22. Kapitel: Time Goes By
Hey Leute :/
ich weiß, das Kapitel ist kürzer als die anderen und ich hab auch recht lang dafür gebraucht...
Aber ich muss leider sagen, dass ich zwar die ganzen Handlungsabläufe, die Hauptgeschehenisse schon im Kopf habe, nur der Weg dorthin ist mühsam und ich durchlebe gerade eine kleine Schreibblockade, yeah :/
Aber nichtsdestotrotz, viel Spaß beim Lesen
....
Meine Augen weiteten sich schlagartig, als ich die mir bekannte Stimme am Telefon hörte. Und als diese sagte, dass er mein Vater sei, ließ ich vor Fassungslosigkeit zunächst den Hörer sinken, starrte für einige Sekunden leer in die Ferne. Ich wurde jedoch aus meinen Gedanken gerissen, als aus dem Hörer ein energisches „Hallo, Hallo?“ drang. So nahm ich mich wieder so gut es ging zusammen, atmete tief ein und aus und legte den Hörer zögernd wieder ans Ohr.
„H-Hallo? Dad?“, stotterte ich schon fast ängstlich hervor.
„Hallo Lou, freut mich, endlich gehst du ans Telefon. Deine Mutter hat immer wieder wortlos wieder aufgelegt. Ist sie gerade zu Hause?“
„Nein Dad, ist sie nicht“, seufzte ich nun langsam genervt. Ich erinnerte mich wieder daran, wie er damals einfach gegangen war. Und wie meine Mutter seit dem immer weniger zu Hause war. Daran, wie ich von da an auf mich allein gestellt war und sich heute nichts dran geändert hatte.
„Ich denke du bist mir Einiges an Erklärung schuldig.“
„Lou, ich sag dir alles, wenn wir uns sehen. Wir müssen jetzt schnell machen, wenn deine Mutter oder irgendwer anders mitbekommt, dass wir miteinander telefoniert haben, ist das nicht gut. Tauschen wir bitte Nummern aus? Und komm' morgen um halb zwölf bitte zum Springbrunnen in der Stadt – das vor dem großen Bürogebäude an der Bushaltestelle.“
„Mo-mo-mo-mo... Moment mal, Dad! Erstmal langsam... Nummern austauschen? Ich hoffe, dass du morgen eine gute Erklärung bzw. einen guten Grund parat hast, weil sonst will ich nie wieder etwas mit dir zu tun haben.“
„Ok, Kleines. Ich habe verstanden. Ich gebe dir jetzt die Nummer...“
Kurz nachdem er sie mir diktiert und ich sie in meinem Handy eingespeichert hatte, gab ich ihm auch direkt meine. Wir legten schließlich auf, weil er irgendwohin musste. Zum zweiten Mal wurde ich an dem Abend sitzen gelassen, Chases Grund erschien mir in dem Moment jedoch weniger sinnvoll als der von meinem Vater.
Nachdem ich duschen war, verleitete mich der Durst dazu wieder runterzugehen. Und als ich die Küche betrat, sah ich Annie, die gerade selbst ein Glas Wasser trank.
„Na, wie geht’s dir? Was hast du heute so gemacht?“, fragte ich sie, während ich mir das Wasser einschenkte.
„Du weißt ja, wir waren an dem einen Abend noch bei Lisa. Da hab ich Ben kennengelernt und wir dachten halt, warum nicht wiedersehen?“
Als sein Name fiel, fing sie an zu lächeln. Es war irgendwie süß sie so zu sehen. Sie schaffte es wirklich sich hier schnell einzuleben. Ganz anders als ich, ich schaffte es erst seit ein paar Monaten irgendwie. Aber Annie war von der Persönlichkeit her auch sehr offenherzig. Witzig, süß und nett war sie ebenfalls. Und als würde das nicht schon reichen, war sie obendrein noch sportlich. Je länger ich sie nun kannte, desto mehr stieg meine Bewunderung ihr gegenüber. Während ich sie so lächeln sah, konnte ich mir gar nicht vorstellen, warum Noah diesen Vorwurf geäußert hätte, sie hätte seine SMS an mich gelöscht – dafür schien sie viel zu lieb zu sein.
„Und, was hast du heute so gemacht?“, kam von ihr – noch immer lächelnd.
„Ach... Ich habe ja gestern bei Chase geschlafen und eben waren wir noch was essen.“
„Oh, wie süß. Hat er dich nach Hause gefahren?“
„N-Nein“, brachte ich zögerlich hervor.
„Ich wollte alleine gehen. Er musste noch einmal los zur Arbeit...“
„Ach was, um diese Uhrzeit?“
„J-ja, scheint wohl ein 24 Stunden Job zu sein.“
Annie zog skeptisch ihre Augenbraue hoch, antwortete darauf nichts und stellte wortlos ihr mittlerweile leergetrunkenes Wasserglas in die Spüle. Ich wusste nichts darauf zu antworten, außer mit einem langen, tiefen Seufzer. Ein wenig beschämt wanderte mein Blick seitlich nach unten. Als hätte ein Auszubildender einen 24 Stunden Job, ich Idiot.
„Weißt du was, Lou...“, sagte sie plötzlich, während sie leer in die Spüle sah.
„Ich glaube manchmal sollte man Dinge besser hinterfragen, bevor man sie hinnimmt.“
Am nächsten Tag machte ich mich auch pünktlich auf zum Brunnen. Meine Augen schweiften durch die ganze Umgebung um mich herum, behutsam und zugleich geistesabwesend begutachtete ich das ganze Geschehen um mich. Es war kurz vor der Mittagspause, die Sonne schien so grell wie nur selten und einige Menschen verließen mittlerweile schon das Bürogebäude. Vor dem Eiscafé rauchten zwei Mitarbeiter, während sie miteinander quatschten. Der Gemüsemarkt lief gerade auf Hochtouren und so langsam füllten sich die Kleidergeschäfte mit immer mehr jungen Mädchen, die darauf aus waren ihr Aussehen noch mehr zu perfektionieren. Der Sommerschlussverkauf bedeutete auch gleichzeitig die letzten Sommertage des Jahres. Und heute war einer von diesen letzten Tagen. Es schien so, als würde die Sonne noch für die letzten Male am Himmel in seiner Vollkommenheit strahlen, bevor sie von den dunklen, grauen Wolken verdeckt werden würde.
Mein Blick richtete sich nun auf das große Bürogebäude und wanderte langsam nach oben. Es war ziemlich hoch, so hoch, dass ich den Kopf beim Hochsehen in den Nacken legen musste. Sofort kniff ich sie zusammen, als die Sonnenstrahlen drauffielen und ich von ihnen geblendet wurde.
