Ich bin nichtbinär trans. Das stellt mich vor mehrere Herausforderungen, die nicht sein müssten, wäre ich tatsächlich gleichberechtigt:
- Trans Menschen müssen, um ihren Geschlechtseintrag und den Vornamen ändern zu dürfen sowie um medizinische Behandlung der Geschlechtsdysphorie zu bekommen, Prozesse durchlaufen, die im sogenannten "Transsexuellengesetz" aus dem Jahr 1981 festgelegt sind. Dazu gehören ein Therapiezwang (mindestens ein halbes Jahr bevor man überhaupt den Zugang zu Hormonen bekommt und zwei Jahre vor den Gutachten (wobei das momentan nicht mehr so ganz aktuell sein könnte, man ist sich da sehr uneins), mindestens ein Jahr "Alltagstest" in dem man zeigt, wie toll man im "neuen" Geschlecht zurechtkommt - wohlgemerkt zum größten Teil ohne überhaupt körperlich transitionieren zu
dürfen), zwei unabhängige Gutachten die mir mein Transsein bestätigen und ein Gerichtsverfahren, in dem die Beschlüsse dann bestätigt oder eben abgelehnt werden, alles aus eigener Tasche zu bezahlen. Fängt meistens bei um die 1500 Euro an.
Diese Gutachten beinhalten übrigens oft sehr übergriffige und erniedrigende Fragen, wen das wirklich interessiert oder wer sich von seinem Mittagessen verabschieden will, kann mal
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Das TSG ist in großen Teilen bereits vom Bundesverfassungsgericht als verfassungsfeindlich und menschenunwürdig beurteilt worden (s.u.), aber bis zur aktuellen Bundesregierung hat sich nie jemand darum gekümmert, es auch wirklich durch aktuelle Gesetze zu ersetzen. Die Ampel will innerhalb dieser Legislaturperiode ein Selbstbestimmungsgesetz einführen, das die o.g. bürokratischen Prozesse durch eine einfache Erklärung beim Standesamt ersetzen würde.
- Weder sexuelle Orientierung noch geschlechtliche Identität sind derzeit im Grundgesetz (Diskriminierungsschutz, Artikel 3) verankert - ersteres plant die derzeitige Bundesregierung aufzunehmen, zweiteres nicht.
- Nichtbinarität wird von vielen Therapeuten nicht anerkannt - ist man nicht ftm oder mtf, wird man sehr wahrscheinlich keine positiven Gutachten bekommen oder der MDK schießt quer. Anerkennung und Kostenübernahme der eventuell geplanten oder bereits durchgeführten OP(s) wären damit vom Tisch.
- Ob Nichtbinarität existiert (oder ob trans Menschen nicht vielleicht einfach alle komplett gestört sind), wird in sämtlichen Kommentarspalten dieser Welt heiß diskutiert, meistens mit Hass und absolut menschenverachtenden Beleidigungen. Die EMMA, allen voran Alice Schwarzer, die sich Feminismus ganz groß auf die Fahnen schreiben, hetzen regelmäßig gegen uns - gerade erst geschehen im Fall Tessa Ganserer, einer Bundestagsabgeordneten, die sich dem TSG bisher verweigert hat. Dass sie sich dabei im Schulterschluss mit u.a. Beatrix von Storch befinden, scheint ihnen nichts auszumachen. Diese und weitere TERF-Positionen (
Trans
Exclusionary
Radical
Feminist) werden gefühlt immer salonfähiger, nicht zuletzt weil Menschen mit großer Reichweite wie J.K. Rowling sie reproduzieren. Darüber hinaus gibt es in einigen Regionen und Ländern nun die sogenannte "LGB-Alliance", die sich für einen Ausschluss von trans Menschen aus dem LGBTQ-Akronym und Aberkennung unserer Rechte einsetzt (und uns damit noch weiter unsichtbar machen will).
- Wird man anders gelesen, als der Geschlechtseintrag es vermuten lässt, stehen Stress mit Behörden und Ämtern an der Tagesordnung. Beispiel: Ich musste mich Anfang des Jahres um mein Monatsticket kümmern - auf dem Antrag war das Kästchen für "divers" nichtmal vorhanden (obwohl vorgeschrieben) und selbst dann ist unklar, ob ich es hätte ankreuzen dürfen - offiziell hab ich den Eintrag nicht, aber da bei der Fahrscheinkontrolle eh nur der Personalausweis verlangt wird und da nichtmal ein Geschlecht vermerkt ist, dürfte es eh egal sein. Potenziell brenzliger wird es zB bei Polizeikontrollen oder beim Verreisen, im Reisepass ist nämlich sehr wohl ein Geschlechtseintrag vorhanden.
Dass Deadnaming und Misgendern an der Tagesordnung sind, wenn man als trans "erkannt" wurde, dürfte jetzt vielleicht auch nicht mehr überraschen.
Das mal als Ausschnitt der derzeitigen Situation. Hinzu kommt, dass durch das TSG bis 2008 ein Scheidungszwang herrschte (denn die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare gabs damals ja noch nicht) und sogar bis 2011 ein Sterilisationszwang.
All das kostet Zeit, Nerven und ne Stange Geld, die viele einfach nicht haben - und die cis Menschen (also die, bei denen der Blick auf die Genitalien bei der Geburt das richtige Geschlecht prophezeit hat) nicht aufbringen müssen. Von der Diskriminierung von inter Personen oder Mehrfachdiskriminierung bei zB Schwarzen Menschen will ich da gar nicht erst anfangen.
Daher als kleiner Hinweis: Wenn ihr das nächste Mal über einen Bericht stolpert, in dem verkündet wird, wie wenige Menschen bisher den Geschlechtseintrag für "divers" beantragt und/oder erhalten haben, fragt euch, ob die Nachfrage oder das "Angebot" das Problem ist.
Wegen mir können wir damit übrigens gern zum eigentlichen Thema zurückkehren, ich hab das vor allem aufgeschrieben weil ich gefragt wurde.