*FS* Saigo no Koufukuron *FS abgeschlossen*

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Ozelot

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Dezember 2003
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44
Ort
Cydonia (Mars)
Hoi ihr Leseratten!

Nuja, ich hab bisher noch nie ne Sims Fotostory gemacht. Dennoch fiel mir nach langen Grübeleien ein Thema ein, über das ich schreiben wollte. Es wird keine Teenager-Liebesgeschichte, und manchen wird sie vielleicht zu langweilig, da die Szenerie sich nicht ändert und alles sehr schlicht gehalten ist, und in in einigen wird sie vielleicht Empörung und Unverständnis hervorrufen, aber es ist die Geschichte, die ich schreiben will.

DIESE GESCHICHTE IST BEREITS VOLLENDET


Benachrichtigt wurden:

LucyvdPelt
*Lisa*
Mailin
Japanese
Möhrenmuffin
LadySims2Fan
Mimi14
LiT
gutes sims girl
Lucy_Nyu


Um Traffic zu vermeiden, habe ich die Bilder offline genommen. Wer die Geschichte trotzdem noch lesen will, kann das HIER tun....
 
Zuletzt bearbeitet:
damit sorgst du auf jeden fall wieder mal für abwechslung hier.

an die kargen fotos muss man sich erst gewöhnen, aber sie passen ja zur story und bei den rückblenden zeigst du ja auch ganz klar, dass du es auch anders machen könntest, wenn du wolltest.

toller text - sehr natürlich und stark geschrieben - normalerweise warte ich ja immer bis ich mich benachrichtigen lasse, aber wenn du das tust würd ich mich drüber freun, denn die geschichte mag ich eigentlich nicht aus den augen verlieren.

glg

lucy
 
Dankesehr :) Ja, diese karge Umgebung muss sein, deshalb meinte ich ja, wird sie einigen wohl zu langweilig erscheinen.

Aber da ich noch nie ne Fotostory geschrieben hab, hab ich auch keine Ahnung von Benachrichtigungen. Wie funktioniert das? Via PN? Dann benachrichtige ich dich :)
 
Hi :)

Ein gelungerner Anfang, finde ich :) Liest sich schön flüssig und die Bilder mag ich sehr. Keine Ahnung, warum, aber die Kulisse hat mir sofort "Theaterinzinierung" ins Hirn gebrüllt *lol* Vermutlich, weil es so sparsam ist. Gefällt mir total gut, denn es passt ja auch ...
Ich bin jetzt aber natürlich mega-gespannt, ob Du das auch durchziehen wirst. Könnte schwierig werden, wenn "das Auge des Betrachters" eben durch keinen Firlefanz abgelenkt werden darf, sondern allein die wenigen Details im Bild überzeugen müssen ;)

Zur Geschichte selbst kann ich ja noch nix weiter sagen, außer, daß mir gefallen hat, wie Du sie hast auf diese Filme anspielen lassen. Fand ich witzig ;)

Ich schaue auf jeden Fall wieder rein :)

bis dann,
Colabirne :)
 
Fortsetzung





Aus dem Wohnraum jenseits der Tür hörte man immer noch Musik. „Toshimi Tagawa“ huschte es über meine Lippen. In der Tat war es Toshimi Tagawa, deren Stimme man dort hörte. Untypisch für diese Lautstärke war das Genre dieser Musik, Enka. War doch gerade Enka eher die Musik der letzten und vorletzten Generation, mit ruhigen, sphärischen Klängen und Texten, in denen es meist um die Sehnsucht nach weit entfernten Orten ging oder um verflossene Lieben. Kein Mensch in meinem Alter hätte diese Art von Musik gemocht, bei all dem ausgelutschten Schmalz, den die Sängerinnen dort von sich gaben. „Das ist was für Leute jenseits der 40“ hatte Kaori immer gesagt.



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Wenn Enka wirklich nur von Japanern der älteren Generation gemocht wurde, so lag der Verdacht nahe, daß mein Entführer ebenfalls in dieses Altersschema paßte. Nicht, daß ich einem Jugendlichen solch eine Tat nicht zugetraut hätte! Aber es erschien mir in meiner grotesken Situation als sehr nützlich, Verdachte zu sammeln, auch wenn mich das Gefühl beschlich, diesen Ort nicht mehr lebend zu verlassen.

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Die Vorstellung, einem Organhändler in die Finger geraten zu sein, machte die mir die nächsten Stunden des Vegitierens in dem Raum zur Hölle. Wieviel Zeit war inzwischen vergangen? Ich wußte es nicht. Dieses Zimmer hatte kein Fenster, und das kalte Neonlicht schien schon seit einer gefühlten Ewigkeit. Ich schickte einen stillen Dank an meinen Magen, daß er mir bisher keine Nahrungsforderung schickte, und auch meiner Blase war ich dankbar, daß sie mich nicht zur Notdurft zwang. Das einzige, was ich mehr als deutlich verspürte, war die trockene Kehle und das Gefühl, einen sandigen Schwamm im Mund zu haben. Immer und immer wieder kreisten meine Gedanken um das Selbe. Wer konnte mir sowas angetan haben? Ich ging Schritt für Schritt aufs Neue alle Leute durch, die ich kannte, und sei es auch nur flüchtig gewesen, doch das Resultat blieb aus. Ich hatte keine Feinde. Ich hatte nichtmals Menschen um mich rum, die ich nicht leiden konnte. „Jedem Tierchen sein Plaisierchen“ hatte ich immer gesagt und auch nach diesem Motto gehandelt, wenn jemand eine für mich nicht nachvollziehbare Eigenart hatte. Diesen Spruch hatte ich erstmals in einem Onlinejournal einer lieben Bekannten damals in Deutschland gelesen, ihn für sehr wahr befunden und ihn mir zu eigen gemacht.



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Die Musik war inzwischen leiser geworden und die CDs hatten sich oft gewechselt. Ab und zu hörte ich das Geräusch von nackten Füßen auf dem Holzboden, aber keine Stimme drang aus dem Raum jenseits der Tür, die mir verriet, ob ich es mit einem männlichen oder weiblichen Entführer zutun hatte. Ich hatte darüber nachgedacht, mir die allmähliche Ruhe zu Nutze zu machen und wieder vor die Tür zu klopfen, tat es jedoch nicht. Ich wußte, daß mir niemand öffnen würde und fühlte mich dank der Resignation zu schwach, um aufzustehen. Hätte derjenige, der mich hier einsperrte wie einen bissigen Hund mit mir sprechen wollen, hätte er es längst getan.

