*Story* Javon

Menglepeng

Member
Registriert
Oktober 2005
Hallo, ihr lieben!
Hier möchte ich euch meine neue Geschichte vorstellen.
Ich werd jetzt nicht so viel faseln, lest sie euch bitte einfach durch.
Es wäre sehr schön, wenn ihr sie kommentiert und schreibt, was ihr darüber denkt.

VIEL SPAß!!


PROLOG

Der kleine Javon wurde in eine Familie geboren, die man mied. Zwei Fehlgeburten hatte seine Mutter schon hinter sich. Das dritte Kind war taub und stumm. Im Dorf machte man einen Bogen um sein Haus, es sei verflucht, hieß es und so kam es, dass Javon im Laufe seiner Jugend nie ein wahrer Freund zur Seite stand. Seine Eltern gingen nur in die Stadt, wenn sie es mussten, man sah Javons Familie nicht oft und von ihrem Kind sagte die Mutter nur, dass es tot war.
Etliche Monate strichen ins Land. Aus dem kleinen Jungen, der erst mit vier Jahren das Laufen erlernte und noch am Daumen lutschte, als die Nachbarskinder in die Schule gingen, erwuchs ein schmächtiger, fahlgesichtiger Knabe, ausdruckslos in seiner Art, leise und furchtbar. Die meiste Zeit des Tages stand er einfach nur so da. Rührte sich nicht, starrte in die Leere und fragte sich wohl, wozu er lebte, was sein Zweck war, ließ das aber niemanden wissen.
Inzwischen hatte die Familie ein zweites Kind geboren. Ein Mädchen mit Haaren so rot wie Feuer und kristallklaren Augen, die nicht eine Nacht trocken blieben. Javon kümmerte sich häufig um seine kleine Schwester, wenn die Eltern aus dem Haus gingen. Er konnte ihr Weinen nicht hören und doch wusste er, wenn es ihr nach etwas verlangte. Er konnte ihr keine Geschichten erzählen, er war stumm, doch sie schlief wieder ein, sobald sie in seinen Armen lag. Bruder und Schwester verband eine innere Ruhe. Sie verstanden einander auch ohne Worte und obgleich Javon niemals erfuhr, dass Sanjas erstes Wort sein Name war, so zweifelte er doch nie daran, wie sehr sie ihn liebte.
Umso härter traf ihn das Schicksal, als sie ihm genommen wurde. Javons Vater war gestorben. Es geschah in der ersten Nacht von Javons siebten Winter, die er wie alle Nächte ganz allein in seinem Zimmer verbrachte und die Schreie seines Vaters ihn nicht erreichten. Niemand hatte Javon je erklärt, was mit den Menschen passierte, die starben. Er wusste von Tod und Leben und dass alles vergänglich war, aber was mit den Toten passierte, das wusste er nicht. Ihm ging alles verloren, was er nicht hörte. Das Rauschen der Bäume, das Lachen seiner Schwester, die letzten Worte seines Vaters, dessen Stimme er nicht kannte. Und auch die Welt ging ihm verloren, denn wie sollte jemand, der weder hören noch fragen konnte, schon verstehen, was um ihn herum geschah.
Und so kam es, dass Javon erwachte. Allein, wie immer, doch nicht nur sein Zimmer war leer. Seine Schwester war verschwunden, das Bett seiner Eltern schien unbenutzt. Javons Mutter hatte es neu bezogen und gerichtet, als sie aus der Stadt, vom Arzt, und ohne ihren Mann in das abgelegene Blockhaus zurückkehrte. Javons Vater war der einzige gewesen, der arbeitete. Seine Mutter nähte gelegentlich und strickte, machte aber keinen Gewinn mit ihren Stoffen, Javon war nicht genügend Mensch, um zur Arbeit zu taugen und Sanja noch zu klein, um sich die Hände schmutzig zu machen. So dachte sich vermutlich Javons Mutter, dass sie in der Lage war, nur einem ihrer Kinder das Maul zu stopfen und obwohl sie wusste, dass es weniger kosten würde, ihre Jüngste zu ernähren, so entschied sie sich für Javon. Vielleicht weil er, im Gegensatz zu einem heranwachsenden, gesunden Mädchen, niemals Fragen stellte. Weil er schwieg, auch wenn er etwas nicht verstand und weil er liebte, auch diejenigen, die ihn seines Glücks beraubten.
Zum Abendessen gab es Rotkohl und Klöße. Ein herrliches Mahl, ein Mahl, das so kostbar schien, dass Javon sich kaum traute, davon zu essen. Seine Mutter sah ihn über den Tisch hinweg an, lächelte manchmal, weinte, und aß dann selbst von dem Kohl.
