Plitsch. Platsch. Plitsch. Platsch.
Regentropfen klatschten gegen die Scheibe des Autos und zerliefen am Glas zu glibberigen Wassersäulen. Vorne knarrten die Scheibenwischer, als sie über das Fenster ratterten. Meine Finger trippelten auf dem Armaturenbrett hin und her.
Jasmin schwieg und starrte hinaus auf die verregnete Straße, die sich vor uns erstreckte. Eine Jasmin, die nicht grinste oder ununterbrochen plapperte, war ein äußerst seltener Anblick. Und warum mir diese Ehre heute zuteil wurde, wusste ich ganz genau.
Heute war Freitag. Was bedeutete, dass morgen die Hochzeit war. Und der Wetterbericht hatte – nach zwei sonnigen Wochen – ein gnadenlos verregnetes Wochenende prophezeit. Das war einerseits positiv, da Jasmin nun endlich ertragbar war, aber andererseits auch negativ, da die Stimmung bei der Hochzeit im Keller sein würde. Verschieben kam wegen der Schwangerschaft jedoch nicht in Frage. Jasmin wollte ja nicht mit dickem Bauch heiraten, und der hatte bereits begonnen, ein klitzekleines bisschen rundlicher zu werden.
Die Welt vor dem Autofenster war in depressives Grau gehüllt. Der Himmel war grau, die Pfützen spiegelten ihn grau wieder, ja selbst der dünne Nebel an diesem Morgen schien grau. Die fahlen Strahlen der Sonne durchbrachen die dichte Wolkendecke kaum.
Langsam wurde dieses ewige Anschweigen mir unangenehm und ich rang mir ein paar Worte ab.
»Ich bin mir sicher, die Sonne lässt sich morgen mal blicken.« Eigentlich sollte das aufmunternd klingen, aber die eigenen Zweifel erzeugten einen weniger überzeugenden Effekt. »Schau mal, der Regen ist auch schon schwächer geworden.« Wie zur Antwort sandte der Himmel einen prasselnden Regenschauer. Ich seufzte resignierend.
Jasmin hob nur eine Augenbraue und erwiderte nichts, den Blick weiterhin auf die Straße fixiert.
»Wieso fahren wir eigentlich nochmal zum Pavillon?«, startete ich einen neuen Versuch und forderte Jasmin damit auf, zu reden. Ich wusste tatsächlich nicht, weshalb wir ins Dorf fuhren, da Jasmin es nicht für nötig gehalten hatte, es mir zu sagen.
Sie schaute mich kurz an und sagte dann: »Wegen dem Aufbau der Bierzelte.«
Das Gespräch schien damit beendet. Jasmin starrte weiter in die verregnete Landschaft hinaus und ich beschloss, es aufzugeben. Ein wenig gruselte es mich vor der Hochzeit. Wenn Jasmins Laune weiterhin so bleiben würde, wie würde diese dann aussehen? So ungern ich es auch tat, langsam wünschte ich mir die fröhliche, quietschfiedele Jasmin zurück, die selbst an den grausten Tagen von ihrem rosaroten Brautstrauß schwärmte, ob man es nun hören wollte oder nicht.
Endlich lichteten sich die ersten Häuser des Dorfs aus dem Nebel ab. Jasmin bog in eine Seitenstraße ein und hielt schließlich vor dem Pavillon.
Ohne ein weiteres Wort öffnete sie die Autotür und stieg aus. Ich folgte wenige Momente später und erschauerte, als mich der feuchte Nebel einhüllte. Fröstelnd schlang ich meine Jacke fester um meinen Körper und folgte Jasmin auf steifen Beinen den Kiesweg entlang.
Inzwischen war der Regen dünner geworden und nieselte nur noch leicht, sodass ich auf Kapuze und Regenschirm verzichtete. In der Nähe des nebelverschleierten Pavillons erwartete uns auch schon Jasmins Vater, der nicht gerade glücklich aussah, als seine Tochter ihn ansprach.
»Hallo Papa. Ist alles soweit fertig für morgen?« Jasmins Stimme klang monoton und nicht wirklich interessiert.
»Ja, Billie und ich haben alle Abdeckungen aufgebaut. Dürfte nichts schief gehen morgen.« Jasmins Vater lächelte ihr leicht zu, doch den Bruchteil einer Sekunde später wich dieses Lächeln wieder einem besorgten Gesichtsausdruck. Plötzlich bemerkte er mich.