Meine Gedanken schweiften ab.

Kaori…

Er hatte sich immer Sorgen um mich gemacht, wenn ich später als geplant nach Hause kam und mir dann in fast hysterischem Ton eine Standpauke gehalten, daß ich ja wenigstens hätte anrufen können. Und stets hatte ich ihm versucht zu erklären, daß ich alt genug wäre, um auf mich allein aufpassen zu können. Manchmal war ich regelrecht wütend auf ihn gewesen, denn immerhin war er nicht meine Mutter und ich kein fünfjähriges Kind.
„Leg dir endlich ein Handy zu!“ kam es jeden Morgen am Eßtisch von ihm und jetzt gerade bereute ich es, keines zu besitzen. Nun, vermutlich hätte man es mir eh abgenommen, bevor man mich hier einsperrte. Es war also vollkommen sinnlos, sich darüber den Kopf zu zerbrechen.



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Alles, was ich tun konnte war, die Hoffnung nicht zu verlieren, daß Kaori sich auch diesmal Sorgen machte und die Polizei einschaltete, bevor dieser Irre hinter der verschlossenen Tür mir die Organe entnehmen konnte. Ja, ich war mir mittlerweile sicher, einem Organhändler in die Hände geraten zu sein, denn ich neigte dazu, mir immer den Worst-Case auszumalen.

Von der Ungerechtigkeit, die mir in diesem Rattenloch zuteil wurde, stiegen mir erneut Tränen in die Augen und ich begann einen jämmerlichen Monolog zu halten, in welchem ich meinem Selbstmitleid freien Lauf ließ.





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Ich fühlte mich so elend. Das „Warum“ ließ mich nicht in Ruhe und verursachte mir schon beinahe stechende Schmerzen in der Magengrube. Was hatte ich nur getan? Warum ausgerechnet ich?? Ich schloß die Augen und begann zu träumen.

Wie sehr wünschte ich mich in diesem Augenblick zurück nach Hause. Schon damals als Kind hatte ich einen großen Sinn für’s Theatralische. Wollte ich von Punkt A zurück nach Hause und der Bus fiel aus, konnte ich mir stundenlang einreden, wie endlos miserabel diese Situation doch war und daß sowas grundsätzlich nur mir passierte. Nicht selten suchte ich sogar einen Schuldigen für mein Mißgeschick. War es nun der Busfahrer, die Freundin, die ich besucht hatte und für die ich überhaupt in den Bus einsteigen musste, oder gar meine Mutter, weil sie die Unverfrorenheit besaß, mich überhaupt in die Welt zu setzen, nur damit ich an diesem einen Tag zu Fuß nach Hause laufen musste, weil dieser doofe Bus nicht kam. Ja, ich war schon ein armes Kind.

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Jetzt gerade in dieser Situation kam ich mir endlos vom Leben in den Hintern getreten vor. Abends vor dem Fernseher hatte ich das größte Mundwerk von allen, wenn es darum ging, Handlungsweisen der Filmprotagonisten ins Lächerliche zu ziehen. Aber jetzt?

Mein Selbstmitleid stieg ins Gigantische.
„Oh warte, du Hund, wenn du diese Tür öffnest, werde ich dir ins Gesicht springen und dir die Augen zerkratzen“ murmelte ich in mich hinein. Mein lächerlicher Versuch, wütend zu klingen und somit meine Stimmung wieder aus dem Loch zu ziehen, in dem sie sich befand, scheiterte. Ich ertappte mich dabei, wie ich an jene hanebüchenen Geschichten dachte, in denen einfache Leute nach dem Zufallsprinzip ausgewählt und in irgendein militärisches Experiment gesteckt wurden, nur um zu sehen, ob es funktionierte. Es ging immer um das berüchtigte Schema F, das natürlich streng geheim vollzogen wurde und die Menschen darin waren stets nur Spielzeuge dieser militärischen Organisationen gewesen. Vielleicht passierte mir gerade das selbe!

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„Julie, reiß dich zusammen! Das hier ist ein stinknormales, unmöbliertes Zimmer und kein Hypercube, in dem hochtechnisierte Fallen zum Einsatz kommen, die nur darauf warten, dich umzubringen!“ Ich gebe zu, daß meine blühende Phantasie mir im Positiven manch schlaflose Nacht bescherte, jedoch im Moment überhaupt nicht weiterhalf.

Die Musik aus dem Raum nebenan verstummte und die plötzliche Ruhe riß mich wieder in die Realität. Mein Blick heftete sich auf dem schmalen Spalt zwischen Tür und Fußboden fest und ich wartete darauf, die Schatten von zwei Füßen davor zu sehen. Da waren sie wieder: Die Stapfen auf dem Holzboden. Ich wagte es nicht, zu atmen und spürte, wie die Hitze in meine Wangen kroch und dort ein immenses Kribbeln verursachte. Von jetzt auf gleich war mein Kopf völlig leer. Frei von Gedanken, frei von allem. Jetzt würde dieser elende Mistsack die Tür öffnen und dann würde ich ihm an die Kehle springen! Ja! Jeder Muskel meines Körpers war gespannt und zum Angriff bereit.

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[FONT=&quot]Ich blinzelte eine ganze Ewigkeit nicht—dann erlosch das Licht unter der Türschwelle und eine hiesige Stille trat ein.
[/FONT]


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Die Spannung löste sich in einem ungeheuren Gewitter. Von jetzt auf gleich sprang ich auf die Füße, schrie, trat und schlug gegen die Tür bis meine Knöchel bluteten. „DU VERDAMMTER H*RENSOHN! DU MIESES GEZÜCHT EINER HÖLLENHÜNDIN! ÖFFNE DIESE VERDAMMTE TÜR, DU DRECKIGES A*SCHLOCH!!!“ Normalerweise beflügelte ich mich nicht einer solchen Gossensprache, jedoch wäre ich vermutlich explodiert, hätte ich meiner Verzweiflung keinen freien Lauf gelassen.



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Ich verbrachte gefühlte drei Stunden damit, mir immerfort weitere Schimpfwörter auszudenken und sie in wütendem Geheule der Tür zuzuschreien. Ein klägliches Bild muß ich abgegeben haben, denn ich verfügte weder über ein Taschentuch, um meine Nase von ihrem Schnodder zu befreien, sodaß mir der klarflüssige Schleim bis übers Kinn tropfte, noch machte ich eine sonderlich gute Figur, wenn ich Greta Garbo und Rocky Balboa in mir selbst vereinte und zum Ausdruck brachte.


