OneShots Der Künstler ♦ abgeschlossen ♦

*YvY*

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Dezember 2013
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Happy Birthday Mirja!!!


Für meine beste Freundin zum Geburtstag geschrieben.
Wem es nicht gefällt: Pesch jehabt!
Ist bloß ein kleines Geschenk, das sie mit euch zu teilen bereit ist ;)
(Kritik und Lob nehme ich trotzdem gern :p )




„Das ist widerlich“, hauchte eine Frau mittleren Alters tonlos und nahm einen Schritt Abstand. Auch manch anderer trat zurück, doch niemand wandte den Blick ab, von der blassen Frau, die in einem Sessel saß, als sei sie erst gerade eben hinein gesunken, nur um dort ihr jähes Ende zu finden. In zwei dünnen Bächen floss das Blut an der zarten Kehle hinab, über den Rand ihres Dekolletees, um sich in der Spitze ihres Ausschnittes in einem kleinen Rinnsal zu finden. Die braunen Locken schienen sich beinahe lieblos über ihre Schultern zu legen, als habe man nicht darauf geachtet, wo diese endeten. Als seien sie, ebenso wie ihr Gesicht völlig nebensächlich. Bloß das Blut glänzte und schimmerte in dunklem Rot. Scheinbar das einzig wichtige, an dieser sonst so achtlos dort positionierten Leiche.



„Morbide Faszination“, flüsterte eine junge Frau Andrish zu, der mit einem zufriedenen Lächeln auf sein Werk und die Bewunderer blickte. Überrascht wandte er sich zu ihr um. Zwar hatte er damit gerechnet, von ein paar der Besucher angesprochen zu werden, jedoch nicht bereits so früh am Abend. „Wenn man den Menschen etwas zeigt, von dem sie sich nicht abzuwenden wagen, ist es leicht, ihre Blicke auf die Leinwand zu fesseln“, gab er mit einigem Stolz in der Stimme zurück. An das Getümmel auf seinen Ausstellungen hatte er sich mittlerweile gewöhnt, die Gespräche dort waren ihm jedoch noch immer zu wieder. Zu jedem musste er höflich sein und das, obwohl die meisten, die ihn ansprachen ethische - und damit hoch moralisch wertvolle - Kritik an seiner Arbeit äußern wollten. Interessant war bloß, dass sie trotz ihrer scheinheiligen Bedenken sogar bereit waren Eintritt zu zahlen, nur um ihm zu sagen, wie grässlich sie sein neustes Werk doch fanden. Nach der Äußerung ihrer Kritik gingen sie jedoch meist zum nächsten seiner Gemälde, begutachteten es einige Zeit und kehrten dann mit neuen und noch schlimmeren Bedenken zu ihm zurück. Doch das spielte keine Rolle, schließlich ging es für ihn weder um den Unterhaltungswert der Gespräche, noch um die Präsentation seiner Gemälde. Das einzige, was für ihn zählte, war das Ergebnis dieses Abends und dieses schien sich gerade herauszuarbeiten.



Langsam ließ Andrish seinen Blick über die junge Frau vor sich wandern. Ihr Haar war rotblond, glatt und lang. Auf ihrem jungen Gesicht lag ein nun schon verbrauchtes Lächeln und ihre Kehle war lang und schlank. „Sie würden sich gut als Modell eignen“, lobte er und die Frau kicherte verlegen. „Danke, aber ein Modell, für solch eine Kunst? Was ist, wenn Sie mich tatsächlich beißen?“ Andrish verdrehte die Augen. Er mochte diese ironischen Veräppelungen seiner Arbeit überhaupt nicht und doch schien es irgendwie zum guten Ton zu gehören. Bei all seinen Modells hatte es so angefangen, seit er begonnen hatte, sie tatsächlich zu fragen, ob er sie zeichnen durfte. „Einer schmackhaften Kehle wäre ich nicht abgeneigt“, erwiderte Andrish somit lächelnd und begutachtete sein Gegenüber ausgiebig, ehe er um sie herum ging. Mit einem nun tatsächlich interessierten Lächeln folgte diese ihm mit den Blicken, ohne sich zu drehen. Ihr Körper war schlank und wunderbar geformt. Ihre Kleidung war gepflegt und stilvoll. Wohl kaum würde jemand aus ihrem Umfeld vermuten, dass sie mit einem Künstler mitgehen wollte, der getötete Frauen malte. „Also hätten Sie generell Interesse daran?“, wagte er sich vor und erhielt zur Antwort ein erneutes Kichern. Das war völlig in Ordnung. Kichern war gut. „Wenn ein Mann eine Frau als Leiche zeichnen möchte, sollte er sie vielleicht zunächst einmal bitten, mit ihm Essen zu gehen“, schlug sie mit einem hinreißenden Augenaufschlag vor und sein Lächeln wurde stärker. „Also gut“, hauchte er und trat wieder vor sie. „Möchten Sie mit mir Essen gehen?“



Es war ihr fröhliches Lächeln, das ihn ein wenig aus dem Konzept brachte. Meistens kam zur Antwort eher ein erschöpftes Nicken oder ein leeres, halb gehauchtes: „Ja.“ War sie überhaupt kaputt genug? In ihren Augen lag die typische Erschöpfung. Das verbrauchte, nach dem er immer wieder suchte, doch dahinter war ein Funke der geheimen Hoffnung zu sehen, der unsicher hindurch schimmerte. Als er zurück gekehrt war, war es dieser Schimmer der Hoffnung gewesen, der in seinen eigenen Augen geglüht hatte. Jener, der ihm überhaupt das Leben mit den Menschen ermöglicht hatte, nach all der Zeit in der Wildnis. Nun führte ein Leben, um das ein Mensch ihn zu beneiden wagte. Er besaß einen Agenten, Geld und bekam Unmengen an Besuch von Frauen, aus dessen Altersgruppe er vor knapp dreißig Jahren heraus gewachsen war. Es war ein besseres Leben. Ein gutes Leben. Eines, dass nicht im entferntesten an die Zeit erinnerte, in der man noch mit Zeitung und Fernsehen nach dem Monster gesucht hatte, dass die zahlreichen Tierkadaver im Wald hatte ausbluten lassen. Schnell schüttelte er den Kopf. Er schweifte ab. Nun musste er sich konzentrieren. Sonst würde er schließlich keinen Leckerbissen für heute Nacht mehr mit nach hause bringen. Und diese junge Frau sah zum Anbeißen aus. „Gerne“, flüsterte die Frau, die ihn nicht nur insgeheim bewunderte, für das, wovor so viele Leute die Nase rümpften, nachdem sie es unbedingt hatten sehen wollten.



