Huhu Bienchen, ich hab auch endlich den Thread gefunden.
Alles rückwärts zu kommentieren werd ich tunlichst sein lassen, ich hab zum Glück noch mehr zu tun, aber ich hab gerade mit wachsender Begeisterung die letzten Seiten gelesen, und zur 13 muss ich einfach meinen Senf dazugeben.
Eigentlich unterschreibe ich Michalis Kommentar dazu voll und ganz, bis auf eine Ausnahme: Bruno, Anva und Jonas. Witzigerweise trifft das bei mir auch in eine Kerbe, die gar nicht so unähnlich ist, aber ich reagiere anders. Anva viel ähnlicher... Ich fand ihr Verhalten „in der Öffentlichkeit“ gar nicht so verurteilenswert, obwohl ich Michalis Einwände durchaus verstehen kann. Rational würde ich das wohl genauso sehen, aber ich weiß nur zu gut, dass...
Wenn man nach vielen Jahren mehr oder weniger „überraschend“ feststellt, dass all der Abstand und all die Verdrängungs- und Vergessensversuche rein gar nichts an den Gefühlen geändert haben, dann ist man nur noch bedingt zurechnungsfähig, wenn das Objekt der Begierde plötzlich vor einem steht. Ich glaube auch nicht, dass ihr Verhalten irgend etwas mit Aufmerksamkeit erhaschen zu tun hat oder sie auch nur im Geringsten fähig ist, irgendetwas gegen ihren Gefühlsausbruch zu tun. Alle beide nicht. Ich finde sie ja schon fast bewunderswert kontrolliert. Wobei ich das auch hinkriege, aber ich weiß nur zu gut, wieviel Kraft das kostet.
Genau wie Michalis finde ich solche Szenen in den Stories, die eigene unverarbeitete Dinge antriggern, total gut. Julsfels hat sowas auch schon mal irgendwo bei Zwölf gehabt, und es ist immer gut, wenn man sozusagen von hinten durch die kalte Küche in eigene Verdrängungs-Abladeplätze geschubst wird. Da kann man nämlich mit dem nötigen Abstand - ist ja nur ne Story - den eigenen Müll viel besser bewältigen. Das geht viel besser, als wenn man damit in der Realität konfrontiert wird. Und gerade wenn es wehtut, tut man das freiwillig nur sehr ungern. Also finde ich das auch immer sehr gut, wenn es auf solchen halbwegs sicheren Umwegen passiert.
Deine Erklärung mit dem Stockholm-Syndrom finde ich auch wieder super, im Falle von Anva passt das genau. Ich psychologisiere ja auch gern und oft, aber anders als du, das ist mir schon bei Kuona und dem Autismus aufgefallen. Obwohl ich deine Assoziationen total interessant finde. In diesem Falle hab ich da aber mich selbst im Hinterkopf, und da ist das Stockholm-Syndrom dann doch weit entfernt - die Konstellation war ganz anders.
Rational hätte ich auch heftige Gewissensbisse Bruno gegenüber und wäre da ähnlich wie Anva sehr schuldbewusst. Auch seine Beweggründe sind für mich durchaus nachvollziehbar (zumal ich die 14 ja auch schon gelesen hab, da werden die ja sehr klar), aber mir würden meine (in solchen Fällen auch viel zu heftigen) Gefühle total und nachhaltig einen ganz dicken Strich durch jede rationale Rechnung machen.
Ist alles schon passiert, Bruno (oder Anva
) würde nach spätestens einer Woche die Koffer packen, Kinder hin, Kinder her - und bis dahin auf dem Sofa oder in der Badewanne schlafen. Ich kann manchmal ganz gut lügen - aber nicht im Bett. Das geht gar nicht. Ich hätte Bruno allerdings auch nicht heiraten können, das funktioniert einfach nicht. Eine gewisse Zeit vielleicht, aber irgendwann geht es dann nicht mehr. Und es ist definitiv aussichtslos, wenn derjenige welcher dichter auf die Pelle rückt.