Die folgende Nacht war die erste, die Javon nicht allein verbrachte. Er durfte im Bett seiner Eltern schlafen. Es duftete nach ihnen, obwohl es frisch bezogen war; es roch nach warmen Körpern, die sich umeinander wanden und dann auf den weichen Daunen ruhten. Javon mochte diesen Geruch. Er ließ ihn glauben, dass niemand, dass kein Mensch, jemals verschwinden und ihn allein lassen könnte. Der Duft seines Vaters war ihm bekannt und solange er sich an ihn erinnerte, gab es Grund zur Hoffnung, ihn einmal wieder zu sehen.
Doch Javons Vater kehrte nicht zurück. Und auch seine kleine Schwester nicht. Oft dachte der Knabe an sie, doch je mehr er sich damit abfand, dass sie nicht mehr da war, verblassten die Züge ihres runden, lachenden Gesichts vor seinen Augen. Ist das der Tod?, bildete Javon sich ein. Bedeutet sterben, von denen, die mich lieben, vergessen zu werden? Doch es war schon zu spät, um darüber nachzudenken und er schlief ein, ehe er erkannte, dass er nach einer Antwort darauf suchen könnte, sie aber niemals finden würde.
Zwei weitere Jahre vergingen, doch schien es, als habe er sich in diesen zwei Jahren überhaupt nicht verändert. Er war ein bisschen größer geworden, ein bisschen markanter, doch sein Gesicht blieb so fahl wie zu seiner Geburt und seine Augen leer.
Javons Mutter hatte das Zimmer ihrer verschwundenen Tochter aus Mangel an Geld an jemanden vermieten müssen, den Javon nur an dem Tag sah, an dem er kam. Er spürte zwar, wenn jemand außer ihm und seiner Mutter im Hause war, doch hatte dieser Jemand kein Gesicht, keinen Duft und keine Aura. Genauso gut hätte ein Geist in Sanjas Zimmer wohnen können, ein Phantom, das sich tagsüber versteckte und nachts in seinem Gemäuer hockte und über sein vergeudetes Leben sinnierte. Das Phantom hatte sogar einen Namen, seine Mutter erwähnte ihn, am Tag seiner Ankunft, doch Javon hatte ihn schon wenige Stunden später vergessen.
Als Javon zehn Jahre alt wurde, schenkte ihm seine Mutter ein kleines Pferdchen aus Holz. Nie hatte Javon Pferde gesehen und da er hoffte, ein echtes zu finden, in der Größe seines Spielzeugs, lief er in den Garten, um es zu suchen. Bestimmt hatte sich eins unter den Bäumen versteckt, bestimmt unter den Steinen oder im Keller, doch solange er auch die kleine Wiese auf und abging, konnte er nichts entdecken.
Kurz bevor er wieder ins Haus gehen wollte, weil es ihm kalt war, bemerkte er einen Kreis aus überwachsenen Steinen, der in ein paar Metern Entfernung, abseits ihres Grundstücks im Wald aus dem Boden ragte. Ein rundes, verwittertes Holzbrett lag darauf, das Javon nur mit Mühe beiseite schieben konnte. Er fürchtete sich vor dieser merkwürdigen Ruine. Es kam ihm vor, als habe er etwas gefunden. Einen geheimen Ort, etwas, das nicht gefunden werden sollte. Und deswegen ließ er davon ab, sah nicht nach, was sich unter dem Brett befand und nahm sein Pferdchen wieder mit in die warme Wohnung. Ein Kaminfeuer prasselte, als er sich seiner Jacke entledigte und als er seiner Mutter in der Küche in die Arme fallen wollte, bemerkte er, dass der Tisch nicht gedeckt war.
„Unser Mieter wird heute mit uns essen. Auswärts“, erklärte sie ihm und Javon konnte nicht leugnen, dass ihm ein Schauer über den Rücken lief. Er wollte den Fremden nicht sehen, nicht mit ihm weggehen und so beschloss er, sich zu verstecken, wenn der rechte Zeitpunkt gekommen war. All das entschied er im Bruchteil einer Sekunde und war man des Gedankenlesens nicht mächtig, so war es unmöglich, dem kalten, ausdruckslosen Gesicht des Knaben, seine Pläne abzulesen. Man wusste nicht, was und auch nicht ob er dachte; ohne den Mund zu verziehen, starrte er ins Leere, wenn lachte, genauso wie er weinte. Was dieser Mensch fühlte, wusste nur Javon selbst.