„Argh!“, fluchte ich leise, strich mir mit dem Finger leicht über die geschlossenen Augen. Und dann, als ich sie wieder aufschloss, sah ich einen blonden, großen Mann mir entgegen kommen. Seine Haare waren gut gegelt, sein Bart zurecht getrimmt und sein schwarzer Anzug sah aus wie frisch aus der Reinigung. Er schien auf mich zuzugehen, lächelnd. Ich wusste zuerst nicht so recht, ob er wirklich mich anlächelte oder ob es die Frau war, die hinter mir in seine Richtung zu gehen schien, doch er ging zumindest in meine Richtung.
Und dann, als unser Abstand vielleicht nur noch fünf Meter betrug, erkannte ich, wer diese Person war und riss meine Augen auf.
„Hallo Lou“, begrüßte er mich schließlich seelenruhig, noch immer lächelnd.
„Papa?!“
Noch bevor ich etwas sagen konnte, schloss er mich in seine Arme und drückte mich fest, dabei noch ein wenig hin und her schwingend.
„Ich bin froh, dass du gekommen bist.“
Ich wusste nicht, was ich in dem Moment antworten sollte. Mir fehlten die Worte. Er war für eine so lange Zeit weg, ich hatte weder etwas von ihm gehört noch gesehen und nun, nach über fünf Jahren, schloss er mich erstmals wieder in seine Arme. Dann ließ er mich wieder los und das Lächeln auf seinen Lippen wurde noch eine Spur breiter.
„Du hast dich ziemlich verändert, bist eine richtige Lady geworden, oder? Du erinnerst mich ein bisschen an deine Mutter, als ich sie kennengelernt hab. Du hast die selbe Ausstrahlung wie sie in den Augen, wirklich. Wo ist eigentlich Noah?“
Noah und mein Vater verstanden sich eigentlich immer gut miteinander. Früher hatten Noah und ich noch jeden Tag miteinander zu tun, manchmal fuhren wir zu dritt zum Angeln. Mein Vater behandelte ihn wie seinen eigenen Sohn. Doch nun hatte sich das Ganze geändert. Noah und ich waren nun zwar noch Freunde, aber irgendwie distanzierter als zuvor. Die Vertrautheit war quasi nicht mehr vorhanden.
„Ich glaube er ist arbeiten oder so“, sagte ich fast unhörbar. Nun ließ das Lächeln meines Vaters langsam nach. Dann legte er seine eine Hand auf meine Schulter und schüttelte leicht den Kopf.
„Oder so? Was soll das heißen? Ich dachte ihr seid so gute Freunde, oder nicht? Mensch Mensch. Den Burschen würde ich auch mal gerne wiedersehen. Bestimmt hat er sich auch zum Positiven entwickelt.“
<Wo kann sich bei Noah denn noch mehr Positives dazuentwickeln? Als wär es jemals anders gewesen, dass er so gutaussehend, beliebt und witzig ist>
„Er war schon immer sehr wohlerzogen, es wäre sehr schade um eure Freundschaft, wenn du und er nichts mehr miteinander zu tun hättet. Aber ich sollte da nicht zu viel hineinterpretieren, Teenager eben, nicht wahr? Hast du eigentlich schon was gegessen? Ich jedenfalls noch nicht.“
„Dad, sag' mal... Wie lange wohnst du hier schon? Ich meine die Wohnung ist zwar ganz groß, aber keine Ahnung...“
Mein Vater legte die Gabel hin, die er noch eben in der Hand hielt und sah mich nun ernst an. Es schien so, als würde er in seinem Kopf die passende Antwort von vielen, die er bereits im Kopf vorformuliert hatte, wieder aufrufen.
„Ich kann nicht einfach wieder so zurück. Hör zu Kleines. Du darfst jetzt auf keinen wütend sein, aber ich arbeite seit einiger Zeit bei der Partnerfirma der Reyes. Sie haben mir die Stelle vermittelt, nachdem ich wieder hierhergekommen bin. Noahs Eltern wussten die ganze Zeit von meinem Verbleib, warum, wieso und weshalb ich damals so plötzlich gegangen bin und wie es mir ging. Wir hatten regelmäßigen Kontakt. Aber ich hielt es besser dich noch nicht darüber zu informieren. Jetzt ist die Zeit aber gekommen, vor allem wegen der aktuellen Lage.“
„U-Und... Warum bist du damals gegangen?“
„Weißt du warum du keinen Kontakt zu deinen Großeltern hast? Zu meinen Eltern?“
„Naja... Wie denn auch, es hat mir ja keiner gesagt.“
„Ok, also...“, es schien so, als würde mein Vater vorher noch einmal tief ein und ausatmen. Dann fuhr er fort. „Deine Mutter ist Brasilianerin, das weißt du. Und das wissen deine Großeltern auch. Sie waren schon von Anfang an gegen diese Beziehung und haben Druck ausgeübt – ich hatte einerseits Angst davor, dass euch etwas deswegen passiert, aber andererseits war ich wohl einfach zu feige.“
„Und was sollte uns denn deswegen passieren?“
„Sie sind unberechenbar. Vielleicht hätten sie sogar einen Mörder auf euch angesetzt. Ihnen ging es nur darum die sogenannte weiße Blutlinie meiner Familie aufrecht zu erhalten.“
Eine Weile lang blieb ich still, starrte ihn nur fassungslos an. Diese Worte schienen immer wieder endlos in meinem Kopf zu hallen, wie ein Echo. Mörder... Man wollte einen Mörder auf uns ansetzen? Meine eigenen Großeltern? Und wie mein Vater das erzählte, konnte es nicht gelogen sein. Definitiv nicht. Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als er wieder zu sprechen begann.
„Als ich wieder zu ihnen zurückkehrte und versicherte, ich würde den Kontakt zu euch beiden abbrechen, dachte ich, dass sich die Sache erledigt hätte. Lächerlicherweise haben wir sogar einen Vertrag verfasst, den ich unterschreiben sollte. Wenn du willst kann ich ihn dir geben, ich habe ihn hier.
Jedenfalls hatten sie das nicht aus ihrem Kopf geschrieben. Deswegen weiß ich, dass ich hier bei euch sein muss, um euch zu beschützen.“
„U-und... Und wie willst du das machen?“, meine Stimme zitterte vor Angst.