Übrigens schreib ich grad mitten im Lesen der Kommentare, bin gerade bei Michalis Antwort auf das Stockholm-Syndrom. Klar, aus Brunos Sicht sieht das ganz anders aus. Das Syndrom ist aber die Draufsicht - wenn man sich mit niemandem identifiziert, ist es genau das, das ist wirklich sehr ähnlich. Natürlich ist das total überzogen, Bruno ist nicht so wirklich Täter und Anva nicht so wirklich Opfer, das ist schon komplizierter, aber das Prinzip ist wirklich dasselbe. Und die psychologischen Mechanismen bei Anva sind tatsächlich identisch.
Mir fällt gerade auf, dass man nie so richtig erfährt, was eigentlich beim Täter passiert. Oder gibt es dazu auch Untersuchungen? Mit dem Opfer identifiziert der sich ja wohl nicht. Aber interessant wäre das auch mal, wie das beim Täter abläuft. Kriegt der nen Gott-Komplex? Nee, wohl eher nicht... Kann ich bei Bruno nicht wirklich erkennen. Vermutlich passt bei ihm auch das Syndrom. Da hab ich nur Schwierigkeiten, mich in seine Rolle hineinzuversetzen, aber ich glaube fast, das ist ganz ähnlich. Er ist genauso gefangen und abhängig von ihr.
Michalis Schlusswort dazu kann ich wieder unterschreiben, aber ansonsten finde ich - rational betrachtet - dass da jeden Beteiligten gleich viel „Schuld“ trifft. Es ist wirklich eine Frage der Perspektive, und wenn man sich emotional von einer bestimmten Sicht löst, dann gibt es da auf jeder Seite (nachvollzieh- und verzeihbaren) Egoismus und auch Leid. Und ich finde, zu gleichen Teilen, Brunos Situation, in die er sich selbst gebracht hat, ist genauso blöd wie die von Anva - in die sie sich selbst gebracht hat. Und Jonas... hat auch selbst Schuld.
Die „Tat“ ist, dass er ihre seelische Notlage ausnutzt, um sie in eine Ehe zu locken, die sie unglücklich macht.
Das finde ich auch, ganz so unschuldig ist Bruno wahrlich nicht. Und dass ihm das alles nicht so klar ist.... glaub ich nicht, so blöd ist er nicht. Und naiv auch nur bedingt. Dass er das Beispiel seiner Eltern im Kopf hat besagt nicht, dass ihm nicht klar ist, dass sowas nicht die Regel ist. Er hat ja wohl schon mal einen Film gesehen. Oder ein Buch gelesen. Und wie quälend das anfangs war, das blendet er geschickt aus. Selbst wenn davon bei seinen Eltern nie die Rede war, lebt man ja nicht in einem Vakuum, und man muss sich schon aktiv Mühe geben, um das in einem Erwachsenenleben nie zur Kenntnis zu nehmen.
Und Bruno kann sich nicht mit einem Trauma rausreden (oder gibt‘s da eins, von dem ich/wie nichts weiß/wissen? edit: nein
), das ist lediglich eine übermäßig romantisierte Vorstellung, die die nackten Tatsachen nicht akzeptieren will, weil sie nicht ins (Märchen)Bild passen. Von daher hat Anva schon die bessere Ausrede. Traumata sind alles andere als romantisch. Und sehr viel existentieller. Und woher ihr Verhalten kommt, wird in der 14 sonnenklar.
Ich war ja nun gezwungen, in diesen Denkmustern zu argumentieren. Ich glaube du siehst den Begriff Tat zu sehr strafrechtlich, und zu wenig psychologisch.
Zitat:
Ihr nicht, aber ausgerechnet der naive Bruno soll das erkennen?
Soooo naiv ist Bruno auch nicht. Aber nein: er kann das gar nicht erkennen. Ich habe auch nicht gesagt, dass er das hätte erkennen müssen. Bitte den Begriff Täter hier nicht mit Schuldiger gleichsetzen.
Ich sollte wohl erstmal zu Ende lesen... Ja, ich sehe eine solche „Tat“ auch eher psychologisch, und das ist völlig anders als die strafrechtliche Sicht.
Wie du später schreibst, in dieser Konstellation gibt es eigentlich nur Täter, die zugleich Opfer sind. Was aber bei psychologischen Phänomenen sehr häufig der Fall ist.
*heftignick*
Insofern ist aber auch klar, dass Bruno kein stockholmähnliches Syndrom entwickelt, weshalb er zwar Opfer ist, aber nicht im Sinne dieses Phänomens.