„Ich muss Sie allerdings warnen“, sagte sie und nun horchte Andrish auf. Dass sie gewarnt werden sollte, war ihm klar, doch wovor sollte man ihn warnen müssen? „Ich bin Vegetarierin“, lüftete sie das Geheimnis und Andrish atmete auf. „Das grenzt die Wahl des Restaurants nur begrenzt ein. Viel mehr würde mich jedoch interessieren, wie Sie heißen.“ Eine Vegetarierin also. Eine dieser Idealistinnen, die glaubten, sie könnten den Tieren einen Gefallen damit tun, sie nicht zu essen, sondern stattdessen noch länger in der Brutalität der Massentierhaltung versauern zu lassen. „Haylie“, antwortete sie knapp. Seinen Namen kannte sie schließlich. Genau wie jeder, der heute morgen in die Zeitung gesehen hatte und den Kulturteil nicht prinzipiell überschlug. „Danke, Haylie“, flüsterte Andrish und wurde dann doch neugierig. „Eine Vegetarierin, die fasziniert ist vom Anblick gemalter Leichen. Wie kommt das?“ Einen Moment lang stutzte Haylie, dann kicherte sie erneut. Ihre Stimme war hell und fröhlich, wie die eines Kindes. Wie es sich wohl anhörte, wenn sie schrie? „Für die Kunst stirbt keiner oder?“, fragte sie und Andrishs Lächeln wurde breiter. „Meinst du?“ Nach einem kurzen Lachen fügte sie noch hinzu: „Außerdem würde es, laut Ihrer unbestreitbarer Logik wohl bereits reichen, dem Kannibalismus abzuschwören, um Ihre Kunst nicht mehr nachvollziehen zu können. Hier geht es weder um das Leben von Menschen, noch von Tieren. Für mich geht es hier bloß um ausdrucksstarke Kunst.“ Langsam nickte Andrish, um dann bloß leise zu entgegnen: „Für mich geht es beim Vegetarismus bloß um die Verschwendung von Essen. Aber ich ernähre mich auch nicht von Fleisch.“ Irritiert sah Haylie ihn an. „Also sind Sie auch Vegetarier?“ Noch einmal schüttelte Andrish den Kopf. „So würde ich das nun nicht nennen.“



Es war ein gutes Essen, mit köstlichem Wein und einem hübschen Ambiente. Im Kerzenschein aß auch Andrish etwas, obwohl er an sie gar keinen Hunger verspürte. „Sie sind oft hier, nicht wahr?“, erkundigte Haylie sich nach einer Zeit des Schweigens, zu der beide noch kein Gesprächsthema gefunden hatten. „Die Kellner kennen Sie.“ Lächelnd nickte er und trank einen Schluck des viel zu dünnflüssigen roten Weines. „Des öfteren mit Leuten, die sich für meine Kunst interessieren“, erwiderte er und sein Lächeln schwächte ein wenig ab. „Doch leider, wie ich zugeben muss, niemals zwei mal mit der selben Frau.“ Bloß zum Schein mitleidig sah Haylie ihn an. Er wirkte nicht wie jemand, der nicht in der Lage war, eine Frau zu halten. Auf der anderen Seite war es verständlich, dass seine Kunstform wohl auch einige verschreckt haben konnte. „Haben Sie vor, dies zu ändern?“, fragte sie nun flirtend und zwinkerte ihm beiläufig zu. Andrish lächelte. An diesem Abend hatte er leichtes Spiel, solange er sich auf dem schmalen Grad zwischen der Wahrheit und dem was sie hören wollte bewegte. Dabei ging es nicht darum, beides nicht zu sagen, sondern eben Antworten zu finden, die beides waren. „Ich würde es ändern“, sagte er nun wieder stärker lächelnd. „Doch meine Kunst lässt sich mit diesem Versuch bloß schwer verknüpfen.“ Irritiert sah Haylie ihn an. „Weshalb? Brauchen Sie irgendetwas widerliches für ihre Inspiration oder wieso verschreckt es Frauen, wenn sie sich doch für Ihre Kunst begeistern können?“ Dumm war sie nicht, dass musste man ihr lassen. Allgemein war sie seit Monaten die wohl beste Gesprächspartnerin, die er hatte. Irgendwie schade...



