Frée
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Ein kleines Vorwort:
Nachdem es nun soweit ist, dass ich diese Geschichte nicht nur einer Jury und meinen Mitstreitern präsentiere, sondern allen, die sie lesen wollen, habe ich mich dazu entschlossen, ein kleines Vorwort zu schreiben, das aber wahrscheinlich wieder mal nur die Hälfte von dem ausdrückt, was ich sagen möchte.
Die Geschichte triggert!
Bitte lest es Euch nur durch, wenn ihr Euch starkt genug dafür fühlt!
Mir ist bewusst, dass ich über kein einfaches Thema schreibe, und dass vielleicht manche anders an dieses Thema herangegangen wären, dass Wikipedia anderes über die Folgen von Kindesmissbrauch zu sagen weiß.
Leider ist diese Geschichte aber nur teilweise erfunden, wodurch sie größtenteils sehr persönlich geworden ist - und sich dadurch vielleicht von dem Bild unterscheidet, das man selbst im Kopf hat.
Ich bitte Euch, darauf Rücksicht zu nehmen.
Danke!
“Ich habe schon so viele Sätze geschrieben,
und doch jeden wieder durchgestrichen.”
Ich streiche auch diesen Satz durch.
Es gibt keinen Anfang.
Vielleicht beginnt meine Geschichte an dem Tag, als ich im Kindergarten auf dem Boden saß und ein Buch durchblätterte. Ich war fünf und konnte die Worte noch nicht lesen, aber ich sah die Bilder.
Auf der ersten Seite spielten zwei Mädchen in einem Sandkasten. Dann kam ein Mann mit einem jungen Kätzchen, das die Mädchen streicheln durften. Der Mann wirkte freundlich. Eines der Mädchen ging mit dem Mann nach hause.
Auf der ersten Seite spielten zwei Mädchen in einem Sandkasten. Dann kam ein Mann mit einem jungen Kätzchen, das die Mädchen streicheln durften. Der Mann wirkte freundlich. Eines der Mädchen ging mit dem Mann nach hause.
Sie hätte nicht mitgehen sollen.
Und genau das wollte mir das Buch sagen: “Geh nicht mit einem Fremden!”
Ich blätterte vor, blätterte zurück.
Die anderen Mädchen kämmten ihren Puppen die Haare.
“Geh nicht mit einem Fremden!”
Ich verstand das Buch, aber das Buch mich nicht.
Und genau das wollte mir das Buch sagen: “Geh nicht mit einem Fremden!”
Ich blätterte vor, blätterte zurück.
Die anderen Mädchen kämmten ihren Puppen die Haare.
“Geh nicht mit einem Fremden!”
Ich verstand das Buch, aber das Buch mich nicht.
Später holte mich mein Onkel vom Kindergarten ab und nahm mich bei der Hand.
Die Erzieherin lächelte und winkte zum Abschied.
Ich wusste, dass die Dinge, die wir taten, böse waren, und ich schämte mich dafür.
Wir durften nicht darüber sprechen. Mein Onkel war kein Fremder.
Die Erzieherin lächelte und winkte zum Abschied.
Ich wusste, dass die Dinge, die wir taten, böse waren, und ich schämte mich dafür.
Wir durften nicht darüber sprechen. Mein Onkel war kein Fremder.
Meine Mutter war allein erziehend und ihr Bruder half ihr, so oft er konnte. Ich verbrachte häufig die Nachmittage bei ihm in der Wohnung. Er hatte für mich extra ein Puppenhaus aus Holz gebastelt, mit dem ich sehr gerne spielte. Ich mochte ihn, und dennoch schlug ich jedes Mal, wenn meine Mutter mich bei ihm allein lassen wollte, schreiend mit Händen und Füßen um mich.
Ich war sechs, als meine Mutter verstand, dass das nicht nur kindliche Trennungsangst war.
Wir zogen um, und sie brach den Kontakt zu ihrer Familie ab. Meine Mutter hatte meinen Onkel einmal sehr gemocht und ihm vertraut. Sie brachte es nicht übers Herz, ihren Eltern davon zu erzählen oder gar dafür zu sorgen, dass mein Onkel seine gerechte Strafe erhielt.
Wir zogen um, und sie brach den Kontakt zu ihrer Familie ab. Meine Mutter hatte meinen Onkel einmal sehr gemocht und ihm vertraut. Sie brachte es nicht übers Herz, ihren Eltern davon zu erzählen oder gar dafür zu sorgen, dass mein Onkel seine gerechte Strafe erhielt.
Stattdessen bestrafte sie sich selbst, mietete uns eine kleine Wohnung in einer fremden Stadt und hoffte wohl, dass wir beide das alte Leben vergessen würden.
Zumindest als Kind war ich ein Meister des Verdrängens. Dinge, an die ich nicht gerne dachte, verschwanden irgendwo in meinem Unterbewusstsein, bis irgendetwas sie wieder zu Tage förderte.
