KAPITEL 3
Gemeinsam machten sich die drei neuen Mitbewohnerinnen auf den Weg zur Party, die nur wenige Minuten von ihrem Wohnhaus entfernt stattfand. Schon aus der Ferne dröhnte laute Musik durch die Nacht, begleitet von ausgelassenem Gelächter und dem Rufen der Gäste.
Als sie am Ort des Geschehens ankamen, zögerte Ella nicht lange und verschwand sofort in der Menge. Sie steuerte zielstrebig auf eine Gruppe von Leuten zu, die sie mit offenen Armen empfingen.
„Wir sehen uns später, schätze ich“, rief Isabell ihr mit einem Hauch von Sarkasmus hinterher, doch Ella würdigte sie keines Blickes.
Marie beobachtete das Geschehen mit gerunzelter Stirn. „Ist sie immer so?“, fragte sie schließlich und konnte den leisen Unmut in ihrer Stimme nicht verbergen. In ihrer Heimat, insbesondere an ihrer letzten Schule, hatte sie ähnliche Mädchen kennengelernt – hübsch, reich und mit einer gewissen Arroganz ausgestattet.
Isabel seufzte und zuckte mit den Schultern. „Also, Ella war noch nie die freundlichste oder umsichtigste Mitbewohnerin. Aber dieses Semester? Das ist wirklich ein neues Level. Sie ist… distanzierter als sonst.“
„Vielleicht liegt es an dem Streit mit Florence?“ spekulierte Marie, während sie den Blick über die tanzende Menge schweifen ließ.
„Das könnte gut sein“, gab Isabel zu. „Die beiden kamen letztes Jahr viel besser zurecht. Ich hoffe, sie kriegt sich bald wieder ein.“
Gemeinsam betraten sie die Party, die bereits in vollem Gange war. Die Luft war erfüllt von Musik, Gelächter und dem Summen zahlreicher Gespräche. Isabell führte Marie durch die Menge und stellte ihr nach und nach einige Leute aus ihrem Jahrgang vor. Sie tranken Bier, und Marie hörte aufmerksam zu, während sie allerlei Geschichten aus dem letzten Schuljahr erfuhr. Es gab Anekdoten über den Unterricht, Klatsch über verschiedene Dozenten und Professoren und jede Menge Tipps zu den besten Café-Spots auf dem Akademiegelände. Marie fühlte sich zunehmend wohler, als sie mehr über das Leben auf dem Campus erfuhr.
Plötzlich begann Isabel unruhig auf der Couch, auf der sie sich zurückgezogen hatten, herumzuzappeln und drehte sich immer wieder um, als würde sie nach jemandem suchen.
Als Marie dies bemerkte, runzelte sie die Stirn. „Was ist los? Hat dich was gebissen?“
Isabel schüttelte hastig den Kopf. „Nein, nichts dergleichen. Ich hab nur gerade jemanden gesehen, mit dem ich unbedingt reden muss.“
Ihr Blick wanderte nervös über die Schulter, als ob sie sicherstellen wollte, dass die Person noch da war.
„Uuuh.“ Marie versuchte, sich ebenfalls umzudrehen, um einen neugierigen Blick auf die besagte Person zu werfen, doch Isabell hielt sie zurück. „Nicht gucken, das fällt auf!“, flüsterte sie nervös und sah sich weiterhin suchend um. „Ist es okay, wenn ich dich kurz alleine lasse? Du kannst auch nein sagen, ich will dich wirklich nicht im Stich lassen.“
„Ja klar, geh schon, bevor du hier einen Anfall erleidest. Ich komm schon klar.“
Marie lachte und schob Isabel sanft in Richtung der Terrassentür. “Aber ich will morgen alles über diese Mystery Person wissen!”
Isabel lächelte erleichtert und hauchte ein lautloses „Danke“, bevor sie im Laufschritt den Raum verließ und dabei nochmals ihre Frisur richtete.
Zurückgelassen in der Menge, beschloss Marie, sich noch ein weiteres Bier zu holen. Sie merkte, dass der Abend schon länger fortgeschritten war, und die Party ihren Höhepunkt erreichte. Nachdem sie ihr Getränk in der Hand hatte, entschied sie sich, an die frische Luft zu gehen. Vielleicht könnte sie dort eine Pause von der lauten Musik und den Menschenmassen einlegen.