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Am Ende saß ich wieder in alter Position in der Zimmerecke. Ausgepowert, resigniert, unbefriedigt! In meinem Kopf herrschte dicker Nebel, der jeden angefangenen Gedanken erbarmungslos verschluckte. „Jetzt ist es soweit“ flüsterte ich mit verstopfter Nase, „jetzt wirst du verrückt.“ Vielleicht war es das, was mein Entführer mit mir vorhatte. Mich in den emotionalen Wahnsinn treiben. Möglicherweise hatte er in diesem Raum eine versteckte Kamera installiert, mit der er mich jederzeit beobachten konnte. Wahrscheinlich war er irgendein geisteskranker Perverser, der sich auf meinen Anblick einen runterholte. Der Mangel eines Taschentuchs veranlaßte mich dazu, mir die Nase an meinem T-Shirtärmel abzuwischen. Was soll’s, jetzt war es eh egal.



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[FONT=&quot]Unter normalen Umständen hätte ich jetzt vermutlich daheim mit Kaori im Wohnzimmer gesessen und über die Unsinnigkeit zu heiraten diskutiert. Kaori studierte Biologie an der Universität Shinjuku und vertrat die Meinung, daß Liebe ein rein biologischer Prozeß war, der sich innerhalb von einigen Monaten bis Jahren von selbst wieder legte. Darauf begründete er die hohe Scheidungsrate. Wann immer er dies erwähnte, beschlich mich der Gedanke, daß seine Vorstellung von Romantik einer dringenden Überholung bedurfte. Romantik. Seiner Meinung nach ein völlig veraltetes Konzept, das vielleicht im Barock noch Anklang gefunden hatte, aber in dieser Zeit schlichtweg nicht mehr gebraucht wurde. Die Art und Weise, wie Kaori über solche Themen zu sprechen pflegte, nötigte mir jedesmal ein Grinsen ab. Nicht zuletzt war es seine pfiffige und unkonventionelle Art, die Dinge direkt beim Kern zu nennen, die ihn mir so sympathisch machte. In einer anderen Zeit, in einem [/FONT][FONT=&quot]anderen Leben hätte ich ihn vielleicht angeschmachtet, aber er war einfach nicht der Typ für sowas.
[/FONT]


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Wie spät es wohl sein mochte? Vermutlich war es bereits einen Tag, oder anderthalb her, seit ich aufgewacht war. Mein Zeitgefühl war absolut nicht zugegen und die Tatsache, daß diese verfluchte Neonröhre ununterbrochen leuchtete, machte es nicht besser. Der harte Holzboden schmerzte langsam an meinem Gesäß und ich beschloß, es zu entlasten, indem ich mich auf den Rücken legte und die Augen schloß, um nicht von der Lampe geblendet zu werden. Vielleicht war ich garnicht mehr in Japan. Vielleicht hatte man mich irgendwo anders hin gebracht. Nach Thailand oder Hong Kong möglicherweise. Aus Kaoris Geschichten wußte ich, daß manche Verbrecherbanden oder Kleinkriminelle Menschenhandel an andere kriminelle Organisationen außer Landes betrieben. Wieviel Wahrheitsgehalt man diesen Geschichten beimessen konnte, blieb jedoch unklar. Der pure Sarkasmus setzte ein. „Wenn ich schon nach Thailand komme, dann bitte nach Phuket! Da solls schön sein“ hörte ich mich noch selbst sagen, zu müde und zu schwach, über meine eigenen Gedanken Empörung zu zeigen. Einige Minuten später war ich eingeschlafen.

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Wie lange ich geschlafen hatte, wußte ich nicht. Aber als ich aufwachte wurde schnell klar, daß zwischenzeitlich jemand im Zimmer gewesen sein musste. Auf dem Boden stand ein Tablett mit Essen und ein alter Holzeimer, der wohl als Toilette dienen sollte. Spätestens jetzt wurde mir klar, daß ich mit vollster Absicht hier eingeschlossen war und der Täter nicht vorhatte, mich in absehbarer Zeit wieder rauszulassen. Was für einen Nutzen hatte er davon, mich hier einzuschließen ohne Kontakt mit mir aufzunehmen? Ebensogut hätte er die Tür einfach verriegeln und sich einbilden können, er hätte jemanden hier im Zimmer verbarrikadiert. Wie man es drehte und wendete, es ergab keinen Sinn. Sofort schoß mir wieder „Hypercube“ durch den Kopf. Wenn ich nun doch Teil eines militärischen Experiments war? „Bullshit!“ rief ich mich selbst zur Ordnung.

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Ich blickte auf das Tablett. Ein Schälchen Reis, Erbsen, ein paniertes Fischfilet und eine Flasche Wasser grinsten mich an und bei dem Anblick spürte ich zum ersten mal wieder ein nicht zu ignorierendes Hungergefühl. Dennoch sträubte sich mein Nackenhaar bei dem Gedanken, dies zu essen. Wer wußte schon, was da alles reingemischt wurde? Vielleicht eine sedierende Droge, die mich handlungsunfähig machte, damit die Person jenseits der Tür mir die Organe entnehmen konnte. Warum war der Entführer nicht zu mir gekommen, während ich wach war? Hatte er Angst vor mir? „DU BEGINNST, MICH ZU LANGWEILEN!“ schrie ich. Es war mir egal, ob er mich hörte oder nicht, aber zur Antwort bekam ich erneut laute Musik.

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„Ja, ignorier mich nur, du A*sch!“ murmelte ich. Es war eine der CDs von gestern. Toshimi Tagawas beste Hits. Ich ging im Zimmer auf und ab und merkte, dass meine Blicke immer öfter das Tablett mit dem Essen streiften. Ja, ich hatte Hunger, aber den Teufel würde ich tun, diesen Saufraß zu essen! In Gedanken malte ich mir aus, was es wohl für ein Mensch sein würde, der mich hier gefangen hielt. Es war mit Sicherheit ein Mann, denn wann immer man von Entführungen hörte, war der Täter männlich. Wenn man dann Nachbarn oder Angehörige fragte, hieß es meist: „Das ist mir völlig unverständlich! Er war doch immer ein so stiller und netter Zeitgenosse.“ Wahrscheinlich war er sexuell frustriert und ein wenig paranoid. Ja, so mußte es sein! Und häßlich war er! Sollte er sich mir jemals zeigen, würde ich einen Gesangszyklus über ihn dichten und ihn rund um die Uhr in schallender Lautstärke der Tür zusingen. Daß der Zyklus keiner positiven Natur war, verstand sich von selbst. Ich ließ mich verdrießlich auf den Boden nieder.