„Für meine Inspiration“, sagte er nach einem kurzen Kopfschütteln, „... ist das einzige, was ich benötige das, was ich in meinem ganz persönlichen Alltag sehe.“ Es war die reine Wahrheit und doch beantwortete er damit nicht ihre Frage. Haylie jedoch lachte. „Also ist es eine Inspiration für Sie, wenn sie eine hübsche Frau sehen?“, fragte sie. Als er nickte fügte sie frech hinzu: „Ihren Bildern zur Folge dann allerdings auch, wenn Sie sich in den Finger schneiden.“ Nun lachte auch er. „Es wird wohl kaum teil meines Alltags sein, sterbende Frauen zu sehen, die ich noch nicht auf meinen Bildern erfasst habe, nicht wahr?“ Mit einem breiten Lächeln nickte Haylie. Er war geheimnisvoll und beinahe irgendwie gefährlich. „Vielleicht zeigen Sie mir nach dem Essen ja mal einen Teil ihres Alltags?“, forderte sie ihn fragend auf und sein Lächeln wurde siegesgewiss. Er mochte es, wenn Frauen sich selbst einluden. Es ersparte ihm das Ratespiel um den passenden Augenblick für eine Solche Frage. Wenn sie jedoch schon soweit wahr, konnte er sich auch an eine weitere Frage heran wagen. „Gerne, würde ich Sie um noch mehr bitten“, gab er zu und Haylie sah ihn mit neugierigem Blick in die Augen. „Sprich“, sagte sie schnell und korrigierte sofort. „Entschuldigen Sie. Worum möchten Sie mich noch bitten?“ Andrishs Lächeln wurde zu einem Grinsen. Sie würde nicht ablehnen. „Darf ich dich bitten, Teil meiner Kunst zu werden? Die Frauen, die ich male stehen mir niemals Modell und doch sind es Menschen, die ich tatsächlich kennen gelernt habe.“ Ohne auf ihre Entschuldigung einzugehen war er nun zum Duzen Übergegangen. Es machte sie einander vertrauter und somit wurde es für sie auch schwieriger, seine Bitte abzuschlagen. Ein wenig verunsichert blickte sie ihn an. „Teil deiner Kunst?“, wiederholte sie ungläubig. Sie dürfte die Grundlage eines der landesweit bekannten Bluts-Kunst werden? War das in Ordnung? Wollte sie das? Gemalt, auf einer Leinwand verewigt, als Sinnbild für den Übergang vom Leben in den Tod, von tausenden angesehen und vielleicht sogar im wirklichen Leben wiedererkannt? „Wenn du mich nicht tötest“, stellte sie als Bedingung und er lachte. „Darüber müssen wir uns dann bei mir noch einmal unterhalten.“



„Wow. Das ist tatsächlich ein wenig... gruselig“, gab Haylie mit einem fasziniert verängstigten Seufzen von sich, als sie sein Haus betrat. An der Wand hingen keine Bilder mehr von toten Frauen, die sich in teils alltäglichen, teils Aufreizenden Posen vom Diesseits trennen mussten. Es waren Bilder von Rehen, Hirschen und Füchsen, die auf der Erde lagen, im Wald. Jedes dieser Tiere hatte kleine Wunden, doch keines war schrecklich zugerichtet und nirgends auf den Bildern war Blut zu sehen, dennoch wirkten ihre Körper beinahe wie eingefallen. „Was war deine Inspiration dafür?“, fragte sie neugierig und sah ihn fragend an. Noch wusste sie nicht, ob es sie verschrecken oder von seiner Kunstfertigkeit faszinieren sollte. Einen Moment lang betrachtete Andrish selbst ein paar der Bilder. „Die Geschichten aus den Zeitungen vor vielen Jahren“, sagte er schließlich. „Du würdest dich nicht daran erinnern. Du warst zu jung.“ Es dauerte bloß wenige Sekunden, bis sie verstand. „Das Blutmonster? Diese Artikel waren eine Inspiration für dich?“ Ihre Mutter hatte ihr davon erzählt, doch niemals genaueres. Langsam schüttelte er den Kopf. „Ich glaube weder an Monster, noch glaube ich an irgendetwas wirklich böses. Jedes Wesen hat Gründe für das, was es tut.“ Die Verabredung hatte sich verändert und die Stimmung war umgeschlagen, seit sie das Haus betreten hatten. Aus der reinen Faszination war eine sanfte Furcht geworden. Er musste aufpassen, dass diese nicht in Angst umschlug. Anderenfalls würde sie zu früh gehen. Doch solange ihr Wissensdurst größer war, als die Unsicherheit über das, was sie sah, würde sie bleiben. Solange, bis irgendwann sein Durst wuchs. „Was für einen Grund sollte es geben, Tiere auf solche Weise zu töten?“, fragte sie ein wenig verständnislos und auch er konnte sie nicht mehr verstehen. Seine Bilder von Leichen genoss sie so sehr, dass sie eine Ausstellung besuchte, doch Bilder toter Tiere, konnte die Vegetarierin nicht ertragen.



„Wenn ich ein Bild entwerfe, gibt es einen Grund für die Details“, begann er zu erklären. „Habe ich eine Frau gezeichnet, die in einem schwarzen Abendkleid erschlagen auf dem Teppich liegt, so ist die Situation einfach zu erklären. Sie war Essen, mit ihrem Geliebten und kam nach Hause. Leider wusste sie nicht, dass ihr Mann die Nachtschicht abgesagt hatte und in der Küche stand, ehe sie ihren Liebhaber mit einem innigen Kuss in die Nacht entließ. Der Rest der Geschichte erzählt sich wohl selbst. So habe ich auch in diesen Bildern dem >Monster<, wie du es nennst eine Seele eingehaucht.“ Die Neugier in ihren Augen wuchs und so folgte sie ihm, ohne es selbst bewusst mitzubekommen, ins Wohnzimmer, wo sie sich in einem der beiden Sessel niederließ. Es war ein Sessel, wie er auf einem seiner Gemälde zu finden gewesen war: alt, stilvoll und gemütlich. „Welche Geschichte hat dieses Tier getötet?“, wollte sie wissen und wies mit der Hand auf einen jungen Fuchs. „Die Tiere teilen eine Geschichte, die mir mit der Zeit vertraut wurde, als sei es meine eigene“, erklärte er und sein Blick schien ein wenig geistesabwesend. „Also gut“, räumte Haylie ein. „Dann erzähl mir die Geschichte aller Tiere.“ Langsam nickte er und begann. „Böse Absicht war es nie. Es war ein Säugling, den die Mutter verstieß. Geboren mit Zähnen war er zwar Unschuldig, doch machte ihr Angst.“ Ein wenig mitleidig sah Haylie Andrish in die Augen. Wie sehr musste er seine eigene Mutter hassen, um mit einer Geschichte vertraut zu werden, die auf solche Weise begann. „Wie im Dschungelbuch von den Tieren groß gezogen, lernte er früh das Jagen im Wald, fern ab der Heimat, die er nie gekannt. Er nährte sich von Tieren, doch ließ er, zum Dank derer, die ihn aufgezogen hatten den größten Teil des Fleisches zurück. Er trank das Blut, um seinen Durst zu stillen und so gewöhnte er seinen Körper daran, ausschließlich davon zu leben. Er jagte nachts, wenn die Tiere schliefen, schließlich war er bloß ein Junge und hatte keine Chance am Tag.“ Nun schüttelte Haylie den Kopf. „Das klingt wie eine etwas ausgeschmückte Vampirgeschichte“, sagte sie unbeeindruckt und er nickte. „Wenn man so möchte, ist sie dies auch. Doch wie viele Geschichten gibt es auch von betrügerischen Frauen, die vom Mann erschlagen werden. Ich bemühe mich nicht um Originalität meiner Hintergrundgeschichte. Sie soll mir bloß mein Gemälde näher bringen.“ Verständnisvoll nickte Haylie. An sich war dies doch ein bemerkenswerter Ansatz. „Dann erzähl sie mir zu Ende“, bat sie, doch er schüttelte den Kopf. „Sie ist bereits zu Ende. Er hat nichts getan, als gejagt und den Tieren, die ihn retteten mit dem übrig gelassenen Fleisch gedankt.“ Haylie kicherte kindlich. „Wenn du mir nach der Nacht für irgendetwas dankbar sein solltest“, flüsterte sie mit einem verführerischen Unterton und einem Zwinkern. „...schenk mir kein Fleisch.“



