria und ich auf der Veranda und trinken selbst gemachte Limonade. Bis neun eben.

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Heute gehe ich aber direkt von der Klinik nach Hause. Ich habe ein schlechtes Gewissen, wenn ich nicht regelmäßig bettle, ob ich nicht doch schon vorher zu Judy darf. Natürlich bleibe ich wenig erfolgreich. Judy ist nun seit einer Woche auf der Geschlossenen.

Ich betrete das stille und leere Haus. Lydia sollte schon längst zu Hause sein. Mein Handy piept. Lydia bleibt auf Konferenz und kehrt erst übermorgen (also Sonntag) Abend zurück. Also, was fange ich nun mit diesem erstmal genialen Abend an? Ich bin 17 und kann tun, was ich will… naja, fast. Ich laufe hoch in mein Zimmer und setze mich auf mein Bett.

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Letztes Mal als Lydia über ein Wochenende weg gefahren ist, war ich noch zu brav, um etwas mit mir anzufangen. Ich schreibe Maria eine SMS, dass ich erst später zu ihr komme und erst zu Hause noch ein paar Dinge erledige. Grinsend schnappe ich mir meine Lieblingsklamotten und trolle mich ins Badezimmer.

*

Der tiefe Bass hämmert in meine Ohren. Stark geschminkt komme ich durch jede Kontrolle. Ich schwitze, schleudere meine Haare durch die Gegend. Einmal hatten Judy und ich es geschafft, uns hier her zu schleichen. In das Final Destination. Natürlich hat man uns damals erwischt, aber es war einfach nötig und heute ist es das auch. Judy fehlt mir hier. Ich wünschte, ich könnte diesen Abend mit ihr gemeinsam erleben.

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Ich lasse mich nicht anlabern und trinke keinen Alkohol, aber zumindest für eine Stunde alles vergessen muss einfach erlaubt sein. „This is my last resort!“, brüllen wir dem DJ entgegen. Viele Menschen, alle schwitzen. Einige kenne ich von meiner Schule und ich weiß, sie sind ebenfalls noch keine 18. Keiner verpetzt sich hier. Wir sind eine Kleinstadt, die viel redet, aber nichts beweist.

Ich werde oft angelacht. Aber ich habe kein großartiges Interesse daran. Meinen ersten Kuss bekam ich mit 15 und der Kerl war auch echt goldig. Großes Interesse habe ich aber nicht daran. Judy hält mich für lesbisch, weil ich viel mehr Mädels auf den Hintern starre. Frauen sind nun mal die hübscheren Wesen. Wenn ich aus meinem Leben ausgebrochen bin, ist noch immer Zeit, sich in jemanden zu vergucken. Ich fühle mich einsam, egal, wie viele Menschen um mich sind. Ob Mann, oder Frau. Außer bei Judy. Sie bleibt meine große Liebe.

Der Schweiß scheint von der Decke zu tropfen. Es ist unendlich schwül, doch es fühlt sich sensationell an. Als ich zur Bar sehe, steht ein großer Pulk Menschen an der Theke. Ich stöhne. Das wird ewig dauern. Frauenbonus kann helfen. Ich dränge mich bis ganz nach vorn und puste mir dabei keck die verschwitzten Haarsträhnen aus dem Gesicht. Strahlendes Lächeln = hallo, kostenlose Cola. „Entschuldigung, darf ich mal bitte“, ich zwänge mich zwischen der Theke und einem muskulösen, breit gebauten Mann hindurch, der sich natürlich genau jetzt umdrehen muss. Ich werde total an die Wand neben der Bar gepresst und will schon fluchen, als ich sein Gesicht sehe. Sein Gesicht so nahe an meinem, dass kaum ein Blatt Papier zwischen unsere Nasen gepasst hätte.