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Dort stand das Tablett.
Ich verbrachte einige Minuten damit, es anzustarren, darüber nachzudenken, wie lange ich wohl überleben würde, ohne zu essen, im Geiste die verschiedenen molekularen Bestandteile von Reis und Erbsen zu extrahieren, zu addieren und zu multiplizieren, nur um zum Schluß wieder das Selbe unter dem Strich herauszubekommen: Ich hatte Hunger!



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Die pure Anwesenheit von Essen und meinen Unwillen, es zu mir zu nehmen, machten es nicht besser. Just in diesem Moment wünschte ich mir, magersüchtig zu sein. Es wurde mal im Fernsehen von einer Frau berichtet, die seit vielen Monaten nichts anderes zu sich nahm, als einen in Orangensaft getränken Wattebausch. Nun, die Vorstellung war zugegebenermaßen absurd und eigentlich auch wenig wünschenswert, aber der Gedanke, nicht auf Essen angewiesen zu sein, obgleich es alles andere als gesund war, hatte hier und jetzt in meiner Situation einen gewissen Charme.

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Ich ertappte mich dabei, an dem Tablett zu riechen.
Nicht, daß ich eventuelle Drogen oder Giftstoffe am Geruch erkannt hätte, aber ich redete mir ein, daß ich es ja wenigstens laienhaft untersuchen könnte. Es roch wie ein stinknormales Fischgericht mit Erbsen und Reis. Ich schickte einen unausgesprochenen Fluch an meinen Magen, der dank der nicht vorhandenen Barriere vergifteter Nahrung noch lauter knurrte und überlegte dann, wie gefährlich es wohl war, eine Gabelspitze davon zu probieren.



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Was mich letztendlich dazu bewegte, die Fressalien auf dem Tablett hinunterzuschlingen wie ein ausgehungerter Wolf, wußte ich nicht, aber es änderte nichts an der Tatsache, daß ich es tat und zugegebenermaßen in diesem Augenblick auch wenig an die möglichen Folgen dachte. Der Gedanke „Wenn du sterben sollst, tust du es eh und kein vermalledeites Fischfilet wird dich davon abbringen!“ hatte meiner Vorsicht desbezüglich einen gehörigen Strich durch die Rechnung gemacht und sie gleich gänzlich ad absurdum geführt.

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...to be continued
 
:hallo:
deine geschichte gefählt mir, da es keine teenie-liebesgeschichte ist!!!
dein text ist flüssig zulesen und deine bilder passen gut zum text!!!
würd mich freuen wenn du mich auch benachrichtigst^^
LG Lisa
 
Die Geschichte gefällt mir jetzt schon. Die Bilder finde ich toll, besonders das wo sie warten, dass die Tür aufgeht!
Teilweise musste ich über die Flüche lachen. Weiß nicht ob du das damit bezwecken wolltest, aber ich konnte nicht anders. Deswegen finde ich die Hauptperson auch so toll. :D
Ich bin ja echt mal gespannt wie es weitergeht. Benachrichtigst du mich bitte?

lg Japanese
 
Danke ihrs! :) Ich hatte schon fast damit gerechnet, dass meine Story hier auf keine grosse Gegenliebe stossen würde... Aber immerhin ein paar Resonanzen *freu*.
Das nächste Kapitel lässt nicht mehr lange auf sich warten, ich hab schon ne Menge geschrieben heute. Muss nur noch die Bilder schiessen, dann gehts online. :)

Und die Flüche... ja ^^ Die sind unglücklich irgendwie. Aber ich wollte in dieser Geschichte eine Sache besonders hervorheben: Und zwar die Menschlichkeit. Ich wollte, dass die Protagonistin agiert wie du und ich. Ich denke, das tut sie :)
 
Fortsetzung...

Beim Anblick des leeren Tellers überkam mich ein miserables Gefühl. Sofort waren meine Zweifel wieder da. Wenn das Essen nun doch vergiftet war? …. Nun, jetzt konnte ich es nicht mehr ändern. Warten musste ich so oder so. Entweder darauf, daß etwas oder auch nichts passierte, oder eben auf den Tod. Mir kam das alles immer ironischer vor. Meine mißliche Lage hatte es geschafft, aus mir sämtliche Formen des Sarkasmus rauszukitzeln und während ich in den 2 Quadratmetern des Raumes hin und her lief, sang ich lautstark und schief Toshimi Tagawa mit, die immer noch aus dem verfluchten Jenseits drang, das sich hinter der Tür befand.

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Die Stunden, Tage, Wochen –ich weiß es nicht- zogen sich wie Kaugummi.

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Obgleich die lästige Neonröhre an der Decke niemals ausgeschaltet wurde und ich nichtmal annähernd sagen konnte, ob es Tag oder Nacht war, hatte ich das Gefühl, schon seit Jahren in diesem Raum zu sitzen. Tagein, Tagaus drehte ich meine Runden in dem Zimmer bis ich vor Erschöpfung einschlief. Sobald ich aufwachte, fand ich jedesmal eine neue Mahlzeit auf einem Tablett vor und der Eimer, auf dem ich mein Geschäft verrichtete, wurde auch geleert. Meine anfängliche Scham, einen dreckigen Holzeimer als Toilette zu benutzen und der Gedanke, wie ein wildfremder Mensch einen Blick auf meine Fäkalien werfen konnte, hatte einen bösen Kampf mit meinem Körper geführt, dem es schlicht egal war, ob ich mich schämte oder nicht. Mein Körper siegte. Dennoch keimte jedesmal, wenn ich auf dem Eimer hockte wie ein Kind auf dem Töpfchen, die Frage auf, ob ich nicht doch beobachtet wurde.

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Meine Kleidung stank dank der fehlenden Möglichkeit mich zu waschen fürchterlich und den übel schmeckenden Pelz auf meinen Zähnen rieb ich an meinem T-Shirtärmel ab. Ich ekelte mich vor mir selbst. Hatte ich bis dato vom Leben sprechen können, erschien mir nun das Wort „Vegetieren“ um einiges passender. Ich hatte es aufgegeben, mit der Person hinter der Tür zu reden. Und nicht nur das – ich hatte es ebenso aufgegeben, mit mir selbst zu reden. Die jämmerliche Routine vom Schlafen, Sitzen, Gehen, Essen, Schlafen hatte mich ausgelaugt.