„Das lass mal meine Sorge sein. Du solltest jetzt in Zukunft besser aufpassen, wem du deine Adresse gibst – ich hab damals schon vorgesorgt, deine Großeltern wissen weder die richtige Adresse von euch noch eure richtigen Namen.“
…
In den nächsten Tagen hielt der Kontakt zwischen meinem Vater und mir noch länger an. Jeden Tag sahen wir uns, sprachen miteinander. Manchmal wünschte ich mir, dass meine Mutter auch dabei gewesen wäre, dass wir etwas zu dritt unternahmen. Nur wir drei, wieder als Familie. Aber da sie jetzt John hatte, würde es wohl kein Zurück mehr geben. Und dennoch hatte mein Vater immer noch das Bedürfnis uns zu schützen. Und die Tage und Wochen vergingen so unspektakulär, dass es schon fast langweilig wurde. Mittlerweile wurde es schon langsam Herbst und alles erstrahlte langsam in goldenen, braunen und warmen Erdtönen. Überall auf den Straßen und in den Gärten lag der Herbstlaub und in meiner Nachbarschaft war jeder beinahe jeden Tag damit beschäftigt den Laub zu kehren.
Es war die erste und zweite Stunde an einem Donnerstag. Sie begann direkt mit Sport. Noah, Chase und überhaupt die ganzen anderen Jungs belegten einen anderen Sportkurs, dieser fand zwar parallel zu unserem statt, jedoch machten sie eben etwas anderes –Fußball.
Wir Mädchen wiederum hatten uns alle für den Tenniskurs entschieden. Annie, Lisa, Alison, Denise, Isabelle – sie waren unter anderem alle dabei. Eigentlich dachte ich, dass Marie auch bei uns sei, doch von ihr fehlte jede Spur. Sie war nicht anwesend. Langsam fing ich an mich zu fragen, ob sie wirklich mit Isabelle und Denise losgegangen war, innerlich hoffte ich jedoch, dass sie es nicht tat.
„Los, Lou!“, rief Alison mir zu, während sie sexy und doch energisch zugleich den Schläger in der Hand bereit hielt. Ich, die nicht einmal wusste, wie man ihn richtig hielt, wusste in dem Moment nicht, was sie genau meinte, doch das wurde mir schnell bewusst, als Lisa den Ball, der geradewegs auf mich zuflog, kunstvoll parierte.
„Du musst aufpassen! Der Ball!“, ihre Stimme klang leicht angestrengt.
„Achso... Ja, das tut mir Leid...“, antwortete ich ihr fast unverständlich. Das war der Grund, warum ich Sport hasste – Mannschaftsspiele. Ich war einfach zu blöd dafür, um mich richtig zu koordinieren – vor allem aber in einer Gruppe, wo ich auch noch auf die anderen schauen musste. Ich war ja schon mit mir selbst immer überfordert. Genauso sehr hasste ich Leichtathletik. Paradoxerweise war Turnen jedoch das Einzige, was ich im Sportunterricht beherrschte.
Eine Weile lang stand ich nur recht anteilnahmslos zu, ab und an versuchte Lisa mir beizubringen, wie ich den Schläger richtig zu halten hätte. Nach einiger Zeit schien es mir doch ein wenig zu gelingen, aber genug war es trotzdem nicht. Es dauerte jedenfalls nicht lang, bis Alison und Denise es schafften mich wieder aus dem Spiel zu verdrängen. Zwischendurch schielte ich immer wieder möglichst unbemerkt rüber zur Uhr, die an der Wand zu meiner rechten hing. So wie sich die Zeiger bewegten, schien es so, als wäre die Uhr kaputt – oder als sei die Zeit stehen geblieben. Ich seufzte kurz, war immer noch geistesabwesend und richtete meinen Blick auf den Boden neben mir, ging dabei einige Schritte zur Seite, um mich dadurch ein wenig aus dem Spiel schleichen zu können.
<Aus welchem Material ist dieser Boden eigentlich? Ist das Linoleum?>, fragte ich mich. Aus irgendeinem unerfindlichem Grund schien der Boden und überhaupt die ganze Beschaffenheit der Turnhalle immer interessanter zu werden.
Doch plötzlich hörte ich ein Geschrei, das ich zuerst nicht richtig verstand.
„EYYY!!! LOOOU!!“
„LOOOOU!!! PASS DOCH AUF!“, verstand ich schließlich. Und bevor ich realisieren konnte, was überhaupt passierte, spürte ich etwas Hartes gegen meinen Kopf fliegen. Plötzlich wurde um mich herum alles schwarz, ich sah nichts mehr, fühlte jedoch noch, wie mein Körper irgendwie in der Gegend umherzutaumeln schien. Und wie es nicht anders hätte kommen könnten, verlor ich schlussendlich das Gleichgewicht, prallte mit meinem linken Arm gegen die Stange des Netzes.
„Scheíße, ist alles in Ordnung bei dir?!“
„J-ja...“, stammelte ich noch leicht benommen, versuchte aufzustehen. Doch ich knickte auf der Stelle wieder ein. Na super... Noch schlimmer war jedoch die Tatsache, dass nun alle Blicke auf mich gerichtet waren.
„Was'n hier passiert?“, fragte Max, der gerade mit den anderen durch die Tür in die Turnhalle hineinkam. Ich sah auch Noah, der gerade damit beschäftigt war sich mit Shawn zu unterhalten und zu lachen. Gut, dass er mich nicht so sah. Genauso wenig wollte ich jetzt Chase sehen...
„Lou ist gegen die Netzstange geknallt. Ist alles ok? Sollen wir dich ins Krankenzimmer bringen?“
„Nein, ist wirklich alles ok. Ich will nicht, dass jetzt nur deswegen so ein großer Aufstand deswegen gemacht wird...“
„So wie sie den Arm hält ist sie mit dem Arm dagegen aufgekommen, oder?“
„Ja, ist sie... Man Noah, jetzt sag doch mal was! Oder bring' sie wenigstens ins Krankenzimmer oder so!“
Zögernd sah ich zu Noah hinauf, der gelassen wie immer vor mir stand. Kein Lächeln, keine Spur von Emotionen lag in seinem Gesicht. Er hielt einen Fußball in seinen Händen und sein Blick fixierte sich geradezu auf mich.
„Lou, fang' mal den Ball“, sagte er trocken und warf ihn mir zu. Doch dieser prallte ausgerechnet gegen meinen linken Arm und sofort entwich mir ein schmerzerfüllter, leiser Schrei.
„Hallo?! Spinnst du?!“
Lisa war völlig aufgebracht, nahm den Ball und warf ihn wieder zurück zu Noah, dieser wich jedoch nur lässig aus.
„Komm.“
Noah schien es komplett ignoriert zu haben, dass Lisa ihn mit dem Ball bewerfen wollte, beugte sich ein wenig zu mir herunter und streckte mir den Arm entgegen.