Das geschah an einem Abend, als ich meine Mutter wie so oft davon überzeugen konnte, mit ihr “Tatort” anzuschauen.
Zumindest als Kind war ich ein Meister des Verdrängens. Dinge, an die ich nicht gerne dachte, verschwanden irgendwo in meinem Unterbewusstsein, bis irgendetwas sie wieder zu Tage förderte.
Das geschah an einem Abend, als ich meine Mutter wie so oft davon überzeugen konnte, mit ihr “Tatort” anzuschauen.
Ich war zwölf, und es war das erste Mal, dass ich eine Vergewaltigung im Fernsehen sah. In diesem Moment kroch ein unwahrscheinlicher Ekel in mir hoch, und ich sagte zu meiner Mutter, dass das wohl das Schlimmste sein muss, was einer Frau passieren kann. Sie nickte nur stumm.
Erst Tage später wurde mir bewusst, warum dieser Ekel mich nicht losließ.
Erst Tage später wurde mir bewusst, warum dieser Ekel mich nicht losließ.
Schon früh entdeckte ich meine Leidenschaft für das Schreiben. Es gab mir Halt, mir Geschichten von glücklichen Mädchen auszudenken, die verschiedene Abenteuer erlebten, aus denen sie immer als Heldinnen hervorgingen: Von allen bewundert und geliebt.
Erst mit der Zeit hatte ich die Kraft, Geschichten und Gedichte über die versteckten Ängste und Gefühle in mir zu schreiben. Ich sammelte sie in einer kleinen Kiste unter meinem Bett. Damals hatte ich Angst, meine Mutter könnte sie finden und sich Sorgen um mich machen.
Jetzt liegen sie um mich verstreut - Gedankenfetzen und Bruchstücke meiner selbst, die nur darauf warten, endlich sortiert zu werden.
Erst mit der Zeit hatte ich die Kraft, Geschichten und Gedichte über die versteckten Ängste und Gefühle in mir zu schreiben. Ich sammelte sie in einer kleinen Kiste unter meinem Bett. Damals hatte ich Angst, meine Mutter könnte sie finden und sich Sorgen um mich machen.
Jetzt liegen sie um mich verstreut - Gedankenfetzen und Bruchstücke meiner selbst, die nur darauf warten, endlich sortiert zu werden.
Als ich dreizehn war, konnte ich meine Mutter von einem Hund überzeugen, und Ares zog bei uns ein. Er war ein Rottweiler-Mischling, fast etwas zu groß für unsere Wohnung, aber es war Liebe auf den ersten Blick. Ich wusste, dass ich in Ares’ Gegenwart nie wieder Angst zu haben brauchte.
Oft wachte ich nachts auf und sah das verzerrte Gesicht meines Onkels vor mir, aber solange ich Ares neben meinem Bett vorfand, wusste ich, dass mir nichts passieren konnte.
Mit 14 schrieb ich einen Brief an eine Jugendzeitschrift. Es gab dort eine Frau, die Kindern mit ihren Problemen half. Ich mochte diese Frau. Inge. Auf den Bildern lächelte sie immer so nett und die Art, wie sie den Kindern antwortete, faszinierte mich.
Ich hoffte auf Antwort. Auf eine Lösung. Auf einen langen Antwortbrief mit lieben Worten, der mir sagte, dass ich nicht Schuld an mir selbst war.
Mit 14 schrieb ich einen Brief an eine Jugendzeitschrift. Es gab dort eine Frau, die Kindern mit ihren Problemen half. Ich mochte diese Frau. Inge. Auf den Bildern lächelte sie immer so nett und die Art, wie sie den Kindern antwortete, faszinierte mich.
Ich hoffte auf Antwort. Auf eine Lösung. Auf einen langen Antwortbrief mit lieben Worten, der mir sagte, dass ich nicht Schuld an mir selbst war.
Doch ich erhielt nur eine vorgedruckte Postkarte. Neben die belanglosen Worte hatte sie mit Kugelschreiber in kleinen, unsicheren Buchstaben geschrieben: “Liebe Lara, Deine Worte haben mich sehr bewegt! Du solltest Dir professionelle Hilfe suchen! Alles Liebe, Deine Inge!”
Ich habe diese Zeitschrift nie wieder in die Hand genommen.
Nie habe ich meine Mutter gefragt, warum ich keine Therapie gemacht habe, und ich möchte ihr deswegen auch keine Vorwürfe machen, denn die macht sie sich selbst wohl am meisten.
Wir haben eigentlich nie wirklich über die Dinge gesprochen, die damals passiert sind. So wie meine Mutter ihre Eltern nicht belasten wollte, so wollte ich meiner Mutter nicht wehtun. Vielleicht hätte es mir gut getan, vielleicht hätte es auch ihr geholfen, aber manche Dinge bleiben lieber unausgesprochen.
Und ich steckte weiterhin kleine, mit krakeliger Schrift beschriebene Zettel in die Kiste unter meinem Bett.
