16. Kapitel
Ich ging langsam weiter die Straßen entlang. Immer wieder überlegte ich, ob ich nicht doch umkehren und den Job annehmen sollte. Putzfrau war kein schlechter Beruf. Man musste wischen, saugen, schrubben. Das konnte ich. Aber würde das genug Geld bringen?
Ich wollte nicht auf der Stelle treten, sondern vorwärts kommen und mit einem kleinen Einkommen würde ich mich vielleicht gerade so über Wasser halten können.
Unsicher lief ich weiter.
Plötzlich stand ich wieder vor diesem Monsterhaus...
Hier würde ich niemals Glück haben. Die brauchten niemanden, der
Bilder malte und Vasen töpferte oder "feucht durchwischte".
Hier hatte ich schon einmal gestanden und nicht einmal darüber nachgedacht, nach einem Job zu fragen. Aber nun?
Dies war ein Verlag, vielleicht brauchte er jemanden, der Druckerpatronen umhertrug und Altpapier aß...
"Fragen kostet nichts.", hörte ich Sophias Stimme in meinem Kopf, "Wer nicht fragt, bleibt dumm!"
Mit dieser Motivation betrat ich das Verlagsgebäude.
Schon in der Eingangshalle hörte ich nichts mehr, außer meinem Herzen, das versuchte, sich einen Weg durch meinen Brustkorb zu bahnen. Ich hielt die Luft an, doch das brachte nichts.
Ich sah mich um. Es gab einen Tresen und 3 Fahrstühle, außerdem gab es eine Sitzecke mit Fernseher. Wer sogar auf der Arbeit im Luxus lebte, für den gab es doch kaum einen Grund, außer vielleicht die Familie, nach Hause zu gehen.
Ein Mann diskutierte mit der Dame hinter dem Thresen.
"Tut mir leid, George, ich finde deine Karte nicht.", sagte sie zu ihm.
Er schüttelte den Kopf: "Sie muss da sein!", sagte er.
Sie sah ihn mitleidig an. Ich ging langsam auf den Thresen zu.
Ich stand hinter George und sah die Dame hinter dem Thresen an.
"Was kann ich für Sie tun?", fragte sie mich und entschuldigte sich noch einmal bei George.
"Ich bin hier für ein Vorstellungsgespräch.", sagte ich, "Ich suche einen Job."
Sie wollte gerade auf einen Knopf drücken, und über eine Sprechanlage mit jemandem reden, als jemand hinter mich trat.
"Vielleicht kann ich Ihnen helfen.", bot eine dunkelhäutige Dame an, "Ich bin Stacy Chapell."
"Hallo! Ich heiße Maya Brians. Ich suche einen Job und wollte hier nachfragen, ob es ein freies Stellenangebot gibt.", sagte ich.
"Das habe ich mitbekommen. Folgen Sie mir doch bitte.", forderte Stacy mich auf, mitzukommen.
Ich stellte mich also vor den Fahrstuhl und wartete, dass Stacy kam.
"Der kommt heute wohl nicht mehr.", sagte eine andere Dame, die schon etwas länger vor dem Fahrstuhl stand.
Endlich standen wir im Fahrstuhl. Es war mir wie eine halbe Ewigkeit vorgekommen, die wir gestanden und gewartet hatten, auch, wenn es drei Fahrstühle gab.
"Entschuldigen Sie die Frage, aber... haben Sie keinerlei Unterlagen dabei? Schicken Sie sie per E-Mail?", fragte Stacy mich plötzlich.
"Oh, ich...", stotterte ich. Ich hasste diese Schwäche an mir. Ich konnte nicht einmal so tun, als wäre ich selbstsicher, ich wurde rot und konnte mich nicht mehr artikulieren, wenn ich mich unwohl fühlte.
"Oh, das ist doch gar kein Problem. Sie können die Unterlagen auch nachreichen, denke ich. Wichtig ist für Mr. Forther zunächst der erste Eindruck. Er wird es tolerieren.", sagte Stacy und ich erwartete, mein Herzrasen würde nachlassen, doch dies war nicht der Fall - leider.
Ich atmete tief ein.
"Hoffentlich haben Sie recht.", sagte ich, bevor die Fahrstuhltür sich öffnete.
Vor uns erstreckte sich ein langer, weißer und verwinkelter Gang, von dem mehrere Glastüren abgingen und sich dahinter ebenso weiße, kalte Räume zeigten. Ich bekam eine Gänsehaut. Ich spürte förmlich den Drill, den ich hinter den Türen vermutete.
Diese Umgebung machte mich sofort unterwürfig und ich fing an, zu träumen.
Alles verschwamm und vor meinem inneren Auge spielten sich Szenen ab, die typisch für "Der Teufel trägt Prada" wären, aber nicht für mein jämmerliches Leben als graue Maus.
