Naike
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Kapitel 30 – Ja, wollen die denn zum Film?
Insgesamt gesehen war das Leben in der Simlane 10 wieder recht angenehm geworden. Ich hatte meine Mitte wiedergefunden, und sie entglitt mir nur noch in den Momenten, in denen mich etwas an meine große Liebe erinnerte.
Am Abend fuhr ich, wie verabredet, mit Joseph zur Aussprache in ein Restaurant und staunte nicht schlecht, als ich realisierte, wohin mein "Date" mich ausführte.
"McDonalds? Sag mal, Joe, hast du noch alle Bienen auf dem Kronleuchter? Das nennst du Date?", knurrte ich entrüstet und fühlte mich unwert behandelt.
"Zum einen heißt es Birnen auf den Kronleuchter und zweitens habe ich die noch, denn wir haben überhaupt kein Date, sondern du wolltest bloß unbedingt etwas wissen. Und um dir das zu sagen, was ich dir sagen will, brauche ich kein schönes Ambiente. Hier schmeckt es auch."
Peinlich berührt verzog ich das Gesicht und ließ ich mich in den Fastfood-Tempel ziehen. Welch berauschender Start in den Abend!
"Na, dann schieß mal los! Ich sage dir gleich, falls du dir schon irgendwelche Ausflüchte zurechtgelegt hast – die Karten lügen nie! Es gibt nur unfähige Deuter, und zu denen gehöre ich definitiv nicht. Was hast du also mit irgendeinem Unrecht zu tun, bitteschön?", raunzte ich mein Gegenüber mieslaunig an.
Joseph seufzte genervt. "Nicht so voreilig, junge Dame, und schon gar nicht so aggressiv. Lass uns erstmal in Ruhe etwas zu Essen besorgen, ich hab Hunger."
Die Burger waren schnell geholt. Zuerst sagte keiner von uns mehr etwas. Doch dann übernahm ich wieder die Gesprächsführung. Ich war einfach zu neugierig und auch ein bisschen ängstlich. Offenbar konnte es keinen Tallis geben, der nichts auf dem Kerbholz hatte. Warum sollte also ausgerechnet Joe aus der Reihe tanzen?
"Wir waren beim Thema Unrecht", begann ich. "Wem tust du Unrecht? Wobei "Unrecht" noch viel zu harmlos ausgedrückt ist, in den Karten lag die Kombination für kriminelle Energien! Stiehlst du alten Damen die Handtaschen? Überfällst du Banken? Oder nimmst du Jungfrauen brutal die Unschuld in öffentlichen Grünanlagen?"
Mir klopfte während meiner glühenden Rede das Herz bis zum Hals. Hatte ich mich zu weit aus dem Fenster gelehnt? Was mochte jetzt kommen?
Doch Joe blieb völlig cool. "Nichts davon, aber sowas Ähnliches. Ich steige nachts in Häuser ein und nehme mit, was ich tragen kann."
Ich atmete vor Schreck ein Stückchen von meinem Cheeseburger-Brötchen ein und hustete wie wild, um es wieder herauszubekommen. Zum Glück purzelte es alsbald zurück auf Teller.
"Geht es? Oder soll ich dir auf den Rücken klopfen, Mademoiselle Le Normand?", fragte Joe grinsend, aber ich winkte ab, hüstelte nur noch ein wenig und starrte Adams Bruder anschließend regungslos an. Dann fand ich meine Stimme wieder. "Das ist jetzt ein Scherz, oder?"
Joe lachte. "Aber mitnichten, ich scherze nicht. Und ich will, dass du zukünftig mit mir gehst. Du bist eh im Moment arbeitslos, aber eindeutig nicht mehr krank. Du kannst also wieder etwas leisten. Was meinst du, hm? Du weißt jetzt eh Bescheid und hängst somit sowieso mit drin. Selbst schuld!", zwinkerte er mir frech zu.