Ich habe diese Zeitschrift nie wieder in die Hand genommen.
Nie habe ich meine Mutter gefragt, warum ich keine Therapie gemacht habe, und ich möchte ihr deswegen auch keine Vorwürfe machen, denn die macht sie sich selbst wohl am meisten.
Wir haben eigentlich nie wirklich über die Dinge gesprochen, die damals passiert sind. So wie meine Mutter ihre Eltern nicht belasten wollte, so wollte ich meiner Mutter nicht wehtun. Vielleicht hätte es mir gut getan, vielleicht hätte es auch ihr geholfen, aber manche Dinge bleiben lieber unausgesprochen.
Und ich steckte weiterhin kleine, mit krakeliger Schrift beschriebene Zettel in die Kiste unter meinem Bett.
Mit fünfzehn steckte ich - vielleicht etwas verspätet - mitten in der Pubertät. Wenn Freundinnen von mir über Jungs redeten, versuchte ich, mir nichts anmerken zu lassen. Ich wollte stark sein, wollte auch einen Freund haben, wollte auch irgendeinen Musiker anhimmeln, mir die Beine rasieren und die Augenbrauen zupfen.
Plötzlich war ich so uneins mit mir selbst. Ein Teil in mir wollte neue Dinge erleben, abends weggehen... aber der andere Teil war stärker, und ich blieb mit frisch rasierten Beinen zu hause.
Plötzlich war ich so uneins mit mir selbst. Ein Teil in mir wollte neue Dinge erleben, abends weggehen... aber der andere Teil war stärker, und ich blieb mit frisch rasierten Beinen zu hause.
Eine Zeit lang hatte ich eine enge Freundschaft zu einem Mädchen aus der Parallelklasse. Auch Mareike hatte einen Hund. Wir besuchten zusammen die Hundeschule und trafen uns nachmittags oft, um miteinander spazieren zu gehen.
Mareike war ein wunderschönes, selbstbewusstes Mädchen, und sie war die erste, mit der ich die kleine Kiste unter meinem Bett teilen konnte. Sie gab mir das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Aber je älter wir wurden, je mehr Männer ihr auf Spaziergängen hinterher pfiffen, und je mehr Partys sie besuchte, zu denen ich nicht eingeladen wurde, desto mehr entfernten wir uns voneinander.
Mareike war ein wunderschönes, selbstbewusstes Mädchen, und sie war die erste, mit der ich die kleine Kiste unter meinem Bett teilen konnte. Sie gab mir das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Aber je älter wir wurden, je mehr Männer ihr auf Spaziergängen hinterher pfiffen, und je mehr Partys sie besuchte, zu denen ich nicht eingeladen wurde, desto mehr entfernten wir uns voneinander.
Unsere Freundschaft zerbrach an einem dummen Streit, doch hatte das alles ungeahnte Folgen, denn plötzlich spürte ich, dass meine Mitschüler mich anders ansahen.
Für sie war es einfacher, mich zu schneiden, mich “komisch” zu finden, als sich mit mir auseinanderzusetzen.
Für sie war es einfacher, mich zu schneiden, mich “komisch” zu finden, als sich mit mir auseinanderzusetzen.
Wenn ich heute über die Dinge, die geschehen sind rede, betone ich gerne, dass meine Kindheit normal war. Und das war sie auch. Ich kenne sie nicht anders.
Ich war ein normales, junges Mädchen ... Nur die Ängste, die ich hatte, konnte ich mit niemandem teilen.
Ich war ein normales, junges Mädchen ... Nur die Ängste, die ich hatte, konnte ich mit niemandem teilen.
Liebesszenen im Fernsehen.
Ein Finger, der sanft eine nackte Schulter berührt.
Ein Kuss.
“Deine Mutter wäre froh, wenn sie jemanden hätte, der solche Dinge mit ihr täte!”
Es trieb mir Tränen in die Augen, meine Hände ballten sich zu Fäusten und mein Körper erstarrte.
Ich hasste mich selbst dafür.
Meine Angst vor der Liebe und vor körperlicher Nähe prägte meine Jugend.
Bis zu dem Tag, an dem sich alles ändern sollte, an dem die eigentliche Geschichte begann:
Der Tag, an dem ich Sebastian kennenlernte.
Ein Finger, der sanft eine nackte Schulter berührt.
Ein Kuss.
“Deine Mutter wäre froh, wenn sie jemanden hätte, der solche Dinge mit ihr täte!”
Es trieb mir Tränen in die Augen, meine Hände ballten sich zu Fäusten und mein Körper erstarrte.
Ich hasste mich selbst dafür.
Meine Angst vor der Liebe und vor körperlicher Nähe prägte meine Jugend.
Bis zu dem Tag, an dem sich alles ändern sollte, an dem die eigentliche Geschichte begann:
Der Tag, an dem ich Sebastian kennenlernte.
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