26. Kapitel
Das heiße Wasser rann meine Beine hinunter. Es verdampfte udn ich atmete den warmen Dunst ein.
Er fuhr durch meine Atmenwege, es schien gerade so, als wehte der warme Wind auch durch mein Gehirn.
Ich konnte wieder klar denken.
Aber trotzdem zog nur ein Wort an meinem inneren Auge vorbei. Sophia - Sophia - Sophia....
Ich seufzte und wusch mir das Gesicht mit dem warmen Wasser.
Wieso jetzt? Wieso jetzt, wo ich gerade mein Leben anfing, hier, ohne sie?
Wieso gerade jetzt, wo ich doch schon genug Probleme hatte?
Sie wusste nicht. Ich hätte nicht antworten sollen, ich hätte es einfach lassen sollen. Jetzt dachte sie womöglich, ich wollte wieder Kontakt aufnehmen.
Ich drehte den Hahn zu und stieg vorsichtig aus der Dusche.
Ich war zur Zeit der Mittelpunkt der Geschehnisse.
Und das hasste ich. Es war der schrecklichste Zustand, den ich jemals erfahren hatte. Damals, als meine Eltern kurz nacheinander gestorben waren, hatte ich auch im Mittelpunkt gestanden. Großeltern, Tanten, Onkel, alle hatten sich um das Sorgerecht für mich gestritten. Und ich war kaputtgegangen.
Erst, als Sophia mich aufgenommen hatte, war ich wieder aufgeblüht - oder hatte zumindest Knospen bekommen.
Jedenfalls hatte ich mir damals geschworen, nie wieder in den Mittelpunkt zu rücken. Und was geschah hier gerade? Ich hasste es!
Ich sah besorgt in den Spiegel.
Nach dem Duschen fand ich mich hübsch.. Ich lächelte kurz, dann verfinsterte sich meine Miene wieder.
Ich musste etwas Sauberes anziehen.
Wenig später schloss ich den Kleiderschrank. Ich hatte mir ein paar Klamotten von Shady genommen. Es war unmöglich, in ihrem Schrank etwas zu finden, das nicht pink oder schwarz war. Oder rot.
Ein lautes Knurren meines Magens verhinderte weitere Gedankengänge, also beschloss ich, etwas zu essen.
Ich kam jedoch nicht weit.
Heleny stand vor mir, als ich die Küche betrat.
"Geht's dir besser?", fragte sie.
Ich hatte ihr alles erzählt, von mir, meiner Tante und meinen Eltern. Sie wusste bescheid.
"Naja.", erwiderte ich und zwang mich, einmal kurz zu lächeln.
"Ich.. wollte dich im Namen von mir und Ian, meinem Freund, ganz herzlich einladen... Er hat vorgeschlagen, dass du uns mal besuchst. Ich hab ihm erzählt, du wärst eine tolle Freundin."
Ich lächelte.
"Das ist so nett, Heleny, wirklich. Ich würde gerne mal vorbeikommen!"
Plötzlich meldete sich mein Magen wieder.
"Du, Heleny, ich wollte.. was essen, könnte ich.."
"Na klar! Tut mir Leid, natürlich.", sagte sie sofort ganz aufgeregt.
Ich grinste und freute mich unglaublich auf eine große Schale Müsli.
Gerade wollte ich mich in Bewegung setzen, da stieß Heleny einen merkwürdigen Laut aus. Es war ein schmerzerfülltes, stockendes Hecheln.
Heleny versuchte, zu grinsen.
"Die Chemo... ist wohl doch.. noch zu spüren.", sagte sie leise.
Das alarmierte mich. Irgendetwas war doch mit ihr, ich spürte es.
"Heleny? Hast du Schmerzen? Heleny?", fragte ich besorgt und sah geschockt, wie Heleny sich krümmte.
Sie hustete, ihr Körper bebte.
"Shady!", rief ich.
Heleny zitterte am ganzen Körper.
Was passierte hier?
Heleny beugte sich hoch, verängstigt sah sie mich an.
Ich stand unter Schock, wusste nicht, was zu tun war.
"Maya, bitte... bring mich... ins Kra.. Kraa.."
"Ins.. ins Krankenhaus, kein Problem, kein Problem.. Ich.. schaff' das, wir.. ich brauche Shady!"
Nun zitterte auch ich.
Was war zu tun? Ich musste einen Krankenwagen rufen.
Mir bleib fast das Herz stehen. Sekunden fühlten sich an wie Stunden.
Doch ich hatte Angst. Und ich konnte förmlich spüren, wie die Adrenalinwelle durch meinen Körper schoss.
