Fotostory Iniuria

RoeCat

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Mai 2010
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Hamburg
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Hallo!

Meine letzte FS musste ich leider abbrechen, da meine Stadt mit all den Sims und so gelöscht wurde, aber naja, ich lass den Kopf jetzt mal nicht hängen und starte einfach eine neue Fotostory! Der Name Iniuria stammt aus dem lateinischen und heißt Schandtat oder Verletzung.

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Prolog

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Plötzlich riss ich meine Augen auf. Gott, tat das weh. Sofort kniff ich sie wieder zu. Es war zu dunkel um etwas erkennen zu können. Doch…wieso zitterte ich so? Oh ja, ich zitterte furchtbar doll. Aber warum nur? Ich spürte gar nichts. Das bemerkte ich auch gerade. Was war nur passiert? Oh, da war doch was. Ja. Jetzt fing mein Körper erst an zu verstehen. Ich fror. Und wie ich fror. Ich konnte mich kaum bewegen, so kalt war mir. Hatte ich das Fenster etwa offen gelassen? Ach nein…das ging ja gar nicht. Doch was war nur passiert letzte Nacht? Ich hatte echt keinen blassen Schimmer. Warte, wo lag ich denn? Es fühlte sich nicht nach meinem ‚Zuhause’ an. Ich weiß nicht wie, aber irgendwie schaffte ich es mit der Hand den Boden abzuspüren. Eiskaltes etwas. Aber sicher kein Stein. Jetzt bekam ich etwas Angst. Was war nur los? Ich tastete immer weiter. Holz, klar das war Holz. Oh Gott, wo war ich denn nur? Erneut versuchte ich, meine Augen zu öffnen. Nein, ging nicht. Sie brannten wie die Pest. Und fast hatte ich vergessen, dass meine Hand weitertastete, berührte mich plötzlich was Kaltes an meinem Becken. Erschrocken zuckte ich zusammen. War ich etwa nicht allein? Da, da war es wieder! Oh nein! Warte…jedes Mal, wenn sich meine Hand meinem Körper näherte fühlte ich das. Es war meine eigene Hand. War sie denn so eiskalt? Ich legte sie einfach auf meinen Bauch, um es zu bestätigen. Doch ich zog sie sofort zurück. KALT! Also war ich doch allein? Doch plötzlich fiel mir etwas auf: Wieso spürte ich alles so genau…war ich etwa nackt? Ich musste es doch sehen und deshalb presste ich meine Augen auf. Trotz des Schmerzes schloss ich sie nicht. War es jetzt heller als vorher? Schien so. Ich erkannte eine hölzerne Decke und Steinwände…Die Tatsache, dass ich in einem mir unbekannten Raum war, ließ mich schaudern. Ich schluckte. Ruhig…beruhige dich…

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Ich fuhr meinen Kopf schnell nach unten – zu schnell. Es knackte im Genick und schon spürte ich einen schlimmen Schmerz überall. Jetzt erst fing ich an alles zu realisieren. Ich war in einem eiskalten Raum und mir schmerzte alles bis ins Kleinste. Und jetzt merkte ich auch noch, dass ich nackt war. Wo war meine Kleidung hin, wo war ich nur? Unruhig tippte ich mit den Fingern über meinen Körper bis hin zum Kopf und wieder zurück. So wie immer, wenn ich anfing nervös zu werden. Ruhig!, schimpfte ich in meinem Kopf. Alles wird gut… Jedenfalls versuchte ich mir das ins Hirn zu pressen, auch wenn es jedes Mal scheiterte.