Das muss wieder einer meiner irren Träume sein, dachte ich, und kniff mich kurz in den Arm. Aber es war kein Traum.
"Na, komm schon, sag ja!", drängte Joe. "Es wäre mir eine Ehre, mit dir zu arbeiten. Ich hätte zukünftig gerne ein Dreier-Team, weißt du? Carla kennst du ja schon." Er legte seine warme Hand auf meine, so dass ich gleich noch nervöser wurde und ihn statt einer Antwort nur etwas grenzdebil anlächelte. Warum, wusste ich selbst nicht, denn mir war eigentlich gar nicht zum Lachen zumute, aber er wertete es offenbar als prompte Zustimmung.
Und da waren sie wieder einmal, die berühmt-berüchtigten Affen im Kopf. Einer meinte, es wäre doch tierisch spannend, so etwas zu tun, statt zukünftig jeden Tag irgendeine langweilige Arbeit verrichten zu müssen. Der andere Affe war der Meinung, dass es irre sei, sich auf so etwas einzulassen. Der dritte Affe wollte es sich noch überlegen, und noch ein vierter verlangte nervtötend quengelnd nach einem weiteren Biss in den inzwischen erkalteten Burger. Affe Nummer 5, der bekloppteste, war nur darauf aus, Joe augenblicklich zu küssen, der inzwischen einen goldigen Hundeblick aufgesetzt hatte.
"Und, kommen wir jetzt wieder heraus aus der Starre, junge Frau? Wir trinken einen drauf, ja?"
"Prost, Joe", sagte ich matt und tonlos und griff nach meinem Glas.
"Wie? Echt jetzt? Du begleitest mich wirklich?", strahlte der junge Ganove. "Na dann, Prost! Auf gute Zusammenarbeit!"
Ich fühlte mich komplett überrumpelt.
Bereits am nächsten Tag hatte Joe alles arrangiert. Ich bekam bei einem seiner Kollegen eine Art Ausbildungsplatz, der Stundenplan war sehr umfangreich, und ich fragte mich nicht nur einmal, ob das alles überhaupt nötig war, bloß um nachts in Häuser einzusteigen. Es war eine brisante Entscheidung gewesen, mich meinem Mitbewohner anzuschließen, aber ich hatte in der vergangenen Nacht noch lange darüber nachgedacht und mich erinnert, dass ich mich ja lediglich in einer virtuellen Welt befand und mein Zwilling in der echten Welt sicherlich stets ein Auge auf mich hatte. Also stand mein Beschluss nach wie vor fest: Auf ins Abenteuer!
Joseph richtete am Nachmittag hinter dem Haus auch noch einen Trainingsparcour ein, um mich, seine zukünftige Co, in möglichst kurzer Zeit topfit zu kriegen.
"Äh ... wie bitte? Da soll ich rüber? Das habe ich seit meiner Anfangszeit beim Militär damals nicht mehr gemacht."
"Na, dann wird es aber Zeit!", lachte mein zukünftiger Kollege aufmunternd.
"Fang du an, ich will was sehen!", neckte ich ihn zurück und war ziemlich gespannt, was sein durchtrainierte Körper wohl zu leisten im Stande war.
Und wie ich dann staunend feststellen musste, verfügte er über keinerlei Defizite, bewegte sich flink und geschmeidig.
"Ups, du kannst es ja wirklich!"
"Natürlich", ächzte Joe, "was hast du denn gedacht? Bin doch keine Couchkartoffel!"
"So, jetzt aber du!" Ich zögerte, da ich Schiss vor einer Blamage hatte. "Na, los! Jetzt mach endlich!"
Es blieb mir nichts anderes übrig, als seiner Aufforderung Folge zu leisten, sonst hätte ich mich erst recht blamiert, und unerwarteterweise klappte es sogar einigermaßen.
"Schon recht gut, Kleines", kommentierte Joseph meinen Run, was offenbar weiterer Motivation dienen sollte. Kleines? Also echt.