Laut, so laut wie nie zuvor, schrie ich Shadys Namen. Immer wieder, immer wieder.
Bis die Küchentür aufknallte und Shady vor uns stand.
9:38. Seit 40 Minuten wartete ich. Warteten wir.
Ich konnte nicht still sitzen. Ständig wackelten meine Füße, tippten meine Finger oder schaukelte mein Kopf. Unruhe herrschte hier.
Und der Geruch war ekelhaft.
Ich lächelte beunruhigt, wippte mit den Füßen, sah mich um.
Wartezimmer waren ekelhaft. Weiß, kahl, tot.
Uns gegenüber saß eine Mutter mit ihrem Sohn.
Sie sah ihn lange an, er warf ständig die Haare zurück.
"Ich gehe heute noch mit dir zum Friseur!", sagte sie laut.
Er sah sie nicht an, kaute auf irgendetwas herum und grinste.
Aus den Augenwinkeln beobachtete ich den Mann neben mir. Er rutschte unruhig auf dem Stuhl hin und her.
"Man hat mir Blut abgenommen.", sagte er ganz leise.
Jetzt sah ich ihn direkt an.
"Aber ich muss da bleiben. Weil sie noch irgendwas machen wollen.", erklärte er weiter.
Ich wusste nicht, ob er mit mir sprach, ich lächelte nur kurz.
Es war 9:45. Ich konnte kaum noch warten, es war unglaublich schwer, dazusitzen und nicht zu wissen, wie es Heleny ging.
Und Ian hatten wir nicht benachrichtigen können. Ihren Freund, die wahrscheinlich wichtigste Person in Helenys Leben...
Er wusste nichts davon, wir hatten keine Telefonnummer, keine Adresse und keine Zeit gehabt, ihn zu benachrichtigen.
Also hoffte ich, dass es etwas Harmloses war, was Heleny in die Knie gezwungen hatte.
"Maya, können wir die Zeit vorspulen? Bitte, bitte. Ich halt's nicht mehr lange aus, ich lauf hier gleich Amok!", flüsterte Shady plötzlich scharf.
"Geht mir auch so, aber sag das nicht zu laut, ich will keinen Ärger.", erwiderte ich.
Alle Menschen in diesem Wartezimmer starrten mittlerweile sehnsüchtig zu der Tür, die sich möglichst bald öffnen sollte.
Ich seufzte und kniff mir in die Oberschenkel.
Es war um 10:00. Es war um 10:00!
Jetzt musste doch langsam mal etwas passieren, wie saßen schon über eine Stunde in diesem nach Desinfektionmittel stinkenden, kunstlichbeleuchteten Loch fest.
Dann endlich öffnete sich die Tür und eine Schwester trat in den Raum.
"Frau Kleefeld? Sie sind die Nächsten.", sagte sie und sah die Mutter und ihren Sohn an.
Was? Und wir? Was wurde aus uns?
Mutter und Sohn standen auf und gingen zur Tür. Shady aber reichte es genauso wie mir.
Sie räusperte sich lautstark.
Die Schwester lächelte uns nur an.
Hoffnungsvoll sah ich die Schwester an.
Dann endlich bewegte sie sich auf uns zu.
Mein Lächeln verschwand.
O Gott, gleich verkündete sie uns, wie es um Heleny stand.
Mein Herz blieb fast stehen.
"Sie sind...?", fragte die Schwester.
"Maya und Shady. Wirsind hier mit Heleny Green.", sagte Shady sofort. Ich schluckte.
"Genau. Also.. Heleny geht es soweit gut. Das, was sie hatte, waren Krämpfe, hervorgerufen durch die Chemotherapie. Und ihr Blutbild ist auch nicht ganz okay. Aber das lässt sich regeln.", erklärte sie freundlich.
Ein Felsbrocken fiel mir vom Herzen.
"Miss Green scheint mir wirklich eine Kämpferin zu sein!"
Die Schwester ging in Kampfposition.
Ich lächelte verlegen, Shady sah verwirrt zu Boden.
Ich konnte mir ein Lachen kaum verkneifen.
"Nun ja, äähm... Sie kann heute jedenfalls wieder nach Hause. Wir rufen Sei dann auf!", erklärte die Schwester und wandte sich wieder dem Behandlungsraum zu.
Shady und ich blieben zurück. Wir saßen da, erleichtert.
Ich war wirklich glücklich.
Plötzlich ließ mich ein merkwürdiges Geräusch auffahren - dieses verdammte Magenknurren!
Ich hoffe, ihr musstet nicht zuuu lange warten, es tut mir sehr leid.
S.I.M.S.