Kapitel 88 – “Papa” versus “Oma”
Kapitel 88 – “Papa” versus “Oma”
Sean schlief zwar nachts einigermaßen und war auch generell ein relativ pflegeleichtes Kind, dennoch empfand Naike den Babyalltag als sehr anstrengend, weil er sie pausenlos forderte. Mal hatte er einen solchen Riesenhunger, dass er vor lauter Brüllen das fertige Fläschchen gar nicht bemerkte ...
… dann ließ er sich nach der Mahlzeit oft eine halbe Stunde Zeit mit dem Bäuerchen, was aber völlig normal war, wie sie aus einem anderen Leben wusste. Deshalb genoss sie die meiste Zeit mit ihm trotz Anstrengung und Schlafentzug.
Als aber dann die Drei-Monats-Koliken begannen und Sean dauernd Bauchweh hatte, stieß sie an ihre Grenzen.
Er war nur schwer zu beruhigen ...
... und wenn er dann endlich im Hängebettchen lag, kam Naike trotzdem nicht richtig zur Ruhe, da sie stets in Hab-Acht-Stellung blieb, dem typischen "Mutter-Standby-Zustand", der auf Dauer doch erheblich schlauchte.
Paul half zwar außerhalb seiner Dienstzeiten so gut es ging und griff ihr ein wenig unter die Arme, aber dennoch war sie innerhalb kürzester Zeit zu einer Dauermüden geworden ...
... ebenso wie er, da er nachts durch das Geschrei kaum ein Auge mehr zu bekam und tagsüber natürlich trotzdem volle Leistung erbringen musste. So blieben weitere Beförderungen vorerst aus.
Und dann erwischte die kleine Familie auch noch ein heftiger grippaler Infekt mit kräftigem Husten, was dazu führte, dass Sean deutlich weniger schlief als sonst, weil er im Liegen schlecht Luft bekam. Naike fühlte sich dem Ende nahe.
"Jessica, dich schickt der Himmel!!" - "Ja, mein Gott - wie seht
ihr denn aus?", rief Jess verwundert, „ich dachte, hier läuft alles bestens, weil du dich nicht meldetest."
"Ach Mann, wir haben uns alle einen fiesen Infekt angelacht, Sean hustet wie ein alter Seebär, der zuviel geraucht hat, und spuckt dauernd." Kaum hatte Naike zu Ende gesprochen, überfiel auch sie sogleich ein kräftiger Hustenanfall.
"Komm, ich nehme dir den Kleinen mal ab und mache ihm einen sehr wirksamen Wickel. Und du tust mal was für dich, ja?" - "Danke, das ist sehr lieb von dir, ich kann echt nicht mehr." Dann schlurfte Naike aus dem Kinderzimmer und Jessica suchte sich aus der Wickelkommode ein paar Windeltücher für die Heilanwendung heraus.
Als sie in der Küche Wasser heiß machen wollte, sah sie die junge Mutter inmitten lauter klebrigem Geschirr in der Küche stehen und sich beinahe die Seele aus dem Leib husten. Zum Glück klang er recht locker. "Mensch, jetzt leg' dich doch mal hin statt hier weiterzuwuseln, ich mache das schon gleich, wenn Sean schläft. Dann füllte sie eine Schüssel und ging mit Sean zurück ins Kinderzimmer. Aber Naike störte die Unordnung so sehr, dass sie doch weiter aufräumte statt sich ein bisschen Ruhe zu gönnen.