"Aber ein bisschen schneller dürfte es sein, das kriegen wir mit einigen Trainingseinheiten bald hin. Und bitte binde dir beim nächsten Mal die Haare hoch, ja?" Sonst noch Wünsche, der Herr?
Neugierig wieselte Jessica heran und fragte sich, woher das laute Gestöhne kam? "Die werden doch nicht etwa im Garten ...?", sagte sie zu sich selbst und dachte schaudernd an die Nacht, in der sie Adam und Naike auf dem Heuboden in eindeutiger Position vorgefunden hatte. "Joe ist ein Tallis – das darf ich nicht vergessen", murmelte sie besorgt vor sich hin, als müsste sie sich diese Tatsache stets präsent halten, um in Sicherheit leben zu können. Sie wieselte hinters Haus.
"Ich muss ihn im Auge behal ... Ja, Kinder! Was macht ihr denn da? Und was ist mit unserer Hauswand passiert?", rief sie erschrocken, denn was sich nun ihren Augen darbot, hatte sie weiß Gott nicht erwartet.
Dann fiel ihr Blick auf eine verdammt echt aussehende Waffe, die auf einem provisorischen Tischchen bereitlag. "Wa …waas ist da … das?", fragte sie stotternd. Mit hämmerndem Herzschlag lief sie zum Trainingsparcour hinüber.
"Sagt mal, habt ihr noch alle Tassen im Schrank?", wetterte sie lautstark.
"Naike muss doch wieder fit werden und ich helfe ihr dabei", erklärte Joe atemlos hechelnd, der gerade eine der Hürden passierte.
"Aber die Pistole?"
"So, jetzt der nächste Punkt auf der Liste. Kannst du schießen?", fragte Joseph mich mit interessierter Miene.
"Jein, hab ich zwar schon mal gemacht, mein Mann war früher im Schießverei ..." Ich brach mitten im Satz ab und schlug mir erschrocken die Hand vor den Mund. Dies war der erste dumme Versprecher nach langer Zeit.
"Dein Mann?" Joe schaute mich durchdringend an und verzog dabei seine Augenbrauen ein bisschen, so wie Adam es immer getan hatte, was meine Knie weich werden ließ.
"Wie, mein Mann? Hab ich "mein Mann" gesagt? Du musst dich verhört haben", sagte ich schnell und versuchte den Fauxpas nun wieder auszubügeln. "Magnum, sagte ich. Die hatte einen Mega-Rückstoß, sag ich dir!" Ich lächelte ihn unschuldig an und nickte dabei zur Bestätigung meiner Lüge wie ein Wackeldackel. Zum Glück kam keine Nachfrage mehr, mein Gegenüber zeigte lediglich weiterhin ein leichtes Stirnrunzeln und wandte sich anschließend wieder seinem Vorhaben zu.
"Der Rückstoß, genau. Darauf musst du unter anderem achten, sonst triffst du daneben. Aber es gibt noch mehr zu bedenken."
Unmittelbar überfiel mich ein unbehagliches Gefühl in der Magengegend, und das bestimmt nicht wegen des spieltypischen Quadratrasters, das der Boden plötzlich für einige Minuten zeigte.
"Was soll ich denn eigentlich treffen?", fragte ich mit einem leichten Zittern in der Stimme, denn langsam drängten sich die Erinnerungen in meine Gedanken.
Joe schien zu ahnen, was ich dachte. "Keine Sorge. Es wird zwar sicher auch mal brenzlige Situationen geben, aber die sind super selten, wenn man gut plant."
Und dann sah ich im Geiste vor mir Nastassja, wie sie hasserfüllt auf Adam zielte, und mir wurde augenblicklich schlecht.
"Ich ... ich kann nicht auf Menschen schießen, Joe. Das kommt für mich nicht in Frage. Adam ..."
Joe kam zu mir hinüber und legte seine warme Hand auf meine Schulter. "Ich weiß doch, es, tut mir leid", sprach er mir gut zu, "aber du solltest es wenigstens mal geübt haben."