„Ich hätte dir nicht so weh tun müssen, wenn du einfach gesagt hättest, dass es weh tut.“
„Kannst du gehen?“
„Ja, ich schaff das schon.“
In Noahs Stimme und Blick lag nun ein bisschen Sorge. Ich versuchte seinem Blick auszuweichen, sah beschämt weg. Ich hörte noch, wie er zu seufzen schien und seinen Arm schließlich um mich legte.
„Wenn deine Beine auch weh tun, musst du Bescheid sagen. Sonst weinst du wegen mir noch.“
Wir waren die Einzigen, die im Krankenzimmer der Sporthalle waren. Alles war still, meine eigenen Gedanken waren das Einzige, was in dem Moment überhaupt laut war. Mit hochrotem Kopf saß ich auf dem Bett, hielt meinen Arm ausgestreckt hin, während Noah ein Verband darum wickelte. Zwischendurch schweifte mein Blick immer wieder zu ihm. Er wirkte sehr konzentriert, sagte kein Wort – genauso wenig wie ich in dem Moment. Ich wusste auch nicht wirklich, was ich in dem Moment sagen konnte.
„Wo ist eigentlich Chase?“, brachte ich schließlich aus mir heraus.
„Er ist Mannschaftskapitän, beschäftigt wie immer“, antwortete er stumpf. So stumpf, dass es mich schon irgendwie schockierte. So kalt wie jetzt hatte ich Noah noch nie erlebt. Aber wieso beschwerte ich mich eigentlich, er kümmerte sich ja gerade um mich. Und während ich ihn ansah, fragte ich mich, was wohl in seinem Kopf gerade vor sich ging. Hatte er vielleicht Sorgen? Ich hatte das Gefühl, dass ihn in letzter Zeit sowieso Einiges beschäftigte. Aber wieso sagte er nichts?
„So, fertig. Du solltest heute nochmal zum Arzt gehen, vielleicht ist da irgendwas geprellt. Ich...“
Die Tür, die geradezu laut aufknallte, unterbrach ihn.
„Was ist denn hier los, Schatz? Hab grad gehört, was passiert ist, was ist mit deinem Arm?“, Mit diesen Worten ging Chase in schnellen Schritten auf mich zu, setzte sich neben mir auf's Bett und sah sich die Verletzung an meinem Arm an. Dann wanderte sein Blick rüber zu Noah, der sich gerade mit Victor unterhielt.
„Nichts, es ist alles ok“, murmelte ich fast unhörbar, während ich es gerade noch schaffte nicht reflexartig von ihm wegzurücken.
„Und Noah hat dir das Verband drumgewickelt?“
Ich nickte nur stumm. An Chases Blick konnte ich erkennen, dass ihm das gar nicht zu gefallen schien. Aber er war eben gerade da, was sollte ich tun? Außerdem war es auch ziemlich nett von Noah. Und wieso war er überhaupt wieder eifersüchtig? Noah würde doch sowieso nie etwas von mir wollen.
„Na dann. Soll ich heute mit dir zum Arzt?“, fragte er schließlich zu meiner Verwunderung. Und genau so sah ich ihn an, verwundert und überrascht – deshalb, weil er wieder Zeit für mich zu haben schien.
„Ähm ja, wenn's dir nicht ausmacht?“
Dann legte er seinen Arm um mich und hatte dabei wieder dieses unwiderstehliche Lächeln auf seinen Lippen.
„Ich liebe dich, alles wird gut, ja?“, flüsterte er, streichelte sanft über meinen Oberarm und küsste mich.
„Jo, wie auch immer, ich geh' dann mal wieder zurück, oder?“
„Nein, warte mal kurz. Wir müssen reden.“
„Ja, schieß' los oder was?“
Während Noah und Chase sich draußen unterhielten, wartete ich im Krankenzimmer zusammen mit Jacob darauf, dass sie wieder zurückkamen. Worüber sie sich wohl gerade unterhielten?
„Boah Gott, immer so ein Stress mit den beiden...“, stöhnte Jacob plötzlich genervt und ließ sich auf den weißen Stuhl, der neben dem Bett stand, fallen.
„Wieso denn? Was für einen Stress?“
„Keine Ahnung, man... Eigentlich waren Noah und Chase immer die besten Freunde, um es mal so zu sagen. Ich weiß echt nicht, was mit denen los ist, aber ich glaube es ist wegen dir, nichts für ungut. Chase ist mit dir zusammen, Noah ist dein bester Freund – Chase ist schnell eifersüchtig und so weiter.“
„Ja häh?! Noah ist mein bester Freund, das ist es doch! Da gibt es doch gar keinen Grund eifersüchtig zu sein oder etwa doch?“
„Oh man, du bist echt naiv, oder? Überleg doch mal richtig. Ist Noah auch zu anderen Mädchen so wie zu dir? Nein. Ihn kümmert's normalerweise einen scheíß Dreck, was die anderen machen. Aber bei dir macht er sich immer sofort Sorgen und Sowas. Und Chase war, bevor er mit dir zusammen war, auch eines von diesen Árschlöchern, sowie ihr es sagen würdet. Er ist ein Spást, der glaubt zu wissen, wie die Männer ticken und denkt, dass Noah dich ihm wegnehmen will. Aber ganz ehrlich, ich glaube seine Angst ist nicht mal ganz unbegründet. Merkst du es jetzt endlich? Du bist wohl die Einzige, die ihnen helfen kann. Du kannst also aufhören so naiv zu denken.“
„Wie bitte? Wieso sollte ich das denn bitte merken, wenn einer auf mich angeblich steht? Guck mich doch mal an...“
„Ja, du hast Recht. So wenig Selbstwertgefühl wie du hast, kein Wunder. Das ist so ungeil, da kannst du nicht mal was dazuinterpretieren.“
„Eine Frage, wieso hast du mich nicht gerufen?"
„Wieso sollte ich, ich war eben grad da. Wie immer eigentlich. Warum weinst du denn jetzt schon wieder?“
„Schnauze, sag du mir lieber erstmal, wieso du sie dauernd sehen willst. Du nutzt wirklich jede Gelegenheit, oder?“
„Jede Gelegenheit? Wofür?! Ich mache das, wofür DU eigentlich zuständig bist. Ach ja, ich hab's ja vergessen... Für einen beschäftigten Bänker wie dich wird eine Freundin nur zur Last, wenn sie eh nicht mit dir schlafen will.“
„WAS?!“, schrie Chase schon fast. Seine Augen verengten sich, sein Blick wurde von jener Wut erfüllt, von der man normalerweise glaubte, dass Menschen sie nur empfinden konnten, wenn sie jemanden töten wollten. [COLOR=0006633]„Ich warne dich, pass' lieber auf was du sagst. Im Gegensatz zu dir fällt mir nicht alles in den Schoß. Ich dachte eigentlich, dass wir Kumpels wären, wie Brüder. Aber ohne Scheíß, du bist wirklich widerlich.“[/COLOR]
„Du solltest wissen, wenn ich die Chance hätte, im Gegensatz zu dir – ich wüsste, was ich tun würde.“
Nach einiger Zeit kam Chase wieder ins Krankenzimmer – ohne Noah. Er wirkte leicht angespannt, sodass ich mich nicht traute zu fragen, was los war. Durch den offenen Türspalt versuchte ich zu sehen, ob Noah dort noch stand, doch von dem fehlte jede Spur.