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Ich konnte hier nicht mehr liegen. Sonst würde ich noch erfrieren. Ich bückte mich hoch…vergeblich. Sofort fiel ich zurück auf den Boden, als würde er mich magnetisch anziehen. Und gleichzeitig durchfuhr mich ein schlimmes Stechen von der Kopfspitze bis hin zu den Zehen und am Rücken verbreitete es sich besonders. Da, da war doch ein Geräusch. Ich lauschte. Ich achtete sehr genau darauf. Aber erst dann merkte ich es. Ich fing an zu wimmern. Ich atmete viel zu schnell. Und etwas Warmes floss meine Backen entlang. Tränen. Ich lag hier vollkommen hilflos und meinem Gefühl nach war jeder Knochen meines Körpers gebrochen. Sollte das Leben etwa SO enden? Einsam und verlassen, halb erfroren und halb verhungert? Nein! Ich musste verdammt noch mal voran kommen. Immer gab es Tragödien in meinem Leben, aber ich hatte sie überstanden. Dann wäre das doch nur ein Mucks hingegen dem Rest? Vorsichtig drückte ich mich mit den Fersen ab und schleifte mich über den eisigen uralten Holzboden, bis mein Kopf nach einer gefühlten Ewigkeit an einer bitterkalten Wand anstoßte. Jetzt packte ich all meine Kraft, atmete tief ein, schloss die Augen und konzentrierte mich nur noch auf die Bewegungen, nicht mehr auf die Gefühle. Es klappte fast einwandfrei. Ich drehte mich um, umklammerte mit den Händen einige Steine, die für mich wie frostige Eisbrocken vorkamen, und zog mich zwar so schrecklich mühevoll, aber eindeutig erfolgreich hoch und lehnte mich anschließend mit dem Gesicht gegen die eisige Wand. Als wäre ich siebzig Runden um die Welt gelaufen, atmete ich schwer. Ich bekam kaum Luft, so angestrengt war ich. Aber ich hatte es geschafft, wie vieles andere auch. Aber zuerst beruhigen, entspannen, die Schmerzen immer wieder wegblenden! Bis plötzlich etwas hinter mir knackte.

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Blitzartig drehte ich mich um, und knickte sogar beinahe um. Sofort verfluchte ich mich für diese Eile. Jetzt fing ich an, all die zerdrückten Muskeln, brennenden Wunden und stechenden Knochen zu spüren und deshalb schloss ich, nein kniff ich meine Augen zu. Aber nur für einen Moment, denn im nächsten sah ich, dass sich eine Holztür öffnete und ein Mann hereintrat. Er verbarg sein Gesicht hinter einer Kapuze. Zu ihr trug er einen passenden Umhang und ein teures Gewand. „Oh werter Herr, Ihr seid meine Rettung. Helfet mir, bitte!“, wollte ich tränenüberströmt und voller Dramatik schreien, doch mehr als ein krächzendes Stöhnen kam nicht raus und ich fiel wegen der Trockenheit in meinem Hals auf die Knie und drückte meine Augen wieder zu. Aber warte, er hatte da doch etwas…

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Langsam und gequält kniff ich die Augen zu einem Spalt auf und blickte in sein Gesicht, jedenfalls den Teil, den ich sehen konnte, den Teil, den er nicht ganz verbarg. Ja, ich erkannte es sofort wieder und blieb der Atem aus. Neben seinem Mundwinkel…da war ein Riss. Eine Wunde…genau wie sie mir erklärt wurde! Und genau, als mir wieder alles einfiel, klappte ich zusammen und alles um mich herum wurde blitzartig schwarz.

Kommis sind erwünscht! Es geht übrigens höchstwahrscheinlich nur an Wochenenden voran, weil ich sonst viel Schule habe.

LG
 
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Kapitel 1




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Ich möchte euch jetzt einmal etwas über mich erzählen, über mein Leben. Ich heiße Josette und lebe im 10. Jahrhundert. In meinem Leben gab es sowohl Höhen als auch Tiefen, wobei ich anmerken muss, dass die Tiefen sehr schwerwiegend waren…aber von ihnen gab es am meisten. Nunja, dann fange ich mal am besten an zu erzählen, wo ich noch eines jungen Alters war.

Unsere Familie bestand aus meiner jüngsten Schwester Ilse, meiner ältesten Schwester Pema, meinen beiden Eltern und natürlich mir. Wir hatten sehr wenig Geld und ich und meine Schwestern gingen deshalb auch nicht zur Schule, aber Mutter brachte und Kochen und Nähen bei. Ilse machte es meistens gar keinen Spaß, und sie war furchtbar froh, als Mutter sie nach Draußen gehen ließ. Ich denke Pema war ziemlich gleichgültig, was das betraf. Sie wusste, dass sie das für ihr Leben brauchte, aber unbedingt Spaß machte es ihr auch nicht. Nur ich fand es toll. Es machte mir Spaß zuzusehen, wie aus Wasser, Milch und Eiern einfache Gebäcke entstehen konnten und aus bunten Fetzen wunderschöne Kleider. Jedes Mal bekam ich unglaubliche Glücksgefühle, wenn ich ein Kleidungsstück fertig stellte, meinen ganzen Körper erfüllten sie, manchmal einen ganzen Tag lang.