"Na, schon ein bisschen höher, sonst hängt die Kugel gleich im Fundament."
Meine Hand zitterte stark und ich spürte, wie mir die Tränen kamen. "Ich kann das nicht."
"Doch, kannst du. Vergiss mal für ein paar Minuten meinen Bruder."
Ich drückte den Abzug, der Schuss löste sich und schlug unmittelbar neben die Zielscheibe ein. "Genug für heute", sagte ich dann nur noch, drückte meinem Lehrer die Waffe in die Hand und tapste wie auf Eiern zurück ins Haus.
Worauf hatte ich mich da bloß eingelassen? Das Turnen hatte viel Spaß gemacht, außerdem war es eh mal wieder nötig gewesen. Aber die Schießerei? Früher, in meinem anderen Leben, hatte mir auch das Freude gemacht – als Sport! Aber wie könnte ich je auf Menschen schießen? Es ist unwahrscheinlich, dass das je der Fall sein wird, sagte der erste Affe. Lass es lieber bleiben, giftete der zweite. Aber es könnte doch Albert Kappe sein, witzelte der dritte frech. Ich holte Luft und tauchte mit Schwung tief ins Wasser. Die Affen paddelten laut protestierend davon.
Die jungen Leute umarmten und neckten sich zwar herzlich, aber nach einer sich anbahnenden Liebesbeziehung sah es nicht aus, dachte Jessica.
Und nun war sie es, die sich fragte, wohin die beiden an mehreren Abenden pro Woche wohl fuhren?
Kapitel 30 – Ja, wollen die denn zum Film?
Insgesamt gesehen war das Leben in der Simlane 10 wieder recht angenehm geworden. Ich hatte meine Mitte wiedergefunden, und sie entglitt mir nur noch in den Momenten, in denen mich etwas an meine große Liebe erinnerte.
Am Abend fuhr ich, wie verabredet, mit Joseph zur Aussprache in ein Restaurant und staunte nicht schlecht, als ich realisierte, wohin mein "Date" mich ausführte.
"McDonalds? Sag mal, Joe, hast du noch alle Bienen auf dem Kronleuchter? Das nennst du Date?", knurrte ich entrüstet und fühlte mich unwert behandelt.
"Zum einen heißt es Birnen auf den Kronleuchter und zweitens habe ich die noch, denn wir haben überhaupt kein Date, sondern du wolltest bloß unbedingt etwas wissen. Und um dir das zu sagen, was ich dir sagen will, brauche ich kein schönes Ambiente. Hier schmeckt es auch."
Peinlich berührt verzog ich das Gesicht und ließ ich mich in den Fastfood-Tempel ziehen. Welch berauschender Start in den Abend!
"Na, dann schieß mal los! Ich sage dir gleich, falls du dir schon irgendwelche Ausflüchte zurechtgelegt hast – die Karten lügen nie! Es gibt nur unfähige Deuter, und zu denen gehöre ich definitiv nicht. Was hast du also mit irgendeinem Unrecht zu tun, bitteschön?", raunzte ich mein Gegenüber mieslaunig an.
Joseph seufzte genervt. "Nicht so voreilig, junge Dame, und schon gar nicht so aggressiv. Lass uns erstmal in Ruhe etwas zu Essen besorgen, ich hab Hunger."
Die Burger waren schnell geholt. Zuerst sagte keiner von uns mehr etwas. Doch dann übernahm ich wieder die Gesprächsführung. Ich war einfach zu neugierig und auch ein bisschen ängstlich. Offenbar konnte es keinen Tallis geben, der nichts auf dem Kerbholz hatte. Warum sollte also ausgerechnet Joe aus der Reihe tanzen?
"Wir waren beim Thema Unrecht", begann ich. "Wem tust du Unrecht? Wobei "Unrecht" noch viel zu harmlos ausgedrückt ist, in den Karten lag die Kombination für kriminelle Energien! Stiehlst du alten Damen die Handtaschen? Überfällst du Banken? Oder nimmst du Jungfrauen brutal die Unschuld in öffentlichen Grünanlagen?"