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Ich würde hier drin verrecken, kein Zweifel. Die Frage nach dem „Warum“ war nun nicht mehr als ein still auf meiner Seele liegender grüner Sumpf geworden, der stets im Hintergrund präsent war und dessen moderiger Gestank meine Gedanken einfärbte. Und die Person jenseits der Tür? Sie war ein Phantom. Nicht mehr und nicht weniger. Ein Phantom, so unscheinbar und gesichtslos wie ein Geist, dessen Existenz man zwar zu spüren glaubte, aber sich dennoch nicht sicher war, ob es ihn überhaupt gab.

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Wie oft stellte ich mich schlafend und wartete darauf, daß jenes Phantom das Zimmer betrat um mir neue Nahrung zu geben. Ich wartete vergebens.

Kaori…

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Wenn ich dich jemals wiedersehe, werde ich dich fragen, ob du mich heiratest. Egal, was deine biologischen Ansichten von Partnerschaft und Liebe sein mögen! Nach keinem Menschen sehnte ich mich mehr, war er doch der einzige, der mir hier im Land der aufgehenden Sonne wirklich etwas bedeutete. Aufgehende Sonne. Pfff. Wie ironisch mir das doch erschien. Ich war verzweifelt. Das Leben da draußen, mit seinen hektischen Fußgängern die jeden Tag an der Ginza-Kreuzung über den weltgrößten Zebrastreifen marschierten, den millionen Autos, die durch Shinjuku brausten und den vielen verschiedenen Gesichtern in Kabukichou wurde zunehmend irrealer und kam mir schon bald vor wie ein Märchen.
Ich betastete meine spröden Lippen und fühlte mich wie in einem anderen Körper gefangen. Hatte dieses Häufchen Materie, das ich sah, wenn ich an mir hinabblickte, wirklich noch etwas mit mir zutun?

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„Nomasete kudasai mo sukoshi…konya ha kaeranai kaeri taku nai… dare ga matsu to iu no ano heya de…soyo dare mo inai ha ima de ha“ – Akio Kaiyamas „Hisame“ hatte mich immer wehmütig gestimmt. Mittlerweile war ich fast dankbar dafür geworden, daß die Person jenseits der Tür mich wenigstens Musik hören ließ, obgleich ich auch wußte, daß sie weniger für mich bestimmt war, als für die Person selbst.

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Seit Stunden lag ich regungslos da, mit den Gedanken weit hinter der Tür, die mich in diesem stickigen und stinkenden Zimmer gefangen hielt. Ich war kein Mensch mehr. Ich war nichtmal mehr ein Haustier, das man sich hält. Haustiere hatte man lieb und sie waren ein Teil der Familie. Ich nicht. Ich war wie eine Ratte in einem kleinen Käfig, den man hin und wieder säuberte, wieder in den Schrank unter der Spüle verbannte und anschließend vergaß.


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Immer mehr fragte ich mich nach dem Sinn meines Daseins hier in diesem von Gott verlassenen Zimmer. Wäre es um Lösegeldzahlungen gegangen oder darum, mir irgendeine schreckliche Gewalttat anzutun, wäre es längst passiert. Anfangs inspizierte ich meinen Körper noch auf irgendwelche Operationsnarben, wenn ich aufwachte. Aber auch das gab ich mit der Zeit auf und die Theorie von einem Organhändler wurde von Tag zu Tag unwahrscheinlicher. Gab es überhaupt einen Sinn? War es vielleicht der, zu testen, wie lange ein Mensch unter diesen Bedingungen überlebt? Ich wußte es nicht, aber eines war mir inzwischen klar geworden: Mittlerweile wünschte ich mir, ich wäre im „Hypercube“ mit seinen zehntausend Räumen, in denen es galt, technische Fallen auszutricksen um zu überleben. So hätte man wenigstens etwas zu tun gehabt und man hatte eine reelle Chance, irgendwann dort hinaus zu finden.

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Daß Klicken des Türschlosses nahm ich kaum wahr. Die Bilder in meinem Kopf flossen wie zähflüssiger Schleim durch meine Hirnwindungen und machten jedes Geräusch, selbst wenn es von der Norm abwich, die ich täglich erlebte, zunichte. Erst der Fuß, der sich vor meinem Gesicht auf dem Boden absetzte und der Geruch von frisch gewaschenem Haar rissen mich aus meiner morastigen Gedankenschleife.

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Wie lange hatte ich nicht mehr den Duft von Shampoo gerochen… Von jetzt auf gleich erwachten all meine Instinkte und Lebensgeister, die ich so lange als verloren geglaubt hatte. Mein Entführer! Die Person, die mir all das angetan hatte! Das Phantom, welches ich nie zu sehen geglaubt hatte, stand vor mir! Nein, es war definitiv keine Halluzination! Ich riß den Kopf nach oben und blickte meinem Schänder ins Gesicht.

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Für eine Weile schien es, als würde die Zeit stillstehen. In dem hageren und kantigen Gesicht des Mannes standen zwei fast schwarze mandelförmige Augen und starrten mich finster an. „DU A*SCH! JETZT HAB ICH DICH!“ stieß ich brüllend hervor und versuchte die Beine des hochgewachsenen Asiaten zu packen und ihn zu Fall zu bringen.

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Wie dumm ich mich dabei anstellte, hätte man vermutlich nur aus der Drittperspektive beurteilen können, aber es war nicht von der Hand zu weisen, dass meine antrainierte Trägheit dem Entführer einen eindeutigen Vorteil verschaffte.


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Es gelang ihm mühelos, meinen Griff abzuschütteln und sich in eine sichere Position zu begeben. Mit argem Stolpern und nach mehreren Anläufen schaffte ich es, mich auf die Füße zu hieven und in seine Richtung zu taumeln, doch als ich mich dem Ziel näherte und die Arme nach vorn hin ausbreitete um ihn an der Kehle zu packen und auf der Stelle umzubringen, hatte er sich schon hinter die Schwelle gerettet und mir vor der Nase die Tür zugeschlagen.

