Penny sah von ihrer Arbeit auf, weil plötzlich die Firma vor Aufregung summte. Zuerst konnte sie den Grund dafür nicht erkennen, doch jemand schien durch den hinteren Eingang gekommen zu sein. Im nächsten Moment wusste sie, wer es war, wer es sein musste, und der Schreck fuhr ihr durch alle Glieder. Sie wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte. Sie konnte nicht einfach sitzen bleiben, alle anderen kamen schon näher, um Erec zu begrüßen. Und doch wusste sie nicht, wie sie das durchstehen sollte. Jeder sah ihr an, dass es ihr schlecht ging, das war schlimm genug. Er aber würde wissen, warum.
Sie stand auf und hoffte, dass ihre Beine sie tragen würden und ihre Knie nicht so wacklig waren, wie sie sich anfühlten. Sie hielt sich hinter Rachel, die mehr als einmal betonte, wie sehr sie sich freute, dass er wieder da war - es fehlte nur noch, dass sie bemerkte, dass Pennys Arbeit einfach kein Ersatz war. Doch für einen solch plumpen Fehler war Rachel zu klug.
Irgendwie schaffte es Penny, ihr Gesicht zu etwas zu verziehen, das entfernt an ein Lächeln erinnern könnte. Freute sie sich, dass er wieder da war? Die Wahrheit war, dass sie überhaupt nicht wusste, was sie fühlte. Sie fühlte sich erschöpft und innerlich verletzt und leer.
Sie tastete in ihrer Tasche nach dem Handy und wählte nach einem kurzen Blick eine Kurzwahlnummer. Das Telefon in ihrem Büro klingelte, und sie ließ ihr Handy schnell wieder verschwinden.
Erecs Blick streifte sie, bevor sie sich leise umdrehen und verschwinden konnte, und sie zuckte zusammen. Er sah sie forschend an, und sie hatte das Gefühl, ertappt worden zu sein, doch was sie viel mehr erschreckte, war die Sorge in seinem Blick.
Vor ihrem Büro hatte sich der Auflauf aufgelöst, Erec war nirgends zu sehen und sie legte auf, worauf das Telefon sofort wieder zu läuten begann. Penny griff nach dem Hörer, zu überrascht, um auf dem Display nachzusehen, wer es war. So traf Erecs Stimme sie wie ein Schlag. „Kommst du hoch in mein Büro? Bitte.“
Sie ließ den Hörer sinken, stand langsam auf und stieg automatisch die Treppen zum obersten Stock hoch. Wie so oft in den letzten Tagen war ihr Hirn zu leergefegt, um darüber nachzudenken, was das bedeuten sollte.
Je höher sie stieg, umso nervöser und langsamer wurde sie. Am liebsten hätte sie wieder kehrt gemacht und wäre nach Hause geflüchtet. Aber auch dazu fehlte ihr der Mut, also stieg sie die letzten Stufen hoch und ging zögernd auf ihn zu.
Er war sofort bei ihr, ergriff ihre Hand und schob sie mit sanftem Druck zu einem Stuhl. „Penny, du siehst ja furchtbar aus. Was ist mit dir?“ Leise fügte er hinzu: „Ist es wegen mir?“
Sie nickte nur, ansehen konnte sie ihn nicht. Sie schämte sich, dass ihr schon wieder die Tränen kamen, kam sich wie ein dummes kleines Kind vor, dem man sein Spielzeug weggenommen hatte und das nun bockig war. Doch das hatte sie sich in den letzten Tagen schon hundert Mal gesagt, und es änderte nichts daran, dass sie sich elend fühlte.
Sie sah, wie er sich umdrehte und zu seinem Schreibtisch ging. Dann hörte sie ihn sprechen. „Rachel? Bestell bitte ein Taxi, ich habe mit Penny einen Termin außer Haus. Und nein, es ist nicht nötig für dich, zu wissen wo. Es wird später, wir werden heute nicht mehr reinkommen. Danke.“
„Wo gehen wir hin?“, fragte sie leise. Sie wusste nicht, wie sie jetzt einen Außentermin durchstehen sollte.