Leise lachend lehnte Andrish sich gegen die Tür, während sie langsam ihr Oberteil über den Kopf streifte. Beiläufig und unbemerkt legte er seine Hand an den Türknauf, schloss sie ab. „Genug von Blut und Geschichten geredet“, säuselte sie ihm zu und ging nun bloß noch in ihrer wundervoll aufreizenden Unterwäsche auf ihn zu. „Lass uns mal sehen, was dein Blut zum Kochen bringt.“ Sie strich ihm bei diesen Worten mit den Fingerspitzen über die kalte Wange. „Ich möchte dich malen“, sagte er mit beinahe fanatischem Ton. „So, wie du bist.“ Erneut kicherte sie. „So wie ich generell bin oder so, wie ich gerade bin?“, fragte sie mit deutlicher Betonung und legte beide Arme um seinen Hals. Er war ein Künstler, geheimnisvoll und intelligent. Warum sollte sie noch zögern? Er war alles, wovon sie träumen konnte. Während sie sich sanft an ihn kuschelte, konnte auch er der Verzückung nicht mehr widerstehen. Er hatte viele Frauen getroffen und einige davon auch hier gehabt. Jede von ihnen war auf einem seiner Bilder in die Ewigkeit eingetreten, doch irgendwas an ihr war besonders. Vielleicht war es diese völlige Leichtigkeit, mit der man es nur selten zu tun hatte, wenn man in mitten von Leichenbildern stand. Es konnte aber auch die Bewunderung sein, mit der sie sich ihm hingab, obwohl sie gerade erfahren hatte, dass er sich mit einem allein gelassenen Tiermörder identifizierte. Leidenschaftlich legte er seine Lippen an ihren Hals, küsste ihn. Das war alles, was er in diesem Moment damit tun wollte. Dann hob er den Kopf und küsste ihren Mund, ihre roten, weichen Lippen, die den Kuss erwiderten. Die Augen geschlossen, konnte er vor sich dennoch ihre wundervollen Augen sehen, die sich so voller Freude und Leidenschaft in den seinen verloren.



Zärtlich fuhr ihre Zungenspitze über seine Lippen, öffnete sie leicht und drang hindurch. Andrish genoss den Moment, streichelte mit den Fingern die wundervoll glatte Haut ihrer wohl geschwungenen Taille, ehe er mit seiner Zunge über ihre fuhr. Gierig strich sie mit ihrer Zunge über die seine, ehe sie an etwas stieß und mit einem entsetzten Schrei zurück fuhr. „Nein“, hauchte sie und ihre Beine gaben unter ihr nach, während sie ihn mit einem ungläubigen Blick ansah. Was er erzählt hatte. Es waren doch bloß Geschichten. Es gab nicht... Das konnte nicht... Wenn er wirklich... „Es tut mir so leid“, flüsterte er und meinte es tatsächlich ernst. „Doch du musst nicht sterben. Ich möchte mit dir leben. Für immer.“ Zitternd kroch sie von ihm fort, stieß mit dem Rücken gegen den Sessel, in dem sie sich noch Minuten zuvor so wohl gefühlt hatte. „Nein“, flüsterte sie erneut und er kam langsam auf sie zu und streckte ihr die Hand entgegen. „Bitte. Bleib bei mir“, sagte er und ging etwas in die Hocke, um ihre Wange streicheln zu können. „Geh weg von mir!“, kreischte sie panisch und schlug seine Hand fort. Ihr Herz raste, schien aus ihrer Brust ausbrechen zu wollen und wurde nur schneller mit jedem Zentimeter er sich näherte. „Es tut kaum weh“, versprach er, im selben Tonfall, in dem er ihr gesagt hatte, dass er sie malen wollte. „Du wirst bei mir bleiben.“ Mit Panik in den Augen schüttelte sie den Kopf und presste sich an den Sessel. „Oh Gott“, hauchte sie und wurde kreidebleich, während sie ein Würgen unterdrückte. „Deine Bilder... Die Frauen... Sind sie...“ Andrish strich ihr über die Haare und diesmal fand sie nicht die Kraft, ihn fort zu stoßen. Die Angst lähmte ihren Körper und fesselte sie an den Boden. „Sie sind tot“, sagte er ruhig, als ob er ihr gerade mitteilte, dass er zum Frühstück Brötchen holen wolle. Die erste Träne lief über ihre Wange und sofort folgten einige weitere. „Nein.“ Er nickte. „Doch, das sind sie. Aber es muss dir nicht so ergehen. Du bist etwas besonderes. Du darfst bei mir bleiben. Du darfst zu mir gehören. Für die Ewigkeit.“ Es war längst der Punkt erreicht, an dem er für gewöhnlich nicht mehr mit ihr hätte reden müssen. Zu dieser Zeit begann er normalerweise gerade seine Leinwände zu begutachten um sich für die Größe des Gemäldes zu entscheiden. Doch dieses mal bat er sie zu bleiben. Besser gesagt, bat er sie, am Leben bleiben zu wollen. Bei ihm bleiben würde sie auf jeden Fall. Völlig egal, wie sie sich entschied. Das Lächeln, das bei diesem Gedanken auf seine Lippen trat war glücklich und breit. Und diesmal achtete er dabei nicht darauf, die grausamen Eckzähne zu verbergen, die ihr solche Angst bereiteten.