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Mutter machte am meisten das Kochen Spaß. Sie bereitete die Speisen mit besonders viel Liebe und steckte auch meist viel Arbeit in nur ein Abendmahl. Sie liebte es uns allen beim Essen zuzusehen und zu fühlen, dass das Essen köstlich war.

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Aber natürlich fand ich es auch fantastisch mit Ilse und Pema eine wundervolle Zeit zu verbringen. Nur selten befanden wir uns auf dem Grundstück unseres Hauses. Aber wenn, dann tollten wir trotzdem draußen rum. Wir spielten bei heißen Tagen neben dem kleinen Teich und bei kälteren tobten wir so lange rum, bis wir kaum mehr Kraft hatten, uns aber aufwärmten. Ja, wir hatten einfach jeden Tag viel Spaß.

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Nach 2 Jahren herumtollen durch die verschieden Landschaften, Flüssen und Wälder fanden wir einst in einem großen Wald eine ganz kleine Lichtung. Dort rissen wir jegliche unnötige kleine Pflanzen raus und schon hatten wir ein tolles neues Versteck, wo wir uns Geheimnisse erzählten, über Dorfjungen quatschten und einfach von der Sonne beleuchten ließen. Manchmal spielten wir dort Spiele, die wir mit den Jahren erfunden hatten, manchmal stritten wir uns und im nächsten Moment lagen wir tief im Arm ineinander und weinten. Wir liebten uns sehr, alle gleich viel. Und das hatten wir auch geschworen, uns mit einem Ast eine kleine Wunde hinzugefügt und beim Blutaustausch sagten wir alle 3:„Wir bleiben Schwestern für immer“ Den Satz sage ich auch heute noch sehr oft und er wird auch nie in Vergessenheit geraten!

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Natürlich kamen wir auch bei gefährlichen Abenteuern nicht zu kurz. Ich und Pema liebten es unsagbar Berge zu klettern. Ilse hasste es hingegen. Sie hatte zu viel Angst davor. Aber es war auch besser so. Wir wollten ja keinesfalls, dass ihr etwas passierte, sie war ja sowieso noch sehr jung. Aber auf hohe Bäume klettern, das mochten wir alle drei unglaublich doll. Wir springten wie wilde Äffchen von Baum zu Baum und das manchmal den halben Tag hindurch. Nie passierte etwas. Denn über die Jahre gewannen wir viel Übung und das half und bei so ziemlich allem. Übung war schon immer wichtig. Auch nicht sonderlich schlimme Abenteuer wie schwimmen bereitete uns große Freude. Vor allem wurden bei uns die Augen groß, wenn wir umgefallene Baumstämme sahen. Sie zogen uns sozusagen magnetisch an, denn täglich fanden wir neue, die wir schleunigst überqueren mussten. Ilse hatte zwar Schwierigkeiten damit, weil sie furchtbare Adrenalinsprünge bekam, aber sie fand es genauso berauschend wie ich und Pema.

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Selbst abends mussten wir zusammen sein. Nur selten legten wir uns wirklich hin und schliefen ein. Wenn, dann passierte so was nach sehr anstrengenden Tagen voller Erlebnisse und Kribbeln. Die meiste Zeit aber legten wir uns in die Scheune oben und redeten so lange, bis wir von alleine einschliefen. Da die Scheune aber kein Dach hatte, kuschelten wir uns an kalten Tagen alle zusammen eingeengt zwischen Strohbalken und redeten möglichst viel und schnell, um das Zittern auszublenden. Das führte aber dazu, dass wir gegenseitig nur selten etwas verstanden. Dann lachten wir oft und zitterten gleich darauf laut und lachten wieder.
Ja, mein Leben war eigentlich vollkommen perfekt, bis zu dem einen Tag, an dem sich alles änderte und mein Leben anfing bergab zu gehen.


