Kapitel 51 – Male
Kapitel 51 – Male
"Mach mich los, bitte ... mir schlafen die Arme ein!" Doch Adam kam der Bitte nicht nach, sondern starrte Naike zuerst nur weiter an. Dann zog er sein Portemonnaie aus der Hosentasche, nahm einen Einhundert-Simoleon-Schein heraus und steckte ihn in ihren Slip. Naike vernahm die Aktion mit Entsetzen: "Du willst mich doch nicht allen Ernstes bezahlen?" Er grinste. "Verdient hättest du es dir längst, aber das Geld ist für den Satz Unterwäsche, dem ich jetzt den Garaus mache."
"Der ist nicht mal die Hälfte wert", entgegnete Naike so sarkastisch wie es ihr in dieser Situation möglich war. Ihre Angst ließ langsam nach und wich einem ganz neuen, unbekannten und undefinierbaren Gefühl. Adam ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. "Nunja, die andere Hälfte wirst du sicher für die Rechnung von Dr. Blythe brauchen, wenn ich mit dir fertig bin", witzelte er, und Naike merkte zum Glück, dass er nur spaßte, sonst wäre sie wahrscheinlich in Ohnmacht gefallen. Ohne Umschweife setzte er schließlich das Messer noch einmal an und wiederholte das vorherige Spiel nun an ihrer Vorderseite. Als die Klinge an ihrem Kehlkopf angekommen war, gab Naike jegliche Kontrolle auf. Aber dann zerschnitt er damit nur ihren schwarzen BH in zwei Teile.
Jetzt war es Julia, die sich über die Geräuschkulisse aus der oberen Etage wunderte, als sie sich vor dem Zubettgehen waschen wollte und durch das von Nicolas in erbärmlichem Zustand hinterlassene Bad watete. "Wundern" war noch milde ausgedrückt, sie bekam es regelrecht mit der Angst zu tun. Mochte es vielleicht der Fernseher sein? Nachzusehen traute sie sich nicht und die anderen Hausbewohner waren bereits in ihren Betten verschwunden. So verkrümelte sie sich schnell in ihr Bett und zog sich das Kopfkissen fest über ihre Ohren. Aber dies wäre unnötig gewesen, denn inzwischen war im Dachgeschoss wieder Ruhe eingekehrt, keiner der beiden Anwesenden nahm den Raum um sich herum mehr wahr, denn der kleine Tod hatte sich ihrer Körper mit voller Wucht ermächtigt.
Naike schaut hingebungsvoll in das ihr so vertraute Gesicht. "Deine Nase blutet ja!", bemerkte Adam erschrocken und er wirkte zu ihrem Erstaunen so, als würde er jeden Moment zu weinen beginnen. "Das tut mir so leid, Süße. Ich habe es nicht bemerkt."
Er streichelte Naikes Kinn, fuhr mit seiner Zunge über ihre Nasenlöcher und küsste sie so innig, dass sie beide ins Taumeln kamen. "Wann sehen wir uns wieder, Adam?" Naike bekam bereits wieder weiche Beine. "Willst du das überhaupt? Du vertraust mir doch nicht", sagte Adam. "Liebst du mich überhaupt? Ich mein' so richtig?", fragte er dann ernst. "Wann, Adam ... wann?", drängte Naike und ging nicht auf seine Frage ein.
"Jenseits der Idee von Gut und Böse liegt eine Wirklichkeit – dort werde ich dich treffen", flüsterte er bedrückt, küsste sie noch einmal, kletterte dann über die Balkonbrüstung und sprang in die Tiefe.
Rumi? Naike schluckte. "Ja, ich liebe dich, verdammt!", rief sie gefährlich laut hinter ihm her. Aber er hörte es nicht mehr. Sie kämpfte erneut mit der fatalen Mischung aus Furcht und Begehren und schaute Hilfe suchend in den Sternenhimmel. Sie stand noch immer ein ganzes Stück neben sich, aber die Affen aber waren still. Sie ging in ihr Zimmer zurück, wusch sich ihr Gesicht mit etwas Wasser aus der Flasche, die stets für nächtlichen Durst an ihrem Bett stand, und wusste wieder einmal gar nichts mehr. Liebte sie diesen Mann tatsächlich oder hasste sie ihn? Vertraute sie ihm oder hatte sie Angst vor seinem Wesen? Beim Nachdenken über diese drängende Frage fiel sie irgendwann recht spät in den Schlaf ... und in einen neuen Traum ...
