11. Kapitel
Am nächsten Tag wachte ich erst am Abend auf, doch es war noch hell draußen. Der Schlaf war nötig gewesen. Dafür fühlten sich meine Glieder schon leichter an und ich konnte mich gleich aufsetzen. Trotzdem fühlte ich mich noch mindestens zwanzig Jahre älter und sah höchstwahrscheinlich auch so aus.
Ich erschrak, als ein Mann vor meinem Bett stand und auf mich einredete.
"Niemand ist berechtigt, Krieg zu führen! Menschen und Tiere sind wertvoll. Und Pflanzen. Niemand darf Krieg anfangen!", sagte er und lächelte uns verwirrt an.
"Heleny, wer ist das?", fragte ich leise und starrte den alten Mann an.
"Das ist Herbert. Wir nennen ihn Herby.", sagte sie und lächelte.
"Wir?", fragte ich.
"Ja, alle hier auf der Station. Er kommt immer mal vorbei und erzählt was. Man kann sich toll mit ihm unterhalten."
"Über was denn? Frieden und... Tiere?", fragte ich und sah noch immer Herbert an.
"Ja, über solche Sachen eben. Er ist ein alter Hippie, war damals in San Francisco... Und lebt diese Zeit weiter."
"Hört ihr mir nicht zu?". fragte >Herby< plötzlich.
Ich sah ihn noch immer an.
"Was soll ich jetzt sagen?", fragte ich Heleny.
"Rede einfach.", sagte sie und sah ihn an, "Er ist ein normaler Mensch. Du darfst dich mit ihm unterhalten, glaub mir. Mit mir hast du doch auch ganz normal geredet."
"Ja, aber auch über normale Dinge!"
"Ach stimmt ja, Frieden ist ja nicht normal. Und Tiere ja auch nicht.", lachte sie verächtlich und ich sagte nichts mehr.
"Mr. Gump! Bitte gehen Sie zurück auf ihr Zimmer. Sie stören die anderen Patienten!", hörte ich plötzlich Dr. May sagen, die Herby anscheinend gesucht hatte.
"Hier stört er nicht!", sagte Heleny, aber Dr. May redete auf ihn ein.
"Wieso sollte ich mit Ihnen gehen?", fragte Herbert, "Auch, wenn ich alt bin, oder gerade deshalb, bin ich frei. Und ich darf entscheiden, wohin ich gehe, auch wenn ich hier für senil gehalten werde. Hier habt mir schon meine Klamotten weggenommen, nehmt mir nicht die Freiheit.", sagte er und sah sie an.
"Ach kommen Sie. Es gibt heute abend Hähnchen, da sollten Sie auf Ihrem Zimmer sein, sonst bekommen sie natürlich nichts.", versuchte Dr. May, ihn zu locken.
Er lächelte.
"Was haben Sie gesagt? Ich höre plötzlich so schlecht. Was wollen Sie von mir?", sagte er verträumt und sah zur Wand.
"Mr. Gump, darauf falle ich nicht herein! Kommen Sie doch mit.", sagte Dr. May.
Sie ging zur Tür, er ging mit, blieb aber kurz davor noch einmal stehen.
"Peace!", sagte er unsicher und folgte ihr dann.
Heleny lächelte mich an.
Ich versank plötzlich in einem Tagtraum. Was wäre, wenn ich einmal alt sein würde? Ich säße vielleicht in einer dunklen Wohnung, mit schweren Gardinen vor den Fenstern und einem Teppich, unter dem sich jahrzentelang Staub gesammelt hatte.
Vielleicht säße ich da, nichtstuend, Tag für Tag und blickte aus dem Fenster. Und an mir wäre die Welt vorübergezogen, ohne, dass ich etwas verändert hätte. Aber das wollte ich nicht. Ich musste irgendetwas tun, irgendetwas verändern...
Ich saß wieder auf meinem Bett und wurde aus meinen Träumen gerissen, als Dr. Hilget mich ansprach.
"Ms. Bryans, guten Morgen! Gut geschlafen nach dem nächtlichen Snack?"
Ich erschrak.
