Aufgabe 1.2: Das Duplo unter den Duschen
Also, Leute, mal ehrlich, ich hab wirklich ne ganze Menge Phantasie, ihr habt ja gar keine Ahnung,
wie viel davon. Schon als ich noch in den Windeln war, hab ich mit Papa aus den aberwitzigsten
Zutaten die tollsten Kreationen gezaubert (nicht aus meinen Windeln natürlich).
Aber das hier, das hab ich mir echt nicht so vorgestellt.
Ja, ihr seht schon richtig. Das ist schon wieder nicht Papas Rührei, das mir auf der Zunge zergeht.
Genau genommen ist es der siebenundsechzigste Tag ohne Papas Morgenrührei. Und Phantasie ist so
gar nicht nützlich, wenn man sich damit ausmalt, aus welchen Gründen jemand einen vollen Teller
Hamburger im Park liegen lässt. Da kann einem schon mal die Lust vergehen, sich was anderes
vorzustellen. Vor allem heute.
Aber ich greife mal wieder vor, sorry. Ich muss mich erst noch dran gewöhnen, dass ihr auch noch da
seid und an meiner Misere teilhaben wollt. (Warum, will ich lieber gar nicht wissen, also behaltet es
gefälligst für euch.)
Also anfangs, da hab ich echt noch alles getan, um nicht wie ne Obdachlose auszusehen, sondern wie
ne ganz normale Parkbesucherin.
Hab höllisch aufgepasst, dass ich mich erst abends und ganz versteckt schlafen lege und das hat zu
Beginn auch super geklappt. Ist fast wie bei diesen Wimmelbildern. Ohne den Plumbbob hättet ihr
mich doch gar nicht gefunden, stimmt´s?
Ach, was soll´s, jetzt schummelt ihr doch eh. Aber blöderweise hab ich noch nicht herausgefunden,
wie man das olle Ding ausschaltet.
Wenn ich zum Duschen ins Fitness bin, hab ich mir vorher immer Sportsachen angezogen und es mir
sogar verkniffen, die heißen Typen anzusprechen, damit die nicht vielleicht doch merken, dass ich
nicht nur nach Trainingsschweiß müffle.
Sehen kann man das ja nicht. Ehrlich nicht! Diese grünen Wölkchen kommen nur daher, dass ich so
schnell durchs Bild gelaufen bin mit diesem Sport-BH.
Man sagt ja immer, in den Duschen im Fitnessstudio könne man sich sonst was holen, Fußpilz und
Ischias und was weiß ich noch alles - vermutlich jede Menge Krankheiten mit wohlklingenden
medizinischen Namen, die ich in ein paar Semestern im Schlaf herunterbeten werde können (es lebe
der Optimismus!) - aber wenn man kein Haus hat, ist eine Dusche im Fitnessstudio der tollste Luxus
der Welt.
Ist fast wie mit der Duplo-Werbung. Für die einen ist es, ... - na, ihr wisst schon.
(Trotzdem befürchte ich, dass dieses braune Zeug im Abfluss kein geschmolzenes Duplo ist.)
Jedenfalls hab ich, als ich wieder sauber war, ganz nebenher dieser einen Spieleentwicklerin, Azure
heißt die, glaub ich, oder war das ´ne Farbe? Egal, ich hab also dieser Entwicklerin gesteckt, dass da
irgendwas faul ist mit der Kuhpflanze, auch wenn ich immer noch keine Ahnung hab, was. Und dass
die die nicht finden werden und das mit den Livestreams lieber lassen sollen um sich nicht völlig
bloßzustellen.
Und damit ich endlich einen Platz zum Schlafen hab, aber das ist mir natürlich nicht rausgerutscht.
Höchstens ganz leise.
Die haben sich nämlich immer noch in der Pension verbarrikadiert und streamen - wobei, der
Eierkopf tanzt eigentlich nur die ganze Zeit und irgendeiner von den Typen hat offenbar die
Kuhpflanzenbeere im Höschen der Pensionswirtin gesucht. Anscheinend hockt der Vollpfosten den
ganzen Tag nur vor dem PC, sonst wüsste der, dass man die Kuhpflanzenbeere zwar angeln kann,
aber nicht aus knappen Höschen spindeldürrer Kindfrauen.
