Das kann man aber auch umgekehrt stehen, dass es unhöflich ist sich komplett von der Umwelt abzuschotten mit Handy und Kopfhörern
. Der Mensch ist an sich von der Evolution her betrachtet ein soziales Wesen, nur in der Gruppe konnten wir überleben und uns weiterentwickeln, wenn man allein bedenkt wie lang der Mensch braucht bis er allein und selbstständig leben kann, am längsten von allen Säugetieren. Dies gelingt nur durch ein soziales Zusammenleben.
Damit hast du natürlich recht. Allgemein gesehen ist die
Spezies Mensch ein sehr soziales Tier. Dennoch gibt es innerhalb dieser Spezies
Individuen, die nicht sozial sind oder nicht so sehr.
Wir haben ja vorhin von Allergien gesprochen, deswegen ziehe ich jetzt einen Vergleich: Nüsse gehören zur natürlichen Nahrung des Menschen. Evolutionstechnisch gesehen ist es für ein Lebewesen auch fatal, einfach so auf potenzielle Nahrung zu verzichten. Dennoch gibt es Menschen, für die der Verzehr von Nüssen sehr unangenehm ist, die beispielsweise Atemnot bekommen.
So ist es eben auch möglich, dass manche Leute vom Gedanken, jemanden ansprechen zu müssen, Atemnot bekommen.
Soziale Phobien, die ja schon von Heartfilia angesprochen wurden, und ähnliche Krankheiten sind eben das – Krankheiten. Irgendetwas in der Gehirnstruktur weicht da von der Normalität ab, sodass die eigentlich vorteilhaften sozialen Bindungen einen in Angst versetzen oder man sie zumindest als sehr unangenehm empfindet.
Das sehe ich tatsächlich als (evolutionären?
) Nachteil. Es ist viel einfacher, die Dinge zu bekommen, die man sich wünscht, wenn man viele Leute kennt und von ihnen gemocht wird.
Bei mir ist es so, dass ich zwar gerne alleine bin, aber nicht nur. Auch ich habe meinen Sozialbalken, der rot werden kann und den man von Zeit zu Zeit füllen muss. Nur wird er wahrscheinlich weniger schnell rot und viel schneller grün als bei anderen. Und er kann vor allem »übergrün« werden, sodass ich wieder meine Zeit für mich brauche. Wenn ich mich manchmal mit Leuten treffen muss, die ich alle kenne, aber nicht sonderlich gut, kann es sogar sein, dass mir das am Anfang Spaß macht – aber nach etwa einer halben Stunde kippt der Schalter bereits und ich möchte nur noch nach Hause und mich ausruhen. Dieses Zusammensein mit anderen ermüdet mich schrecklich.
Außerdem rede ich nicht gerne. Nicht über Belanglosigkeiten. Mit meiner engsten Familie klappt das Reden ziemlich gut. Dann habe ich noch eine beste Freundin und einen besten Freund, mit denen ich sogar über längere Zeit sehr gerne rede. Und an der Uni habe ich auch jemanden gefunden, mit dem ich es zumindest den ganzen Tag über aushalte (auch wenn es mir wichtig ist, alleine zu Mittag zu essen). Das klingt vielleicht gemein, ist aber nicht so gemeint. So funktioniere ich nun mal (Menschen sind verschieden und blablabla). Ich könnte niemals mit jemandem zusammenleben, es sei denn, es sei einer der Menschen, mit denen ich sehr eng befreundet bin.
Wie ich schon sagte, Small Talk und dergleichen kann ich nicht ausstehen. Ich muss nicht immer tiefgründige philosophische Fragen diskutieren. Aber wenn ich jemanden sehr gut kenne, kann ich halt auch besser witzige und lockere Gespräche führen. Bei Fremden oder nur losen Bekannten ist immer alles so verkrampft, ich verstelle mich ungewollt, weil ich nicht weiß, was ich sagen muss.
Und immer läuft alles genau gleich ab. Immer wird nach dem Studium gefragt (»Was ist das? Macht es dir Spaß? Was arbeitet man da später?«), wo ich studiere (»Was? Etwa auf Französisch? Ist das nicht totaaaaaaal schwer?«), was ich in meiner Freizeit mache (das Dumme ist ja, ich habe gar keine richtigen Hobbys, und wenn ich doch etwas sage, finden sie sie langweilig) und all den Kram. Ich brauche solche Gespräche gar nicht mehr zu führen, weil ich mittlerweile schon weiß, wie sie ablaufen.
Was andere Menschen von sich erzählen, finde ich schon interessant, aber ich kann keine passenden Fragen stellen, weswegen der andere glaubt, es interessiere mich nicht. Oft höre ich aber gerne zu, wenn zwei andere reden. Die wissen immer so viele Fragen! Dann wird das Gespräch auch spannender.
Ja, ich sehe ein, dass die Langweiligkeit von Small Talk viel mit meinem mangelnden Sozialtalent zu tun hat, doch das heißt leider nicht, dass ich es einfach ändern könnte.
Gerade wenn ich im Zug sitze, wo meistens viele Menschen relativ eng beisammen sind, ist es mir jedoch wichtig, dass ich mich von der Umwelt abschotte. Häufig höre ich Musik oder lese.
Doch ich wurde auch schon angesprochen, obwohl ich am Lesen war. Einer wollte mich unbedingt kennenlernen und sich mit mir treffen. Ich habe höflich abgelehnt, doch er ließ nicht locker und meinte immer, man müsse sich doch treffen, wenn man einander kennenlernen will – da hat er ja recht, aber ich
will ihn ja gar nicht kennenlernen. Ich möchte gar niemanden kennenlernen. Warum ging er davon aus, dass ich auch unbedingt neue Leute kennenlernen will, nur weil er es wollte?
Das fand ich schon sehr unangenehm und belästigend.
Ich verstehe ja, dass es viele Leute gibt, die sehr sozial sind und jemanden zum Reden brauchen. Aber warum können die nicht untereinander reden? Warum müssen sie auf Menschen zurückgreifen, die von sozialen Kontakten stark gestresst sind oder sogar in Angstzustände geraten? Wir machen es ihnen ja einfach und
zeigen, dass wir nicht an Kontakt interessiert sind, eben mit Kopfhörer, Buch, Handy und Co.
Puh, das wurde jetzt viel länger als gedacht.