Und wieder würde ich mich sehr über Kommis freuen :-)


LG
 
Ich finde Deine Story sehr interessant - der Einstieg ist ja echt dunkel und beklemmend. Ich bin gespannt, welche Entwicklungen dazu geführt haben. Die Kindheitsbilder wirken richtig hell und warm gegen die ersten Bilder, was den Effekt super unterstreicht.

Ich bin gespannt auf eine Fortsetzung!
 
Kapitel 2

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Der Tag vom Anfang meiner persönlichen Tragödie fing eigentlich vollkommen friedlich an. Ich und Ilse vergnügten uns im Haus, da Mutter schlechtes Wetter ankündigte. Es machte uns nicht viel aus, wir waren ohnehin sehr erschöpft, weil wir am Vortag sehr lange wach waren, deshalb wollten wir auch nicht wirklich draußen rumtoben. Doch etwas stimmte mit Pema nicht, schon als ich aufwachte war sie merkwürdig. Sie war früher wach als ich und Ilse, wobei wir 2 wirkliche Frühaufsteher waren. Als ich dann frisch aufgewacht das Zimmer betrat, stand sie angezogen und mit ordentlich gemachten Haaren vorm Fenster. Selbst auf meine Begrüßung zeigte sie keine Bemerkung. Sie stand einfach da wie eine Porzellanpuppe.

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Doch ich ließ mich davon nicht beirren, und meine jüngere Schwester sowieso nicht. Und als Mutter uns dann zum Nähen aufforderte war ich voll in meinem Element. „Ich darf doch gewiss anfangen, meine Schwestern?“, fragte ich aufgemuntert. „Aber ja! Ich möchte jetzt nicht“, antwortete mir nur Ilse daraufhin. Von Pema bekam ich absolut keine Reaktion. Die einzige Bewegung, die sie vollführte war, dass sie sich auf den Boden setzte und in die leere starrte. Wieder wie eine leblose Puppe. Doch ich setzte mich einfach auf Mutters Stuhl, holte ein wenig Stoff aus der Schublade von Urgroßmutters altem Nähtisch und strickte, nähte, flickte, verknüpfte Stoffe, schnitt Muster aus und richtete allerlei Materialien. Und wie immer konnte ich nicht mehr aufhören und vergaß Pema, vergaß einige meiner harmlosen Sorgen, und, ach ich vergaß einfach alles um mich herum. Nur ich und das Nähen waren eins. Bis mich Ilse am Arm rüttelte und schrie: „Josette! Kannst du mich Hören? JOSETTE!!“ „Au, aber natürlich, du brauchst nicht zu schreien, Schwester!“ „Bei tauben Ohren wie deinen ist so was wohl notdürftig! Mutter sagt, wir müssen uns um den Garten kümmern. Kommst du?“

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Und so stand ich auf, ließ all meine unvollendeten Stoffe liegen, und rannte mit Ilse in den Garten. Auf den Obstbäumen wuchsen saftige Früchte. Ich nahm mir einen Korb, holte mir einen Hocker, auf den ich mich raufstellte, um an das Obst zu gelangen, und riss mühevoll gelbe Zitronen von einem Baum. Ilse machte sich an die Äpfel. Mein Nacken schmerzte schon von der Position und auch meine Arme, die eine vom Ausstrecken, Dehnen und nach Zitronen greifen, und die andere vom schweren Korb. „Das müsste reichen…“, murmelte ich, als ich mir den vollen Korb ansah. „Sind wir fertig?“, fragte ich meine Schwester. „Wenn uns die noch so faule Pema helfen würde, gewiss. Aber die zeigte keine Reaktion auf meine Bitte. Also müssen wir uns um das Pflügen von Mutters Beet kümmern!“, antwortete mir Ilse mit einer wütenden und enttäuschten Stimme. Ich holte mir und Ilse einen Spaten und dann standen wir da, an Mutters Gemüsebeet, mehrere Stunden, und drückten unsere Spaten in die Erde, bewegten sie mit einer Bewegung, die man sich nach einigen Minuten angewöhnte, zogen die Spaten wieder raus und so ging es an einer anderen Stelle weiter. Meine Finger wurden ganz wund davon. Außerdem lief mir ständig der kalte Regen in die Augen. „Ich will nicht mehr…“, sagte Ilse kläglich. „Für heute ist das auch genug! Sieh dir nur meine Abschürfungen und Blasen an meinen Fingern an. Es brennt furchtbar!“, klagte ich schmerzerfüllt.