Mir klopfte während meiner glühenden Rede das Herz bis zum Hals. Hatte ich mich zu weit aus dem Fenster gelehnt? Was mochte jetzt kommen?
Doch Joe blieb völlig cool. "Nichts davon, aber sowas Ähnliches. Ich steige nachts in Häuser ein und nehme mit, was ich tragen kann."
Ich atmete vor Schreck ein Stückchen von meinem Cheeseburger-Brötchen ein und hustete wie wild, um es wieder herauszubekommen. Zum Glück purzelte es alsbald zurück auf Teller.
"Geht es? Oder soll ich dir auf den Rücken klopfen, Mademoiselle Le Normand?", fragte Joe grinsend, aber ich winkte ab, hüstelte nur noch ein wenig und starrte Adams Bruder anschließend regungslos an. Dann fand ich meine Stimme wieder. "Das ist jetzt ein Scherz, oder?"
Joe lachte. "Aber mitnichten, ich scherze nicht. Und ich will, dass du zukünftig mit mir gehst. Du bist eh im Moment arbeitslos, aber eindeutig nicht mehr krank. Du kannst also wieder etwas leisten. Was meinst du, hm? Du weißt jetzt eh Bescheid und hängst somit sowieso mit drin. Selbst schuld!", zwinkerte er mir frech zu.
Das muss wieder einer meiner irren Träume sein, dachte ich, und kniff mich kurz in den Arm. Aber es war kein Traum.
"Na, komm schon, sag ja!", drängte Joe. "Es wäre mir eine Ehre, mit dir zu arbeiten. Ich hätte zukünftig gerne ein Dreier-Team, weißt du? Carla kennst du ja schon." Er legte seine warme Hand auf meine, so dass ich gleich noch nervöser wurde und ihn statt einer Antwort nur etwas grenzdebil anlächelte. Warum, wusste ich selbst nicht, denn mir war eigentlich gar nicht zum Lachen zumute, aber er wertete es offenbar als prompte Zustimmung.
Und da waren sie wieder einmal, die berühmt-berüchtigten Affen im Kopf. Einer meinte, es wäre doch tierisch spannend, so etwas zu tun, statt zukünftig jeden Tag irgendeine langweilige Arbeit verrichten zu müssen. Der andere Affe war der Meinung, dass es irre sei, sich auf so etwas einzulassen. Der dritte Affe wollte es sich noch überlegen, und noch ein vierter verlangte nervtötend quengelnd nach einem weiteren Biss in den inzwischen erkalteten Burger. Affe Nummer 5, der bekloppteste, war nur darauf aus, Joe augenblicklich zu küssen, der inzwischen einen goldigen Hundeblick aufgesetzt hatte.
"Und, kommen wir jetzt wieder heraus aus der Starre, junge Frau? Wir trinken einen drauf, ja?"
"Prost, Joe", sagte ich matt und tonlos und griff nach meinem Glas.
"Wie? Echt jetzt? Du begleitest mich wirklich?", strahlte der junge Ganove. "Na dann, Prost! Auf gute Zusammenarbeit!"
Ich fühlte mich komplett überrumpelt.
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Bereits am nächsten Tag hatte Joe alles arrangiert. Ich bekam bei einem seiner Kollegen eine Art Ausbildungsplatz, der Stundenplan war sehr umfangreich, und ich fragte mich nicht nur einmal, ob das alles überhaupt nötig war, bloß um nachts in Häuser einzusteigen. Es war eine brisante Entscheidung gewesen, mich meinem Mitbewohner anzuschließen, aber ich hatte in der vergangenen Nacht noch lange darüber nachgedacht und mich erinnert, dass ich mich ja lediglich in einer virtuellen Welt befand und mein Zwilling in der echten Welt sicherlich stets ein Auge auf mich hatte. Also stand mein Beschluss nach wie vor fest: Auf ins Abenteuer!