»Ah, Alison. Hilfst du auch mit?«
Ich nickte lächelnd. »Morgen ist doch Jasmins großer Tag, da möchte ich sie so gut wie möglich unterstützen.«
Natürlich wusste ich, dass das pure Heuchelei war (ich hatte sie die letzten drei Wochen schließlich schon genug unterstützt), aber sicher würden diese Worte den besorgten Vater etwas beruhigen.
Jasmin, die mit einem unergründlichen Gesichtsausdruck den Regen anstarrte, murmelte: »Könnten wir nochmal zum Pavillon und ins Wirtshaus gehen? Ich möchte mir alles nochmal ansehen und vielleicht noch die Deko etwas aufpeppen.«
Ich fragte mich ernsthaft, warum wir heute hergefahren waren – in der letzten Woche waren wir mindestens neun Mal hergekommen und hatten »die Deko aufgepeppt«. Ganz abgesehen von der Tatsache, dass es nach dem dritten Mal so gut wie gar nichts mehr aufzupeppen gab. Hoffentlich wollte Jasmin jetzt nicht die frisch aufgestellten Bierzelte dekorieren.
Bevor ich diesen Gedanken weiter ausführen konnte, ging sie auch schon an ihrem Vater und mir vorbei zum Pavillon. Jedoch hielt dieser mich zurück, als ich ihr gerade folgen wollte. Überrascht schaute ich auf.
»Alison«, sagte er eindringlich, »Geht es ihr gut?«
Perplex blinzelte ich und klappte meinen Mund auf, um ihn wieder zuzuklappen. Diese Angewohnheit sollte ich mir dringend abgewöhnen, so viel stand fest.
Er schüttelte den Kopf.
»Wieso ist sie so traurig? Ich dachte, sie freut sich.« In seiner Stimme lag Bedauern.
Ich schluckte und rang mir endlich ein erstes Wort ab. »Sie...« Wie sollte man es auch beschreiben? Ja, Jasmin hatte einen plötzlichen Sinneswandel erlitten, wobei noch nicht fest stand, wie gravierend dessen Folgen waren. Und das ausgerechnet kurz vor ihrer Hochzeit, auf die sie sich schon so gefreut hatte.
»Ich denke, sie braucht nur ein bisschen Zeit, um sich wieder einzukriegen«, sagte ich schließlich, »Morgen geht es ihr bestimmt wieder besser.« Ich lächelte zuversichtlich, was wohl uns beide ebenso zuversichtlich stimmen sollte. Es aber nicht tat.
Mein Onkel nickte nachdenklich. Dann musterte er mich besorgt.
»Du siehst müde aus, Alison. Beschlagnahmt Jasmin dich zu sehr für ihre Vorbereitungen? Ich weiß, dass sie sehr dominant sein kann, und ich will ja nicht, dass du darunter leiden musst...«
Sofort blickte ich zu Boden, was meine Augenringe aber natürlich nicht verschwinden ließ. Na wunderbar, jetzt fiel es schon anderen Leuten auf. Aber er hatte es völlig falsch eingeschätzt. Die Tatsache, dass ich in den letzten Wochen kein Auge zubekommen hatte, hatte nämlich wirklich wenig mit Jasmins Vorbereitungen – die ich mittlerweile sogar als willkommene Ablenkung empfand – zu tun. Es waren die Träume. Diese Träume, die sich nicht mehr auf einer schönen, ruhigen Kirschbaumlichtung abspielten, nein – Albträume. Auf eine ganz kuriose Art, da sie – von außen betrachtet – nicht einmal unheimlich waren. Diese Ängste, die sie in mir auslösten, konnte ich nicht erklären.
Auf einmal bemerkte ich, dass Jasmins Vater mich immer noch anstarrte.
»Äh... ich... nein...«, stotterte ich, »Ich... ich habe nur schlecht geschlafen.«
Er schien mir nicht ganz zu glauben.
»Aber du siehst richtig geschafft aus. Du kannst es mir ruhig sagen, wenn Jasmin...«
»Nein, ich... habe nur... Albträume.« Sofort presste ich die Lippen zusammen. Ich wusste nicht, wieso ich das gerade gesagt hatte. Es war mir einfach so rausgerutscht.
Vielleicht würde ich später erfahren, warum ich es wirklich lieber nicht hätte sagen sollen.
Vielleicht aber auch nicht.
Denn nun trat ein Ausdruck in das Gesicht meines Onkels, den ich nicht richtig deuten konnte.
»Du... Albträume. Sind es immer dieselben?« Man merkte ihm an, dass er versuchte, seine Stimme ruhig zu halten.
»Äh... ja. In etwa«, antwortete ich verwirrt, dass er sich dafür interessierte. Eigentlich war es doch völlig nebensächlich.
