Kapitel 3
Ruckartig richtete ich mich auf, mein Atem ging stoßweise.
Ich versuchte etwas in der Dunkelheit zu erkennen, aber ich
sah nur Schwärze. Ich ließ mich wieder in die Kissen fallen
und atmete tief durch, was war das doch für ein
schrecklicher Albtraum. Ich hatte doch tatsächlich geträumt
das Wolf, kurz nach dem wir miteinander geschlafen hatten,
mich verlassen hatte. Was ich doch immer für einen
Blödsinn träume.
Ich drehte mich auf die Seite um mich an Wolf zu kuscheln,
aber er war nicht da.
Hastig machte ich das Licht an und richtete mich auf,
tatsächlich lag Wolf nicht mehr neben mir. Oder hatte ich es
nur geträumt, das wir miteinander geschlafen hatten, ein
Blick an mir runter sagte mir aber, das das kein Traum war,
denn warum sollte ich sonst vollkommen nackt im Bett
liegen.
Ich schlug die Decke zurück und stand auf, da ich aber nicht
nackt durch mein Haus rennen wollte, zog ich mir meinen
Bademantel über und fing dann an, nach Wolf zu suchen.
Überall sah ich nach ihm, aber nirgends fand ich ihm, es war
also doch kein Traum gewesen, es war real, er hatte mich
wirklich verlassen. Fix und Fertig ließ ich mich auf das Sofa
fallen. Es dauerte nicht lange und dann kamen die Tränen
schon, ich fing an bitterlich zu weinen.
Wieso hatte er mich nur verlassen? War ich so schlecht
gewesen? Oder wollte er nur seinen Spaß und mehr nicht?
Und das obwohl Wolf der Erste ist, für den ich mehr als
Schwärmereien empfinde. Wäre da nicht mehr, hätte ich nie
mit ihm geschlafen, hätte nie meine Unschuld auf Spiel
gesetzt.
Naja das spielt jetzt auch keine Rolle mehr, es ist passiert,
ich bin keine Jungfrau mehr und der Mann der mich
entjungfert hat, ist abgehauen.
Ich schlang meine Arme um mich, in der Hoffnung das Beben
meiner Schultern nicht mehr so mitzubekommen, aber es
wurde nicht besser sondern noch viel schlimmer.
Ich kauerte mich auf dem Sofa zusammen und schloss
meine geschwollenen Augen.
Ich wurde von einem durchgehenden Schütteln wach. Ein
Erdbeben hier? Aber da war noch etwas außer dieses
Schütteln, eine Stimme und die Stimme rief meinen Namen.
„Anna, wach schon auf. ANNA.“
Ich grummelte etwas vor mich hin, aber das Schütteln wurde
dadurch nicht weniger.
Langsam öffnete ich meine Augen, ich musst einige Male
blinzeln, damit ich überhaupt etwas sah. Als sich meine
Augen an das Licht gewöhnt hatten, fiel mir sofort auf, wer
für das Erdbeben verantwortlich war. Paul, er kniete vor mir
auf dem Boden und sah mich besorgt an.
„Hey was ist los? Du siehst furchtbar aus.“
Ohne auf seine Frage zu antworten stand ich auf und wollte
einfach nur weg von ihm, ich wollte allein sein.
Aber Paul hielt mich fest.
„Ich sehe doch, das du geweint hast, deine Augen sind
geschwollen und du hast auf dem Sofa geschlafen, was du
sonst nie machst.“
Ich kämpfe gegen weitere Tränen an, schaffte es aber nicht.
Paul nahm mich in seine Arme und ich ließ alles raus. Paul
sprach beruhigend auf mich ein und so war nach wenigen
Minuten die letzte Träne auf seinen Pullover getropft.
„Geht's wieder?“
Ich nickte nur, ich brachte kein Wort hervor meine Kehle war
wie zugeschnürt.
„Du gehst jetzt nach oben und stellst dich mal unter 'ne
kalte Dusche, vielleicht hilft das ein bisschen.“
Mit hängenden Kopf ging ich an Paul vorbei, nach oben.
Blieb aber auf der letzten Stufe stehen um zu lauschen mit
wen Paul da redete.