Endlich siegte ihr Überlebenswille gegen ihre Angst und ihren Beinen gelang es, sie zu Tragen, als sie ihn mit einem Arm zu Boden stieß und zur Tür rannte – und dagegen. „Wo ist der Schlüssel?!“, kreischte sie panisch und er stand ganz langsam auf. Er hatte die ganze Nacht Zeit. Warum sollte er sich nun hetzen. Zudem besaß dieses Haus stabile Heizungsrohre und er hatte eine Handschelle. Zur Not konnte er sie also auch am nächsten Tag noch beißen. Doch sein Durst wurde unerträglich, roch er doch, wie das Blut in ihren Adern pulsierte. Er ging zu ihr, hielt ihre Handgelenke fest und biss ihr in die Schulter, sodass seine Zähne sich hinein Bohrten und das warme Blut langsam hinaus sickerte. Sie zuckte nicht einmal zurück. Wie angewurzelt stand sie wieder da, hoffnungslos und ängstlich. So werden wie er wollte sie nicht, doch wenn dies die Alternative zu ihrem Tod war, war sie nicht die bessere? Als er die ersten schlucke getrunken hatte, hob er den Kopf, sah ihr in die Augen und konnte einen Moment lang sogar das Blut ignorieren, das über ihre Schulter lief. „Bitte nicht“, flüsterte sie, unsicher, ob sie tatsächlich lieber sterben wollte. Sanft strich er mit den Fingern über ihren Handrücken, leckte das Blut mit der Zungenspitze dabei fort, griff dann jedoch nach einem Tuch. Vorsichtig drückte er es auf die Bisswunde. „Halt es darauf“, sagte er und sie nickte mit Tränen in den Augen, während ihre zitternden Finger sich darüber legten und das Tuch auf der Wunde hielten. Nun erst sah sie sich in dem Raum um. Die Fenster waren klein und hoch. Es war ungewöhnlich und doch war es ihr beim betreten gar nicht aufgefallen. Die verschlossene Tür in ihrem Rücken war der einzige Weg nach draußen, so saß sie in der Falle. „Bitte“, schluchzte sie verzweifelt und drückte das Blut weiter ab. „Ich will kein Vampir sein. Bitte!“ Fragend sah er sie an. „Du wärst lieber tot, als durch die Ewigkeit mit mir vereint?“ Seine Stimme klang beinahe wie die eines Schuljungen, der von dem ersten Mädchen abgewiesen wurde, welches er sich in seinem Leben traute anzusprechen. In gewisser Weise fühlte er sich auch so. Einen Moment nur zögerte sie. Wollte sie das wirklich? Lieber selbst sterben, als eine Mörderin zu sein, die fort an Menschen töten musste? Sie schluckte. Um das Töten ging es gar nicht. Es ging um ihn. Um den Mann, der sie zugleich so gebannt und so verängstigt hatte.



„Überleg es dir gut“, sagte Andrish leise. „Gehen darfst du nicht. Du darfst bei mir bleiben oder du darfst die Ewigkeit auf einer meiner Leinwände genießen.“ Er griff in die Tasche der Jacke, die er noch immer nicht abgelegte hatte. „Ja“, flüstertet sie, ohne dass er noch einmal eine Frage gestellt hatte. In ihrem Herzen kehrte reine Stille ein, als habe sie ein Mittel genommen, dass ihre Emotionen erlöschen ließ. Auch zuckte sie nur kaum merklich zusammen, als sie spürte, wie ein stählerner Ring sich um ihr Handgelenk schloss. „Du darfst nicht gehen“, sagte er beinahe liebevoll und schob sie langsam zu einer Heizung hin, an deren Rohr er das andere Ende der Handschelle befestigte. „Töte mich“, hauchte sie und als er in ihre Augen sah, schien das Blau darin ergraut zu sein. Ihr Leben war gerade ganz gut gelaufen. Die Arbeit machte keinen besonderen Spaß und wenn sie in ihrer Beziehung glücklich gewesen wäre, hätte man sie nun wohl kaum an einem Heizungsrohr angekettet vorfinden können, doch dies alles war halb so schlimm und ganz sicher hatte sie nie gewünscht zu sterben. Doch nun tat sie es. Es war die bessere Alternative zum ewigen Leben in diesem Haus, geschmückt mit Leichen und Geschichten von Toten. Es war die bessere Alternative zu einem Leben mit ihm.



