7. Kapitel ♦ Neuanfang?
Alexandros sah mich etwas seltsam an. «Na, du kannst jetzt nicht einfach ihr die Schuld in die Schuhe schieben, Miranda!», sagte er und klang dabei leicht entrüstet. «Es ist ja nicht so, als ob du ganz unschuldig daran wärst, dass Irini so ist, wie sie jetzt ist.»
Ich glaubte, mich verhört zu haben. «Was? Wovon sprichst du?»
Doch bevor er antworten konnte, wurden wir auch schon von Irini unterbrochen. Woher auch immer sie so plötzlich auftauchte. Ob sie sich unser Gespräch mitangehört hatte?
«Mira! Da bist du ja wieder!» Sie lächelte.
Genau.
Sie
lächelte.
Sie setzte sich in den Sand und liess ihn zwischen den Fingern durchrieseln. «Es gibt wenige Dinge, die schöner sind als das Meer», sagte sie gedankenverloren. Was war mit ihrem Hirn passiert?
Irini lachte bloss, als ich sie das laut fragte. «Weisst du, dein Hirn wechselt gerne mal die Grösse, und meines nimmt gerne mal kitschige Gedanken auf.»
Und damit verschlug sie mir zum ersten Mal in meinem Leben die Sprache. Ich warf Alexandros einen Hast-du-mit-ihr-auch-ein-«Versöhnt-euch-auf-der-Stelle!»-Gespräch-geführt-und-was-hast-du-angestellt-dass-sie-dem-auch-noch-Folge-leistet-Blick zu. Dieser aber verzog den Mund zu einem Lächeln und schien sich darüber zu freuen. FREUEN! Dass seine Schwester verrückt geworden war!
«Okay, Irini. Was ist los?», fragte ich sie scharf, als von ihrem Bruder keine Hilfe zu kommen schien.
«Was soll denn los sein? Ich finde nur, wir sollten uns nicht mehr immer anzicken. Wir sind ja keine kleinen Kinder mehr. Ich habe sehr darunter gelitten, was du getan hast, aber bestimmt habe ich auch Dinge gemacht, die dich verletzt haben.»
Ich sah Miranda, wie ich hoffte, gewinnend an. Dass sie misstrauisch werden würde, damit hatte ich rechnen müssen. Also musste ich sie glauben lassen, ich sei bereit für einen Neuanfang. Das arme Ding sah jedoch ziemlich verwirrt aus.
«Was ich getan habe? Wovon sprichst du?» Sie sah zu Alexandros. «Habt ihr euch abgesprochen? Was soll das Ganze? Ich weiss überhaupt nicht, wovon ihr sprecht!»
Ich seufzte. Es war ja klar, dass bei ihrem verkorksten Charakter noch eine ganze Menge Arbeit nötig war.
Irgendjemand benahm sich hier wie ein Volltrottel. Und ich konnte nicht glauben, dass ich das sein sollte.
«Aber jetzt lasst uns das Thema wechseln. Kommt ihr morgen zur Party?»
«Zur Party? Äh… Irini… Ich weiss nichts von einer Party.»
Ich erwartete, dass sie «du bist ja auch nicht eingeladen» oder so was sagen würde. Aber nichts dergleichen geschah. Stattdessen strich sie sich die Haare aus dem Gesicht und meinte: «Doch, morgen findet eine bei Emma statt. Komm einfach auch mit, ich glaube nicht, dass sie das stören wird.»
Noch immer kam es mir irgendwie surreal vor, dass Irini tatsächlich zehn Minuten mit mir gesprochen hatte, ohne mich zu beleidigen – ja noch nicht einmal auf meine Provokationen reagiert hatte. So war ich vermutlich wegen einer Überdosis an netten Irini-Worten vorübergehend geistesgestört geworden, und ich stimmte zu. Ich stimmte zu, mit Irini zu einer Party zu gehen. Ich stimmte zu, mit Irini zu einer
Party zu gehen. Ich stimmte zu, mit
Irini zu einer Party zu gehen. Unglaublich.
Doch ich antwortete: «Klar, wir gehen doch hin, oder, Alex?»
Was ein weiterer Beweis für mein krankes Hirn ist. Noch nie hatte ich Alexandros’ Namen abgekürzt. Schon gar nicht mit so etwas Banalem wie «Alex».
Auch er schien etwas überrascht zu sein – sei es nun wegen der primitiven Verstümmelung seines Namens oder wegen der schnellen Zusage. «Öh… Natürlich. Okay. Ja, wir gehen hin.»