Draußen auf der Terrasse war es deutlich ruhiger. Marie versuchte, sich in ein paar Gespräche von Fremden einzubringen, aber die meisten waren entweder zu betrunken oder sprachen über Themen, bei denen sie nicht richtig mitreden konnte – oder, im Fall der Fußball-Weltmeisterschaft, auch nicht wollte.
Sie lehnte sich an den Türrahmen und sah gedankenverloren in die Nacht hinaus. Die Müdigkeit vom langen Reisetag begann sie einzuholen, und sie überlegte, ob es nicht an der Zeit war, sich auf den Weg nach Hause zu machen. Der Tag war ohnehin schon lang und voller neuer Eindrücke gewesen.
„Hey, kann man dir irgendwie helfen?“
Marie blickte auf und sah einen jungen Mann vor sich stehen, der sie freundlich anlächelte.
„Du schaust dich hier schon seit zehn Minuten alleine um. Suchst du etwas?“ fragte er und behielt sein breites Lächeln bei.
„Oh, danke, aber ich warte hier nur auf jemanden,“ erwiderte sie und konnte nicht anders, als sein Lächeln zu erwidern.
Der Fremde nickte verständnisvoll, blieb aber stehen. „Gut, gut. Entschuldige, ich will dich nicht nerven. Aber bist du neu hier, oder? Erstes Jahr? Ich habe dich noch nie gesehen.“
Marie überlegte kurz, ob sie sich von seiner Neugier gestört fühlen sollte. Doch schnell stellte sie fest, dass das Gegenteil der Fall war.
„Ja, das ist mein erstes Semester hier,“ antwortete sie. „Ich steige aber gleich in die Kurse des zweiten Jahrgangs ein. Ich war vorher an einer anderen Uni und habe gewechselt.“
Der Fremde hielt kurz inne, als würde er über etwas nachdenken. Dann veränderte sich sein Blick plötzlich, und ein noch breiteres Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Aaaah, du bist die Prinzessin! Dein Wechsel war letzte Woche das Gesprächsthema Nummer eins,“ sagte er mit einer Mischung aus Belustigung und Bewunderung. Dann räusperte er sich und machte eine übertriebene Verbeugung. „Eure Hoheit.“
Marie presste die Lippen zusammen und spürte, wie sich eine Welle des Unbehagens in ihr breit machte. Es war ihr grundsätzlich unangenehm, wenn jemand sie als Prinzessin ansprach, und noch mehr hasste sie es, wenn sie deswegen veräppelt wurde. Sie hob herausfordernd die Augenbrauen und sah den Fremden mit kühler Miene an. „Wow, wie originell. Hast du dir das spontan ausgedacht, oder war das schon lange geplant?“
Zu ihrer Überraschung lachte er laut auf. „Touché, touché. Eine Prinzessin, die nicht auf den Mund gefallen ist. Gut so.“
Marie merkte, wie sich ein Hauch von Freude in ihr regte, doch sie schüttelte innerlich den Kopf und ermahnte sich selbst, nicht auf diesen Wichtigtuer hereinzufallen. Ein Kompliment von ihm sollte ihr nichts bedeuten. Sie versuchte, so cool wie möglich zu wirken. „Und wer bist du?“
Der junge Mann streckte ihr die Hand entgegen. „Ich bin Max. Freut mich.“
Marie ergriff seine Hand und spürte den festen, selbstbewussten Händedruck. Max ließ ihre Hand los und fummelte in seiner Jacke, bevor er eine Schachtel Zigaretten hervorzog. „Willst du eine?“ fragte er, während er sich eine Zigarette anzündete.
Marie schüttelte den Kopf. „Nein, danke. Ich rauche nicht.“
Max zuckte mit den Schultern und nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette. Der Rauch kringelte sich langsam in die kühle Abendluft.
„Also, Marie,“ begann er, während er den Rauch langsam ausatmete, „Warum hast du die Uni gewechselt? War die alte zu langweilig?“
Marie zögerte einen Moment. „Es gab… persönliche Gründe,“ sagte sie schließlich und bemühte sich, neutral zu klingen. „Außerdem wollte ich einfach einen Tapetenwechsel.“
Es war nicht die ganze Wahrheit, aber Marie wusste, dass es manchmal klüger war, nicht zu viel preiszugeben. Als Mitglied einer adligen Familie hatte sie früh gelernt, wie wichtig Diskretion war.