„Was war denn gerade los? Sie weint doch nicht ohne
Grund.“ hörte ich die Stimme meiner einzigen Freundin Nina.
„Ich habe keine Ahnung, was das gerade war, aber sie muss
die ganze Nacht schon geweint haben, so angeschwollen
wie ihre Augen sind.“
Nina antwortete etwas, aber ich verstand den Sinn ihrer
Worte nicht. Aber auch aus Pauls Antwort wurde ich nicht
schlau. Es hatte einfach keine Sinn weiter zu lauschen,
deshalb ging ich ins Bad. Ich drehte den Wasserhahn auf
und ließ das heiße Wasser in die Badewanne laufen. Paul
und seine kalte Dusche, dabei weiß er doch ganz genau das
ich nur eine Badewanne habe.
Ich ließ meinen Bademantel auf den Boden fallen und stieg
in die Wanne.
Das warme Wasser tat so gut, das ich meine Augen schloss
und den gestrigen Tag revue passieren lies.
Ruckartig schlug ich die Augen auf, als ich an der Stelle
angekommen war, an der ich wegen meines Traumes wach
geworden war.
Ich stieg aus der Wanne, trocknete mich ab und schlufte
dann in mein Schlafzimmer. Natürlich kamen hier die
Erinnerungen noch deutlicher hoch und so griff ich nach
irgendwelchen Sachen und flüchtete wieder in Bad.
Als ich fertig war, schlich ich nach unten und setzte mich an
den kleinen Esstisch, an dem auch Nina und Paul saßen.
Beide sahen mich durchdringend an, ich versuchte einen auf
heile Welt zu machen und setzte ein übertriebenes Lächeln
auf, das zu übertrieben war, denn die beiden sahen mich
jetzt noch durchdringender an.
„Kannst du uns bitte mal sagen was los ist? Du weinst doch
nicht ohne Grund.“ durchbrach Nina die Stille.
Ich konnte den beiden einfach nichts vormachen, sie
kannten mich einfach schon zu gut.
Wie viele Jahre kannte ich jetzt allein Nina schon. Unsere
Freundschaft ist im Sandkasten entstanden, als ich gerade
mal vier war. Seid jenem Tag waren wir unzertrennlich und
Nina wurde für mich so was wie eine Schwester. Was hatten
wir doch alles miteinander erlebt, die erste Schwärmerei, der
erste Pickel, die Pubertät und die erste Liebe.
Die erste Liebe, oder besser gesagt Ninas erste Liebe.
Das war damals in der siebten Klasse als Paul zu uns in die
Klasse kam, Nina war sofort hin und weg. Und plötzlich war
ich für sie uninteressant, es zählte nur noch Paul mehr
nicht.
Ich lernte Paul erst näher kennen als er mit Nina zusammen
war, wir verstanden uns auf Anhieb prima, was bei Nina aber
für Eifersuchtsattacken sorgte. Es dauerte Monate bis sie
kapiert hatte, das Paul für mich nicht mehr war als ein
Bruder, ein Freund der immer für mich da war wenn ich ihn
brauchte. Aber seid dem Tag sind wir drei unzertrennlich.
„ANNA KATHARINA, WIR REDEN MIT DIR!“ hörte ich Pauls
kräftige Stimme.
Ich sah sie entschuldigend an und sagte dann: „Ich hatte
nur ´nen Albtraum.“
„Das kannst du sonstwem erzählen, aber nicht uns, also was
ist los?“
„Es ist nichts. Ich hatte nur einen Albtraum mehr nicht.“
versuchte ich die beiden zu beruhigen und gelogen war es
nicht, schließlich hatte ich den Albtraum meines Lebens
hinter mir.
„Anna!“ Böse funkelten mich Ninas Augen an.
„Was?“
Plötzlich schlug Paul mit der Faust auf den Tisch, ich zuckte
zusammen.
Ich sah ihn nicht an, aber ich spürte seinen tobenden Blick
auf mir.
Erst als Nina ihm mit einen Kopfschütteln zu verstehen gab,
dass er so auch nichts aus mir rauskriegen würde, wagte ich
mich ihn anzusehen. Seine Züge hatten sich etwas
aufgehellt aber sie strahlen immer noch was beängstigendes
aus.