"Diesmal lasse ich mich nicht verkackeiern. Ich weiß schon gleich, dass ich träume", kicherte die Träumende. "Hey, Traum-Instanz, verarschen kann ich mich selbst! Soll
das etwa die Antwort auf meine Frage sein, ob ich diesem Scheißkerl vertrauen kann?"
"Schau genau hin, Schäfchen!", forderte plötzlich eine dunkle, körperlose Stimme, die Naike zutiefst erschreckte: "Ist das ...? Oder ...?" Und dann wurde sie unbewusst.
"Oh mein Gott, vergebt mir, Rabbi! Es ist unverzeihlich, dass ich Euch verkannt habe. Bitte vergebt mir!", hörte sie sich aufgebracht rufen, wobei ihre Stimme von allen Seiten widerhallte. "Erheb dich, Maria, ich zürne dir nicht. Es seien dir alle Sünden vergeben!"
"Dominus vobiscum." (Der Herr sei mit euch.)
"Et cum spiritu tuo." (Und mit deinem Geiste.)
"Sursum corda." (Erhebet die Herzen.)
"Habemus ad Dominum." (Wir haben sie beim Herrn.)
"Gratias agamus Domino Deo nostro." (Laßt uns danken, dem Herrn, unserm Gott.)
"Dignum et iustum est." (Das ist würdig und recht.)
"Vere dignum et iustum est,
invisibilem Deum Patrem omnipotentem
Filiumque eius unigenitum,
Dominum nostrum Iesum Christum,
toto cordis ac mentis affectu
et vocis ministerio personare.
(In Wahrheit ist es würdig und recht, den verborgenen Gott, den allmächtigen Vater, mit aller Glut des Herzens zu rühmen und seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn Jesus Christus, mit jubelnder Stimme zu preisen.)
Qui pro nobis aeterno Patri Adae debitum solvit
et veteris piaculi cautionem pio cruore detersit."
(Er hat für uns beim ewigen Vater Adams Schuld bezahlt und den Schuldbrief ausgelöscht mit seinem Blut, das er aus Liebe vergossen hat.)
"Ich liebe dich, meine Schwester in Christo – was auch immer geschehen wird."
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Was der Putzmann Maximilian Sanders am nächsten Tag sah, als er das Bett abzog, bleibt besser ungenannt. Jedenfalls war er sehr blass, als er seine Arbeitstelle nach getanem Werk verließ, und dachte ernsthaft darüber nach, seinen Dienst in diesem Hause zu quittieren.
"Was war denn bloß mit dir los gestern Nacht, Naike? Musstest du so laut fernsehen?", fragte Joseph beim Frühstück vorwurfsvoll. "Hast du schon mal einen Fernseher in meinem Zimmer gesehen?", antwortete sie frech, nahm sich eine Schüssel Müsli und lies ihn einfach in seiner Verwunderung stehen.
"Was ist denn nun wieder los? Warum stehst du da so abseits und setzt dich nicht zu uns an den Tisch?", bohrte Joseph weiter. "Und warum um alles in der Welt trägst du an einem Sommermorgen einen Schal?" Auch Jessica bedachte ihre Mitbewohnerin mit irritiertem Blick …
... und fing sie wenig später im Bad ab. "Naike, mit dir stimmt doch etwas nicht! Warum redest du nicht mit Joe? Habt ihr euch schon wieder gezankt? War ja ein ganz schöner Lärm gestern Abend bei dir oben, wie ich im Halbschlaf mitbekommen habe. Und überhaupt erst dieser Schal! Jess schüttelte den Kopf. Spinnst du jetzt völlig?"
"Nein, das ist doch jetzt die neue Mode, Jessica. Sag bloß, du kaufst dir deine
BILD der Frau nicht mehr, weil du dich für zu alt hältst?"
"Na, jetzt mach' aber mal halblang. Ich sehe ja wohl jetzt besser sogar besser aus als früher, oder?"
"Ja klar!", lachte Naike verdächtig übermütig, aber sie bemühte sich nach besten Kräften von dem Thema Schal-Mode abzulenken. Sie dachte nach. Jessica sah in letzter Zeit tatsächlich deutlich verjüngt aus, als würden die Spuren der Zeit völlig an ihr vorüber gehen. Eigentlich bewirkte so etwas nur die Liebe, aber Jess war nach wie vor solo. Die attraktive Seniorin war aber nun durch das Kompliment zum Glück wieder völlig auf sich fixiert und betrachtete sich zufrieden im Spiegel. So nutzte Naike schnell die Chance und floh auf ihr Zimmer.