„Wohin du möchtest. Am liebsten möchte ich, dass du mit zu mir kommst. Ich verspreche, ich werde dir nicht unnötig weh tun. Aber wir müssen reden. Bitte.“
Seiner eindringlichen Stimme hatte sie nichts entgegenzusetzen. Sie ließ sich wie eine willenlose Puppe die Treppe hinunterführen. Er schob sie zum Hinterausgang, so würde sie niemanden mehr sehen müssen.
Im Taxi hatten sie kein Wort miteinander gesprochen, und sie folgte ihm die Treppe hinauf nach oben. Sie setzte sich brav auf die Couch, legte die Beine hoch, wie er es verlangte und trank ohne Widerrede den alten Whiskey, den er ihr reichte.
Der Geschmack war so samtweich, dass er ohne zu kratzen ihre Kehle hinunterrann, und während sie spürte, wie der Alkohol ihr Inneres erwärmte, hatte sie das Gefühl, dass auch diese merkwürdige Starre, die sie die ganze Zeit im Griff gehabt hatte, langsam von ihr wich.
Erec hatte sie beobachtet, und diesmal lächelten seine Augen. „Das Gebräu hat magische Kräfte. Es kann Tote zum Leben erwecken.“
Sie erwiderte seinen Blick. „Das Gefühl habe ich auch.“
„Und ich habe das Gefühl, dass du dringend etwas nachzuholen hast.“ Er nahm ihr das leere Glas aus der Hand und stand auf. „Ich bereite was zu essen vor, und du schläfst ein bisschen, okay? Danach reden wir.“
„Gut, aber versprich mir, mich in zwei Stunden zu wecken. Ich fürchte, ich würde bis morgen durchschlafen.“
„Wäre das so schlimm?“
„Ja.“
Sie war froh, dass er nicht wissen wollte, warum.
Sie kuschelte sich in die Kissen und war sofort eingeschlafen.
Als er sie sanft an der Schulter berührte, wollte sie zuerst gar nicht aufwachen, doch dann setzte sie sich mit einem Ruck auf. „Es ist ja schon Abend! Du hast versprochen, mich zu wecken.“
„Ja, das hab ich. Es tut mir leid, aber ich habe es nicht fertiggebracht. Du hast nicht nur erschöpft ausgesehen, du warst erschöpft. Ich schätze, du hast seit Tagen nicht mehr richtig geschlafen.“
Sie blickte zur Seite. „Ja, du hast Recht. Und ich fühle mich jetzt auch viel besser.“
„Hast du Hunger? Möchtest du was essen?“
Sie horchte auf das Grummeln in ihrem Magen. „Ich denke, es hätte wenig Sinn, wenn ich nein sage, oder?“
Er grinste. „Nein.“
„Es ist schön, dass du wieder lächeln kannst“, fügte er leise hinzu.
‚Hoffentlich kann ich das nachher auch noch‘, dachte sie.
Seinen Blick, der ihr folgte, sah sie nicht.
„Schmeckt es dir? Du magst doch Lachs?“
„Merkst du dir eigentlich alles?“, fragte sie lächelnd.
„Das meiste, ja. Ist dir das unangenehm?“ Er sah sie fragend an.
„Unangenehm nicht, nein, aber es ist ungewohnt. Und wohl auch ziemlich ungewöhnlich. Du bist nicht wie die meisten. Irgendwie bist du anders. Sehr anders. Ach, ich weiß nicht, ich kann es nicht erklären.“
‚Und ich habe auch nicht vor, dir jetzt eine Liebeserklärung zu machen‘, fügte sie in Gedanken hinzu. ‚Du wolltest reden, also tu es auch.‘
„Du hast Recht. Ich wollte mit dir reden.“ Er lehnte sich zurück und sah ihr in die Augen, und Penny hatte das Gefühl, er könne bis in ihr Inneres sehen.
„Es tut mir leid, Penny. Alles. Ich wünschte, ich könnte alles anders machen.“ Penny erschrak bis ins Mark, und er verstummte.