…. Am Nachmittag beim Arzt
Die Ärztin, die meinen Arm untersuchte, sah wirklich gut aus und schien, wenn man zumindest nach ihrem Äußeren urteilen würde, noch relativ jung zu sein. Selbst die riesige Hornbrille, die sie trug, verunstaltete ihr Gesicht nicht.
„Winkel den Ellbogen mal ein wenig an. Klappt das oder tut das weh?“, fragte sie mich, während sie vorsichtig meinen Unterarm abtastete. Und als sie mir dabei nachhalf den Ellbogen anzuwinkeln, entfuhr mir ein leises Keuchen – vor Schmerzen.
„Hmm... Aber gebrochen ist der Arm nicht, das sähe sonst anders aus. Scheint mehr eine leichte Prellung zu sein. Das wird leider trotzdem mehrere Wochen dauern, bis du keine Schmerzen mehr spürst. Ich schreibe dir für die nächsten drei Sportstunden erst einmal einen Attest, wenn das danach noch immer nicht geht, dann kommst du wieder, in Ordnung?“
Da Chase direkt danach zum Training wollte, fuhr er mich nach Hause. Am Abend wollte er noch einmal vorbeisehen, sagte er. Doch während der ganzen Fahrt fing er an über diese Ärztin zu reden, wie bildhübsch sie doch sei.
„...Und dazu auch noch so erfolgreich. Nicht schlecht, nicht schlecht. Aber sie ist ja verheiratet.“
„Was soll das heißen 'aber sie ist ja verheiratet'?, keifte ich ihn ein wenig von seiner Schwärmerei genervt an.
„Ach was, bleib mal locker. Das ist halt nur zu gut, wenn Frauen so erfolgreich und schön sind. Aber ich denke du bist ja auch auf dem Weg dorthin.“
„Auf dem Weg wohin?“
„Na, erfolgreich zu werden. Und hübsch bist du ja schon.“
„Findest du echt?“
„Ja, dir stehen Outfits wie heute zum Beispiel einfach besser. Du kannst dir ja die Ärztin zum Vorbild nehmen.“
„Gott, jetzt fängst du ja schon wieder von dieser blöden Kuh an, ey! Ich dachte das hätten wir echt hinter uns!“, schrie ich ihn mittlerweile an. Doch dazu äußerte er sich nicht. Und es kam gerade gelegen, dass wir dann auch schon vor meinem Haus anhielten. Wortlos und wutentbrannt stieg ich aus seinem Auto und knallte ihm energisch die Tür zu, verabschiedete mich nicht. War es ihm denn etwa noch immer nicht genug, was ich alles getan hatte?! Dass ich jeden Morgen zwei Stunden vor der Schule aufstand, nur um für ihn gut auszusehen? Weil ich genau wusste, dass er es hasste, wenn ich Sneakers und überhaupt flache Schuhe trug?!
Noah hatte ihre Wohnung kaum betreten, als es schon sofort zur Sache ging. Noelle war klar, warum er hier war und das hatte weder etwas mit Freundschaft noch mit Liebe zu tun. Es war etwas, was man so in Worten nicht beschreiben konnte. Zumindest hatte es für Noah nichts mit dergleichen zu tun.
Als die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel, fiel sie ihm schon direkt um den Hals. Für Noah hatte sie extra ihre besten Klamotten herausgekramt, sich lange für ihn fertig gemacht. Und so wie sie ihren nur knapp bekleideten Körper an seinen presste, schien es so, als wäre dieser gesamte Aufwand schon wieder fast umsonst gewesen. Noah drückte sie, seine Hände nicht von ihrem Körper lösend, direkt in Richtung Bett.
„Gott, endlich! Du weißt gar nicht, wie lange ich dich schon vermisst hab!“, stöhnte sie, während er sich küssend über sie beugte. Immer inniger, immer fordernder ließ er seinen Kuss werden. Und schließlich dauerte es nicht lang, bis sich beide von allem Nötigem an ihrem Körper entledigt hatten und das taten, wofür sie sich verabredet hatten.
Erschöpft sank sie auf das Bett und wollte sich gerade an seinen Körper schmiegen, als ihr Blick auf die Uhr fiel und sie vor Schreck zusammenzuckte.
„Verdammt!“, zischte sie, rutschte an den Rand des Bettes und zog sich eilig an.
„Was ist los?“
Die Erschöpfung war ihm noch deutlich anzumerken.
„Ich wollte heute Chris von der Arbeit abholen! Ich muss los. Begleitest du mich noch nach draußen?“
Chris war übrigens ihr Freund, von dem Noah auch genau wusste. Aber es schien ihm aus irgendeinem unerklärlichem Grund egal zu sein, denn Noelle war, wie viele Mädchen, mit denen er schlief, wirklich schön. Und irgendwie auch beliebt. Das allein schien schon auszureichen, um miteinander so intim zu werden.
Der Streit mit Chase ließ mich den ganzen Tag nicht los. Zwischendurch weinte ich immer mal wieder kurz, aber genauso schnell fing ich mich auch wieder. Am Abend verspürte ich dann das Bedürfnis mich mit jemandem darüber zu unterhalten und als ich in Skype online ging, waren von meinen ohnehin schon sehr begrenzten Kontakten nur Noah und Lisa online. Zuerst schrieb ich Lisa an, doch diese antwortete mir nicht. Bestimmt war sie gerade telefonieren oder Shawn war bei ihr... Wenn ich so darüber nachdachte, beneidete ich sie schon fast um ihr Leben. Es war immer aufregend und überhaupt schien alles bei ihr wohl perfekt zu sein. Und nun blieb nur noch Noah übrig. Es war schon lange her, dass ich ihn angeschrieben hatte, denn normalerweise ließ ich ihn immer auf mich zukommen. Und manchmal unterhielten wir uns gar nicht, da wartete ich einfach darauf, dass er mich anschrieb, aber er tat es dann nicht. Oder er antwortete mir nicht, weil er wieder am Zocken war, wenn ich ihn dann doch anschrieb. Doch heute überwand ich meinen inneren Schweinehund und tippte ein kurzes
„Hey“ ein.
