32. Kapitel
Nach dem Gespräch mit Marylin waren wir zurückgefahren, hatten uns umgezogen und standen nun im Garten, wo Leighton mit Ian gerade dieses merkwürdige Spiel spielte. Shady war entschlossen, ihn zur Rede zu stellen, denn ihr ging dieses Problem genauso nahe wie mir.
Ian gesellte sich sofort zu uns, er hatte, anders als Leighton, anscheinend bemerkt, dass etwas nicht in Ordnung war.
"Was steht ihr hier? Wollt ihr mitmachen?", fragte er. Shady drehte sich nur langsam zu ihm um, ihr Blick haftete noch immer auf Leighton, der uns keines Blickes würdigte.
"Wir haben ein Problem. Maya erklärt dir alles. Ich muss mit Leighton reden.", antwortete sie so laut, dass Leighton es hören musste. Dieser drehte sich nun zu uns um.
Mit dieser vermutlich unbeabsichtigt selbstgefälligen Miene unterbrach Leighton sein Spiel und wandte sich zu uns.
"Was ist denn? Ich bin am Gewinnen. Da kann ich nicht einfach aufhören...", erklärte er.
"Du kannst.", erwiderte Shady mit aufeinandergepressten Zähnen.
Sie deutete mit einer Kopfbewegung an, dass sie mit ihm reden wolle. Er zögerte nicht und beide stellten sich etwas weiter von uns weg. Nun war es an mir, das alles Ian zu erklären.
Während ich mit ihm sprach, stellte Shady Leighton zur Rede. Und obwohl eine gewisse Distanz zwischen uns bestand, konnte ich jedes Wort laut und deutlich verstehen.
"Leighton... Ich habe heute erfahren, dass dieses Grundstück einmal Eigentum der Stadt war und es dann verkauft wurde. Damit gehört dieser See und das darauf entstandene Haus nun einem Privateigentümer. Weißt du etwas davon?", fragte sie. Dabei sprach sie jedes Wort ungewöhnlich deutlich und gedehnt aus, ich merkte, wie sehr sie in Rage war.
Leighton schien es nicht zu bemerken oder es störte ihn wenig, denn mit einer unerwarteten Unbeschwertheit antwortete er nun: "Natürlich. Mein Freund Frank hat das hier gebaut. Eine Meisterleistung, oder? Und ich kann dir sagen: Es war ein hartes Stück Arbeit, die Genehmigung für den Bau zu erhalten. Aber die Stadt brauchte Geld..."
Shadys Miene verfinsterte sich weiter.
"Glaubst du nicht, ich hätte das gerne erfahren? Wir waren gestern abend in einem Wirtshaus und dort stieß dieses... Projekt... nicht gerade auf Zustimmung. Die Menschen hassen uns hierfür. Sie wollen den See zurück, wollen hier baden, angeln, picknicken. Verstehst du das?", fragte sie.
"Natürlich verstehe ich das! Aber... das alles hier gefällt dir doch auch! Der Wasserfall vor der Tür, ein hauseigener Swimmingpool, dieser Garten. Du bist doch auch begeistert hiervon!"
Nun war auch Leighton aufgebracht. Ian und ich unterhielten uns schon lang nicht mehr, zu laut war der Streit zwischen Shady und Leighton. Wir blieben starr an unserem Ort und lauschten.
"Ich war begeistert hiervon. Jetzt überlege ich, wo ich schlafen soll. Hier zu übernachten, ist für mich nur noch unmoralisch. Wir thronen hier, hoch über der Stadt. Und die Menschen unten können keinen Gebrauch mehr von diesem einst so wichtigen Ort machen. Du musst das jetzt verstehen. Nicht ich.", erwiderte Shady enttäuscht.
"Ich verstehe das nicht. Warum sollte ich? Habe ich dieses Haus gebaut? Nein! Ich wohne hier nur für eine kurze Zeit. Wieso sollte ich mich denn schuldig fühlen? Wieso?"
"Das hört sich alles ja nicht so gut an.", flüsterte Ian mir nun zu.