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Rasend vor Wut und unter anhaltenem Fluchen riß, zog und rüttelte ich an der Klinke, schlug und hämmerte gegen die Tür, nur um festzustellen, daß sie längst wieder verschlossen und ich im Zimmer eingesperrt war. „DU VERDAMMTES A*SCHLOCH!!!!“ schrie ich. „DU MIESER GOTTVERDAMMTER FEIGLING!“ – und das war er. Ein gottverdammter Feigling. Schnaubend vor Wut und mit aufsteigender Frustration über mein Versagen mußte ich feststellen, daß sich nichts an meiner Situation geändert hatte. Er war dort draußen und ich immer noch hier drin.

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Nun, eine Sache hatte sich doch geändert. Ich kannte jetzt sein Gesicht. Daß mir das keinen Deut weiterhalf, ignorierte ich angesichts der Situation, denn jetzt hatte ich ein Bild, etwas greifbares in Gedanken, daß ich verabscheuen konnte.

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Dieser Mann wuchs zum Zentrum meines Hasses heran und ebensolcher Haß war es, der meine Trägheit beendete und meinen Geist wachsam hielt. Eine Situation, die sich einmal ergibt, ergibt sich auch ein zweites mal! Und das nächste mal würde ich ihn erwischen…

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Wie lange lag ich wach und grübelte nach… Es musste eine erneute Ewigkeit gewesen sein. Aber wie hätte ich angesichts der Tatsache, daß in meinem Innersten ein gefühltes Flammenmeer des Zornes loderte auch einschlafen können? Eines stand fest: So schnell würde Herr Ich-liebe-es-in-meiner-Freizeit-Enka-zu-hören-und-wehrlose-Mädchen-einzusperren wohl nicht wieder auf die Idee kommen, mir einen Besuch abzustatten. Das leere Essenstablett lag in der Ecke und vermutlich war dies auch die letzte Mahlzeit, die ich vorerst bekam. Dieses Gesicht… Ich versuchte sein Alter zu schätzen, aber es gelang mir nicht. Dieser Mann hatte etwas künstliches an sich. Ja, er sah beinahe so aus wie aus dem Modellbaukasten falsch zusammengesteckt. Dieses durchwachsene, hochwangige Gesicht mit diesen emotionslosen Augen paßte nicht so recht zum Rest seines Körpers. Außerdem trug er einen Anzug. Mir kam der Gedanke, daß er wohl im Alltag ein normaler, berufstätiger Mann war. Zugegeben machte ich dies nur anhand seiner Kleidung fest, denn ich kannte sonst niemanden, der in seiner Wohnung Anzüge trug.



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Sein Gesicht war im höchsten Maße unattraktiv. Mir fiel unpassenderweise wieder ein, daß ich ja einen Gesangszyklus über die Häßlichkeit meines Entführers dichten wollte, aber ich verwarf diesen Gedanken sofort wieder.

Plötzlich stieg mir ein unangenehmer Geruch in die Nase.
„Was zum…“ ich fuhr herum und erblickte auch gleich die Quelle des Gestanks. Aus dem Rohrwerk im rechten Teil des Raumes drang ein weißlicher Nebel. Gas!



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Jetzt dämmerte es mir, warum ich niemals aufwachte, wenn mein Peiniger den Raum betrat. Er benutzte dieses Gas wenn ich schlief als zweite Absicherung. Ich wich zurück und hielt die Luft an.


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Mir war natürlich bewußt, daß ich nicht für ewig das Atmen verweigern konnte und ich hätte mir wohl die aufkeimende Panik erspart, indem ich ein paar mal tief Luft geholt hätte, jedoch war dieser Gedanke der letzte, den ich in jenem Moment hatte.



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Ja, ich hatte Todesangst. Mein Herz raste und der dadurch auf Hochtouren laufende Stoffwechsel forderte seinen Tribut. Als ich das Einsetzen meiner Atmung nicht mehr verhindern konnte, wurde mir schlagartig schwindlig und ich sank auf die Knie, wo mich eine barmherzige Bewußtlosigkeit von der Angst zu sterben erlöste.



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...to be continued
 
:hallo:
aha, jetzt wissen wir wer sie entführt hat...der typ is irgendwie hässlich...
ich finds aber komisch das er gekommen ist...warum???
naja, LG lisa
 
wieder eine großartige fortsetzung - und wenn ich mich nicht täusche schreibst du immer besser - hut ab!!!

den zeitsprung hast du super hinbekommen - das richtige make up und die gesprungen lippen hab cih ja auch in verwendung *grins* ...

der typ hat ein bisschen was von einem cyborg - ich wunder mich eh schon die ganze zeit was das mit diesem cyber oder technocube auf sich hat ... aber ich lass mich da gern von dir überraschen

und was du da mit dem quasi leeren raum machst - toll - ich freu mich, dass du nach 10 jahren doch wieder mal zu schreiben begonnen hast :-).

glg

lucy
 
Fortsetzung...

Seelenurlaub. Das war das erste Wort was mir einfiel, als ich das Bewußtsein wiedererlangte. Seelenurlaub war es, wenn man sich im Wachleben in einer mehr als verdrießlichen Lage befand, aber der Schlaf, oder in dem Falle die Bewußtlosigkeit jegliches Gedanken und Emotionskarussell stilllegte. Erholung - und zwar die einzige Form davon, die mir gegönnt war.

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Sollte ich es wagen, die Augen zu öffnen? Was würde mich erwarten, wenn ich es tat? In meinem tiefsten Innersten hoffte ich, alles nur geträumt zu haben. Dieses Zimmer, die endlosen Stunden des Dahinvegetierens, die in endloser Schleife laufende Musik… Ja, ich wünschte mir, es wäre ein Traum gewesen. Öffnete ich die Augen, könnte ich bitter enttäuscht werden. Dennoch wartete die Realität mit ihrer emotionskalten Ungnade schon auf mich. Für immer konnte ich mich ihr nicht entziehen. Es war ein schmerzhaftes Spiel, das das Leben mit mir spielte und ich war dabei, es haushoch zu verlieren. Wünschte ich mir nichts mehr, als zuhause in meinem Bett aufzuwachen, an einem Samstagmorgen und den Geruch von frischen Pfannkuchen wahrzunehmen, die Kaori so gern aß.



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Ich wurde nicht nur enttäuscht, als ich es wagte, mich wieder der Realität zuzuwenden, mir wurde auch keine emotionale Pause gegönnt, denn als ich die Augen aufschlug stellte ich fest, daß ich mich wie gehabt in jenem Raum befand, in dem ich schon so lange Zeit verbrachte – mit einem Fuß an das Rohrwerk gekettet und in das gefühllose und künstliche Gesicht meines Peinigers blickend.