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Also gingen wir 2 wieder zurück ins Haus. „Seid ihr jetzt schon fertig, meine Lieben?“, fragte Mutter uns augenblicklich. Ich nickte daraufhin nur. Mein Rücken tat mir weh und meine Hände sowieso. Auch meine Beine waren völlig abgestanden und ich zitterte vor Kälte, weil ich ganz nass war wegen dem Regen. Ich ging die Leiter hoch ins Zimmer, um mit Pema zu reden. Es gab oft Tage, wo sie einfach traurig war. Den Grund behielt sie immer für sich, deshalb konnte ich mir ihr Verhalten an solchen Tagen nicht erklären. An manchen Tagen ging sie auch einfach heimlich von Zuhause weg und dachte an irgendwelchen friedlichen Plätzen ein wenig nach. Sie entdeckte die meisten unserer Geheimplätze; vor allem wegen diesem Wegrennen. Und als ich den Raum betrat, wusste ich, dass heute auch einer dieser Tage war, auch wenn es Pema nicht ähnlich sah, an Regentagen abzuhauen. Sicher wollte sie nur was Neues ausprobieren, oder es wurde ihr zu viel hier, ermutigte ich mich. Aber ich fragte Vater, der ebenfalls erschöpft auf dem Sofa lag, sicherheitshalber trotzdem danach, wo meine ältere Schwester wohl sei:“ Vater? War Pema schon fort, als Sie herkamen?“ Er schaute nur kurz auf mich und ich ließ mich mit einem Nicken zufriedenstellen. Also wollte sie wirklich was Neues ausprobieren.

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Da stand Ilse schon neben mir. „Mutter sagt, sie habe Pema nur gesehen, wie sie das Haus verließ, wieso weiß sie nicht. Aber lasse uns keine Gedanken darüber machen! Du hörst dich ja schon so an, als ob Schwester das erste Mal das Haus verlässt durch deine besorgte Stimme!“, sagte sie mir. Es stimmte. Wieso sollte ich mir einen Kopf deswegen machen?, dachte ich. Ja, das dachte ich. Aber ich öffnete meine Haare, stellte mich vor den Kamin, machte Platz für meine kleine Schwester und dann trockneten und wärmten wir uns zusammen.
 
Kapitel 3

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Viele Stunden vergingen. Es war abends und Pema war immer noch weg. Es war längst dunkel draußen und das sah meiner Schwester einfach nicht ähnlich. Sie wusste, wie schnell Mutter sich Sorgen machte. Das würde sie niemals machen. Und tatsächlich sah Mutter total aufgewühlt aus, als sie das Abendmahl bereitete. „Meine Lieben, und ihr wisst tatsächlich nicht, wo meine Pema sich aufhalten könnte?“, fragte sie besorgt und stellte jedem Gemüsesuppe mit Großmutters teurem Porzellangeschirr hin. „Sie könnte einfach überall sein!“, murmelte Ilse leise vor sich hin und starrte in ihre Suppe. Womöglich hatte sie genauso wenig Appetit wie ich. Aber wenigstens das mussten wir machen, damit Mutter nicht völlig im Kummer versinkt. Ich kostete einen Schluck. Heiß, sofort fühlte ich, wie taub meine Zunge wurde. Aber es tat gut. Ich nahm gleich noch einen Löffel und schluckte ihn augenblicklich. Und noch einen, und noch einen. Inzwischen pochte mein Hals und ich hustete. Aber was, wenn Pema was zugestoßen sei?