Max nickte, als ob er ihre Antwort akzeptierte.
„Verstehe,“ sagte er und nahm einen weiteren Zug. „Manchmal braucht man einfach frischen Wind. Neue Leute, neue Herausforderungen.“ Er ließ den Blick über die Menge schweifen, bevor er wieder zu Marie zurückkehrte. „Und, wie gefällt’s dir bisher?“
Bevor Marie antworten konnte, unterbrach eine fremde Stimme das Gespräch. „Max, Bro! Wir brauchen noch Leute fürs Bierpong. Bist du dabei?“, rief ein braunhaariger Typ aus dem Wohnzimmer.
Max drehte sich zu ihm um und grinste. „Klar, warum nicht?“ Dann wandte er sich an Marie. „Willst du mitmachen? Ich könnte eine Partnerin gebrauchen.“
Marie war überrascht von der plötzlichen Einladung und zögerte. „Ich weiß nicht… ich hab noch nie gespielt.“
„Keine Sorge, ich zeige dir, wie es geht. Es macht Spaß, und du lernst ein paar coole Leute aus unserem Jahrgang kennen.“
Marie überlegte einen Moment. Sie war neu hier und wollte eigentlich nicht sofort wieder ins Rampenlicht geraten, aber es schien eine gute Gelegenheit zu sein, sich zu integrieren.
Schließlich nickte sie. „Okay, warum nicht. Ich bin dabei.“
„Cool,“ sagte Max und nahm einen letzten Zug von seiner Zigarette, bevor er sie achtlos auf die Erde warf.
Marie räusperte sich und musterte ihn. „Ein einziger Zigarettenfilter kann tausend Liter Wasser vergiften, wusstest du das?“ Ihre Augen ruhten auf ihm, erwartungsvoll.
Max erwiderte ihren Blick, und für einen Moment schien er nicht sicher zu sein, ob sie scherzte oder nicht. Als Marie ihren Blick standhielt und die Augenbrauen auffordernd hob, brach er schließlich in ein breites Grinsen aus. „Okay, okay, ich gebe mich geschlagen. Alles für die Öko-Prinzessin.“ Er bückte sich, hob den Zigarettenstummel auf und warf ihn in einen Müllsack, der in der Nähe stand.
Marie konnte nicht anders, als ein kleines Lächeln zu unterdrücken, als sie seine Bemühung sah. Sie verdrehte gespielt die Augen. „Danke.“
„Gern geschehen-,“ sagte Max mit einem Zwinkern. „Komm, lass uns das Spiel gewinnen.“.
Die Gruppe von Studenten führte Marie und Max zu einem Tisch, der für Bierpong vorbereitet war. Die Becher waren in Dreiecksform auf beiden Seiten des Tisches aufgestellt, gefüllt mit Bier und bereit für das Spiel. Ein paar Leute standen bereits um den Tisch herum, gespannt auf das nächste Match.
„Leute, das ist Marie,“ stellte Max sie der Gruppe vor. „Wir spielen zusammen im Team.“
Zwei groß gebaute Typen, die gegenüberstanden, nickten den Neuankömmlingen nur kurz zu, während sie bereits eifrig ihre Strategie für das Spiel besprachen.
„Hi,“ sagte Marie etwas unsicher, während sie vor der Gruppe stand. Das Bierpong-Setup war ihr zwar neu, aber sie versuchte, sich ihre Nervosität nicht anmerken zu lassen. Max stellte sich neben sie und nahm einen Ball in die Hand.
„Es ist ganz leicht,“ erklärte er mit einem aufmunternden Lächeln. „Wir schießen abwechselnd auf die Becher der anderen Seite. Wenn unsere Gegner treffen, müssen wir trinken, und umgekehrt. Es ist allerdings gar nicht so einfach, zu treffen. Ich kann dir ein paar Tipps geben, in welchem Winkel du am besten-“
Bevor Max seinen Satz beenden konnte, hatte Marie bereits einen Ball in die Hand genommen und ihn zielsicher in einen der Becher auf der gegenüberliegenden Seite versenkt.
Max warf ihr einen skeptischen Blick zu. „Bist du sicher, dass du das noch nie gespielt hast?“
"Anfängerglück?" Marie zuckte mit den Schultern. „Aber ich spiele Basketball seit ich fünfzehn bin.“
„Beeindruckend,“ erwiderte Max, während er den Ball zwischen seinen Fingern drehte und nach dem perfekten Winkel suchte.