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Ich brauchte erst garnicht an der Kette zu rütteln um mir Gewißheit zu verschaffen, daß sie niet und nagelfest war und mir nicht genug Spielraum erlaubte, mich dem Mann zu nähern, der ruhig und in einen imaginären Schleier der Kälte gehüllt auf dem Stuhl nahe der Tür saß.



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Ich hatte gefühlte Jahrzehnte damit zugebracht, mir die richtigen Worte zurechtzulegen, für den Fall, daß ich je auf meinen Entführer traf. Ich hatte alles genau vorbereitet. Meinen Gesichtsausdruck, meine Wortwahl, meinen Tonfall. Es waren genau diese konjunktiven Gedanken, die mir in meinen trostlosen Stunden eine gewisse Befriedigung beschafften. Jedoch kam alles anders, als ich es geplant hatte. Statt mich meiner auswendig gelernten und mein Gegenüber sofort in den Boden stampfenden Phrasen zu bedienen, brachte ich nur eines über die Lippen: „Wer bist du!“

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Der Mann auf dem Stuhl deutete ein sarkastisches Lächeln an. „So, glaubst du tatsächlich, es würde dir in irgendeiner Form weiterhelfen, wenn ich dir meinen Namen verrate?“



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„Verkneif dir deine Floskeln, Mister!“ fauchte ich, „Sag mir, wer du bist, oder ich-“
„Oder du was?“ fiel er mir ins Wort.



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Sein Gesicht strahlte eine immense Gefühlskälte aus. Die Intonation seiner Worte war nicht nur überdeutlich mißbilligend und herablassend, sie gab auch eine unmißverständliche Distanz zu verstehen.
„Sag mir deinen verfluchten Namen, du Lump!“ zischte ich und versuchte eine ebenso deutliche Unmißverständlichkeit in meine Worte zu legen, wie er es tat.
„Und was hättest du davon?“ fragte er wieder.
„Hmm…“ ich legte einen schnippischen und gespielt überlegenen Gesichtsausdruck auf. „…die Polizei würde ihn sicher mit Freuden von mir hören wollen, wenn ich gegen dich Anzeige erstatte!“ Der Satz kam mir schon lächerlich vor, sobald er meine Lippen verlassen hatte.



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Sein hageres Gesicht formte sich zu einem breiten Grinsen.
„Die Polizei, hm? … Nun gut. Mein Name ist Nakagawa, Masakazu Nakagawa, Ichigaya Nakano-Chou Hundertzweiundsechzig Null Null Sechs Vier! ……. Und jetzt, junge Dame? Soll ich dir Papier und Stift geben, damit du es nicht vergißt? Es wäre wirklich zu schade, würdest du vor dem diensthabenden Beamten stehen und die Adresse nicht mehr wissen, wo du die letzten vier Monate deines Lebens eingesperrt warst, nicht wahr?“

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Mein Gesicht legte sich in Zornesfalten. Dieser Hund! Ich wollte irgendwas totschlagendes sagen, jedoch hatte er jegliches Argument, das mir einfiel, schon im Keim erstickt.

„Möchtest du mich jetzt nicht bitten, dich loszumachen, damit du zur Polizei gehen kannst?“
„DU VERDAMMTER MISTKERL!“ brüllte ich, machte zwei Schritte auf ihn zu und stolperte, da ich dank meiner enormen Wut und trotz seines letzten Satzes schon wieder vergessen hatte, daß ich ja angekettet war.



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„Nanana. Du solltest dich ein wenig beherrschen, Fräulein. Ein Gespräch, das auf diese Art und Weise beginnt, steht unter einem zugegebenermaßen schlechten Stern. Findest du nicht?“
Ich konnte mir nicht helfen. Seine Stimme und die Art zu reden war mir aufs höchste Maß unsympathisch!
„WARUM?“ stieß ich hiervor. „WARUM hast du mich hier eingesperrt? WAS FÜR EINEN NUTZEN HABE ICH FÜR DICH?“
„Das „Warum“ muß dir ganz schönes Kopfzerbrechen bereitet haben, nicht wahr?“
Seine Stimme war nun wieder bar jeder Emotion.
„Nun, ich fürchte, jede Antwort, die ich dir darauf geben könnte, wäre in deinem individuellen Sinne eher unbefriedigend.“
Unrecht hatte er damit nicht. Seit ich in diesem Raum zum ersten mal aufgewacht war, stellte ich mir diese Frage. Sie hatte mir auf der Seele gebrannt wie Feuer, aber jetzt, in dieser Situation war jede Antwort, und wäre sie auch noch so ehrlich gewesen, schlicht und ergreifend nicht das, was ich hören wollte. Was jetzt in meinem Kopf oberste Priorität hatte, war diesem elenden Sch*ißkerl die Lichter auszupusten.

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„Du könntest mir einfach die Wahrheit sagen!“ zischte ich. „Einen Menschen zu entführen und ihn hier in diesem jämmerlichen Loch wie ein gottverdammtes Versuchstier zu halten, erfordert für mich einen mehr als triftigen Grund! Und ich habe ein verdammtes Recht darauf, ihn zu erfahren!“



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„Ich fürchte, in deiner Situation ist es wenig gewinnbringend, Forderungen zu stellen.“ antwortete er mir und durch eine weitere mißbilligende Mimik ließ er sein Gesicht noch künstlicher aussehen, als es ohnehin schon war.

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„Was willst du von mir?“ Seine Art und Weise, all meine Fragen unbeantwortet zu lassen und sogar noch ins Lächerliche zu ziehen, trieb mir Tränen der Frustration in die Augen, und zu meinem Unmut konnte ich sie weder aufhalten, noch verstecken.
„Willst du mich umbringen? Mich vergewaltigen? Meine Organe auf dem Schwarzmarkt verkaufen??“

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Er stieß einen belustigten Seufzer aus. „Dich umbringen? Was würde mir das bringen, außer 60 Kilogramm schmutziges Fleisch, welches ich entsorgen müsste? … Dich vergewaltigen? Ich bitte dich. Dein … -wie drücke ich es am besten aus?- Körpergeruch weckt in mir nicht gerade sexuell erregende Gefühle, um nicht zu sagen, wirkt im höchsten Maße abstoßend! ….. Deine Organe verkaufen? Einem solchen Metier gehöre ich nicht an.“