Der Mieter holte seine Mutter mit einer Kutsche ab, während Javon hinter ein paar Strohballen auf dem Dachboden saß und Spinnennetze zählte. Eine Zeit lang blieb die Kutsche stehen, genau neben dem alten Brunnen im Wald, doch dann setzte der Fremde seine Pferde in Gang und der Wagen rollte davon. Etwas sagte dem Knaben, dass es das letzte Mal war, dass er seine Mutter zu Gesicht bekam. Und er sollte Recht behalten. Schon wenige Meter weiter, gerade weit genug entfernt, dass Javon die Kutsche und die Pferde, die er mit Bewunderung betrachtet hatte, nicht mehr sehen konnte, hielt sie plötzlich an und der Leichnam seiner Mutter wurde unter einem Haufen Laub am Wegesrand verscharrt.
Wieder war es so, dass kein Schrei und kein Winseln, die toten Ohren des Knaben durchdrangen. Er wusste zwar, dass, aber nicht wann sie starb und das genügte nicht, um ihn zum Weinen zu bringen. Er saß da und rührte sich nicht. Streichelte sein Pferdchen, das wie er nicht hörte und nicht fragte und schlief schließlich ein. Seine Träume waren immer dieselben gewesen, doch diesmal war es anders. Er träumte von dem alten Brunnen, schob mehrmals im Traum das Brett beiseite und entdeckte zumeist entweder seinen Vater oder seine kleine Schwester in seinem Innern. Es war das erste Mal nicht so, dass er etwas sah, es aber nicht hinterfragte. Er wollte sehr wohl wissen, welches Geheimnis der Brunnen barg, auch wenn Angst davor hatte, es herauszufinden. Es war wie eine Aufgabe für ihn, eine Herausforderung oder eine Mutprobe. Und so wachte er auf, sah sich um und schlich in den Garten.
Draußen war es dunkel. Das Schwarz der Nacht war kein gewöhnliches Schwarz, sondern das schwärzeste Schwarz, das er je gesehen hatte. Und er musste es wissen, denn Javon hatte schon viel gesehen. Manchmal zuviel, doch war es das einzige, wozu er fähig war. Auch den Brunnen fand er schnell und diesmal kam es ihm vor, als erklinge eine dumpfe Stimme aus seinem Innern, die ihn dazu brachte, das schwere, morsche Holzbrett ein zweites Mal zur Seite zu schieben und ein erstes Mal in den Schacht zu blicken.
Javons Herz schlug schnell als er darin nur ebenfalls die Schwärze der Nacht antraf. Der Brunnen schien bodenlos zu sein. Tief, sehr tief, eine Tiefe, die kein Ende fand. Seine Blicke klebten an dieser unendlichen Tiefe und Schwärze, dass er sie gar nicht abwenden mochte. Er hatte Angst vor diesem Loch. Nichts Schlimmeres konnte er sich vorstellen, als jetzt zu stürzen und von der gähnenden Leere verschlungen zu werden, doch gleichzeitig hielt ihn das Gefühl der Bewunderung an Ort und Stelle. In einem Moment der Unachtsamkeit jedoch, in dem er den einen Fuß vom Rand des Brunnen nahm, um wieder im Haus zu verschwinden, sackten seine Knie unter ihm weg. Sein Bein rutschte ab, sein Kopf schlug auf den harten Stein und ihn umnebelte ein dunkler Schleier.
Hatte die Nacht ihn gefressen? Ihm das letzte genommen, was er besaß, sein Augenlicht? Immer tiefer fiel der Knabe und schrie nicht, weil er es nicht konnte.
Er tauchte ein in ein Meer aus Schwärze. Er sah nicht, er hörte nicht, er fühlte nicht. Alles war dunkel, die Luft blieb ihm weg. Strampelnd und schlagend wehrte er sich gegen die Monster der Tiefe, das Wasser, die Steine, die Finsternis. Javon verlor den Kampf. Seine Kräfte versagten, seine Blicke zielten ein letztes Mal empor und er ertrank in dem Brunnenschacht, in dem auch seine Schwester ihr Leben ließ. Seine Finger verkrampften sich, er rang nach Luft, doch seine Neugierde wurde ihm zum Verhängnis. Die Augen, die Javons einzige Hoffnung waren, die Welt zu verstehen, schlossen sich, ohne zu wissen, was ihn erwartete, starb er. Allein. Im Schoße der Dunkelheit. Als Strafe für seine eigene Unachtsamkeit. Denn das, was wir fürchten ist fürwahr auch das, was uns am meisten fasziniert. Diese Erfahrung nahm der junge Javon mit in sein kaltes Grab.
 