<na? <3
alles klar bei dir?>
<... Ehrlich gesagt nicht... ich hab mich heute mit Chase gestritten... Er hat schon wieder von anderen geschwärmt und keine Ahnung, bis jetzt hab ich das immer toleriert, aber heute war mir das echt zu viel
Ich mein du kennst doch die Ärztin hier, Dr. Schwarz, oder? Sie ist halt hübsch und klug und alles... blabla... verstehst du, was ich mein? -.->
<chill... er ist ein idiot... aber sie sieht echt nicht schlecht aus da hat er recht xd
ne aber im ernst was soll ich jetzt darauf antworten? Wo ist jetzt genau dein problem?>
<Dass ich nicht will, dass wir uns so streiten, weißt du? Aber andererseits bin ich echt sauer und er hat sich noch gar nicht wieder gemeldet...>
<hast du dich danach wieder bei ihm gemeldet?>
<ja aber er hat nicht geantwortet-.->
<fail...-.-^^ meld dich lieber erstmal nicht bevor er sich nicht gemeldet hat das ist sein fehler und nicht deiner ist normal dass du da so traurig, sauer oder was auch immer wirst. Bist ja ein mädchen...>
Angesichts dessen, dass Noah sich diesmal wirklich Zeit nahm, um sich mein „Leiden“ anzuhören, war ich ziemlich erleichtert und irgendwie wieder glücklich. Es muss wahrscheinlich echt seltsam ausgesehen haben, wie ich in dem Moment so breit grinsend vor dem Laptop gesessen habe. Und obwohl er wahrscheinlich gerade nebenbei sein Spiel zockte, gab er mir eine Antwort. Und die war wohl gar nicht mal so unkonstruktiv... Ich konnte zumindest etwas mit ihr anfangen, wobei ich mir doch schon fast wünschte, dass er mehr sagen würde.
… Am nächsten Tag
Es war ein Freitagabend, den ich wieder zu Hause verbrachte. Zu Hause allein vor dem Fernseher. Die Wut, die ich am gestrigen Tag gegenüber Chase empfand, war mittlerweile in Reue umgeschwenkt. Er hatte sich nicht gemeldet, nicht auf meine SMS oder Anrufe reagiert. Wahrscheinlich hatte er gerade andere Sorgen und meinte das, was er sagte gar nicht so, wie ich es aufgefasst hatte. Wahrscheinlich wollte er mich einfach dazu motivieren das Beste aus mir zu machen. Und ich Idiot hatte ihn dafür auch noch angeschrien...
Je mehr ich darüber nachdachte, desto trauriger machte es mich. Doch zugleich wusste ich auch, dass ich handeln musste. Ich konnte jetzt nicht einfach so rumsitzen.
„Hallo Emilia.“
„Ach, hey Annie!“, lächelnd drehte sich Emilia zu ihr um und ging an ihr vorbei zum Handtuchspender, um sich ihre frisch gewaschenen Hände abzutrocknen. Es war Schulschluss und Annie und Emilia waren noch eine von denen, die sich für das Cheerleading beworben hatten. Und nun waren beide im Mädchenklo, noch einmal bevor sie nach Hause gehen würden. Schon den ganzen Tag über war Emilia irgendwie nachdenklich, beinahe schon geistesabwesend. Noch eine Weile blieb sie da stehen, starrte aus dem kleinen Fenster des Raumes. Sie wartete auf Annie, die gerade in eines der Kabinen auf Toilette ging.
Als sich Annie dann schließlich die Hände gerade abtrocknen gehen wollte, sah Emilia den Moment, um sie zur Rede zur stellen.
„Du sag mal, Annie... Ist Noah heute mit Lou zusammen nach Hause gegangen, weißt du das?“
„Nein, ich glaube er ist mit Sara zusammen weg gegangen.“
„Was? Wieso denn bitte mit Sara? Ich meine ich hatte ihn heute eigentlich gefragt, ob er heute dabei ist... Mir bei meinem Auftritt zusieht... Komisch... Und erreichen tu ich ihn auch nicht.“
„Ganz ehrlich, Liebes – ich will ja jetzt nicht gemein werden oder so, ich mag dich, du bist lieb und süß und hübsch, aber ehrlich – du solltest dich besser erkundigen. Ein wenig naiv bist du wohl auch.“
Es war mittlerweile spät geworden, fast eine Stunde war es nun nach Ladenschluss. Noah blieb mit Sara, die in dem Kleidergeschäft arbeitete, noch eine Weile. Und nun waren beide komplett allein, die Sonne war draußen komplett untergegangen, es war dunkel, die Straßen wurden langsam leerer. Die Musik im Laden war leise gedreht und ihr Gespräch wurde durch die immer weniger werdenden Worte zunehmend eingedämmt.
„Weißt du was, Noah. Ich will ja nichts sagen, aber du bist wirklich nicht schlecht“, sagte sie lässig und setzte sich auf die Verkaufstheke, die sich in der hinteren Ecke des Ladens befand.
„Wie kommst du denn jetzt darauf?“
„Na, Emilia hat mir erzählt, dass ihr es getan habt. Und sie fand es echt gut.“
Saras Blick wanderte ihn musternd von oben bis unten auf und ab. Ein breites Lächeln erschien auf ihren Lippen, als sie wieder in sein Gesicht blickte. Wie viele Mädchen fand auch sie, dass er wirklich ein attraktiver, junger Mann war. Aber Noah war eben Noah, oder nicht? Jede wollte ihn, aber keine hatte ihn so wirklich. Mit langsamen Schritten trat er immer näher auf sie zu.
„Schade, dass du mit ihr zusammen bist. Um ehrlich zu sein, wollte ich dich auch für mich haben. Aber sie ist eben meine Freundin, da kann man nichts machen, nicht wahr? Ich meine...“
Ein unterbrechender Kuss ließ sie sofort still werden und zu seiner Verwunderung schien Sara ihn auch zu erwidern. Immer inniger ließ er ihn werden. Es war ein langer, intensiver, verlangender Kuss. Als er ihren Mund dabei leicht öffnete, drückte sie ihn jedoch von sich weg.
„Noah... Ich will echt zu gerne, aber... Ich weiß nicht, ob es das Richtige ist, immerhin...“
„Immerhin was?“, er verzog seine Mundwinkel zu einem charmanten Lächeln und sah ihr dabei tief in die Augen. Ihre Reaktion war ihr daraufhin deutlich ins Gesicht geschrieben. Ihre Augen weiteten sich kurz, doch dann legte sie ihre Hände um seinen Kopf und vereinte ihre und seine Lippen wieder zu einem Kuss. Ohne weiter zu reden legte er seine Hände um ihre Hüfte und ließ sie dabei tiefer gleiten.