Wie dem auch sei, die Azurblaue natürlich nur: "Ist ja lieb von Ihnen, aber wir sind schon sooo nah
dran, noch zwei oder drei Wochen Livestream und dann haben wir sie."
Ich nur: "Oh mein Gott, noch zwei oder drei Wochen und ich bin am Ende." Natürlich nur im Stillen
zu mir, nicht zu ihr.
Und dann les ich nur vom Gesicht ihrer Kollegin, die grad die Treppe runterkommt, ab, für wie
realistisch die zwei oder drei Wochen hält und - oh Gott. Wenn ich nicht so ein Ausbund an
Optimismus wäre, würd ich jetzt nicht mehr lächeln..
Aber ich bin tapfer, ich spiel sogar mit diesem gequälten Faltengesicht (irgendwie kommt der mir
bekannt vor) Schach, um den Anschein einer normalen treusorgenden ortsansässigen Bürgerin
zu erwecken - obwohl der echt selbst schuld ist, wenn der sich von ´ner Figur den Arm aufspießen lässt.
Gut, vielleicht hab ich ihn auch mal ganz kurz beschummelt zwischendrin. Aber wenn einer so
verschlafen aus der Wäsche guckt, den muss man doch beschummeln.
Aber egal, das ist ja nicht der Punkt. Dieser harmlose Tag jedenfalls, da fing alles an. Da war ich das
erste Mal so müde, dass ich meine ehernen Grundsätze gebrochen hab und einfach mitten am Tag
weggenickt bin.
Und dann hatte ich auch noch diesen gruseligen Traum von ´nem Townie mit drei Farben
Haartracht im Gesicht (wer weiß, wo der sonst noch alles gefärbt ist).
Aber als ich dann aufwache, ist der Regenbogentownie nicht mehr da, sondern nur so´n oller Gärtner,
der mich fragt, ob er noch mal meine Brüste anfassen darf. Wie jetzt
noch mal?
Ich also wie von der Tarantel gestochen nach draußen gestürmt - traut man mir bei dem Blick gar
nicht zu, war aber so - und wen seh ich da?
Ja, gut, den heißen Typen aus´m Fitness, aber den mein ich gar nicht mal. Ne, ich mein das lange
Arschloch im Hintergrund. Und jetzt sagt bloß nicht, ihr seht den nicht, ihr habt den doch auf den
Bildern aus dem letzten Teil auch schon im Hintergrund laufen sehen und euch wahrscheinlich Schrott
gelacht, dass ich so blind bin. Ja, genau, den Notar mein ich.
Die Gelegenheit für mich, zwei
Fliegen mit einer Klappen zu schlagen.
"He, Sie da!", spreche ich den Muskelprotz an. "Sie sind doch ´nen starker, attraktiver Mann und
helfen bestimmt ständig hübschen Frauen in Nöten."
Okay, er guckt erst mal nur wie´n Auto, vermutlich hat er auch nicht ausgeschlafen. Oder die Synapsen
müssen sich erst mal ihren Weg zwischen den ganzen Muskeln durchbahnen. Können Synapsen
das? Hey, ich kann nichts dafür, dass ich das immer noch nicht weiß. Wenn´s nach mit ginge, wär´
ich schon längst Ärztin.
Zurück zu dem Kerl. Ich fahre schwere Geschütze auf und geh erst mal ein Stückchen näher, damit
er mich besser bewundern kann.
"Sehen Sie, dieser Kerl dahinten, der hat mich ganz übel über´s Ohr gehauen, zusammen mit so ´ner
alten Schrappnelle, und mich um mein Geld geprellt. Also, weil ich mir doch dieses Haus kaufen wollte,
und von dem, was ich gekauft hab war nur ein ..."
Naja, ihr kennt die ganze Geschichte ja schon. Der Kerl guckt nicht ganz so, wie ich mir das erhofft
hatte, offensichtlich sind die Synapsen immer noch unterwegs, da muss ich wohl deutlicher werden.
"Naja, und normalerweise würd ich den mit links selbst fertig machen, das wissen Sie ja, wir
kennen uns ja aus dem Fitness, aber grade heute bin ich blöderweise total müde und da
dachte ich, dass Sie ..."