Er riss kurz die Augen auf und blickte dann nervös um sich. »Nein... unmöglich... also doch... Alan... oh mein Gott...«
Plötzlich sah er mich direkt an, Entsetzen in den Augen, und packte mich an den Schultern.
»Was? Alison, wovon träumst du?«, zischte er energisch, und ich meinte, einen panischen Unterton in seiner Stimme herauszuhören.
Überrascht starrte ich zu ihm auf und klappte meinen Mund wieder auf und zu wie ein Fisch.
»Was... ähm... also...«, stammelte ich nur.
Mit einem ungeduldigen Seufzer ließ er mich los und schüttelte leicht den Kopf.
»Sag es mir, Alison. Es ist wichtig.« Auf einmal klang er müde, ebenso, wie seine trüben Augen mich anblickten.
»Wichtig wofür?«, fragte ich misstrauisch und wich einen Schritt zurück. Ein unbehagliches Gefühl breitete sich in meiner Magengegend aus. Um Gottes Willen, ich konnte ihm unmöglich erzählen, dass mich in meinen Träumen Zwerge aus Spieluhren verfolgten!
Noch ein paar Sekunden hielt Jasmins Vater meinem Blick stand, dann schüttelte er abermals den Kopf.
»Das spielt keine Rolle. Wir müssen es nur wissen.«
Wir?
»Jasmin wartet sicher schon«, bemerkte ich spitz und wandte mich zum Gehen. Irgendwas an diesem Gespräch bewirkte, dass meine Alarmglocken schrillten. Vielleicht wäre es besser, das ganze jetzt zu beenden. Die lebendigen Spieluhrzwerge und weißen Katzen beschäftigten mich schon in meinen Träumen genug.
Jasmin wartete tatsächlich schon und stand leicht angenervt am Pavillon.
»Alles in Ordnung?«, fragte ich im Herankommen.
»Alles bestens«, erwiderte sie ausdruckslos. Ich warf einen flüchtigen Blick auf den blumengeschmückten Pavillon und die Stuhlreihen davor – die nun von zwei Bierzelten bedeckt wurden.
Erwartungsvoll sah ich Jasmin an.
»Gehen wir jetzt zum Wirtshaus«, meinte sie und ging, ohne eine Antwort abzuwarten, los. Nach einem weiteren Blick auf den Pavillon und die Zelte folgte ich ihr hastig. Ihr Vater und Billie, der Wirt des Gasthauses, in dem nach der Zeremonie die Hochzeitsfeier stattfinden würde, standen schon vor der Tür und palaverten über die Anordnung der Tische. Und hinter ihnen, auf dem Zaunpfahl – Nein. Ein eisiger Schauer rann meinen Rücken hinauf. Unfähig, weiterzulaufen, blieb ich schockiert stehen und starrte das weiße Kätzchen, dass sich auf dem Zaun vor dem Gasthaus streckte, an.
Das konnte doch nicht möglich sein. Erst das Brautkleid vor ein paar Wochen und jetzt die weiße Katze. War das alles auf Zufälle zu schieben? Dass mir Traumgestalten im realen Leben wiederbegegneten? Und dieser Satz von Miranda vor noch längerer Zeit? Das waren keine harmlosen »Zukunftsträume« mehr, nein, das war... beängstigend.
»Alison, alles in Ordnung?«, fragte mein Onkel mich auf einmal. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass alle anderen schon vor der Tür des Wirtshauses standen und verwundert zu mir rüberschauten. Doch ich konnte mich nicht von dem Anblick der Katze losreißen.
»Kennt ihr diese Katze da?«, fragte ich schließlich mit zittriger Stimme und hob schlaff den Arm in ihre Richtung. Ich hoffte inständig, dass Billie sie kannte und sie eine der Katzen seiner Frau war.
Dass irgendwer sie schon vorher gesehen hatte.
Dass sie sie nicht meinem Traum entsprungen war.
Alle wandten irritiert den Kopf zu dem Kätzchen, das daraufhin herzzerreißend miaute, vom Zaun sprang und der überraschten Jasmin schnurrend um die Beine strich.
Billie sah mich an und hob hilflos die Hände.
»Also, ich kenne sie nicht. Ist bestimmt eine der Hofkatzen von den Schmitz'. Die kommen öfters hierher, wenn sie Hunger haben.«
Ich schluckte. Kenne sie nicht. Kenne nicht. Nicht.
Ich musste hier weg. Ein lebendig gewordener Traum, in Gestalt eines harmlosen Kätzchens. War ich verrückt geworden? Wie auch immer, dieser Ort löste höllische Angst, ja beinahe Panik in mir aus.
