Der dritte Teil der Vorgeschichte zu Natascha's Leben.
Die Autofahrt schien ewig zu dauern, doch irgendwann kam der Wagen zum stehen. Neugierig schaute ich aus dem Fenster und ließ meinen Mund vor staunen aufklappen. Das war kein Haus in das wir zogen, das war schon fast ein Schloss! Wie viele Zimmer es wohl gab? Zögerlich stieg ich aus dem Taxi aus und ging auf das große, düstere Gebäude zu.
Vielleicht lag es bloß daran dass es Nacht war, doch dieses Haus war genauso finster wie Paul, es passte wirklich gut zu ihm.
Wie es wohl sein musste darin zu leben? Rein vom äußeren müsste man meinen dass das Haus von innen mit edlen und wertvollen Möbeln bestückt ist. Ob mein Zimmer auch so war?
Jedoch fiel es mir schwer zu glauben dass meine Mutter mir irgendetwas gönnte. Ich würde schon sehen was sie sich dieses mal einfallen lassen würde um mich zu benachteiligen.
Langsam ging ich die steinernen Treppen hinauf und betrat den Flur der direkt in die Küche führte.
Dort wartete Margot schon auf mich und funkelte mich böse an. Jetzt verstand ich warum sie Paul geheiratet hatte. Er war bestimmt genau so bösartig wie sie es war. Und er schien eine Menge Geld zu haben, beides Eigenschaften die anscheinend Bedingung für sie waren wenn es um Männer ging.
„Der Dachboden ist für dich. Damit du nicht durch das Haus poltern musst hast du auch ein eigenes Badezimmer. Und nun geh rauf, wir haben hier zu tun.“
Der ganze Dachboden für mich alleine? Und sogar mit Badezimmer? Da musste doch irgendein Haken sein. Trotzdem ging ich anstandslos die Treppe hinauf und dann noch eine weitere. Ich kam an vielen Türen vorbei hinter denen bestimmt luxuriöse Zimmer lagen. Doch ich ging weiter nach Oben, bis zum Dachboden. Auf den letzten Stufen kam mit eine ungewöhnliche Kälte entgegen, obwohl es doch im restlichen Haus so warm war. Doch ich merkte schnell warum es so kalt war.
Ich hatte ein schönes, warmes Zimmer erwartet. Nicht so edel wie der Rest des Hauses, aber wenigstens bewohnbar. Doch was ich fand war ein einziges kaltes, staubiges Loch. Ich konnte es einfach nicht fassen. Schlimm genug dass sie mich aus meinem alten Leben gerissen hatte, doch in so einen Verschlag zu sperren? Das verstieß doch bestimmt gegen irgendein Gesetz.
„ Damit du nicht durch das Haus poltern musst“ hatte sie gesagt, in Wahrheit wollte sie mich hier einsperren, wie eine Ratte in einen Käfig. Wahrscheinlich war ich auch nicht mehr für Margot, bloß Ungeziefer das beseitigt werden musste.
Den Tränen nahe sah ich mich in dem Zimmer um. Ich konnte kein Bett entdecken. Also entweder, ich sollte auf dem gammeligen Sofa schlafen, oder es gab noch ein Schlafzimmer. Neben mir war noch eine Tür und ich zog sie ganz schnell auf, wie ein Pflaster dass man ganz schnell abreißen soll. Dahinter befand sich zwar kein kuscheliges Bett wie ich gehofft hatte, dafür aber das angekündigte Badezimmer.
Naja, sauber sah anders aus, aber wenigstens fand ich keine versiffte Toilette. Es hatte immerhin sogar eine Badewanne.
Aber das klärte noch nicht die Frage wo ich schlafen sollte.
Ich ging also wieder zurück in das Hauptzimmer und sah mich um. Und tatsächlich befand sich dort noch eine weitere Tür. Ich kniff meine Augen zusammen und öffnete sie dieses mal ganz langsam, so dass sie in den Angeln knarrte. Als sie gegen die Wand schlug machte ich zögerlich die Augen wieder auf.
Und aus der Traum, von wegen kuscheliges Bett. Das einzige was hier zu finden war, war eine alte Liege mit rostigem Gestell und durch gelegener Matratze.
Nun fühlte ich mich wirklich wie in einem Gefängnis.
Aber ich wollte nicht länger darüber nachdenken. Ich war müde und wollte schlafen. Meine Sachen waren schon alle in einer maroden Kommode verstaut.
Ich holte einen kuscheligen Schlafanzug heraus, zog ihn mir an und legte mich ins Bett, es dauerte auch nicht lange und ich schlief ein.
Sehr viel Schlaf bekam ich in dieser Nacht allerdings nicht. Ich wälzte mich von einer Seite auf die Andere, schlug immer wieder die Decke zurück und zog sie wieder über mich rüber.
Immer wieder schlug ich die Augen auf, fing an zu weinen, beruhigte mich wieder und schlief nochmals ein, ehe die Prozedur von vorne begann.
Und es dauerte nicht lange da sah ich auch schon die ersten Sonnenstrahlen durch mein Fenster scheinen.
Müde setzte ich mich auf und rieb mir die schweren Augen.
Ich trottete lustlos zu meiner Kommode herüber um mich anzuziehen.
Danach wollte ich ins Bad und mich waschen, doch dann hörte ich jemanden die Treppe herauf kommen.
Sie hatte die Augen stark zusammengekniffen, ein Zeichen dafür dass sie wütend war.
„Was hast du denn da an?!“, fragte sie zornig.