"Huppsa, jetzt habe ich mich aber erschrocken, wo kommst
du denn auf einmal her?", wunderte sie sich, als Adam plötzlich in der Küche stand. "Eure Tür war nicht richtig zu. Aber jetzt frage ich mich gerade, ob ich wirklich in
dem Haus gelandet bin, wo ich eigentlich rein wollte. Wer sind Sie denn bitteschön?" Naike lachte. "Du bist gemein, ich weiß dass ich furchtbar aussehe, wir haben uns alle einen fiesen Husten geholt, besonders der Kleine röchelt Tag und Nacht." - "Aber warum bist du dann nicht im Bett, sondern räumst hier in dem Dreck herum?“ - "Na, einer muss es doch machen, Julia ist fast den ganzen Tag in der Schule, wie du weißt, und Paul schleppt sich jeden Morgen in der Früh in die Kaserne. Zum Glück ist Jess eben gekommen, die gute Seele." - "Und du bist nicht in der Lage, das Telefon zu benutzen und bei mir anzurufen?", sagte Adam vorwurfsvoll. "Jetzt stell' auf der Stelle die Teller hin und setz' dich in die heiße Wanne, ich übernehme hier das Kommando, keine Widerrede!"
Diesmal kam Naike der Aufforderung nach, weil sie eindeutig als Befehl formuliert war, und Adam schritt sogleich zur Tat und brachte unter vielen gestöhnten "Baaah" und "Iiiihh" die Küche wieder auf Vordermann.
"Tach, ich bin jetzt da und übernehme, Sie können gehen." Jessica dachte, sie höre nicht recht.
"Danke, ich komme gut zurecht", erwiderte sie kühl, "der junge Mann ist jetzt bereits deutlich entspannter und hustet weniger, er wird gleich ruhig schlafen." Aber dann begann Sean zu schreien. "Da sehen Sie es! Von wegen entspannt, der hat ordentlich Hunger!" Mit diesen Worten nahm Adam Jessica den Jungen einfach aus dem Arm und trug ihn in die Küche.
„Ja jaaa, ich weiß ja, du hast Hunger, nicht wahr?!" Sean gluckste, weil er es liebte zu "fliegen" ...
... und spuckte dann eine Ladung warmer, säuerlich riechender Suppe auf seinen großen Spielkameraden. Jessica, die die Szene beobachtet hatte, schüttelte verständnislos den Kopf und machte schnell die Tür hinter sich zu. Sollte sich der Besserwisser doch weiter kümmern, dachte sie beleidigt und räumte weiter auf.
Naike saß derweil entspannt in einem herrlich warmem Schaumbad und bekam von alledem nichts mit.
Danach nahm sie ein paar homöopathische Globuli für ihren Husten und kroch unter erschöpft unter ihre Bettdecke. "Nai, schläfst du?" - "Ja", murmelte sie. "Es tut mir leid, aber Sean hat Hunger und will kein Fläschchen, du musst ihn anlegen." - "Guck ma innen Kühlschrank, da is abgepumpte Milch", gähnte Naike, "aber vorher im Wasserbad auf Trinktemperatur, bloß nich zu heiß."
So kam Adam doch noch zu seiner Muttermilchverköstigung, denn er probierte vorsichtshalber einen Schluck, bevor er sie verfütterte, damit sie auf keinen Fall zu heiß war. Sie schmeckte irgendwie wässrig und leicht süß, ganz anders als Kuhmilch. Er befand sie für gewöhnungsbedürftig, konnte sich aber vorstellen, dass sie frisch vielleicht besser schmeckte und auf diese Weise auch angenehmer zu trinken war. Nachdem Sean satt war, befreite er sich von den Überresten der Sean'schen Kötzelattacke.
"Hi ... äh ... Dad." Julia schaut zutiefst verwundert, als sie Adam in Unterwäsche die Treppe herunter kommen sah. "Pssst ... mach' schnell die Kiste aus, sonst wacht Sean auf!" Aber da war es auch schon zu spät.
"Entschuldige bitte, ich hatte ihn überhaupt nicht gesehen als ich rein kam." - "Ach, ist nicht so schlimm, ich kriege ihn auch noch ein zweites Mal zum Schlafen. Naike pennt, sie war völlig alle und da habe ich mal übernommen. "Das ist aber lieb von dir!" Adam lächelte ...