Tief atmete Andrish durch, dann zog er die Hände von ihr fort. „Noch nicht“, sagte er sanft. „Überleg es dir gut.“ Während er sie an der Heizung sitzen ließ, ging er in eine andere Ecke des Raumes. In die Ecke, in der seine Staffelei stand. Sie sollte sich beruhigen. Wenn sie ruhig war und noch immer lieber sterben wollte, so konnte er ihr diesen Gefallen wohl tun, doch zunächst sollte sie sich überlegen, ob es nicht doch die bessere Entscheidung war. Ohne ihr leises Weinen zu beachten, warf er einen Blick auf die Leinwände. Eine solche Schönheit verdiente die größte Leinwand, die er besaß und so stellte er diese auf die Staffelei und begann die Farben anzumischen. „Töte mich“, drang die Bitte noch einmal an sein Ohr und sein Blick wurde leidend. Weshalb wollte sie nicht bei ihm sein? Er bot ihr die Wahl zu sterben oder ewig zu leben und sie entschied sich für den Tod und gegen ihn? „Welch eine Heuchlerin du bist“, zischte er leise zu ihr hin, ohne sie dabei anzusehen. „Isst kein Fleisch, um die Tiere nicht zum Leid zu zwingen und doch, biete ich die mein Herz, so nimmst du es in deine schlanken Finger und reißt es mir aus der Brust!“ Er drehte sich nicht um und so sah er auch nicht, ob sie weinte, sich vor ihm verkroch oder vielleicht tatsächlich ein klein wenig mitleidig zu ihm hinüber schielte. „Dir ist klar, dass es kein Zurück mehr gibt oder? Wenn du mich noch einmal darum bittest, so werde ich es tun“, erklärte er, nachdem er ein paar mal tief durchgeatmet hatte. Er hatte sie verängstigt und verwirrt. Sie würde einige Minuten brauchen, um sich daran zurück zu erinnern, dass sie glücklich werden konnte, falls sie sich für ihn und das Leben entschied. So malte er schweigend und ließ sich alle Zeit der Welt dabei. Wie jede der Frauen zeichnete er sie zunächst bloß als Skizierung auf die Leinwand, um sich an sie genau erinnern zu können, ehe er sie in den nächsten Tagen mit Farbe überdecken würde. Vor allem jedoch skizzierte er sie lebendig mit nichts weiter, als einer Bisswunde an der Schulter. Vielleicht würde er dies allerdings später korrigieren müssen.



„Du warst tatsächlich dieses Monster, nicht wahr?“, fragte Haylie ihn und er fuhr zusammen. Dass er beim Zeichnen förmlich in der Leinwand versank wusste er, doch dass er sogar ihre Anwesenheit dabei nicht mehr bedachte, erschreckte ihn schon etwas. Bisher hatte noch nie eine der Frauen, die er gezeichnet hatte ihn dabei angesprochen. Es hatte dabei allerdings auch bisher keine einzige mehr gelebt. „Ich bleibe dabei, dass es kein Monster war“, entgegnete er. „Aber ja. Dieses Wesen war ich.“ In Haylies Augen sammelten sich neue Tränen. „Weshalb bist du wieder unter Menschen gegangen?“, fragte sie beinahe flüsternd. In der Frage lag keine Neugier mehr. Sie war bloß die verhohlene Äußerung des Wunsches, ihn niemals getroffen zu haben, weil es ihn in den Augen der Menschen überhaupt nicht gab. Andrish sah zu Boden. Darüber hatte er nie gesprochen. Doch bisher hatte er mit seinen Verabredungen außer über die Kunst selbst allgemein sehr wenig über sich gesprochen. Er war ein guter Zuhörer. Jemand, der die Lebensgeschichten der Frauen erfahren wollte, ehe er diese schließlich beendet hatte. Immer war er der Meinung gewesen, wenn jemand starb, so musste es vorher wenigstens einen Menschen geben, der die Geschichte erfahren hatte und sich eines Tages vielleicht daran erinnern würde. Doch, wenn er ihnen nicht zuhörte, hatte er bereits viele Leute kennen gelernt, bei denen es anderenfalls gar nicht passieren würde. Falls er jemals starb, durch die Hand eines andren, war sie nun wohl auch die, die seine Geschichte gehört hatte. So konnte er nur hoffen, dass sie sich für das ewige Leben entschied. „Es war das Menschenblut“, antwortete er und musste sie nicht ansehen um zu wissen, dass sie bei seinen Worten das Gesicht verzog. „Es war ein sehr alter Mann im Wald. Der Förster. Eines Tages brach ein Hochsitz zusammen und er stürzte hinab.“ Während er sprach, fuhr seine Hand mit dem Bleistift weiter über die Leinwand, als sei es ein reiner Automatismus, der dieses Bild entstehen ließ. „Der Geruch von Blut lockte mich an, da lebte er noch. Er hat mit mir gesprochen, doch damals verstand ich die Sprache noch nicht. Könnte ich mich an die Worte erinnern, wüsste ich vielleicht, ob er mich gebeten hat Hilfe zu holen oder ihn von seinem Elend zu erlösen.“



Langsam schüttelte Haylie den Kopf. „Du hast ihn ermordet“, hauchte sie und er wunderte sich ein wenig über den Fassungslosen Tonfall. Womit hatte sie in dieser Situation denn gerechnet? Mit der Erzählung einer glücklichen Teenagervergangenheit, in der er das Footballteam geleitet hatte und sein Vater deshalb unglaublich stolz auf ihn war? Natürlich hatte er ihn ermordet! „Ich habe ihn von seinen Qualen erlöst“, schönte er die Wahrheit allerdings ein wenig. Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: „Es wäre Verschwendung gewesen, ihn zu begraben. Wollte ich denn meine damalige Familie hungern lassen und sein Fleisch und Blut verwesen? So wie alle Toten des Waldes habe ich ihn behandelt. Nur genossen habe ich es nie zuvor so sehr. Menschliches Blut hat einen unbeschreiblichen Geschmack und so wollte ich mehr.“ Als er dies einräumte war von Haylie ein leises Würgen zu hören. Wie konnte er so etwas auch noch zugeben? Wie konnte er überhaupt so sein? Doch war es aus der Sicht eines Tieres schlüssig und mit diesen war er aufgewachsen. Vielleicht war er damals tatsächlich kein Monster gewesen. Jetzt allerdings war er eines. „Ich wollte keine Tiere mehr aussaugen. Sie schmeckten mir nicht mehr. Ich habe es versucht.“ Ein schwaches Lächeln trat auf sein Gesicht. „Ob du es glaubst oder nicht, ich halte mir sogar eine Katze. Sie ist eine Freigängerin, doch wenn du kurz vor Sonnenaufgang noch lebst, werde ich sie dir zeigen.“ Er sagte es bemüht so, als sei auch nichts für ihn dabei, wenn er sie bis dahin getötet haben würde. „Du bist nur wegen den Morden hier her gezogen?“, fragte sie ungläubig, als hoffe sie, er könne nun verneinen. „Wegen des Blutes suchte ich im Wald und als ich dort keine weiteren Menschen fand, zog ich immer näher hin zu ihnen, bis ich schließlich in meine Geburtsstätte zurück kehren wollte und mich zwischen ihnen nieder ließ. Es ging mir nie um das Töten. Bloß kann man Leute, die wissen, dass man ein Vampir ist nicht am Leben lassen. Zumindest nicht dann, wenn sie sich weigern, selbst ein Geschöpf der Nacht zu werden.“ Langsam nickte sie. „Du bist kein Geschöpf der Nacht. Du bist ein seelenloses Wesen“, sagte sie leise. „Ein Symbol der Angst. Zu so etwas möchte ich niemals werden.“