Er schüttelte den Kopf, als wollte er irgendwelche Gedanken daraus vertreiben. „Nein, das ist nicht richtig. Ich wünschte, ich könnte nochmal von vorn anfangen. Es tut mir nicht leid, dich getroffen zu haben. Aber es tut mir leid, dass ich Hoffnungen in dir geweckt habe.“ Er seufzte. „Du weißt gar nicht, wie sehr. Es tut mir weh, dich so leiden zu sehen. Und ich fühle mich schuldig.“
Er senkte die Augen, seine Stimme verblasste zu einem Flüstern. „Und ich muss dir noch mehr wehtun.“ Er sah sie noch immer nicht an. „Sie ist wieder da. Sarah, sie ist zurückgekommen.“
Alles in Penny gefror zu Eis. Sie wollte nichts mehr wissen, doch etwas an seiner Haltung, in seiner Stimme zwang sie, weiter zuzuhören.
„Ich weiß nicht, was ich dir sagen soll. Alles, was ich dir erzählt habe, ist wahr. Ich liebe sie, aber ich hatte kaum noch Hoffnung, sie jemals wiederzusehen. Ich habe sie gesucht und dich gefunden. Das erste Mal habe ich dich auf der Straße gesehen. Du hast mich nicht bemerkt. Habe ich dir gesagt, dass du ihr so ähnlich bist wie ein Zwilling? Ich dachte, sie steht vor mir. Ich konnte dich nicht einfach aus meinem Leben gehen lassen, ich konnte es einfach nicht. Ich dachte zuerst, du bist sie.“
Er spielte mit dem Eis in seinem Glas, sie konnte fühlen, wie unsicher er war. Seine Schultern waren verkrampft, nichts erinnerte in diesem Moment an den lockeren, souveränen Erec, den sie kannte. Den sie liebte.
„Es geht ihr nicht gut, sie braucht mich jetzt. Ich kann nicht lange bleiben, aber ich möchte, dass du weißt, dass auch du mir viel bedeutest.“
Er schwieg, klimperte geistesabwesend mit den Eiswürfeln und sah weiterhin zu Boden.
„Ich weiß nicht, ob du mir verzeihen kannst.“
Er straffte sich. „Wenn du das willst, finde ich einen anderen Job für dich. Ich habe viele Kontakte. Ich will nicht, dass du wieder in so einem Job landest wie bei Urban Chaos. Das ist nicht gut für dich.
Willst du das? Ich könnte verstehen, wenn du mich nie wiedersehen willst.“
Ihre Stimme war ausdruckslos, sie war überrascht, das sie überhaupt reden konnte. „Und was willst du?“
„Ich möchte dich beschützen. Ich weiß nicht, was wirklich mit dir los ist, aber...
Ich weiß, ich habe dir wehgetan, aber deine Reaktion ist... Da ist irgendetwas, worüber du nicht reden willst. Vielleicht nicht reden kannst.
Ich möchte mich weiter um dich kümmern dürfen. Ich möchte dein Freund sein, einfach nur ein guter Freund. Meinst du, das würde gehen?“
Endlich sah er sie an. Sie hätte gelacht, wenn sie nicht so verletzt und traurig gewesen wäre. Der Hundeblick sah irgendwie komisch bei ihm aus.
„Ich weiß es nicht, Erec. Alles, was ich weiß ist, dass ich dich nicht verlieren will.“ ‚Sag es nicht!‘, schrie die Stimme in ihrem Kopf. ‚Du dummes Huhn, hast du denn gar keinen Stolz? Sag es ihm nicht!‘
„Ich liebe dich. Und ich bin selbst schockiert, wie sehr mich deine Abreise getroffen hat. Ich weiß, du hast mir nie etwas versprochen...“
Erec nahm ihre Hand. „Tu das nicht. Du bist nicht Schuld an alledem. Und du hast allen Grund, verletzt zu sein.“
Sie schluckte. „Okay. Ich weiß nicht, ob das gut ist, und ich weiß noch viel weniger, ob ich wirklich damit klarkomme. Aber lass es uns versuchen.“ Sie zögerte und sprach es dann doch aus. „Freunde.“
Erleichtert atmete er auf. „Darauf trinken wir.“ Er holte eine bauchige, etwas staubige Flasche, die sehr alt aussah, und schenkte ein. „Es ist schon spät. Willst du hier bleiben? Ich schlafe auf dem Sofa.“
„Nein, ich möchte nicht allein sein. Nicht heute. Ich fass dich auch nicht an.“ Sie grinste schief.
„Hey, das ist mein Text.“ Endlich lachte er wieder. „Bist du sicher?“
„Ich glaub, ich hab grad ein dejavu. Aber ja.“