Doch plötzlich hielt er inne, löste seine Lippen von ihren.
„Was ist? Schlechtes Gewissen gekriegt?“
„Weiß nicht. Ich hätte nicht gedacht, dass du als ihre Freundin das mit mir machst, ehrlich nicht. Schon etwas ironisch. Ach weißt du, nein. Ich kann das nicht, das ist mir 'ne Spur zu seltsam.“
„Ach was, mach dir doch keine Sorgen wegen Emilia. Sie übertreibt voll. Wir wissen ja alle, was du willst. Wen du willst und das ist weder sie, noch ich, noch sonst eine von denen, mit denen du die letzten Nächte zusammen verbracht hast.“
Sein Blick verfinsterte sich automatisch, als er diese Worte hörte. Nun ließ er sie komplett los, sah sie ein wenig fassungslos an.
„Oder etwa nicht?“
Den Kopf zur Seite geneigt erwartete sie gespannt seine Antwort. Doch seine eben noch zu einem grimmigen Blick verengten Augen weiteten sich wieder ein wenig. Nun sag nur noch Kälte in seinem Gesicht.
„Soll ich ehrlich sein?“, er hob seine rechte Augenbraue.
„Glaubt was ihr wollt.“
Mit diesen Worten drehte er sich um, wollte gerade den Laden verlassen, bis sie jedoch wieder zu sprechen begann.
„Na gut, wenn ich mich irre, dann dreh' dich nochmal zu mir um und machen wir da weiter, wo wir aufgehört haben.“
Noah blieb kurz stehen, sein Blick wanderte kurz nachdenkend hin und her. Doch er drehte sich nicht um und verließ kurz darauf das Geschäft.
Seufzend schlenderte ich die Straßen entlang. Es war abends, die Sonne war untergegangen und mittlerweile hatten alle Geschäfte schon längst geschlossen. Die Straßen wurden immer leerer und ich war eine von wenigen Menschen, die jetzt so unter der Woche noch draußen waren. Der Grund, warum ich hier war, war dass ich mich mit Chase wieder vertragen wollte. Ich war mir mittlerweile sicher, dass ich überreagiert hatte. Und die Entschuldigung, die ich ihm jetzt bringen würde, hatte ich auch schon vorformuliert. Obwohl ich es schon geschafft hatte mich aufzuraffen und loszugehen, wurde mir jedoch immer mulmiger, je näher seiner Wohnung kam. Und als ich mich nun direkt vor dem Gebäude seiner Wohnung befand, begegnete ich plötzlich Noah.
„Huch, was machst du denn hier?“, fragte ich ihn verwundert. Zuerst schien er mich nicht wirklich wahrgenommen zu haben, doch dann verformten sich seine Lippen zu einem Lächeln, als er mir ins Gesicht sah.
„Das Gleiche könnte ich dich fragen. Was ist los? Warum bist du wieder alleine? Es ist dunkel.“
„Ach... Du weißt ja, Chase und ich haben uns ja gestritten... Aber ich dachte, ich entschuldige mich wieder bei ihm. Im Grunde hab ich gestern ja wirklich überreagiert...“
„Du bist jetzt den ganzen Weg zu Fuß hierher gelaufen, nur um dich bei ihm zu entschuldigen? Warum hast du ihn nicht angerufen?“
„Ja, er hat nicht abgenommen. Bestimmt ist er grad in seiner Arbeit vertieft.“
Auf meinen Worten folgte nur ein verachtendes Schnauben von Noah. Genervt blickte er zur Seite, sagte kein Wort.
„Was ist los?“, hakte ich vorsichtig nach, ging ein paar Schritte näher auf ihn zu. Doch an seiner Reaktion änderte sich nichts.
„Mach, was du für richtig hälst.“
Mit diesen Worten ging er, ohne etwas Weiteres zu sagen, an mir vorbei. Eigentlich wollte ich noch antworten, aber irgendwie wirkte Noah sowieso schon total geistesabwesend. Ich entschied mich daher ihn einfach gehen zu lassen und sah ihm noch einige Sekunden etwas perplex nach und hoffte, dass er nicht wütend war. Aber wieso sollte er denn wütend sein? Ungläubig schüttelte ich den Kopf und betrat schließlich das Wohngebäude.
Mein Herz begann schneller zu schlagen, als ich direkt vor der Tür zu seiner Wohnung stand. Ein Kloß begann sich in meinem Hals zu bilden und das Schlucken fiel mir mit jeder Sekunde, die verstrich, immer schwerer. Noch einmal atmete ich kurz ein und aus, räusperte mich kurz und klingelte schließlich an seiner Tür.
„Oh hallo? Warum bist du so spät noch hier?“
„Schatz, darf ich reinkommen?“, fragte ich ihn zögerlich. Und zu meinem Erstaunen ließ er mich tatsächlich in seine Wohnung rein. Er wirkte gelassen, ruhig. Eigentlich hatte ich erwartet, dass er mir die Tür wieder direkt vor der Nase zuknallen würde, aber so ein Mensch war Chase wohl nicht. Nein, eigentlich war er vom Gemüt her immer sehr ruhig.
Mein Blick fiel beim Betreten seiner Wohnung wieder direkt zur Küche. Die Arbeitsflächen waren wieder verdreckt und es standen zwei benutzte, noch nicht abgewaschene Pfannen auf der Theke. Daneben war noch ein leerer KFC-Eimer, den man bei jeder Bestellung von Hähnchenkeulen darin bekam.
„Seit wann isst du Fast Food?“, fragte ich ihn verwundert. Chase setzte sich wieder direkt an den Rechner und beim genaueren Hinsehen wusste ich, dass er wohl gerade dabei war zu arbeiten.
„Ich muss die Datenbank bis morgen fertig gestellt haben. Hatte heute keine Zeit für's Kochen“, antwortete er stumpf, während er weiter auf seiner Tastatur rumtippte.
„Dann wird es wohl nicht schaden, wenn ich ein wenig für dich aufräume, oder?“
Mittlerweile war einige Zeit vergangen, in der ich in seiner Wohnung war. Kein Kuss, keine Umarmung, keine einzige Berührung. Nicht einmal einen flüchtigen Blick, den er mir zuwarf. Dass ich für ihn die Wohnung aufräumte war nur ein Vorwand, um nicht direkt wieder gehen zu müssen oder es so aussehen zu lassen, als würde ich auf ihn warten. Doch insgeheim wartete ich wirklich auf ihn. Darauf, dass er sich mir wieder zuwendete und alles wieder gut war. Doch meine Anwesenheit ließ ihn anscheinend kalt. Und auch dann, als ich fertig geworden und nun alles wieder sauber war, wandte er sich mir noch nicht wieder zu.