Ich selbst war es, die nun den langen Gang entlanglief, mit kaltem Blick, den ich unter einer großen Sonnenbrille verbarg. Ich stöckelte stur auf dem weißen Teppich entlang und sog die warme Luft ein, um sie kalt auszuatmen.
"An die Arbeit!", fuhr ich George an, der gerade aus seiner Tür trat, "Die Entwürfe müssen heute fertig werden! Sie hatten gerade Pause. Wenn Sie die 30 Sekunden nicht nutzen, haben Sie Pech!"
Empört schritt ich weiter und ließ verwirrte Mitarbeiter zurück, die sich über mich aufregten, über die "alte Hexe"...
"Entschuldigung", sagte plötzlich eine Mitarbeiterin, "Hallo? Träumen Sie? Sie wollten doch mit Mr. Forther sprechen."
Erst langsam nahm alles wieder seine Gestalt an, nichts wirkte mehr verschwommen und ich wachte aus meinem Tagtraum auf.
"Was?", fragte ich verträumt und bemerkte, dass Stacy versucht hatte, meine Aufmerksamkeit zu erlangen.
"Sie wollten doch mit Mr. Forther sprechen, oder nicht?", fragte sie nochmals und ich nickte verwirrt.
"Dann folgen Sie mir bitte."
Ich schämte mich noch immer für meine Träumerei, die ich schon seit meiner Kindheit habe. Ich konnte nichts dagegen tun, doch wenn meine Mutter mit mir beim Arzt gewesen war, war uns immer gesagt worden, dies wäre normal und würde sich verwachsen. Mich nervte es. Doch Stacy hatte andere Sorgen.
"Diese Übelkeit.", sagte sie und rieb sich den Bauch, "Ich könnte mich seit Kurzem nur noch übergeben.". Mich überkam sofort eine Erahnung und ich lächelte.
Doch ich kam leider nicht dazu, meine Vermutung zu äußern, sie sei schwanger, da sie zur Tür des Büros wies, in dem anscheinend Mr. Forther saß.
"Ich habe hier jemanden, der sie sprechen möchte.", sagte sie, als sie den Kopf durch die Tür steckte. Dann schickte sie mich hinein und ging.
Ich betrat den weißen Raum, der perfekt zum Flur und der Eingangshalle passte. Ich sah mich um und hörte sofort das Geräusch der Tastatur, die unaufhörlich traktiert wurde.
"Kommen Sie rein.", begrüßte mich ein junger Mann, der am Computer saß und tippte.
Hier gab es eine kleine Ecke, in der ein Kaffeautomat und eine Mikrowelle standen, außerdem gab es einen Kicker und viele leere Regale.
Zudem hing ein riesiger Fernseher an der Wand, wie es ihn auch in der Empfangshalle gab und eine einzige Pflanze stand vor dem großen Fenster, durch das man auf die Stadt sehen konnte.
Ich setzte mich auf den Stuhl direkt vor dem Schreibtisch und wartete, bis ich aufgefordert wurde, zu reden.
"Guten Tag, ich bin Leighton Forther.", sagte der Mann und lächelte.
"Hallo. Ich heiße Maya Brians.", sagte ich.
"Weswegen sind Sie genau hier?", fragte er und ich schluckte sofort.
"Nun ja, ich... wollte mich um eine Stelle bewerben, da ich schon lange auf der Suche nach Arbeit bin.", erklärte ich.
"Aha. Haben Sie Zeugnis und Lebenslauf dabei?", fragte er und ich atmete tief ein, bevor ich langsam den Kopf schüttelte.
"Nein. Mein Notendurchschnitt des Abgangszeugnisses war 1,6. Ich bin erst 18 Jahre alt, aber ich habe eine Klasse übersprungen und deshalb bin ich schon fertig mit der Schule. Ich... schrieb in den Klausuren gute Noten, in Mathe eine 2, in Deutsch eine 1 und ich Spanisch auch eine..."
"Verzeihung, wenn ich Sie unterbreche,...", entschuldigte sich Mr. Forther, "...aber es reicht mir, wenn Sie das alles nachlegen."
Ich atmete auf und trotzdem ohrfeigte ich mich innerlich, mich dem Geschwafel so hingegeben zu haben und von einem Fettnäpfchen ins nächste gehüpft zu sein.
"Kaffee?", fragte er dann und als ich nickte, stand er auf und ging zu seiner Kaffeemaschine.
"18 also... Und Sie suchen schon lange nach einem Job? Das ist ungewöhnlich, normalerweise lebt man mit 18 bei den Eltern oder jobbt, aber gleich eine Festanstellung? Nun ja, wir können gute Mitarbeiter gebrauchen.", erklärte er und ich fühlte mich besser, wenn er die Sprechrolle übernahm.