»Was ist denn mit der Katze?«, fragte Jasmins Vater misstrauisch und hob eine Augenbraue.
Sprachlos starrte ich ihn an. Was sollte ich sagen?
Du musst dich jetzt zusammenreißen. Du kannst nicht einfach gehen!
»Ach, nichts«, murmelte ich und versuchte, meine Stimme fest klingen zu lassen. Widerstrebend ging ich auf die Haustür zu, angestrengt, den Blick von der Katze zu lassen, deren Schnurren in meinen Ohren pochte. Ich kniff die Augen gegen die kalte, feuchte Luft zusammen und ging weiter.
Billie öffnete die Tür und wir traten in die Wärme des Wirtshauses ein. Die Tische standen ordentlich in einer Art Halbkreis an der Wand, sodass die Tanzfläche frei war, der Boden war frisch geputzt und die Buffettische schon aufgestellt. Überall stach Jasmins bunte Blumendeko hervor, die der eher tristen Einrichtung etwas Farbe verlieh.
Ich zuckte zusammen, als etwas Weiches mein Bein streifte. Mit pochendem Herzen neigte ich den Kopf und blickte der weißen Katze direkt in die hellblauen Augen. Sie maunzte mich an und wirkte in diesem Moment so niedlich und zerbrechlich wie jedes kleine Kätzchen, so wie es aussah, war sie noch sehr jung. Fast hätte ich mich gebückt und sie gestreichelt, aber das Bild meiner Träume, in denen sie mir mit genau diesem Blick auf eine beängstigende Art und Weise immer wiederbegegnete, hielt mich zurück.
»Gefällt dir alles, Jasmin?«, fragte Billie lächelnd und ich blickte auf.
»Ja, alles wunderbar«, meinte Jasmin und hob ihre Mundwinkel tatsächlich zu einem kleinen Lächeln an. »Könnten wir nur nochmal in den Weinkeller gehen? Ich würde ja gerne schonmal ein paar Weine für morgen raussuchen.«
Natürlich bejahte Billie und wir folgten ihm in den Weinkeller – die Katze immer hinter mir.
Jasmin zog einen Wein nach dem anderen aus den Weinregalen und beäugte die Aufschriften kritisch.
»Und die hier sind aus Frankreich, sagst du?«, fragte sie und stellte ein paar Flaschen zur Seite.
»Ja, alle sehr fein und edel«, erwiderte Billie und strich über den Flaschenhals eines Rotweins.
Nach einiger Zeit hörte ich nicht mehr zu und ging auf eigene Faust den großen Weinkeller »erkunden«. Dabei stolperte ich immer wieder über die Katze und hätte dabei schon fast ein paar Weine mitgerissen. Warum musste sie auch ausgerechnet mir folgen?
Auf einmal sprang das Kätzchen auf ein niedrigeres Weinregal und ringelte den Schwanz um die schon angestaubte Topfpflanze, die darauf stand. Und wie aus dem Nichts kam urplötzlich eine weitere, schwarze Katze dazu, die sich dazugesellte und mich mit großen, smaragdgrünen Augen anstarrte. Ich starrte ungläubig zurück. Die konnte doch nicht einfach so aufgetaucht sein!
Und auf einmal fiel mir auf, dass es meine Augen waren, die mich ansahen. Dasselbe helle Grün, nur mit der schlitzförmigen Katzenpupille.
Nervös ging ich einen Schritt rückwärts. Das war alles so irreal.
Die schwarze Katze blinzelte. Und alles wurde schwarz.
Von irgendwoher hörte ich Jasmins überraschten Schrei, dann die Stimme meines Onkels: »Ganz ruhig, es ist nur Stromausfall!«
Ich war kurz davor, die Nerven zu verlieren und lauthals loszuschreien. Alleine in der Dunkelheit – mit den Katzen.
»Alison! Wo zur Hölle bist du?«, kam Billies Stimme aus irgendeiner Ecke.
Ich ging rückwärts, stolperte über eine Weinflasche, die ich daraufhin auf das Regal zuschlittern und zerbersten hörte. Feuchter, intensiv riechender Wein spritzte an meine Finger. Panisch rappelte ich mich auf, tastete an den staubigen, hölzernen Regalbrettern entlang nach hinten – und schrie entgültig los, als etwas Undefinierbares mich von hinten anrempelte.
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Dafür, dass jetzt länger kein Update mehr kam, ein ganz langes Kapitel.
Ich hoffe, es hat euch gefallen.
Und ich habe wieder ein Outtake dabei:
Schon komisch, was Jasmins Vater für Grimassen während des Gesprächs gezogen hat.