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Marc. Tiefbraune Augen schauen direkt in meine. Ist er wütend? Ups. Da hat mein Herzschlag kurz die Fliege gemacht. Plötzlich ist mir schlecht. Wenn er das Lydia erzählt? Es bleibt nur zu hoffen, dass die Sache neulich noch präsent bei ihm ist… „W-was machst du denn hier?“, frage ich laut und auch er scheint offensichtlich überrumpelt zu sein, denn er bringt kein Wort heraus. „Wohl eher ist die Frage, was du hier machst, denn du bist erst 17“, er muss schreien, damit ich ihn höre. Ich sehe seinen Gesichtsausdruck nicht, doch ich spüre seinen Atem auf meiner Haut, als er redet. Mir fällt ein, dass er Polizist ist. Ich bekomme weiche Knie und schiebe es auf die Angst vor dem Anschiss. Ich winde mich aus dieser Situation. Es scheint, als erinnert sich mein Herz wieder an seine ursprüngliche Aufgabe. Ich versuche an ihm vorbei zu kommen. Sein Kopf folgt mir. Ich kann wieder atmen.

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„Komm mit“, sagt er bestimmt. Was habe ich für eine Wahl? Ich folge ihm nach draußen. Jetzt klopft mein Herz bis zum Hals. Ob er irgendwas machen wird? Er wirkt auf einmal so bestimmend und umso vieles älter als ich. Ich fühle mich wie ein Kind. Er öffnet mir die Tür und schubst mich auf den Beifahrersitz. Er selbst nimmt auf dem Fahrersitz Platz und startet den Motor. „Ich fahre dich jetzt zu Maria. Unter anderen Umständen müsste ich deinen Vormund benachrichtigen und das weißt du.“ Ich seufze. „Wir kennen uns nun über zehn Jahre, Lilly. Stell diese Beziehung nicht auf die Probe. Den ,beste-Freundin-meiner-Schwester‘-Bonus hast du nur ein Mal. Hast du getrunken?“
„Nein“, antworte ich wahrheitsgetreu. Den Rest der Fahrt sprechen wir nicht. Ich stemme trotzig mein Gesicht auf meine Hand. Ich beobachte ihn aus dem Augenwinkel. Er ist konzentriert. Mit seiner Brille wirkt das irgendwie intellektuell. Ich drehe meinen Kopf weiter in seine Richtung, als er das Auto zum Stehen bringt. „Bevor du 18 bist, lass dich nicht mehr von mir erwischen. Steig aus, für mich ist die Nacht noch nicht vorbei“, er sieht mich lächelnd an, doch irgendwie wirkt er besorgt. Oder traurig? Wieder wird mir schlecht. Mein Herz rast. Ich steige aus und laufe ins Haus, ohne mich zu verabschieden. Ohne ihn nochmal anzusehen.

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Am besten würde ich ihn einfach nie mehr wieder sehen.

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Zuletzt bearbeitet:
oh das Kapitel gefällt mir :3 schön zu sehen, was Lilly ohne ihre große Schwester tut :D oh und ich kann mir nicht vorstellen, dass sie ihn am liebsten nie wieder sehen würde! Das ist bestimmt die Unsicherheit xD :3
Ich mag Marc, auch wenn er hier ein Auge hätte zukneifen müssen (jaa, ich weiß, er ist Polizist und dass das dann wohl nicht passen würde ...) :D


Schönes Kapitel, freue mich auf das nächste :3
 
  • Danke
Reaktionen: Psychodoll1991
Danke dir, Alex :)

Oh ja, das denke ich auch :D
Ich bin halt eine hoffnungslose Romantikerin. Da musste noch irgendwas in der Art rein. Lilly ist halt nun einmal auch 17 und es gehört dazu. Ich wollte noch ein wenig Normalität rein bringen, auch wenn es doch eine etwas unkonventionelle Verbindung sein könnte ;)

Marc hat seine Gründe :D Aber wie gesagt, habe ich auch einige Kapitel aus seiner Sicht geschrieben, die nicht notwendig sind, aber zuletzt für die, die wollen auch noch mit Bildern online gestellt werden. Hier erfahren wir noch mehr über ihn :)
 
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Folge 10 – Ausreißer

Eines Tages wird alles gut sein, das ist unsere Hoffnung. Heute ist alles in Ordnung, das ist unsere Illusion.