„Wir machen uns doch nur Sorgen um dich, Anna. Es merkt
doch sogar ein Blinder, das du was hast.“ sprach Paul mit
bemüht ruhiger Stimme, wäre Nina nicht hier, hätte er mich
jetzt angeschrien.
„Wir wissen alle, dass es Jahre her ist, das du in Gegenwart
von Paul geweint hast. Also muss es doch was Ernsteres
sein als das letzte Mal, denn da hast du nur geweint wenn
ich da war“, redete Nina weiter auf mich ein.
Ich sah auf meinen Teller, ich brachte es einfach nicht fertig
etwas zu sagen.
„Soll ich euch alleine lassen?“ fragte mich Paul.
Ich schüttelte meinen Kopf, nein, gerade jetzt sollte nicht
der Mensch gehen, der soviel Ruhe und Geborgenheit
ausstrahlte.
„Dann sagst du uns doch endlich was los ist?“ sagte Paul
mit seiner charmanten Stimme.
„Naja ich weiß nicht, ihr lacht mich bestimmt aus, wenn ich
euch sage, was mich bedrückt.“
„Haben wir dich jemals ausgelacht?“ platze es aus Nina
heraus.
„Nein, habt ihr nicht, aber ihr werdet es dieses Mal
bestimmt machen.“
„Wir werden es auch dieses Mal nicht machen, wir haben es
nie gemacht und werden es auch nie machen.“ kam es von
Paul, während er mich erwartungsvoll ansah.
„Also, ich hab vor ein paar Tagen einen.....“ ich brach ab und
sah auf den Tisch.
„Einen was?“ hackte Nina nach.
„M...a...n...n“ ,stotterte ich vor mich hin.
„Ja.. und weiter?“
„Getroffen“ stotterte ich weiter.
„Schaffst du es jetzt schon nicht mehr, Sätze zu bilden?
Oder sollen wir aus deinen Gestotter schlau werden?“
tadelte mich Nina.
Ich holte tief Luft und schrie fast: „Ich hab vor ein paar
Tagen einen Mann getroffen!“
„Jetzt sind wir ja schon mal etwas weiter, du hast also
einen Mann getroffen und dann?“ sprach Paul mit seiner
ruhigen Stimme.
„Hast du ihn angesprochen?“
Ich nickte und lief rot an.
„Hey, ist doch kein Grund rot zu werden nur weil du einen
Man angesprochen hast. Aber was ist dann passiert? Nur
wegen dem fängst du doch nicht zum weinen an.“ Nina
nahm meine Hand ihn ihre und sah mich aufmunternd an.
„Ich weiß nicht, wie ich das sagen soll.“
„Weißt du was, während du überlegst gehe ich die Teller
spülen und vielleicht willst du es ja lieber Paul erzählen als mir.“
Nina ließ meine Hand los, stand auf, räumte die Teller
zusammen und verschwand in der Küche.
„Willst du mich jetzt nur anschweigen oder erzählst du doch
was los ist?“ fragte mich Paul mit schief gelegten Kopf.
„Ich habe ihn angesprochen und mit zu mir genommen. Hier
hatte er dann das Bewusstsein verloren und ich hatte ihm
bei mir aufgenommen. Ich konnte ihn nicht so da rumliegen
lassen, er sah so verletzlich aus. Naja, ist ja auch nicht so
wichtig. Als er dann wieder zu sich kam erzählt er mir woher
er kam, wie er hieß und was er hier machte.“ erzählte ich
Paul die Grobheiten unserer Begegnung.
In seinen Augen lag Entsetzen und er sagte: „Das ist doch
wahnsinnig, du nimmst irgend welche Männer mit nach
Hause, ohne an irgendwelche Folgen zu denken? Er hätte
dich umbringen können, ausrauben oder vergewaltigen. Ich
dachte eigentlich, du wärst vernünftiger!“
„Er hat es aber nicht.“
„Trotzdem war das wahnsinnig. So was zu machen wo man
doch täglich von Vergewaltigungen in der Zeitung liest.