Doch kaum war sie oben angekommen, hörte sie Carlas Stimme draußen vor dem Haus. Sie hatte ganz vergessen, dass ihre Freundin heute zu Besuch kommen wollte. Natürlich waren auch ihre Schwester Fiona und ihr Bodyguard, ein Schrank namens Peter Bockhorn, mitgekommen, um jegliches Risiko für ihr Leib und Leben zu vermeiden. Deshalb blieb Naike lieber auf ihrem Zimmer. Carla umarmte fröhlich ihren Co Joseph und spürte erstmals nach ihrem schrecklichen Erlebnis mit dem schwarzen Unbekannten wieder das Verlangen, eine neue Einbruchstour zu starten. Fiona gefiel es gar nicht, wie ihre Schwester den adretten Nachbarn so innig umarmte. Warum war sie nicht an ihrer Stelle? War sie denn nicht deutlich attraktiver?
Als Carla sich auf den Weg ins Haus machte, um Naike zu suchen, schmiss sich ihre Schwester gleich mit einem übertriebenen Kompliment für seine Oberarme an das Objekt ihrer Begierde heran. Dieser nahm ihre Anmache mit Gelassenheit und lud sie und Herrn Bockhorn freundlich zu einem zweiten Frühstück ein.
"Ach hier bist du, warum kommst du nicht runter?"
"Hi! Mensch, wie geht es dir, Carla? Langsam wieder besser?"
"Na klar, ich bin doch nicht aus Zucker. Im Gegensatz zu dieser Halina habe ich ja auch noch Glück gehabt, Jack sei Dank!" Carla lächelte versonnen, als sie an ihren Freund und Retter dachte.
Doch dann hielt sie inne. "Huch, warum wird es denn plötzlich draußen so dunkel? Regnet es etwa?" Naike hätte beinahe erwähnt, dass ihr Alter Ego in der realen Welt offenbar inzwischendas AddOn
Vier Jahreszeiten installiert hatte, konnte sich aber im letzten Moment beherrschen. Wahrscheinlich wäre Carla diese Bemerkung aber sowieso entgangen, da sie sie nicht hätte einordnen können. Sie meinte nur: "Na, öfter mal was Neues. Hoffentlich wird es nicht auch noch kalt, das kann ich ja gar nicht ab. Apropos, seit wann trägt frau Schal im Sommer?"
Naike war genervt. Warum konnte man hier nicht einmal mehr anziehen, was man wollte?! Deshalb antwortete sie deutlich zu barsch: "Darum!" Carla hob eine Augenbraue. "Was hat das denn jetzt zu bedeuten, was bist du denn so zickig zu mir? Ich habe doch nur gefragt!", bemerkte sie beleidigt. "Frag mich alles, nur nicht das!", moserte Naike völlig ungerecht. "Na, dann kann ich ja gleich wieder gehen", grummelte ihre Freundin. "Aber nein, so war das doch nicht gemeint, bitte bleib!"
"Dann sag mir jetzt sofort, wofür der Schal ist, da ist doch eindeutig was faul!" Carla ließ sich nicht so leicht abspeisen wie Jessica. Sie war von Natur aus sehr neugierig und stets an Ungewöhnlichem interessiert. Man stritt sich ein wenig ...
... aber dann fasste Naike den Entschluss, sich ihrer Freundin und Kollegin anzuvertrauen und legte den Schal ab. Carla war durch ihren Beruf darauf trainiert, auf Details zu achten und staunte nicht schlecht, als sie ihren Hals sah. Sie wendete sich angewidert hab, schluckte kurz und fragte dann: "War ER es?"
Zuerst dachte Naike, Carla wüsste bereits von Adams Rückkehr, aber dann wurde ihr klar, dass sie den gesuchten Vergewaltiger gemeint hatte. "Meinst du den Typen, der dich angegriffen hat?", fragte sie noch mal vorsichtig nach. Carla nickte. "Ja, natürlich, wen sonst? Naike, ist das wirklich wahr? Das tut mir so leid für dich! Ich habe wenigstens nichts zurückbehalten, außer einer kleinen Schramme am Oberarm und einem Riesenschrecken. Aber das sieht ja richtig böse aus. Du musst sofort zur Polizei gehen! Hat er dich etwa auch ... du weißt schon ...?"
Die blonde junge Frau redete wie ein Wasserfall und war ganz außer sich, Naike wusste sie kaum zu bremsen. "Aber nein, du hast mich missverstanden, ich bin ihm zum Glück bisher nicht begegnet!" Hoffe ich jedenfalls, dachte sie bang nach dem Aussprechen dieses Satzes. Carla wirkte verwirrt und ihre Phantasie ging mit ihr durch: "Ja, aber ... hast du dich versehentlich beim Gardinen aufhängen stranguliert oder was? Sowas kommt doch nicht angeflogen!"