© Voltaire


*

„Hat er nicht!“, Judy schreit fast ins Telefon. „Doch, hat er.“
„Ich mach den kleine Mistkerl sowas von fertig.“ Ich lache. „Judy, er hat nur seine Pflicht getan und auf mich aufgepasst, alles ist gut.“ Wir schweigen kurz und ich nestle verlegen an meiner Bettdecke. „Wie läuft es bei dir?“

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„Sie sagen, wenn es so weitergeht, darf ich ab morgen Besuch empfangen. Ich weiß nicht, was ich zugenommen habe, aber es scheint genug zu sein“, sie seufzt traurig. „aber es ist nicht leicht, das solltest du wissen. Seit ‘ner guten Woche sitze ich hier schon fest.“
„Das weiß ich. Aber du sitzt nicht fest. Du bekommst geholfen.“ Stille. „Lydia übertrifft sich ganz gern selbst im Moment“, sage ich traurig. „Ich musste genäht werden, als du… du weißt schon. Und letztens da… da wollte sie mir draußen eine knallen und dein Bruder ist dazwischen gegangen.“ Draußen zwitschern die Vögel und die Sonne brennt heißt. Es ist nicht auszuhalten. Belanglose Details in einer Gedankenflut. „Warum hast du nichts gesagt? Und warum war Marc bei dir zu Hause?“
„Er hat mich nach Hause gebracht, weil es schon so spät war, an dem Tag, an dem du aufgewacht bist.“

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„Lilly… du musst da raus. Zieh bei uns ein. Erzähl es meiner Mutter. Sie wird Verständnis haben.“ In diesen Momenten keimt immer ein Funke Hoffnung in mir auf. Ein kleines bisschen Optimismus. Nach solchen Gesprächen liege ich immer Stunden wach und frage mich, warum ich mich nicht wehre. Warum ich nicht in ein Heim gehe. Warum ich mich so derartig verpflichtet fühle. Doch sie ist meine Familie. Die letzte. „In einem Jahr ist deine Ausbildung fertig und du kannst wieder ausziehen. Ich sehe mir das jetzt seit fünf Jahren an, Lil‘. Irgendwann prügelt sie dich ,aus Versehen‘ tot.“ Bei Judy einziehen. Ich bin eh schon ständig bei ihr. Dann würde ich mir ein Badezimmer mit ihr teilen. Und mit ihrem Bruder. „Boah, mir ist schlecht. Schon seit gestern“, sage ich. „Schwanger?“, lacht Judy. Es ist wunderbar mit ihr zu sprechen. Sie hat mir so sehr gefehlt.

*

Tatsächlich darf ich Judy sonntags besuchen. Sie trägt ihre bequemen Sachen, ist ungeschminkt und einfach Judy pur. So, wie ich sie schon unzählige Male gesehen habe – schön, wie sie eben ist. Judy umarmt mich überschwänglich und lässt mich nicht mehr los. „Niemals, niemals, niemals, niemals, lass ich dich wieder weg.“ Ich empfinde Judy als viel stabiler als sonst, was mich sehr freut. Sie zeigt mir ihr Zimmer und den Aufenthaltsraum, alles andere bekomme ich natürlich nicht zu sehen. „Erzähl mir von dem Abend, als Marc zwischen dich und Lydia gegangen ist“, sagt sie, als wir in dem hellgelb gestrichenen Aufenthaltsraum sitzen.

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„Es gibt nicht viel zu erzählen. Sie hat mich geschubst und als sie mich schlagen wollte, hat Marc sie daran gehindert.“ Judy lächelt. „Er war schon immer ein kleiner Held“, sie dreht ihre Tasse Tee hin und her, ohne den Blick von ihr abzuwenden. „Hör zu, ähm… ich habe mit Mutter und Marc gesprochen. Du kannst bei uns schlafen. Erstmal. Ich vermute, Marc wird dich zu einer Anzeige überreden-“
„Leute, ernsthaft, die Frau ist meine Schwester und füttert mich durch. Es fehlt mir an nichts. Warum sollte ich sie so verärgern, dass es mir an allem fehlt?“
„Lilly, komm schon. Meinst du etwa, ich bin blind? Wir sprechen doch über alles. Und ich habe die Wunde an deinem Hinterkopf gesehen.“ Wir schweigen.