... und legte seiner Tochter das kleine Baby in die Arme. "Wie findest du deinen Bruder, hm?!" Julia starrte ihren Vater verständnislos an. "Das wäre schön, wenn er mein Bruder wäre, aber ich bin nun mal weder mit Naike noch mit Paul verwandt und demnächst nicht mal mehr in seiner Nähe", sagte Julia traurig. Aber vielleicht erinnert er sich ja noch an mich, wenn ich wiederkomme." - "Julchen, ich meinte das schon so, wie ich es sagte, er ist dein Halbbruder, denn ich bin sein Vater." Julia überlegte, ob Adam sie jetzt verarschen wollte oder ob er durchgedreht war. "Äh ... aber sonst alles frisch bei dir, Papa, ja?"
"Alles absolut superfrisch", erwiderte Adam über sich selbst nun ärgerlich, dass er es überhaupt erwähnt hatte. "Ist das sicher oder glaubst du es nur?", begann Julia nun nachzubohren. "Für mich ist es sicher, guck dir doch mal sein Gesicht an!" Sie kam der Aufforderung sogleich nach. "Hm ... er hat braune Augen, ja - aber sonst?! Kein Bart und keine Haare auf den Zehen", lachte Julia. "Ach, leck' mich verdammt", murrte Adam und ließ seine Tochter mit vielen Fragezeichen stehen.
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Am nächsten Tag kam Jessica bereits recht früh am Morgen wieder und übernahm die erste "Schicht". Zumindest dachte sie, sie wäre die Erste ...
"Oh nein, bitte nicht!" stöhnte sie genervt, als sie Adam lesend im Arbeitszimmer vorfand. "Was wollen
Sie denn schon wieder hier?", brummte Adam ungemütlich, "ich habe alles bestens im Griff!" Er zog angriffslustig die Augenbrauen zusammen und blähte seine Nasenlöcher auf. "Das sollte
ich besser
Sie fragen, werter Monsieur Tallis. Ich bin schließlich Naikes beste Freundin und helfe ihr selbstverständlich in solchen Notzeiten wie jetzt", plusterte sich Jessica auf so gut sie konnte.
"Und ich bin Seans Vater", bemerkte Adam trocken. Jessica öffnete ihren Mund, klappte ihn aber sofort wieder zu und starrte den unverfroren frechen Mann an, als wäre er ein Wald-und-Flur-Schädling. "Wo ist Naike? Weiß sie, was Sie hier für einen Mist verzapfen?" Adam wurde ein wenig nervös, ließ sich aber nichts anmerken. "Sie ... äh, sie schläft noch. Und jetzt machen Sie einen Abflug, sonst werde ich ungemütlich." Jessica sah keine andere Möglichkeit, als zu gehen, und nahm sich vor, Naike später am Telefon brühwarm von ihrem offenbar ausgetickerten "Babysitter" zu berichten.
*
Aber Naike schlief bis zum frühen Abend durch und war selbst dann immer noch müde.
Mit wachsender Sorge beobachtete Adam das Verhalten seiner Ex.
"Alles klar bei dir?" - "Ja, schon gut, ich bin nur so unheimlich müde, tut mir leid." – „Kein Problem, ich habe ein paar Tage Urlaub genommen, meine Studenten kommen auch mal ohne mich aus. "Tschuldige, ich war total auf mich fixiert in letzter Zeit, zuerst die Schwangerschaft und jetzt der Junge, ich konnte dich noch gar nicht loben, dass du wieder zurück an der Uni bist." - "Aber wir haben doch darauf angestoßen, vor einiger Zeit in
Rick's Café." Naike hatte das völlig vergessen. Das Telefon klingelte.
"Ach je ... ja klar, kein Thema ... natürlich bleibe ich hier, ich hab' eh Urlaub. Ok, Paul, dann bis morgen. Eine wenigstens einigermaßen gute Nacht wünsche ich dir!"