Unsicher zupfte ich an meinem Kleid herum. „Warum? Ich hab doch immer so was an...“
„Ab jetzt nicht mehr. In deinem Schrank liegen neue Sachen,
die wirst du von nun an tragen.“
Tatsächlich, als ich nachschauen ging fand ich neue, sehr schlichte Kleidung. Seufzend zog ich mich also um und musste feststellen, dass der Stoff fürchterlich auf der Haut kratze. Und die Farben gefielen mir auch nicht. Es war einfach alles viel zu grau hier. Der ganze Dachboden war grau und nun auch noch meine Klamotten. Wieder schossen mir die Tränen in die Augen, doch ich weinte nicht. Ich wollte nicht mehr weinen. Dieses mal würde ich stark sein und es einfach aushalten.
Auf dem Weg nach unten merkte ich, dass es schon recht spät war. Ich musste mich beeilen um den Schulbus nicht zu verpassen. Wenigstens blieb mir dadurch ein weiteres Gespräch mit Margot oder Paul erspart.
Doch als ich im Bus saß überkam mich ein mulmiges Gefühl. Es war der erste Tag an einer neuen Schule und dort hatte ich niemanden der die Beleidigungen und Streiche mit mir ertragen würde. Dort hatte ich keinen Chris an meiner Seite.
Und der Tag verlief wie vermutet. Von den meisten Schülern wurde ich überhaupt nicht beachtet, wofür ich eigentlich sehr dankbar war. Und von den anderen wurde ich gehänselt und durch die Gegend geschubst.
Hinter vorgehaltener Hand sprachen sie über mich und obwohl ich nichts verstand wusste ich genau was sie sagten. Sie lachten darüber wie dick und dass ich eine Einzelgängerin war.
Noch an diesem Abend schlich ich mich hinaus. Vor dem Haus war ein Teich gewesen in denen Fische schwammen. Ich würde mir einen herausfischen solange meine Mutter und Paul im Haus waren und mich nicht beachteten. Es verging eine ganze Weile ehe ich einen erwischte. Freudig zog ich ihn aus dem Wasser und betrachtete ihn. Ja, der sollte es sein. Auf dem Dachboden hatte ich ein altes Fischglas gefunden dass schon mit Wasser befüllt und einer kleinen Pflanze darin auf ihn wartete. Und um ihn in mein Zimmer zu bekommen, hatte ich mir einen Eimer besorgt in den ich ihn nun mit etwas Teichwasser setzte.
Leise schlich ich mich dir Treppe hinauf, bis zum Dachboden und schloss die Tür hinter mir.
Lächelnd setzte ich Otis -so hatte ich den Fisch getauft- in sein Glas. In der Garage hatte ich Fischfutter gefunden von dem ich ein wenig in das Wasser streute.
Verträumt beobachtete ich wie Otis danach schnappte. Er war nun das einzige das mich an mein altes Leben erinnerte. Ein kleines Stückchen Meer hier in meinem Zimmer.
Meine Mutter würde ihn eh nie entdecken. Sie kam so gut wie nie ein mein Zimmer, und falls es soweit kam, würde ich sie schon kommen hören, ehe sie einen Fuß auf die letzte Treppe setzen würde. Und in der zeit konnte ich Otis locker verstecken gehen.
Seufzend ging ich in mein Schlafzimmer um mich umzuziehen. Es war schon sehr spät und ich war müde. Doch bevor ich mich hinlegen konnte klingelte mein Handy, das uralte Ding das meine Margot mir mal gegeben hat, damit sie mich jeder Zeit nach Hause rufen konnte um aufzuräumen oder sonst irgendeiner Arbeit nachzugehen.
Verwundert schaute ich auf das Display und sah, dass es Chris war.
Ich zögerte ehe ich abnahm. Er fragte sich wahrscheinlich warum ich heute nicht in der Schule war, denn, er wusste ja noch nicht dass ich umgezogen war.
Ich schluckte schwer und drückte dann auf den grünen Hörer.
„H-hallo?“
„Tascha? Wo bist du denn? Ist alles ok?“
Ich atmete einmal tief durch ehe ich antwortete.
„Ja, mir geht es gut...“
„Ich war bei dir zu Hause, aber da war alles leer. Seid ihr umgezogen? Wohin denn?“
Es tat mir im Herzen weh ihn so zu hören. Er schien sich ernsthaft Sorgen zu machen. Doch ich entschloss, es kurz zu machen. Ich erklärte ihm die ganze Situation und ohne ihn antworten zu lassen, beendete ich das Gespräch.
„Chris, es tut mir leid, aber sie wird mich dich nicht besuchen lassen... Ich denke nicht dass wir uns wiedersehen können. Aber du wirst immer mein bester Freund bleiben und ich werde dich nie vergessen. Machs gut...“
„Aber Natascha, ich -“
-piep-
Zitternd ließ ich das Handy sinken.Das war es nun also. Ich hatte gerade auch noch meine besten und einzigen Freund für immer verloren.
Es brannte mir in den Augen und die Tränen flossen meine Wangen entlang. Ich konnte nichts dagegen tun, es geschah einfach.
Verzweifelt rannte ich die Treppen hinunter, bis hinaus in den Garten, dort stoppte ich und begann zu schluchzen. Immer lauter und immer hysterischer, bis ich irgendwann dachte an meinen Tränen ersticken zu müssen.
Ich weinte die ganze Nacht, solange bis die ersten Sonnenstrahlen auftauchten und deren Wärme meine Tränen trocknete...
-Prolog Ende-