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Nun kam auch Vater die krächzende Leiter runter und setzte sich stöhnend auf den Stuhl. „Mir tut alles weh..“, beschwerte er sich mit einer kratzigen Stimmte. Aber sofort machte er sich über den Teller Suppe. Er hatte heute noch absolut nichts gegessen. Auch wenn dieses Abendessen mein erstes heute war, hatte ich bereits eine Scheibe Brot mit ein wenig Fleisch gegessen und Milch getrunken. Vater arbeitet viel. Ständig zerhackt er Massen von Holz. Durch ihn finanzieren wir viel Geld. Aber auch durch Mutters Nähkünste bekommen wir genug, um Essen kaufen zu können. Doch jetzt könnte man kaum glauben, was für eine tolle Frau sie ist. Sie saß da und starrte in ihr Essen. Wahrscheinlich ging ihr schon alles durch den Kopf, was Pema wohl passiert sei. Sie war durch die Stunden sehr blass geworden und sie tat mir auch gerade ungeheuerlich leid.

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Einige Stunden später, als ich und Ilse schon schlafen gingen, sagte Mutter: „Bitte schlaft heute nicht bei dem Heu, meine Lieben, sondern im Zimmer.“ Sie sah noch trauriger aus als vor paar Stunden. Ilse hatte sich bereits hingelegt, aber ich blieb. „Ich werde gehen und Pema suchen!“, berichtete Vater. „In Ordnung, tue das. Und Josette, Liebling, lege dich doch bitte hin. Ich gehe auch jetzt zu Bette“, bat mich Mutter flehend. „Ich…ich werde mit Vater gehen!“, sagte ich stattdessen. „Aber nein, Josette. Draußen regnet es und es ist kalt. Bitte lege dich augenblicklich hin!“, rief Mutter jetzt. Ich umklammerte Vater und schüttelte den Kopf. Mutters Augen röteten sich. „Nagut, gehe mit deinem Vater“, murmelte Mutter leise, legte sich zu der bereits fast schlafenden Ilse und drehte sich um.

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So ging ich also mit Vater raus. Es war tatsächlich sehr kalt und der Regen machte meine Haare schon nach wenigen Minuten tropfend. Vater hatte eine Lampe mitgenommen, weil wir in Wälder gingen, in denen es so finster war, dass man seine eigene Hand kaum vor den Augen erkannte. Er war auch sehr besorgt, das erkannte ich an seinem Gang. Ständig sprach ich mir im Kopf zu, dass alles gut werden würde. Dass wir Pema unter einem Baum finden würden, weil sie sich nicht traute in der Dunkelheit nach Hause zu gehen. Mit jedem Schritt, den ich ging, jedem Atemzug, den ich nahm, und jedem Herzschlag, den ich spürte, wuchs meine Hoffnung auch. Ich stellte mir das Vorgehen bildlich vor. Wie Pema heute hier entlangging, überall rumschaute und sie irgendwann bemerkte, dass es dunkler wurde, zurücklief, aber es bereits sehr dunkel war und sie sich deshalb versteckt hatte. Immer größer wurde mein Wunsch, meine ältere Schwester zu treffen, wie sie mir um den Hals fallen würde! Aber irgendwann, nach gefühlten Stunden, wurde ich müde und erschöpft. Jeder Schritt zog in meinem Knie und meinen Schenkeln. Meine Nase fror und meine Lippen bebten, meine Zähne klapperten und meine Arme hingen schlaff runter, weil ich sie nicht länger aufwärmen konnte. Langsam verlor ich Hoffnung, denn es kam mir so vor, als hätten wir bereits jeden kleinsten Fleck des Waldes durchforstet. Und eine kleine Wut auf Pema wuchs in mir. Wieso bitte musste sie auch abhauen?

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Da riss Vater mich aus meinen Gedanken. „Bleibe hier! Ich werde in dem See nachsehen… Bitte folge mir nicht!“, krächzte er zu mir. Auch er war inzwischen Blass. Vielleicht wegen der Kälte, vielleicht wegen der Sorge. Aber ich merkte an seinem Satz, dass er absolut keine Hoffnung mehr auf Leben hatte und das enttäuschte mich. Auch wenn ich es selbst nur noch wenig glaubte. Ich meine, Pema könnte ja auch zum Dorf gelaufen sein! Sie müsste doch nicht unbedingt in diesem Wald sein. Aber mein Bauchgefühl sagte: Natürlich ist sie im Wald, du kennst sie doch. Ja, ich kannte sie gut. Ich blickte zu Vater. Er beugte sich über den See und durchschaute ihn. Bis er mit den Augen stockte, sie weit aufriss und den Atem anhielt.
 
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