# 3 | Audienz bei Ravanne
Ich stand stumm da und hörte zu. Zu lauschen war wirklich nicht meine Art, aber da sie über mich sprachen, hielt ich meine Reaktion für angemessen und gerechtfertigt. "Sie hat schon wieder nach dem Raum gefragt?" "Ja, hat sie. Ich fühle mich so mies, vielleicht sollten wir einfach..." Jessika schniefte. Ich konnte die Stimmen nur schwer auseinander halten, sie flüsterten. "Nein Jessy, das kommt gar nicht in Frage! Niemals." Eine Pause. Jessikas Stimme war nun leise und fast unhörbar. "Und was ist, wenn es wieder passiert?" "Das weiss ich auch nicht, uns wird schon was einfallen."
Statt die Küche zu betreten und mich bemerkbar zu machen, drehte ich mich um. Ich verliess die Wohnung um die Post zu holen, oder besser gesagt war das die Ausrede die ich Jessika und Flo auftischen würde, falls sie mich fragten wohin ich gegangen sei. In Wirklichkeit aber wollte ich nur einen ruhigen Ort finden um nachzudenken. Dieser Raum " er ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Die Leere, das Gefühl in einem fremden Universum gelandet zu sein und die Erinnerung daran, wie ich gestern geglaubt hatte, einen Menschen hinter mir zu sehen. Doch bevor ich das Gebäude verlassen konnte wurde ich aufgehalten.
Auf dem Gang standen einige Koffer, Körbe und Taschen, die Habseligkeiten eines Menschen, den ich bald schon kennen lernen würde. Denn gerade trat sie aus ihrer Wohnung, drehte sich um und wollte abschliessen – als ich mich räusperte erschrak sie. „Entschuldigung, ich habe Sie gar nicht gehört...“ Meinte sie mit gesenktem Blick, doch bevor sie nach ihren Koffern greifen konnte, fragte ich sie, ob sie auszog. „Ja, ich... Ich halte das da oben nicht mehr aus, wirklich nicht. Es ist einfach zu viel.“ „Das da oben, was meinen sie denn damit?“ „Diese Wohngemeinschaft... Ich halte das einfach nicht mehr aus, es tut mir Leid, aber ich muss jetzt gehen...“ Ich wollte nach haken, aber schon wieder wurde ich unterbrochen, diesmal von einer Stimme direkt hinter mir. „Sie ist einfach zu ängstlich, ein kleines ängstliches Mäuschen das arme Ding...“ Der Blick der blonden Frau widerspiegelte Entsetzen – und Wut.
Ich drehte mich um und blickte der Person die gesprochen hatte ins Gesicht. Lange, schwarze Haare und ein etwas arroganter Gesichtsausdruck, und sie machte der jüngeren ganz offensichtlich Angst. „Mein Name ist Ravanne.... Unser armes kleines Mäuschen da...“ Sie machte eine Pause und lächelte hämisch. „...heisst Ashley und wohnt erst seit zwei Monaten hier. Komm doch zu mir, ich kann dir einiges über dich erzählen, ich bin Wahrsagerin, weisst du? Na los, ich mach uns einen Tee.“ Ich sah Ashley noch einmal ins Gesicht, ihre Augen schienen zu flehen: Geh nicht, geh nicht! Doch Ravanne hatte mich irgendwie in ihren Bann gezogen, und so konnte ich eine Audienz bei ihr nicht abschlagen.
Die Wohnung roch nach Räucherstäbchen, sie hatte etwas düsteres an sich. Die Luft schien erfüllt von seltsamen Gerüchen und ich hatte das Gefühl, von jemandem beobachtet zu werden. „Setz dich hin.“ Meinte Ravanne mit den Rabenschwarzen Haaren und holte einen Krug mit süsslichem Tee. Auf dem Tisch stand eine Kristallkugel. Sie war klar, und durchsichtig. Ravanne setzte sich vor mich hin. „So, dann lass uns mal sehen.“ Sie holte tief Luft. Plötzlich verdunkelte sich die Kristallkugel, verdichtete sich zu grauen Wolken und sie sprach: „Die Geister deiner Vergangenheit holen dich ein, man hat dich besucht, gestern Nacht. Und ich sehe noch etwas... Du wirst fürchterliche Qualen erleben und... oh nein, der Tod!“