Joseph richtete am Nachmittag hinter dem Haus auch noch einen Trainingsparcour ein, um mich, seine zukünftige Co, in möglichst kurzer Zeit topfit zu kriegen.
"Äh ... wie bitte? Da soll ich rüber? Das habe ich seit meiner Anfangszeit beim Militär damals nicht mehr gemacht."
"Na, dann wird es aber Zeit!", lachte mein zukünftiger Kollege aufmunternd.
"Fang du an, ich will was sehen!", neckte ich ihn zurück und war ziemlich gespannt, was sein durchtrainierte Körper wohl zu leisten im Stande war.
Und wie ich dann staunend feststellen musste, verfügte er über keinerlei Defizite, bewegte sich flink und geschmeidig.
"Ups, du kannst es ja wirklich!"
"Natürlich", ächzte Joe, "was hast du denn gedacht? Bin doch keine Couchkartoffel!"
"So, jetzt aber du!" Ich zögerte, da ich Schiss vor einer Blamage hatte. "Na, los! Jetzt mach endlich!"
Es blieb mir nichts anderes übrig, als seiner Aufforderung Folge zu leisten, sonst hätte ich mich erst recht blamiert, und unerwarteterweise klappte es sogar einigermaßen.
"Schon recht gut, Kleines", kommentierte Joseph meinen Run, was offenbar weiterer Motivation dienen sollte. Kleines? Also echt.
"Aber ein bisschen schneller dürfte es sein, das kriegen wir mit einigen Trainingseinheiten bald hin. Und bitte binde dir beim nächsten Mal die Haare hoch, ja?" Sonst noch Wünsche, der Herr?
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Neugierig wieselte Jessica heran und fragte sich, woher das laute Gestöhne kam? "Die werden doch nicht etwa im Garten ...?", sagte sie zu sich selbst und dachte schaudernd an die Nacht, in der sie Adam und Naike auf dem Heuboden in eindeutiger Position vorgefunden hatte. "Joe ist ein Tallis – das darf ich nicht vergessen", murmelte sie besorgt vor sich hin, als müsste sie sich diese Tatsache stets präsent halten, um in Sicherheit leben zu können. Sie wieselte hinters Haus.
"Ich muss ihn im Auge behal ... Ja, Kinder! Was macht ihr denn da? Und was ist mit unserer Hauswand passiert?", rief sie erschrocken, denn was sich nun ihren Augen darbot, hatte sie weiß Gott nicht erwartet.
Dann fiel ihr Blick auf eine verdammt echt aussehende Waffe, die auf einem provisorischen Tischchen bereitlag. "Wa …waas ist da … das?", fragte sie stotternd. Mit hämmerndem Herzschlag lief sie zum Trainingsparcour hinüber.
"Sagt mal, habt ihr noch alle Tassen im Schrank?", wetterte sie lautstark.
"Naike muss doch wieder fit werden und ich helfe ihr dabei", erklärte Joe atemlos hechelnd, der gerade eine der Hürden passierte.
"Aber die Pistole?"
"Na, Sportschießen halt", meinte Joe kurz angebunden und ließ sich danach nicht mehr aus dem Konzept bringen. Jessica schüttelte verständnislos den Kopf und trollte sich wieder. Dabei machte sie einen riesigen Bogen um die Schießeisen auf den komischen Holztischen. Sie nahm sich vor, lieber von drinnen genau zu beobachten, was abging. Ob die beiden beim Film anfangen wollten?
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"So, jetzt der nächste Punkt auf der Liste. Kannst du schießen?", fragte Joseph mich mit interessierter Miene.
"Jein, hab ich zwar schon mal gemacht, mein Mann war früher im Schießverei ..." Ich brach mitten im Satz ab und schlug mir erschrocken die Hand vor den Mund. Dies war der erste dumme Versprecher nach langer Zeit.