Zehn Minuten später waren alle tief ins Spiel vertieft. Nur noch zwei Becher standen – einer auf jeder Seite des Tisches. Max hatte den letzten Schuss. Zur Vorbereitung ließ er den Ball ein paar Mal am Tisch aufprallen, bevor er ihn wieder auffing. Marie konnte die Spannung spüren und fieberte dem entscheidenden Moment entgegen.
Max konzentrierte sich auf den letzten Becher. „Hast du einen Tipp für mich?“, wandte er sich an Marie.
Diese überlegte kurz. „Stell dir vor, es wäre ein Basketball?“
Max lachte. „Leider kann ich kein Basketball spielen,“ sagte er, während er den Becher immer noch anvisierte, sein Blick fest entschlossen.
„Dann bleibt dir wohl nichts anderes übrig, als auf dein Glück zu hoffen,“ entgegnete Marie grinsend.
Max atmete tief ein und setzte den letzten Schuss an. Als der Ball zielgenau in den Becher plumpste, brachen sowohl er als auch Marie in freudiges Geschrei aus, während die Verlierer enttäuscht aufstöhnten.
„Gut gemacht!“ Max und Marie schlugen sich gegenseitig ein und strahlten sich an.
„Wie wäre es jetzt mit einer Runde Strip-Bierpong?“ schlug einer der bereits gut angetrunkenen Gegner, einen blonder, großgewachsener Mann mit hellblauen Augen, am anderen Tischende vor.
Max drehte sich sofort zu dem Vorschlagenden um, noch bevor Marie reagieren konnte. „Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist. Wir haben hier schließlich die künftige Thronerbin dabei.“
Der andere Gegner lachte und deutete auf den blonden Bierpong-Partner. „Das hat den zukünftigen König von Schweden noch nie gestört.“
Der angesprochene, blonde Hüne, der gerade ein Bier in einem Zug geleert hatte, grinste breit. „Niemals! Ich würde sogar sagen, dass regelmäßiges Nacktsein mich zu einem besseren Regenten macht.“
Marie erkannte den Mann als Erik, den Thronfolger des Königreichs Schweden. Sie hatten sich bereits bei einem Staatsbankett getroffen, wo er sich als Musterbeispiel an Höflichkeit und Etikette präsentiert hatte. In diesem Zustand – nun ja – sah sie die Zukunft Schwedens in sehr interessanten Händen.
Marie wandte sich an Max. “Ich glaube, ich werde jetzt nach Hause gehen. Ich bin wirklich müde vom Umzug.”
Dieser antwortete verständnisvoll: “Ja klar, ich bringe dich nach Hause.”
“Oh, das ist nicht nötig.”
“Nein, kein Problem. Natürlich nur, wenn du willst.”
Marie lächelte. „Gerne.", sagte sie schließlich. "Ich muss mich nur noch schnell von meiner Mitbewohnerin verabschieden.“
Gemeinsam machten sich Max und Marie auf den Weg nach draußen. Auf der Terrasse, umgeben von einem Kreis von Gesprächen, entdeckten sie Isabell, die zwischen zwei alternativ gekleideten Studenten stand.
„Max begleitet dich nach Hause?“ flüsterte Isabel überrascht, während sie Marie eine herzliche Umarmung gab. Ihre Augen funkelten neugierig.
„Ja, das ist doch okay, oder?“ antwortete Marie mit einem fragenden Unterton.
„Oh, natürlich! Max ist echt cool." Isabel hielt kurz inne. "Macht es dir wirklich nichts aus, wenn ich noch ein bisschen bleibe? Falls du möchtest, kann ich auch mit dir mitkommen.“
„Kein Problem, Isabell. Bleib ruhig noch und genieße die Party. Wir sehen uns morgen.“
Mit einem letzten, freundlichen Winken verabschiedeten sich Max und Marie von den Feiernden.
Abseits der Party breitete sich ein Gefühl der Ruhe aus. Die Nacht war still und beinahe intim, als die beiden sich durch die ruhigen Straßen auf den Weg zu Maries Unterkunft machten.
„Und warum studierst du hier?“ hörte sich Marie sagen, und ärgerte sie sich über die einfallslose Frage.