Etwas betreten sah Andrish zu der Frau hin, die dort an seiner Heizung lehnte und noch immer das Tuch nicht von ihrer Schulter hatte nehmen wollen. Vielleicht hoffte sie, durch das verdecken der Wunde, die Einsicht, dass dies wirklich geschah noch vor sich her schieben zu können. Mit einem Lächeln über ihre Naivität wendete er sich wieder seinem Gemälde zu und betrachtete die Skizze nun zum ersten mal im ganzen. Er hatte einfach los gelegt, wie er es immer tat. Doch normalerweise hatte er die Frauen dann schon tot gesehen und wusste, was genau er zu zeichnen hatte. Es war eine hübsche Skizze geworden. An sich konnte er darauf schon stolz sein, dennoch verwirrte ihn seine eigene Zeichnung ein wenig. Dass er sie zunächst lebend skizzierte gehörte zum Standard, doch war es nicht üblich für ihn, dass die Frauen auch lebendig wirkten. Meist waren sie bereits in lebloser Pose oder wenigstens so skizziert, dass sie gerade schwer verwunden zu Boden sanken. Haylie hingegen hatte er mit klar geöffneten Augen und stehend gezeichnet. Auch auf dem Bild trug sie nur ihre Unterwäsche und schien ihn von der Leinwand hinab direkt anzusehen, während die tatsächliche Haylie vor der Heizung saß und den Blick von ihm abgewendet hatte. Nun, da er zum ersten Mal einen Vergleich ziehen konnte, stellte er erschrocken fest, dass seine Zeichnung lebendiger wirkte, als die Frau, die dort verängstigt bei ihm hockte und sich damit abzufinden versuchte, dass sie sterben würde. Stimmte, was sie gesagt hatte? War er nicht mehr, als ein Symbol der Angst? Schnell schüttelte er den Kopf. Noch hatte sie etwas Zeit, um es sich zu überlegen und sich doch noch für ihn zu entscheiden. Erneut führte er den Bleistift an die Leinwand, um ihr Eckzähne zu zeichnen, die sie vielleicht eines Tages voller Stolz tragen würde. Als der Bleistift über ihre in natura so weichen Lippen strich, stockte seine Hand in der Bewegung. Er ließ seine Hand schweifen, zeichnete, was seine Hand mehr wollte, als sein Auge und änderte ihren Mund ab, wie er ihn sehen wollte – Lächelnd.



Doch sah er nun zu ihr hin, war ihr schmales Gesicht von Tränen überlaufen und ihr Blick wich dem seinen scheu aus. Es war ein seltsames Gefühl, sie so dort sitzen zu sehen. Noch seltsamer war jedoch, dass er bei diesem Anblick überhaupt etwas empfand. Wie oft hatte er seine Verabredungen schreien, weinen oder flehen sehen und hören? Die Zahl spielte keine Rolle, denn bei keiner einzigen hatte es ihn auch nur dazu gebracht, ihr in die Augen zu sehen. An ihren an sich so wundervollen blauen Augen schien er sich nicht einmal satt sehen zu können und doch war er es, der die Tränen verschuldete, die hinaus liefen. Und zum ersten mal in seinem Leben, machte dies ihn selbst traurig. Unsicher, was er sich davon erhoffte, legte er den Bleistift beiseite, ging zu ihr hin und schloss die Handschelle um das Heizungsrohr herum auf. „Komm mit“, sagte er leise und schloss die Tür auf. Gehen lassen würde er sie nicht, so hielt er den offenen Teil der Handschelle sehr fest. Weg laufen würde sie nicht, das sah er ihr an. Es waren ihre Augen, die so resignierend ins leere starrten, selbst, als sie das Haus in die schwache Dämmerung verließen. Es hatte nicht lange gedauert, bis sie aufgegeben hatten. Dies war von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Manche kämpften, schrien, versuchten noch ihn zu töten, wenn die Kraft schon nicht mehr gereicht hätte aufzustehen und andere brauchten nur wenige Minuten, bis sie von der Trauer darüber, dass sie den morgigen Tage nicht mehr erleben würden, so mitgenommen wurden, dass sie den nächsten Tag verteufelten, statt um ihn zu kämpfen. Doch selbst jetzt wirkte sie noch einzigartig, denn sie starrte ins Leere und sprach doch mit ihm, als er sie neben sich auf einer Bank vor dem Haus platz nehmen ließ. „Du könntest es beenden. Du könntest die Ewigkeit ruhen lassen. Was bedeutet sie dir denn?“