"Dein Mann?" Joe schaute mich durchdringend an und verzog dabei seine Augenbrauen ein bisschen, so wie Adam es immer getan hatte, was meine Knie weich werden ließ.
"Wie, mein Mann? Hab ich "mein Mann" gesagt? Du musst dich verhört haben", sagte ich schnell und versuchte den Fauxpas nun wieder auszubügeln. "Magnum, sagte ich. Die hatte einen Mega-Rückstoß, sag ich dir!" Ich lächelte ihn unschuldig an und nickte dabei zur Bestätigung meiner Lüge wie ein Wackeldackel. Zum Glück kam keine Nachfrage mehr, mein Gegenüber zeigte lediglich weiterhin ein leichtes Stirnrunzeln und wandte sich anschließend wieder seinem Vorhaben zu.
"Der Rückstoß, genau. Darauf musst du unter anderem achten, sonst triffst du daneben. Aber es gibt noch mehr zu bedenken."
Unmittelbar überfiel mich ein unbehagliches Gefühl in der Magengegend, und das bestimmt nicht wegen des spieltypischen Quadratrasters, das der Boden plötzlich für einige Minuten zeigte.
"Was soll ich denn eigentlich treffen?", fragte ich mit einem leichten Zittern in der Stimme, denn langsam drängten sich die Erinnerungen in meine Gedanken.
Joe schien zu ahnen, was ich dachte. "Keine Sorge. Es wird zwar sicher auch mal brenzlige Situationen geben, aber die sind super selten, wenn man gut plant."
Und dann sah ich im Geiste vor mir Nastassja, wie sie hasserfüllt auf Adam zielte, und mir wurde augenblicklich schlecht.
"Ich ... ich kann nicht auf Menschen schießen, Joe. Das kommt für mich nicht in Frage. Adam ..."
Joe kam zu mir hinüber und legte seine warme Hand auf meine Schulter. "Ich weiß doch, es, tut mir leid", sprach er mir gut zu, "aber du solltest es wenigstens mal geübt haben."
"Na, schon ein bisschen höher, sonst hängt die Kugel gleich im Fundament."
Meine Hand zitterte stark und ich spürte, wie mir die Tränen kamen. "Ich kann das nicht."
"Doch, kannst du. Vergiss mal für ein paar Minuten meinen Bruder."
Ich drückte den Abzug, der Schuss löste sich und schlug unmittelbar neben die Zielscheibe ein. "Genug für heute", sagte ich dann nur noch, drückte meinem Lehrer die Waffe in die Hand und tapste wie auf Eiern zurück ins Haus.
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Worauf hatte ich mich da bloß eingelassen? Das Turnen hatte viel Spaß gemacht, außerdem war es eh mal wieder nötig gewesen. Aber die Schießerei? Früher, in meinem anderen Leben, hatte mir auch das Freude gemacht – als Sport! Aber wie könnte ich je auf Menschen schießen? Es ist unwahrscheinlich, dass das je der Fall sein wird, sagte der erste Affe. Lass es lieber bleiben, giftete der zweite. Aber es könnte doch Albert Kappe sein, witzelte der dritte frech. Ich holte Luft und tauchte mit Schwung tief ins Wasser. Die Affen paddelten laut protestierend davon.
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Jess beobachtete ihre Mitbewohner von nun an sehr genau. Was hatten die vor? Ging da irgendwas zwischen den beiden? Oder wollte Joe sie vielleicht erschießen, damit er mit Naike alleine im Haus wohnen konnte? An einer Menge Phantasie hatte es der alten Dame noch nie gemangelt, und wieder einmal wurde sie mit diffusen Ängsten dafür belohnt.
Die jungen Leute umarmten und neckten sich zwar herzlich, aber nach einer sich anbahnenden Liebesbeziehung sah es nicht aus, dachte Jessica.
Und nun war sie es, die sich fragte, wohin die beiden an mehreren Abenden pro Woche wohl fuhren?
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