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„Was ist passiert?“ Meine Augen brennen. Ich habe Angst. Wir haben schon hunderte solcher Gespräche geführt. Sie rät mir nicht das erste Mal, mir Hilfe zu suchen. Doch sie hat bis dato immer akzeptiert, dass ich es nicht wollte. Ich beginne, mich zu fragen, was eine gute Freundin ausmacht. Eine, die mir meine Entscheidungen lässt, oder, die mich beschützt. Ich hinterfrage mein eigenes Verhalten.
Mein Blick schweift durch den Raum. Mädchen, so dünn, dass sie kaum noch menschlich aussehen. Männer, die in der Ecke weinen. Gehöre ich hier auch hin? Ich schlucke die Tränen: „Sie hat mir eine gescheuert und ich bin mit dem Kopf auf meinen Nachttisch geknallt. Das war es schon. Es war ein Unfall.“

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„Und hat sie dir danach einen Krankenwagen gerufen?“
„Nein.“
„Dann war es auch kein Unfall“, nach einer kurzen Stille: „Du schläfst bei uns. Zumindest heute erstmal. Bitte. Wenn morgen der Alltag wieder losgeht, könnt ihr euch ja mehr aus dem Weg gehen. Wenn sie mit bekommt, dass du feiern warst, schlägt sie dich doch kurz und klein.“
„Wenn ich abhaue auch.“
„Aber du kannst dich darauf vorbereiten. Und Abstand gewinnen. Heute kommst du nach Hause und bist ihr ausgeliefert.“ Sie sieht mich eindringlich, fast schon bedauernd an: „lass mich dich einmal beschützen, wie du es bei mir tust, nur ein einziges Mal.“

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Und als ich schweige: „keine Widerrede.“

*

Als ich meine Tasche aus dem Fenster schmeiße, poltert Lydia schon hinter mir ins Zimmer. Ich hatte gehofft, verschwunden zu sein, bevor sie wieder kommt. „Du spinnst ja wohl!“, schreit sie, stürmt auf mich zu und packt mich an meinem Rucksack. Ich versuche mich los zu reißen. „Du haust sicher nicht ab! Du schaffst es doch gar nicht allein da draußen!“ Als sie die Hand hebt, blockiere ich sie. „Ich muss von dir weg“, sage ich so ruhig als möglich, schubse sie von mir und hänge mich an den Efeu unserer Hauswand. Ich lasse mich fallen und verliere keine Zeit. Lydia ist mit Sicherheit schon auf der Treppe, um mir zu folgen. Als sie die Tür aufreißt, möchte ich ihr zurufen, dass es mir Leid tut, aber ich bringe es nicht über die Lippen. Mit meinem Rad radle ich so schnell als möglich zu Judy’s Haus. Es sieht verlassen aus, doch Marcs Auto ist da. Ich stelle mein Rad neben die Treppe und hechte rein, schließe die Tür hinter mir. Ich schmeiße meine Tasche auf den Boden. Am liebsten würde ich sie abschließen, weil ich mich so verfolgt fühle. Ich beginne zu weinen. Ich hätte nie gedacht, dass ich so erleichtert sein würde.

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Marc kommt die Treppe runter und sieht mich an. Ich muss unglaublich verängstigt, beinahe panisch aussehen. Genauso, wie ich mich fühle. Er tut nichts, als mich anzusehen. Ich kann ihm kaum in die Augen sehen. Als ich es doch tu, spüre ich eine Wärme, die meine Hoffnungslosigkeit zumindest kurzzeitig zu überschatten scheint. Er kommt auf mich zu und nimmt mich in die Arme. Er hält mich fest. Und ich weine einfach nur ungehalten in seine Schulter.

***
 
Das ist so ein typisches "Dazwischen"-Kapitel. Mir hat es gar nicht gefallen, muss ich ehrlich sagen. Aber es war in der Form einfach notwendig, der Handlung wegen.

Daher wird es das nächste, wenn alles klappt, auch schon Mitte der Woche geben.