Ich beobachtete ihn kurz, wie er an seinem Rechner saß und an seiner Datenbank programmierte. Es war so, als würde er die Umgebung um sich herum gar nicht wahrnehmen – genauso wenig auch mich.
„Schatz? Ich weiß, du bist vielleicht sauer auf mich, aber bitte, kannst du nicht kurz den Rechner stehen lassen? Ich wollte jetzt eigentlich mit dir reden...“
„Ich bin nicht sauer, nicht mehr. Schlaf heute Abend bei mir, ich bin dann gleich oder so fertig. Dann hab ich Zeit, ja?“, sagte er, ohne seinen Blick vom Bildschirm abzuwenden.
Ich versuchte mit den Tränen zu kämpfen, doch seine Worte hallten immer und immer wieder in meinem Kopf, wollten einfach nicht verstummen. Die kalte Art, wie er es sagte und vor allem, dass er mich nicht einmal dabei ansah, machte mich einfach fertig.
„Oder nicht?“, nun drehte er sich schließlich doch um und sah mich erwartungsvoll an. Ich öffnete meinen Mund leicht, wollte gerade etwas sagen, doch das konnte ich einfach nicht und eilte stattdessen in Richtung Tür. Heiße Tränen rannen mir die Wangen hinab.
„Ehrlich, das war echt unnötig, dass ich hierhergekommen bin!“, schluchzte ich und verließ letztendlich seine Wohnung.
Auf dem Heimweg dachte ich mir, dass es vielleicht eine gute Idee sei mit Noah darüber zu reden. Immerhin kannte er Chase schon ziemlich lange und sie waren ja eigentlich auch sehr gut befreundet. Vielleicht konnte er mir ja Auskunft geben. Es hätte ja sein können, dass Chase noch wütend war und es vielleicht auf diese Art und Weise zeigte?
„Hey?“
„Hi... Stör ich dich gerade?“
„Komm rein.“
Und auch bei Noah war es das Schweigen, was in der Zeit, die wir miteinander verbrachten, dominierte. Wir saßen bei ihm unten im Wohnzimmer vor dem Fernseher. Er hatte den Fernseher so laut geschaltet, dass das Knistern des Kaminfeuers kaum noch zu hören war.
Ab und zu wagte ich es immer wieder kurz zu ihm rüberzuschielen. Sein Blick richtete sich starr auf den Fernsehbildschirm. Als ich kurz einatmete, vernahm ich plötzlich einen süßlichen Geruch. Schon wieder ein Frauenparfum, gemischt mit seinem. Ich fasste all meinen Mut zusammen und beschloss ihn schließlich darauf anzusprechen. Immerhin konnte ich ja nicht schon wieder von meinen Problemen anfangen...
„Und, was hast du heute so gemacht?“, ich versuchte nicht direkt mit der Tür ins Haus zu fallen und dachte, dass ich vielleicht erst einmal dezenter anfangen sollte, hoffte dabei, dass unser Gespräch auch wirklich dahin führen würde.
„Hab ein paar Leute getroffen. Und du?“
„Ich war in der Bibliothek, hab ein bisschen recherchiert und dann war ich eben bei Chase...“
„Und, wie ist's gelaufen? Hat er dich wenigstens nach Hause gefahren?“, seine Stimme nahm einen strengen Tonfall an.
„Ach, ich weiß nicht. Ich hatte nicht so viel Zeit, bin wieder gegangen“, log ich.
„Und, wie geht’s Emilia?“, ich versuchte das Thema wieder in die Richtung zu lenken, in der ich sie haben wollte. Ich wollte wissen, wieso Noah in letzter Zeit so bedrückt und distanziert war.
„Ich mein, ich weiß ja nicht, vielleicht bilde ich mir das nur ein, aber Noah...“
„Ich mach mir echt Sorgen um dich...“, ein wenig beschämt und nervös zugleich wanderte mein Blick nach unten auf den Boden.
„Riech ich schon wieder oder warum fragst du?“, knurrte er plötzlich. Ich wusste, dass er mich in dem Moment ansah, doch ich traute mich nicht ihm ins Gesicht zu schauen.
„Tut mir Leid, ich wollte dich nicht so ankeifen. Weißt du, das ist alles im Moment so kompliziert... Ich kann dir das nicht erklären.“, nun war seine Stimme wieder sanfter.
„Dann muss es echt was Schlimmes sein... Noah, bitte... Ich will nicht, dass es dir so schlecht geht. Aber ich weiß auch nicht was los ist, verstehst du?“
„Ich glaube du würdest es nicht verstehen. Du verstehst auch jetzt schon nicht wirklich...“
Ein unangenehmer Schauer lief mir den Rücken hinunter, mein Atem stockte plötzlich. Ich konnte nichts anderes, als ihn nur völlig fassungslos anzusehen. Was meinte er? Was verstand ich nicht? Was gab es denn zu verstehen, außer, dass es ihm immer schlechter zu gehen schien?
„Weißt du was, ich gehe jetzt besser. Ich will dich nicht noch weiter nerven...“
„Halt, warte. Du nervst mich ni...“
„Ist schon okay.“
Ich stand auf und verzog meine Mundwinkel krampfhaft zu einem Lächeln, während ich ihn ansah und ihn umarmte. Dann verließ ich so schnell es ging sein Haus. Und als die Haustür hinter mir ins Schloss fiel, entfuhr mir ein langer, tiefer Seufzer und wieder begannen Tränen sich ihren Weg auf meiner Gesichtshaut nach unten zu bahnen.
„Du hast es echt nicht drauf, oder?“, murmelte ich leise und machte mich auf den Weg nach Hause.
„Ach was, trinken wir denn jetzt auch schon aus der Flasche?“
„Klar, ich will mein Leben ja noch in vollen Zügen genießen, bevor es losgeht.“
„Und frech werden wir auch noch... Noah, du tust so als sei das der Weltuntergang. Benimm' dich nicht wie so ein Weichei, sei ein Mann.“
„Dann geh' du doch eben anstelle von mir mit Emilia studieren. Ich hatte sowieso andere Pläne, kommt mir gerade Recht. Vielleicht kauf ich mir dann einen Adelstitel oder so, damit ihr dann auch in Zukunft mit mir noch reden werdet“, in Noahs Stimme war ein deutlicher, sarkastischer Unterton herauszuhören. Man hätte eigentlich erwarten können, dass sein Vater ihn jetzt womöglich einen Schlag ins Gesicht verpassen würde, doch das tat er nicht. Nicht einmal sein Gesicht verzog er. Und genau das war es, was Noah in dem Moment nicht verstand...