So sicher bin ich mir da gar nicht, siehe oben. Auch er ist Anvas „Gefangener“. Und ein Gefangener von Märchenträumen.
Ich will auch keinen damit nerven, aber für die Darstellung meiner Figuren muss zumindest ich selbst die psychologischen Hintergründe durchdacht haben.
Dass du Juristin bist, wuste ich noch gar nicht, das ist ja interessant. Und erklärt - zumindest für mich - dein Interesse an Psychologie. Ein guter Jurist muss auch ein guter Psychologe sein. *find* Und umgekehrt auch, in gewissem Sinne. Ich finde die Fähigkeit von Juristen, selbst die emotionalsten Dinge aus der Vogelperspektive zu betrachten, total faszinierend. Und diese Präzision, die Reduktion auf das Wesentliche. Sowas beeindruckt mich immer wieder.
Ist natürlich eine sehr idealisierte Sichtweise auf das Phänomen Jurist, aber ich hab schon einige kennengelernt, sogar richtig gute. Und da gibt es oft weit bessere Psychologen als unter den Psychologen selbst, die sind viel zu unsauber und unpräzise. Was ich gerade da auch sehr wichtig finde, deren Wischiwaschi-Larifari-Geschwätz nervt mich immer total, die sind oft noch wirrer als ihre Patienten. Und verwechseln sich auch ganz gern mal, was sie dann aber immer auf den verrückten Patienten schieben. Und von der Sorte gibt es leider jede Menge. Es gibt viel mehr gute Juristen als gute Psychologen, hab ich das Gefühl.
Naike schrieb:
Wie ich die Sache sehen sollen, weiß ich nicht so recht, irgendwie habe ich wenig Mitleid mit erwachsenen Menschen, die sich ohne erkennbaren Zwang beherrschen lassen. Da tue ich mir echt schwer mit.
Das ist viel leichter nachzuvollziehen, wenn du davon ausgehst, dass sie in (früh)kindlicher Zeit einer permanenten Gehirnwäsche ausgesetzt waren. Das wirst du von allein auch nicht als Erwachsener los, da hilft alles rationale Denken rein gar nichts. Da entstehen blinde Flecken, du bist einfach nicht in der Lage, etwas zu erkennen, was du bei anderen sehr wohl siehst. Aber sowie es dich selbst betrifft, ist Schluss damit, da bist du total blind und absolut nicht in der Lage, die offensichtlichsten Dinge zu erkennen.
Dazu kommt die emotionale Konditionierung, die dich völlig widersinnige Dinge gelehrt hat - zum Beispiel, dass das, was der Täter tut, ganz normal und gut und richtig ist. Du denkst nicht wie ein Erwachsener in solchen Dingen, das ist das Kind, was da denkt und fühlt. Und das kann völlig getrennt - und in krassem Gegensatz - zu deinem sonstigen Verhalten stehen. Und das ist bei Anva ganz sicher der Fall, sie reagiert genauso wie damals. Nein sagen hat keinen Sinn, schreien ist zwecklos und führt sehr wahrscheinlich zu offener Gewalt, weglaufen geht nicht. Also schaltet sie einfach ab. Tolle Nummer... Kenn ich. Leider. Nur zu gut.
Und noch ein Letztes zu Bruno und der „Vergewaltigung“. Das sehe ich genauso wie julsfels, ich denke - was sich ja auch in der 14 bestätigt - dass er sehr wohl selbst in einem Dilemma gefangen ist. Wenn auch nicht so krass wie Anva, das sind trotzem mildernde Umstände - und ich finde auch, dass er in Anbetracht
seiner Umstände - die wir ja in der 13 noch nicht so genau kennen - durchaus sensibel reagiert hat. Aus Anvas Sicht natürlich nicht, aber ihre Sicht kennt er selbst nicht wirklich. Und das ist nicht seine, sondern Anvas Schuld. Sie schauspielert ihm schon seit Jahren sehr erfolgreich etwas vor, und ihre Lügen kann er nicht in vollem Umfang erkennen, das ist zuviel verlangt. Wunschdenken ist keine stafbare Handlung. Und dass das in der 13 sehr polarisiert, ist auch verständlich, er hat heftigste Verlustängste.
So, und jetzt poste ich das erstmal, das wird wohl ohnehin jetzt schon jedweden Rahmen sprengen.