EDIT 23.11.: Hat ja super funktioniert :D
 
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Folge 11 – Jung und dumm

Die Summe unseres Lebens, sind die Stunden, wo wir lieben.

© Wilhelm Busch


*

Es ist sicherlich nicht der schönste Beginn einer Wohngemeinschaft, wenn man den ersten Abend weinend in den Armen des Hausherren liegt. Aber woher auch immer dieser emotionale Ausbruch kommt, Marc weiß, wo er ihn holen muss. Er hält mich so fest, wie er kann. Nicht als total überlegener Typ, als gleichwertiger Freund. Wir sind plötzlich auf einer Ebene. Als ich mich beruhigt habe, können wir zumindest eine Limo trinken und reden.

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Darüber, wie sehr ich meine Schwester liebe und zugleich hasse. Wie oft sie mich schlägt und wie lang schon. Er bearbeitet mich, aber ich kann sie nicht anzeigen. Sie hat viel für mich geopfert. Und irgendwie glaube ich auch, dass ich es wohl verdient haben muss. „Auch wenn die Beweislage schwierig wird, so können wir das sicher irgendwie schaffen“, er legt seine Hand auf mein Knie und redet auf mich ein. Ich zucke zurück. Plötzlich möchte ich mich wieder an ihn anlehnen. Doch ich kann (und will) den Gedanken nicht zuordnen und verwerfe ihn wieder. Ein wohliges Kribbeln breitet sich in meiner Magengegend aus. „Ich fühle mich verpflichtet“, sage ich, weil ich den wahren Grund weder wahr haben, noch erklären möchte.

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Maria bekocht uns wie immer und ich schaffe es, für einige Stunden nicht zu weinen. Sie schweigt, wie sie auch immer über Judy’s Essstörung geschwiegen hat. Sie hilft auf ihre Weise. Mir tut das gut. Judy hat es geschadet.

Als wir ins Bett gehen, liege ich auch nachdem der letzte das Licht ausgemacht hat, noch ewig wach im Bett. Ich traue mich nicht zu analysieren, warum mir in Marc’s Nähe schlecht wird, oder ich vor seinen Berührungen zurück zucke. Ich kann niemals nicht verschossen in den älteren Bruder meiner besten Freundin sein. Er steht mitten im Leben, ist bald 30 und will sicherlich nichts von einem Gör, wie mir. Gegen ihn bin ich unreif und kindisch. Er kann erwachsene Frauen haben, die ihn heiraten, mit ihm eine Familie gründen und im Leben schon viel erreicht haben. Ich bin mitten in der Ausbildung, vollständig auf finanzielle Hilfe angewiesen und einfach nur ein kleines Mädchen. Die Stelle an meinem Knie kribbelt noch immer. Immer wieder rufe ich mir diesen Moment ins Gedächtnis. Offensichtlich bin ich ein Mädchen. Ich rolle die Augen ob mir selbst. Sicherlich ist mein Gefühlsleben völlig durcheinander. Ich bin 17. Er hat mich beschützt und dass ich jetzt väterliche Gefühle mit verknallt sein verwechsle wundert mich nicht. Ich tu die Gefühle ab und versuche meinen Kopf leer zu fegen. Doch ich muss an so vieles denken. Allem voran an Marc und Lydia. Zwei Personen in meinem Leben, die keine gegensätzlicheren Rollen einnehmen könnten.

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Wie gerne hätte ich meine Mutter jetzt hier…

Ich wälze mich noch Stunden in dem pinken Zimmer hin und her. Zumindest muss ich nicht mehr weinen. Ich stehe auf und öffne leise Judy’s Tür zum Flur hin. Ich schleiche mich die Treppe hinunter um niemanden zu wecken. Vielleicht kann ich endlich schlafen, wenn ich eine warme Milch trinke. Ein letzter verzweifelter Versuch. Ein paar Stufen knarzen. Ich schleiche mich an einem Stuhl vorbei. Bevor ich die Schritte höre, stößt etwas hart gegen mich, so heftig, dass ich den Halt verliere. „Au!“, rufe ich laut und falle auf den Boden. Jemand macht das Licht an und hilft mir hoch.