«Super! Ohne euch wäre es ja nur halb so lustig!», rief Irini.
Ich sah sie geschockt an. «Was hast du da gerade gesagt?»
«Hey, Mira. Du hast mich schon verstanden. Im Übrigen wollte ich dir noch gratulieren», wechselte sie sofort das Thema.
«Okay.»
Ausnahmsweise machte einmal sie ein verwirrtes Gesicht. «‹Okay›?»
Ich zuckte mit den Schultern. «Seltsam, was du manchmal für Bedürfnisse verspürst.»
Sie lächelte unsicher. «Ja. Gut. Dann… Herzlichen Glückwunsch also! Kann man sich die Bilder der anderen eigentlich mal ansehen? Du hast bestimmt ein tolles Foto geschossen.»
Da dämmerte mir, dass sie vom bescheuerten Wettbewerb der Schule sprach. Das hatte ich mir ja denken können! «Oh, du meinst…» WOLLTE SIE MIR MEINEN PREIS ABLUCHSEN? WAR SIE DESHALB SO NETT ZU MIR?! «Äh, danke. Ich gratulier dir auch zum zweiten Platz.» Jetzt wurde ich schon selbst freundlich zu Irini. Aber doch nur, weil ich auch gerne meinen Preis mit ihrem getauscht hätte.
«Fotowettbewerb? Da habt ihr mitgemacht?», warf Alexandros ein. «Na gut, dass Irini mitmacht, war ja schon klar, aber
du, Miranda? Cool! Herzliche Gratulation, auch von mir.» Er beugte sich zu mir rüber, um mir einen Kuss zu geben. Wodurch mir wieder einmal die Gesichtszüge entglitten.
Irini hingegen schwärmte von ihrem eigenen Bild. «Die Farben, die Komposition, der Blickwinkel, Belichtungszeit, Zoom, Tiefenschärfe, Schärfentiefe,
what?!» Ich bemühte mich um ein interessiertes, höfliches Gesicht und fragte mich, wann sie zu meinem tollen Preis zu sprechen kam, damit wir schnell den Tausch beschliessen und wieder normal werden konnten. Doch nichts dergleichen geschah. Irini hörte einfach nicht auf, nett zu sein! Sie erkundigte sich sogar nach meinem Bild – «Ja, äh… Hund, wie sie so in die Luft springt, sieht zufälligerweise ein bisschen cool aus, deshalb hab ich wohl gewonnen» – und lud mich zum Abendessen ein. Obwohl ich mich mit allen Kräften dagegen sperrte, zwangen mich die Mavrokordatos-Geschwister, hierzubleiben. Alexandros bot mir sogar an, für mich bei meinem Vater anzurufen, um ihm zu sagen, wo ich blieb, und um nach Marcel zu fragen, von dem ich noch immer nichts gehört hatte, (meine beiden Ausreden, um nach Hause zu gehen), sodass mir keine andere Wahl blieb. Irini jagte mir echt Angst ein.
«Tut mir leid, wir haben nur Suppe, aber freut mich, dich endlich mal kennenzulernen,
du bist also Agis’ Freundin, und mit Irini befreundet bist du auch? Ach, ich freue mich sehr darüber, dass du bei uns isst», redete Alexandros’ Mutter auf mich ein. Zwar hatte sie mich schon vorher gesehen, aber wir hatten noch nie ein Wort gewechselt. Sie sprach schnell und mit einem leichten griechischen Akzent. Da genoss ich es plötzlich, bei ihnen zu sein. Zusammen mit Alexandros. Mit seinem Vater, der plötzlich anfing, witzige Anekdoten von seinen Gästen zu erzählen. Und mit Irini, die ihre ganze seltsame Künstlichkeit, die sie immer begleitet hatte und die mir bisher gar nicht so bewusst gewesen war, auf einmal ablegte und wie ein normales Mädchen davon berichtete, wie sie vor vielen Jahren einmal aus Versehen den Keller unterwassert hatte.
Am liebsten hätte ich für immer die Welt angehalten.
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Soo… Okay. Fertig.
Mal ein Kapitel mit einem richtig tollen langweiligen Ende.
Soll nochmals einer sagen, ich mache immer Cliffhangers.
Ach, und @julsfels, ich hab dir nochmals geantwortet, falls du genau gleich gut im Merken bis wie ich und es noch nicht gesehen haben solltest.