Ich nickte nur. Ich war gebannt und gleichzeitig eingeschüchtert vom Streit, der da zwischen Shady und Leighton ablief. Sollte jemand eingreifen?
Plötzlich bemerkte ich jedoch Heleny, die hinter uns in der Tür stand.
"Hallo. Ich hab euch so rumschreien hören, deshalb bin ich draußen. Ich dachte, ihr spielt..."
Viel mehr sagte sie nicht, denn sie wurde durch Shady unterbrochen.
"Es hat glaube ich gar keinen Sinn, überhaupt mit dir zu reden, Leighton. Ich hätte von Anfang an wissen müssen, dass dir mehr daran liegt, ein Luxushaus mit Luxuspool und Luxusausblick zu bewohnen, als Menschen zu helfen, ihnen beizustehen, sie zu lieben. Egal, ob es um deine Nachbarn geht oder um mich. Oder um Aramea. Ich habe in diesem Urlaub noch keinen einzigen Moment erlebt, in dem du sie umarmt hast oder ihr vorgelesen hast. Von dir ist kein Mitgefühl zu erwarten. Du bist ein stinkreicher, versnobter Erbe. Du hast die Kohle und denkst, du könntest alles damit kaufen. Und leider bist du damit bisher immer durchgekommen. Aber jetzt ist Schluss!"
Dann schlug sie die Arme über ihrem Kopf zusammen und ging in Richtung Tür. Ich wollte nicht wissen, wie Leighton sich in diesem Moment fühlte. Ich wollte es wirklich nicht. Doch es war mir, als konnte ich jedes einzelne Haar, das sich in diesem Moment auf seinem Arm aufgestellt hatte, sehen. Wie es auf der Haut zitterte und durch Schweißperlen bedeckt wurde.
Heleny, die noch immer in der Tür stand und von all dem nichts verstehen konnte, sah mich nun hilfesuchend an.
"W... Was...?!", stotterte sie. Ihre Unterlippe bebte. Auch ihr standen Schweißperlen auf der Stirn. Ich begriff nicht sofort, was mit ihr passierte, doch im nächsten Moment fiel es mir wie Schuppen von den Augen.
"Ich verst... versteh das alles nicht. Irgendwie... Irgendwie ist mir..."
Mein Gehirn hatte die Situation noch nicht ganz begriffen, das alles ging gerade so schnell. Meine Beine wollten loslaufen. Zu Heleny. Doch es ging nichts.
Fassungslos standen wir da. Wir alle wollten das Gleiche tun und konnten es nicht. Wie angewurzelt starrten wir auf eine Person. Der Streit war vergessen, alles drehte sich um Heleny. Wir atmeten nicht.
Für einen Moment, der wie die Ewigkeit schien, stand die Luft still. Und mit ihr mein Herz...
Wir sahen zu, wie Heleny zu Boden ging. Ich hatte die letzte Sekunde kaum verarbeitet und erwartete doch schon den Aufprall ihres Körpers auf dem Boden. Was passierte hier?
Ich musste zusehen, wie sie einfach fiel und liegenblieb, wie ein vom Baum herabgefallener Apfel.
Gefühlte Stunden vergingen, bis Ian den ersten Schritt in ihre Richtung tat. Wie er die Welt wieder anstieß und sie sich langsam weiterdrehte. Ich konnte noch immer nicht weiteratmen.
Das alles war doch schon einmal passiert, schon einmal...
Leighton rief sofort den Notarzt, der aber sagte, er würde bestimmt eine Viertelstunde in die Berge brauchen.
Die Berge. Abgelegen vom Rest der Stadt. Würden sie uns nun zum Verhängnis werden?
Ich konnte nicht weiterdenken, hielt nur Helenys Hand und hoffte, ein kleiner Schutzengel schwebte über ihr.
Ich hatte noch nie so sehr gebangt...
Sooo, mal ein bisschen mehr gleich hinterher. Ich hoffe, das Kapitelchen war ein bisschen spannender.
Ich freue mich wie immer über Kommentare...
S.I.M.S.