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„Sorry, ich habe nicht mit dir gerechnet“, sagt Marc und ich komme vor ihm zum Stehen, „alles okay?“. Ich nicke. „Kannst du auch nicht schlafen?“, frage ich. Er nickt. Das hat mir grade noch gefehlt. Ich bemerke das kleine Mädchen in mir, was hoffend jubelt, dass ich der Grund für seine Schlaflosigkeit bin. Ich gucke es böse in Grund und Boden. Für romantische Gefühle ist hier kein Platz – Ende! Doch mit einem Blick in seine Augen bin ich hellwach. Kopfschüttelnd will ich an ihm vorbei laufen und versuche so abwesend wie möglich zu wirken.
Zufällige Begegnung, zusammenstoßen, mitten in der Nacht. Teenager-Liebes-Filme nehmen so ihr glückliches Ende. Ich versuche das Hirngespinst zu verdrängen. Sein Atem benetzt meine Haut, so nahe komme ich ihm, als ich mich vorbeidrängen will, bis mein Körper mich bremst. Mein Herz schlägt unglaublich schnell. Das alles passiert innert einer Sekunde. Ich bemerke seinen Geruch, seine Kleidung. Er ist barfuß, das ist super, denn ich hasse Füße und ich versuche mich darauf zu konzentrieren. Ich möchte zurückweichen und auch Marc nimmt einen Schritt an mir vorbei. Muss das hier alles so eng sein?

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Unsere Blicke treffen sich keine volle Sekunde. Marc atmet keuchend aus, als würde sich Druck entladen, legt seinen Arm um meine Hüfte, zieht mich an sich und presst seine Lippen auf meine. Ich bin völlig überrumpelt. Ich kann mich nicht bewegen. Damit habe ich als allerletztes gerechnet. Zuerst, will ich mich wehren. Doch all die Endorphine in meinem Körper machen mich willenlos. Seine Lippen sind warm und weich. Er macht das sicher nicht zum ersten Mal. Tausend Gedanken sind in meinem Kopf. Ob man merkt, dass ich das noch keine hundert Mal gemacht habe? Ich schaffe es endlich, meine Augen zu schließen. Warum tut er das? War ich grade „da“? Der Mann ist fast 30 – was soll er schon von mir wollen? Doch ich wünsche mir so sehr, dass er nicht aufhört. Ich versuche einfach zu tun, was er tut. Ich habe überall Gänsehaut. Meine Kopfhaut prickelt und mir ist heiß, als hätte ich Fieber. Ein solches Gefühl hatte ich noch nie. Er geht einen Schritt auf mich zu. Der Bilderrahmen eines Fotos drückt sich in meinen Rücken. Seine Hand lehnt neben meinem Kopf an der Wand. In meinem ganzen Körper entsteht ein solcher Druck, dass ich schreien möchte.

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Als ich grade meine Arme um seinen Nacken legen will, lässt er mich los und weicht von mir, als hätte ihn der Blitz getroffen. „Es tut mir wirklich sehr leid!“, sagt er laut, „ich weiß nicht, was los ist, ehrlich. Ich- vergiss bitte einfach, was passiert ist.“ Er sieht mir nicht in die Augen, doch er wirkt bestürzt. Als wäre ihm etwas unglaublich schreckliches passiert. Bin ich so furchtbar? Er rennt die Treppe hoch und schließt die Tür hinter sich. Ich streiche mit meinen Fingern über meine Lippen.

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Und so schnell dieser Höhenflug gekommen ist, umso tiefer ist nun der Fall.

***

Anmerkung des Autors: Diese Szene wurde zusammen mit der Szene im Club als erstes fotografiert. Viele Interaktionen zwischen Marc und Lilly habe ich zu Beginn der Story schon geschrieben. Ich liebe diese Spannung, die zwischen ihnen ist. Es wirkt so elektrisierend. Ich liebe es, dass Lilly sofort dieses Bauchkribbeln hat, wenn sie ihn sieht, aber jedes Mal einfach so tut, als wäre ihr schlecht. Ich konnte es kaum erwarten, die Szene zu schreiben. Tatsächlich entstand sie schon vor dem Rest des Kapitels.
 

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