"Sie meinen den ollen Vernon und die Gladys? Sorry, aber wenn sie auf die reinfallen, kann ich Ihnen
auch nicht helfen, die ziehen die Nummer hier doch schon seit Jahren ab."
Pah, der hat doch bloß Muskelkater - oder die Hosen voll!
Aber gut, selbst ist die Frau, geh ich also allein.
"Hallöchen, schönen guten Tag zusammen." Höflichkeit ist eine Tugend. Also wende ich mich
zuerst an die Dame: "Also, wenn ich Ihnen mal einen Rat geben darf und sie neben der Wahl ihres
Outfits heute nicht noch einen zweiten Fehler machen wollen, dann lassen Sie die Finger von diesem
Geschäft. Der Vernon hier zieht sie eiskalt über den Tisch, das hat er bei mir auch schon versucht.
Ein leeres Grundstück hat der mir verkauft - nicht mal ein Grashalm drauf, das sag ich ihnen!"
Ja, da guckt er blöd aus der Wäsche, ganz blass wird er, als alle hören, was er für ein fieser Sack
ist. "Und mein Freund da hinten joggt grade los und holt seine Kumpels und dann wird es Ihnen
erst richtig leid tun, Mr. Morse!", setze ich noch einen drauf.
Und so viel dazu, dass das hier schon alle wissen, das sieht bei der Blonden da rechts aber ganz
und gar nicht so aus.
Während ich mir noch vorstelle, wie sich seine Beinkleider langsam von oben her dunkel färben, setzt
der Herr Notar seinen Dackelblick auf.
"Ich versichere Ihnen, das war ein Versehen, ich habe Ihnen auch schon Post geschickt deswegen,
haben Sie die nicht bekommen, Miss Becker?"
"Turner. Rebecca Turner," korrigiere ich ihn. Ob seine Wangen so eingefallen sind, als das Gedächtnis
rausgefallen ist? Wobei, das sitzt ja ganz woanders, das weiß ich sogar ohne Studium.
"Ah, da sehen Sie es, alles ein Versehen. Ich habe den Brief an eine Miss Tina Becker zustellen lassen."
"Mmh ..."
"Ich verspreche Ihnen, Sie bekommen ein Haus, ein möbliertes sogar. Das, was sie sich angesehen
haben, ist leider inzwischen schon weg, aber ich habe da noch ein wunderbares Kleinod von meiner Gladys,
das setze ich für sie auf, traumhafte Lage und direkt in einem der feinsten Viertel von Oasis Springs. Sie
hat selbst bis vor kurzem da gewohnt."
"Mmh ... Na gut, dann setzen Sie mal auf. Aber wenn auch nur ein Wort von dem, was Sie sagen,
nicht wahr ist ..."
"Keine Sorge, sie bekommen das alles, was ich Ihnen eben versprochen habe, als schriftliche
Zusicherung: Haus, möbliert, traumhafte Lage, in einem der feinsten Viertel von Oasis Springs,
Vorbesitzerin Gladys Morse - in sechs Wochen." Er kritzelt alles auf die Rückseite seiner Visitenkarte
und reicht sie mir.
Oh Mist, da hinten ist Tante Gina, hoffentlich hat die mich eben nicht gehört. Hat sie zum Glück nicht,
denn sie googelt für einen von diesen Townies, die hier ständig mit immer denselben Playdoh-
Kinderknet-Tollen in den schönsten Regenbogenfarben auftauchen, wo der nächste Friseur ist. Da
wird sie noch ein Weilchen beschäftigt sein, es gibt hier nämlich keinen. Also alles easy.
Nun ja, nicht ganz, denn da kommt jetzt auch noch Gladys Krötennudel. Mit der würd ich ja
gerne auch noch ein Hühnchen rupfen, aber irgendwie hat mir der Notar da grade den Wind aus
den Segeln genommen. Also schlucke ich die bösen Worte runter und mache mich aus dem Staub,
bevor Tante Gina mich doch noch entdeckt. Währenddessen prahlt Vernon der Modeverirrten mit
stolzgeschwellter Brust vor, dass er noch jeden Interessenten glücklich gemacht hat. Hat der
etwa auch noch ein Bordell?
Das erfahr ich nicht mehr, denn ehe ich ihm weiter zuhören kann, fesselt jemand anderes
meine ganze Aufmerksamkeit.
***