"Adam war's." Carla hob nun gleich beide Augenbrauen und starrte ihre Freundin an, als sei diese verrückt geworden.
Und dann erzählte Naike ihr die ganze Geschichte und ließ nichts dabei aus. Carla fühlte sich wie in einen schlechten Film versetzt und wusste nicht, worüber sie am meisten geschockt sein sollte, dass Adam lebte, oder dass ihr Kollege Joe ein so feiger Lügner war.
Dann aber doch von keiner dieser beiden Tatsachen, nämlich der wirkliche Hammer war eindeutig, dass Naike den Verdacht äußerte, Adam könne der Frauenschänder sein, was nicht gerade aus der Luft gegriffen war. Es musste eine furchtbare Zwickmühle für ihre Freundin sein, die auch gar nicht mehr aufhörte zu weinen. "Und du solltest doch eigentlich glücklich sein, hm?" Carla nahm die Schluchzende fest in den Arm und versuchte sie so gut wie möglich zu trösten. "Es wird alles gut, alles wird wieder gut, Süße." Sicher war sie sich allerdings nicht.
"Hallooo? Was geht denn hier bitteschön ab?"
"Joseph, kannst du nicht wenigstens anklopfen?", herrschte Carla ihn an und er umgehend zurück: "Geh nach unten zu den anderen, Carla, und lass mich mit meiner Frau alleine. Ich habe ein Recht darauf, zu erfahren, was mit ihr los ist. Ich halte das Spielchen keinen Tag länger aus!"
"Sie ist nicht deine Frau!", sagt Carla böse, doch das beeindruckte ihn nicht im geringsten: "Jetzt zisch' ab!" Sie schüttelte den Kopf und stürmte aus dem Zimmer, während er sich an Naike wandte.
"Kannst du mir jetzt endlich mal sagen, was dieses lächerliche Theater soll? Erst beachtest du mich seit meinem Antrag nicht mehr, dann schläfst du mit mir, doch dann ist erneut Funkstille. Vor dem Theater mit dem Insel-Verbrecher warst du außerdem abends dauernd unterwegs und kamst immer erst am Morgen heim! Und jetzt machst du einen Heidenlärm in deinem Zi...." Joe hielt plötzlich inne und kam mit prüfendem Blick näher auf seine Freundin zu.
"Was ... was ist das?" Naike sagte nichts. Aber in Josephs Hirn fing es augenblicklich an zu rattern. Irgendwie fügte sich plötzlich alles zu einer einzigen Erklärung zusammen. Naikes Abwesenheit, die ihm vorenthaltene Zuneigung, der nächtliche Lärm in ihrem Zimmer und die Male an ihrem Hals, die er nicht das erste Mal an einer Frau sah. Dies alles ließ nur einen Schluss zu: Adam.
Joseph wurde es augenblicklich schwindelig und der kalte Schweiß brach ihm aus. Vorerst war es nur eine Vermutung, sagte er sich schnell, aber seine Zweifel waren nur unbedeutender Natur, dafür kannte er seinen Bruder zu gut. Und ebenso Naikes Neigung, die Kontrolle aufzugeben und sich seinem Bruder ohne Rücksicht auf Verluste völlig hinzugeben.
Naike fühlte sich plötzlich sehr schwach auf den Beinen. "Bitte lass mich allein und schicke mir Carla wieder hoch, ja?" Ohne ein Wort und käsebleich verließ Joe das Zimmer und tat wie ihm geheißen. Anschließend stellte er sich unter die eiskalte Dusche.
"Mit euch gibt das wohl nichts mehr, hm?", warf Jessica auf, nachdem der Besuch gegangen war. "Jess, du bist wahrhaft eine Hellseherin", seufzte Joe. "Kannst du mir vielleicht mal die Karten legen?"
"Seit wann interessiert dich
das denn? Du hast doch bisher immer laut getönt, was das für ein Humbug wäre!"
"Bitte, ich muss etwas unbedingt wissen!"
Jessica schüttelte den Kopf. "Nö, du hast mich zu oft damit aufgezogen, dazu habe ich keine Lust. Man muss schon mit einer gesunden Portion Ernst an die Sache gehen." Joe nickte resigniert.
Als Jessica beim Einkaufen war, holte er sich ihre Karten aus dem Schrank und legte sie sich selbst. Er sah lauter bunte Bildchen, ein Schiff, ein Herz, einen Hund und noch viel mehr. Aber vor seinen Augen verschwammen sie zu einem bunten Mischmasch, der ihm nicht das Geringste offenbarte.