"Meine Eltern sind tot. Und ich zog hierher, um neu anzufangen. Deshalb bin ich hier und ich dachte, ich kann ja mal mein Glück versuchen. Schreiben ist eine meiner Leidenschaften und ich dachte, ich könnte hier arbeiten... irgendwie."
"Ihr Schicksal ist sicherlich nicht leicht zu ertragen, aber Ihre Glaubwürdigkeit müsste natürlich gestärkt werden, durch den Lebenslauf beispielsweise, den Sie, wie gesagt, nachlegen können."
Ich nickte vertsändinsvoll.
Mir gefiel seine Art, distanziert und doch persönlich und ich fragte mich, wie alt er war.
Kurz darauf saßen wir mit Kaffeetassen da und schlürften die zugegebenermaßen nicht sehr schmackhafte, braune Brühe.
Mr. Forther schien dies zu bemerken.
"'Ne ganz billige Firma.", sagte er und deutete auf den Kaffee, "Ich bin noch nicht dazu gekommen, hier klar Schiff zu machen und die alte Maschine durch eine neue auszutauschen. Genauso habe ich hier noch nichts eingeräumt, Sie sehen ja, dass die Schränke leer sind."
Fragend sah ich den symphatischen Mann an.
"Achso, ich bin erst seit Kurzem hier, habe den Verlag von meinem Vater übernommen und muss mich erst eingewöhnen.", erklärte er.
"Ich bin auch erst 20. Nicht das Alter, um so eine Aufgabe zu übernehmen, finde ich, doch mein Vater war suizidgefährdet und ist... letztendlich diesem Drang zum Opfer gefallen."
Er schien keine Scham zu haben, alles zu erzählen, was ihn bedrückte.
Ich nickte verständnisvoll.
"Ich denke, ich möchte Sie nicht dem Stress dieses Verlags aussetzen, aber ich bräuchte einen Babysitter und ich würde Sie sehr gut bezahlen.", sagte er kurz angebunden.
Kurz war ich enttäuscht, zu wissen, dass er Kinder hatte. Doch das machte die Sache sehr leicht für mich. Wenn ich ein gutes Einkommen hatte, war es perfekt, denn ich liebte Kinder und konnte mich gut mit ihnen beschäftigen.
"Wirklich? Und das macht Ihnen keine Umstände?", fragte ich dann.
"Natürlich nicht, denn Sie sind mir symphatisch und einen Babysitter brauchte ich noch. Natürlich müssen wir uns vorher kennenlernen. Und sie müssen Aramea kennenlernen, ganz klar", sagte er und ich fühlte mich sehr geehrt.
"Ich habe mich von meiner Frau, mit der ich ein Jahr lang zusammen war, vor einem Monat getrennt. Ich bekam das alleinige Sorgerecht und bin somit Vater einer kleinen Tochter, für die ich alleine nicht sorgen kann."
"Ich würde das sehr gerne machen.", sagte ich und freute mich sehr.
"Gut, wir telefonieren auf jeden Fall noch einmal.", bestätigte er mir und ich kritzelte meine Telefonnummer auf einen Zettel, den er mir hinschob.
Ich stand auf, lächelte noch einmal und verabschiedete mich höflich.
Ich wollte unbedingt weiterreden, aber es war gerade keine Zeit dazu und das verstand ich.
Ich wunderte mich noch immer, warum ich diesen ehrenwerten Job versprochen bekam, wenn ich noch nicht einmal erzählt hatte, dass ich kein Seepferdchen hatte und trotzdem schwimmen kann, dass ich gerne male, oder, dass ich nicht rauche.
"Wiedersehen. Sie sind meine Rettung.", sagte er noch und sah mich an, dass mir das Herz zerfloss.
Glücklich, wie fast noch nie, stand ich im Fahrstuhl. Ich wusste nicht, was es war, aber ich fühlte mich, als würde ich fliegen.
Ich war froh und angetan von meinem Arbeitgeber und musste mich zurückhalten, nicht zu schreien vor Freude.
Ich verließ das Gebäude und war unglaublich erleichtert, konnte es kaum fassen. Ich hatte Arbeit, gut bezahlte Arbeit. Und ich konnte hoffentlich bald anfangen, zu arbeiten...
An diesem Nachmittag kam ich glücklicher denn je in meinem kleinen Häuschen an. Ich konnte es nicht glauben, die ganze Zeit lang hatte ich gewartet, dabei war mein Glück so nahe gewesen.
Glücklich rief ich Shady an.
"Ich muss dir was erzählen. Können wir uns treffen?", fragte ich und war bereit, der ganzen Welt entgegen zu schreien: "ICH habe ARBEIT!!!!"
So, das Kapitelchen war wieder etwas länger, ich hoffe, es hat euch gefallen.
Außerdem freue ich mich natürlich auf zahlreiche Kommis.
S.I.M.S.