"O, entschuldigen Sie. Ich wollte nur nochmal überprüfen, ob alles stimmt, denn dann können wir Sie entlassen."
Ich erschrak nochmals.
Was? Ich sollte schon entlassen werden? Nach solch kurzer Zeit?
Ich stand auf.
Er sah mich lange an und bat mich, in alle möglichen Richtungen zu sehen, nicht zu blinzeln und dann leuchtete er mir erneut in die Augen.
"Es hat sich sehr gebessert. Ich würde sagen, Sie können gehen. Sehen Sie überhaupt noch verschwommen?", fragte er.
Ich sah ihn an und dachte darüber nach. Hatte ich Herby verschwommen gesehen? Oder Dr. May? Nein. Ich sah zum Fernseher. Ich sah den billigen Western schärfer, als ich wollte.
"Nein...", sagte ich nachdenklich.
Ich war glücklich darüber, wusste aber nicht, ob ich schon bereit war, wieder nach Hause zu kommen.
Die Maulwürfe würden mich jede Nacht wecken und ich würde irgendjemanden brauchen, der bei mir blieb.
Außerdem wollte ich gar nicht von Heleny weg. Sie war meine Freundin geworden und ich wollte mit ihr die Zeit durchstehen, die sie noch hierbleiben musste.
"Na dann können Sie gehen. Ich geh' nur schnell die Entlassungsunterlagen holen.
Da sind übrigens zwei Damen, die Sie gerne abholen würden.", sagte er und ging. Ich wusste, wer die zwei sein mussten und drehte mich um.
Latisha und Shady betraten den Raum und ich freute mich, sie zu sehen.
"Schätzchen!", rief Latisha.
Ich rannte zu ihnen und blieb stehen, als Latisha anfing, wie ein Wasserfall zu reden.
"Wir haben gehört was passiert ist und uns Sorgen gemacht. Wir wollten dich heute sowieso besuchen, aber jetzt können wir dich gleich abholen."
Ich ließ die Rederei über mich ergehen, obwohl ich genau wusste, dass ich Schuld war, hier gewesen sein zu müssen und nicht die Kammerjäger, wie Latisha mir versuchte, einzureden.
Schließlich umarmte sie mich. Shady unterhielt sich etwas mit Heleny.
Es war für diesen einen Moment alles heile Welt.
Schließlich stand Dr. Hilget noch einmal da und erklärte mir, er habe die Unterlassungspapiere ausgefüllt. Ich unterschrieb.
Latisha sah sich dann unseren Raum an.
Schließlich unterhielt ich mich noch mit Heleny und verabschiedete mich. "Komm' mich besuchen, wenn du wieder gesund bist, ja?", schlug ich ihr vor und sie sagte gleich zu.
Schließlich zog ich mich an und verließ das Zimmer.
Im Flur blieb ich noch einmal stehen und atmete durch, ließ die Tage durch meinen Kopf schweifen, die ich hier verbracht hatte. Es waren nicht einmal zwei gewesen und doch hatte ich so viele Menschen kennengelernt.
"Komm' schon, Mama wartet auf dem Parkplatz!", scheuchte mich Shady, als ich in die Eingangshalle kam.
Wir betraten den Parkplatz und der Wind wehte eine kühle Brise durch die Nacht. Es war eine sehr milde Nacht und unsere Schritte waren laut auf dem Beton zu hören.
Latisha stand da und wartete auf uns.
Der Transporter stand parkte gleich hinter ihr und sie sah uns an.
"Schön, dass du wieder da bist, Maya.", sagte sie.
Ich ging zu ihr.
"Sieh dir die sternklare Nacht an, Maya.", sagte sie und sah zum Himmel.
Der Mond leuchtete hell und warf Licht auf die Stadt. Ich war erfüllt von den Ereignissen der letzten Tage und froh, diese Nacht in meinem eigenen, unsterilen Bett verbringen zu dürfen.
Dann fuhren wir los.
Ich hoffe, das Kapitelchen gefällt euch.
Ich geh' dann jetzt mal auch ins Bett...
S.I.M.S.