Liegt dir nichts mehr an deinem Leben oder was ist los mit
dir?“ Niedergeschlagen sah er an mir vorbei.
„´Türlich liegt mir was an meinem Leben, aber Wolf hätte
das nie ohne meine Erlaubnis gemacht.“ schoss es aus mir
raus und gleichzeitig hätte ich die Worte gerne
zurückgenommen.
„Nicht ohne deine Erlaubnis? Du hast mit ihm geschlafen?“
drang Ninas Stimme aus der Küche zu mir.
Ich merkt wie ich rot anlief und sah nur noch verlegen zu
Boden.
Nina packte mich an den Schultern und fing an mich zu
schütteln: „Du hast was?“
Mir war das so peinlich das ich Ninas Hände von mir
schüttelte und in das Wohnzimmer verschwand. Ich setzte
mich auf das Sofa, auf dem ich einen Tag zu vor auch schon
saß und sah nach draußen. Wie lange hatte ich wohl
geschlafen hatte? Denn draußen war es mittlerweile schon
dunkel.
Es dauerte auch nicht lange, dann waren Nina und Paul mir
nachgekommen.
Sie hatten sich davor leise in der Küche unterhalten, aber
ich hatte wie vorhin kein einziges Wort verstanden, was sie
da sagten ergab einfach keinen Sinn.
Die beiden setzten sich auf das andere Sofa und sahen mich
an, öffneten ihre Lippen und schlossen sie gleich wieder.
Minutenlanges Schweigen herrschte, bis Nina den Mut fand
mich etwas zu fragen: „Es war dein erstes Mal oder?“
Ich nickte verlegen, mir war es peinlich in Gegenwart von
Paul darüber zu reden.
„Ich fass es nicht, Anna was hast du dir dabei gedacht? Du
wolltest doch immer auf den Richtigen warten oder hast du
deinen Vorsatz jetzt etwa über Bord geworfen? Oder hat er
dich doch vergewaltigt?“ Paul bebte vor Zorn.
„Lass gut sein Paul, du machst nur alles schlimmer.“ fuhr
ihm Nina an und fuhr dann an mich gewandt weiter: „Er hat
dich nicht dazu gezwungen?“
„Nein, hat er nicht, er hat mich sogar vorher noch gefragt ob
ich es wirklich will.“
„Und du wolltest es?“ Nina wollte mir wohl nicht glauben.
„Ja verdammt noch mal ja! Ich wollte es, weil .... er .... er er
war der Erste, für den ich keine Schwärmerei empfand,
sondern mehr.“
„Das erklärt natürlich warum es dir so schei*ße geht.“
Nina stand auf und zog mich in ihre Arme. Sie drückte mich
an sich und flüstert mir dann ins Ohr: „War es wenigstens
schön?“
„Ja, es tat nur am Anfang etwas weh.“ flüsterte ich zurück.
„Freu dich. Bei mir tat es die ganze Zeit weh.“
Ich musste lachen und Nina lachte mit.
Als wir uns wieder eingekriegt hatten, ließ Nina mich los und
meinte: „Ich würde mal sagen es wird Zeit, das wir mal
wieder gehen, oder soll ich bei dir bleiben?“
„Geh nur nach Hause, mir geht es jetzt schon viel besser.“
„Aber wenn was sein sollte....“
„Rufe ich dich an und sage es dir.“ unterbrach ich Nina
Sie griff nach Pauls Hand zog ihn hinter sich her.
An der Tür sagte Nina noch: „Vergiss nicht, was ich gesagt
habe.“
Und verschwand dann mit Paul im Schlepptau in der
Dunkelheit.
Als ich mich wieder auf das Sofa fallen ließ, hörte ich noch,
wie Nina Paul an schrie: „Du bist so ein Esel. Merkst du
nicht das es diesmal was Ernstes ist?!“
Ja, wie Recht sie hatte, es war mir sehr ernst mit Wolf, aber
er war weg. Nie wieder würde ich ihn sehen, ihn berühren,
seine Stimme hören oder in mir spüren.
Wieder kamen die Tränen.
Fortsetzung folgt