Max schien es jedoch nicht zu bemerken. Er überlegte kurz, bevor er antwortete: „Wenn ich ehrlich bin, weil mich meine Eltern sonst enterben würden. Politik und Diplomatie sind nicht gerade mein Ding, aber als professioneller Musiker – das ist für meine Eltern keine Option.“ Er zuckte mit den Schultern und warf Marie einen abwartenden Blick zu. „Sag bloß, du bist tatsächlich an dem ganzen Kram interessiert?“
Marie zögerte, bevor sie antwortete. „Naja, eigentlich hatte ich nie wirklich eine Wahl. Schon immer war klar, was ich im Leben machen werde.“ Sie hielt inne, um ihre Gedanken zu sammeln, und fügte dann hinzu: „Aber ich sehe es so: Ich wurde zufällig in eine Familie geboren, die viel Einfluss hat. Für mich ist es eine Art Pflicht, dieses Privileg zu nutzen. Deshalb habe ich nie ernsthaft darüber nachgedacht, was ich sonst machen könnte.“
Max steckte die Hände in die Hosentaschen und zuckte kurz mit den Schultern. „Hmm.“
„Was?“ fragte Marie und sah ihn auffordernd an.
„Nichts. Ich finde das süß.“
„Süß?“ wiederholte Marie empört.
„Sorry, das war das falsche Wort,“ korrigierte sich Max schnell. „Ich meinte, es ist bewundernswert, wie idealistisch du bist. Aber ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass die Menschheit noch zu retten ist. Am Ende gewinnen doch immer die Gierigen und Egoistischen. Deshalb tue ich mir selbst einen Gefallen und halte mich von der Politik fern. Entweder man wird von den Machtgeilen zermalmt, oder man wird selbst korrupt.“
Nun war Marie diejenig, die mit den Schultern zuckte. „Hmm.“
„Was?“ fragte Max nun lachend, ein wenig überrascht von ihrer Reaktion.
„Ich glaube dir nicht, dass du das wirklich so siehst,“ sagte Marie, während sie ihn neugierig musterte. „Ich denke, entweder hast du ein schlechtes Gewissen und redest dir nur ein, dass sowieso alle schlecht und korrupt sind, damit du gar nicht erst versuchen musst etwas zu verändern – oder du hast Angst.“
„Angst? Wovor?“ Max wirkte interessiert, aber auch ein wenig herausgefordert.
„Keine Ahnung. Das müsstest du mir schon selbst sagen.“ Marie hielt an, als sie vor ihrem neuen Wohnhaus ankamen. Sie drehte sich zu Max um und sah ihm direkt in die Augen.
Für einen Moment herrschte Stille zwischen ihnen, die Luft schien vor Spannung zu knistern. Max öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch dann schloss er ihn wieder, als hätte er es sich anders überlegt.
Max rieb sich nachdenklich das Kinn. „Okay, darüber muss ich wohl erstmal nachdenken. Danke auf jeden Fall für die nächtliche Psychotherapiestunde. Wie viel schulde ich dir?“
„Heute ausnahmsweise umsonst,“ entgegnete Marie.
Beide lachten, und für einen kurzen Moment verfingen sich ihre Blicke ineinander. Es war, als ob eine unausgesprochene Frage im Raum hing, eine, die weder Max noch Marie zu stellen wagten. Maries Herz schlug schneller, und ein seltsames, aber nicht unangenehmes Kribbeln breitete sich in ihrem Magen aus.
Nach ein paar langen Sekunden, in denen keiner von beiden wusste, was als Nächstes zu sagen wäre, räusperte sich Max schließlich und durchbrach die Stille. „Nun, ich muss jetzt auch nach Hause. Es hat mich wirklich gefreut, Marie. Wir sehen uns dann am Montag im Unterricht.“
Er machte kehrt und begann, die Straße zurückzugehen, entlang der sie eben noch gemeinsam geschlendert waren. Marie beobachtete ihn einen Moment lang, wie er in der Dunkelheit verschwand. Ein leiser Seufzer entwich ihr, als sie alleine vor ihrem Wohnhaus stand, noch immer das seltsame Kribbeln im Bauch und die Wärme ihres gemeinsamen Gesprächs in ihrem Herzen spürend.
Sie drehte sich schließlich um und ging ins Haus, das Lächeln auf ihren Lippen verriet, dass die Nacht anders verlaufen war, als sie es erwartet hatte.