Fragend sah Andrish sie an. „Sie bedeutet mir...“ Nun stockte er. Die Worte, die er hätte antworten sollen, kannte er. Die Kunst bereitete ihm Freude und seinen Durst zu stillen erfüllte ihn mit Glück. Es war ein gutes Gefühl, die Geschichten der Menschen zu hören, ehe sie ihn schließlich verließen und das wichtigste von allem war, dass die Ewigkeit ihm offen ließ, als nächstes zu tun, was auch immer er wollte. Wenn er morgen beschloss, nicht mehr zu malen, so konnte er alles tun, denn er hatte für alles Zeit und war auch an nichts gebunden, schließlich trieben ihn weder Hunger noch Familie. In diesem Augenblick jedoch, kam ihm keines der Worte über die Lippen. Alles was er wollte, war bei ihr zu sein, doch wenn sie sich nicht anders entschied, so konnte er alle Zeit der Welt haben. Er konnte sie zwingen, in seinem Haus zu wohnen, könnte ihr einen Kerker bauen. Doch das sanfte Lächeln, die fröhlichen blauen Augen. Sie gingen verloren, so wie sie seine Seele verloren glaubte und mit aller Zeit der Welt... brächte er sie nicht zurück. „... nichts“, beendete er den Satz tonlos und drehte den kleinen silbernen Schlüssel, der ihre Handschelle löste in dem Schloss. Da war es wieder. Nur schwach, doch es war zu sehen. Ihre Augen hatten einen schwachen Glanz, wirkten beinahe wieder blau. Er drehte die Handschelle in den Fingern und als er sah, wie unsicher sie darauf sah, gab er ihr die Handschelle und den Schlüssel dazu. „Kann ich so... zu einem Symbol der Hoffnung werden?“, fragte er unsicher und seine Stimme zitterte. Vielleicht ja auch, zu einem Symbol... ihrer Hoffnung.



„Du lässt mich gehen?“, ging sie noch einmal sicher, als fürchte sie, falls sie nun aufstand, würde er auf sie stürzen, sie niederringen und sie wieder zur Heizung schleifen. Doch all dies hatte er nicht vor. „Bleibst du noch ein wenig bei mir? Bloß, bis die Sonne aufgeht?“, fragte er und Haylie lächelte dankbar. „Ja“, sagte sie und dachte noch im selben Moment an die Bilder. An all die Frauen, die gestorben waren. Er hatte sich eine Geschichte für jede davon ausgedacht und doch starben sie alle an der selben Ursache. Jede von ihnen starb an der Torheit, mit einem Mann, der sich der Bluts-Kunst verschrieben hatte, mit gegangen zu sein. Doch aus einem Grund, den sie nicht nachvollziehen konnte, ließ er sie gehen. Irgendetwas musste es in ihm geben. Irgendetwas, das ausnahmslos gut war und doch hatte es so viele das Leben gekostet, diese gute Seite in einer kalten Nacht wie dieser freizulegen. Das war es nicht wert. Bei weitem nicht. „Danke“, flüsterte sie dennoch tonlos. Wenigstens sie hatte er am Leben gelassen. Langsam beugte sie sich zu ihm hinüber und legte eine Hand an seinen Hals. Er war nie gebissen worden. Er war so geboren, als ein Symbol der Angst. Kaum in der Lage, etwas anderes als dies zu sein. Mitleid füllte ihre Augen und sanft legten sie ihre Lippen an seine. Diesmal lag keine Leidenschaft in ihrem Kuss und doch war er weit wertvoller, als der erste. „Du bist kein Monster“, flüsterte sie, kaum, dass sie sich von ihm gelöst hatte. „Du hast deine Gründe.“ Ungläubig erwiderte er den Kuss. Geschah dies wirklich? Nicht bloß ein Traum, sondern ein wahrer, glücklicher Moment für ihn, mit einer Frau, die tatsächlich wusste, wer er war? Das war perfekt. Sie war perfekt....



Klick...

Damit schloss sich die Handschelle auf der einen Seite um sein Handgelenk und auf der anderen Seite an einem der Balken der Bank. Erschrocken sah Andrish auf. „Aber... Du hast doch...“ Dann verstummte er. Nun hätte er sie beißen können, ihr das leben aussaugen oder sie doch noch durch den Biss zwingen, die Unsterblichkeit zu akzeptieren. Doch was auch immer er nun tat. Er würde sie nicht halten können. So atmete er tief durch und küsste sie noch einmal. „Halte Wort“, flüsterte er und sah zu der Sonne, die langsam aufging. „Das habe ich bereits“, sagte sie leise und stand auf. Langsamen Schrittes nur ging sie von seinem Haus fort, ehe sie sich noch einmal umdrehte. „Du kannst nichts anderes sein“, sagte sie, ging noch einmal zurück und küsste ihn sanft und schob die Hand in die Jackentasche, in die sie den Schlüssel gesteckt hatte. Sie konnte nicht bleiben und er konnte nicht gehen. Eine Vampirin zu werden kam niemals in Frage, wollte sie doch keine Mörderin sein. Vorsichtig spielte sie in der Tasche mit dem Schlüssel. Doch zu was machte sie dies hier? Einen Moment noch schloss sie die Augen, dann richtete sie sich wieder auf. „Diesmal“, flüsterte sie ihm ins Ohr und sah zur Sonne. „...tut es mir leid.“ Damit drehte sie sich um und ging. Kaum war sie hinter der nächsten Ecke verschwunden, liefen die Tränen erneut. Sie ballte die Faust in der sonst leeren Jackentasche.



Einen Augenblick noch sah er ihr hinterher, dann sank sein Blick auf den Boden. Auf der Wanderschaft dort hin hielt er inne. Sie hatte... Er sah auf den kleinen silbernen Schlüssel, der neben ihm auf der Bank lag. Er konnte frei sein! Schnell nahm er den Schlüssel und löste die Handschelle. Dann sah er noch einmal in die Richtung, aus der er gekommen war. Was bedeutete ihm die Ewigkeit, wenn er sie nicht bekommen geschweige denn halten und für immer lieben konnte?
Mit dieser Frage im Kopf, blieb er sitzen, bis die Sonne am höchsten stand...








So, Maus, ich hoffe, es hat dir gefallen!
*ganz doll knuddel*

Euch anderen hoffentlich auch :)

Alles alles liebe zum Geburtstag noch mal!

Und nu bin ich still.
Sonst ist es zu spät.

*knuddel*
Hab dich lieb!
 
Boah... *tränen in den Augen hab* Das ist sooo schön und traurig. Armer kerl. Vielen dank dafür! *auch knuddel* Hab dich auch lieb.

Und nun geh ich meine Tränen abwischen. *schnief* *lächel*

P.S: Lädst du mir die beiden hoch? Bei mir werden sie glücklich. hihi
 
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