Ein sehr mysteriöser Anfang! Ich werde sicher weiterlesen, kannst du mich benachrichtigen?
Du hast echt einen tollen Schreibstil!
:hallo:
 
Ich muss schon sagen: Bemerkenswerte Arbeit. :)
Ordentlicher Schreibstil, professionelle Chrakterbeschreibungen, mir gefällts. :)
Du hast wirklich Talent, ich würde mich an deiner Stelle umbedingt nach einem Verlag umsehen, da man gute Schriftstellertalente nicht vernachlässigen sollte. :)
 
Echt gut geworden :)
Aber hieß es nich, Javon wäre stumm? Weil ein paar mal was vorkam wie "Das Phantom hatte sogar einen Namen, seine Mutter erwähnte ihn, am Tag seiner Ankunft, doch Javon hatte ihn schon wenige Stunden später vergessen" uuund "„Unser Mieter wird heute mit uns essen. Auswärts“, erklärte sie ihm und Javon konnte nicht leugnen, dass ihm ein Schauer über den Rücken lief" .. ?
 
Vielleicht erklärt sie ihm das alles in Gebärdensprache *grübel*

Also ich find den Anfang auch Klasse und werd auch weiterlesen ^^. Bin neugierig was noch so passiert.
Übrigens: heißt dieses "In dem auch seine kleine Schwester ihr Leben ließ!", dass die Mutter die kleine Schwester ertränkt hat in dem Brunnen? O.O das wär ja...boah...
 
Hallo, ihr!
Erstmal danke für die Kommentare.
Ich denke der Begriff "erklären" ist sehr weitreichend. Sie kann es ihm notfalls aufgeschrieben haben. Ich habe das extra so geschrieben, als würde sie mit ihm sprechen, da für Javon Text- oder Gebärdensprache ja Sprache ist.

Vielleicht lesen ja vllt. noch einige sich ein?
 

Zur Zeit aktive Besucher

Zurück
Oben Unten