„FEIN!“ schrie ich. „Während du täglich deinen, um es mit deinen Worten zu sagen, abstoßenden Körpergeruch unter der Dusche mitsamt dem Dreck, der an dir haftet, den Abfluß runterspülen kannst, hast du mir ja nichtmal eine gottverdammte Möglichkeit gegeben, mich zu waschen! … Und wenn du abends in deinen weichen Flanelllaken liegst und die weiche Matratze unter deinem knochigen Hintern spürst, liege ICH hier auf dem steinharten Fußboden und werde von deiner verfluchten Neonröhre geblendet, die du nie ausschaltest!“

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Was sollte das eigentlich? Fing ich jetzt wirklich an, mit meinem Entführer über die Bequemlichkeit meines Gefängnisses zu diskutieren? Ich konnte mir nicht helfen, aber mir gingen die Worte aus. Ich wußte nichts mehr zu sagen. Meine Fragen beantwortete er nicht, und stillschweigend alles hinnehmen wollte ich auch nicht. Was blieb mir also übrig, als ihm postwendend zurückzuschleudern, was er mir an den Kopf warf?



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„Ich gebe zu, ich habe mich dir gegenüber nicht gerade menschenfreundlich verhalten.“ kam es über seine Lippen. „Aber wir wollen doch alles daran setzen, daß wir uns besser verstehen, denkst du nicht?“



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„Pffffffff, besser verstehen… Du könntest mich ENDLICH hier rauslassen! Wenn du das jetzt und sofort tust, könnte es vor Gericht noch mildernde Umstände für dich geben – aber so oder so bist du am A*sch!“

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„Nun…“ Er legte wieder sein herablassendes Grinsen auf. „Ich bin fahrlässig geworden letztes mal. Statt mithilfe des Gases sicherzugehen, daß du auch wirklich schläfst, habe ich mich von meinem Gutglauben leiten lassen. Das wird mir sicherlich nicht nochmal passieren.“ Er erhob sich von dem Stuhl und öffnete die Tür. „Da du anscheinend immer noch nicht bereit bist, zu reden, werde ich dich jetzt verlassen.“



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„UND MICH WEITERE VIER MONATE HIER DRINNEN EINSPERREN?? EHER BEGEHE ICH SELBSTMORD, HÖRST DU?“ brüllte ich.
Er schloß die Tür von außen zu.



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Einige Minuten starrte ich auf den leeren Platz, wo eben noch der Stuhl stand, dann ließ ich mich wieder in die Ecke sinken, im Geiste mit der Tatsache zufrieden, daß er anscheinend nicht bekommen hatte, was er wollte.






...to be continued
 
Soo, da bin ich auch wieder mal mit einem Kommi :)

Gute Geschichte. Mir gefällt es, wie Du schreibst und ich finde es schön, daß Du Dir auch "Raum dafür gibst" ... denn Du hetzt Dich nicht durch die Kapitel und nimmst Dir schön viel Zeit, uns ihr inneres Chaos zu beschreiben. Und das machst Du richtig gut, finde ich *lob*
Hm ... ok, also das mit dem Organhandel hatte ich gleich nicht gedacht. Dann hätten ihre Entfürer (ja, ich denke, daß sind mehrere) ihr nämlich viel mehr Wasser hingestellt. *lol* kleiner Einblick in meine Cobi-Logik: Wenn eine Niere verkauft werden soll, hat man doch Interesse daran, daß sie schön gespült ist und funktioniert. Außerdem wäre die OP dann auch schneller gemacht worden. Nützt dem Verbrecher doch nix, wenn er sie noch ewig und drei Tage durchfüttern muss. Aber egal, das Thema ist ja eh vom Tisch, schätze ich mal.
Ok ... ich spinne mal eine meiner Theorien ein bisschen aus. Ich glaube, daß diese ganze Entführung irgendetwas ähnliches wie ein Experiment ist. So á la "Was braucht ein Mensch zum Leben?" oder "Wie lange braucht man, um einen Menschen passiv in den Wahnsinn zu treiben?" ... boah, wie gemein *grrr*
Am fiesesten finde ich nämlich irgendwie, daß die Lampe nicht ausgemacht wird ... was ja echt für ein Experiment sprechen würde. Erstens geht sehr schnell jedes Zeitgefühl flöten, und zweitens gibt es dem ganzen noch mehr Labor-Charakter.
Und jetzt, wo der Typ auch noch so merkwürdig mit ihr redet ...
Ja, ganz klar. Der will damit was bezwecken. Aber was genau? Spannend, spannend ;)

bin echt ziemlich gefesselt von der Story :)

bis dann,
Colabirne
 
Hi PurpurOzelot

"Wow"! Deine Story ist wirklich super geschrieben und auch die Bilder finde ich absolut passend und sehr ausdrucksstark!
Kompliment, das hast Du bis jetzt wirklich sehr gut und spannend hinbekommen.

Gerne werde ich weiterlesen, bin ja mal gespannt, worauf das Ganze hinaus läuft.

Liebe Grüsse
Nef
 
:hallo:
du schreibst immer besser und deine bilder...wow!!!

der typ is echt fies, er antwortet nicht auf ihre fragen!!! und er hat sie jetzt schon 4 monate dort??? kein wunder das sie stinkt...

noch ne frage:
is sie jetzt immer noch fest gekettet???

LG Lisa
 
@Colabirne:

Ehehehe, also eigentlich würde ich ungern das Motiv des Entführers verraten, und deshalb tu ich es auch nicht. Aber ich kann dir schonmal sagen (wie er es ja auch tat) - ein Organhändler ist er nicht ;)

@Nef:

\(*^__^*)/ Ich finds toll, dass dir meine Geschichte gefällt!

@Lisa:
Naja, also ich würd schon nach 2 Tagen ohne Dusche stinken :D Aber 4 Monate... da kannste dir vorstellen, wie sie riecht *ähem* ... Und ja, sie ist noch festgekettet. Er hat sie ja nicht losgemacht, bevor er das Zimmer verliess.
 
*reinschleich*

Guten Morgen ^^

Soo.. dann gebe ich mal den ersten Kommentar zu einer FS ever von mir. :D

Ich find deine Bilder sehr genial, auch wenn sie (fast) immer den gleichen Raum zeigen. (: Du hast nen super Schreibstil und beides zusammen macht die Geschichte echt verdammt spannend *wissen will wies weitergeht*^^


 
Na Hallo, mal was ganz anderes, und was anderes GUTES damit.
Das karge Szenario gefällt mir total und dein Schreibstil ist einmalig gut, wie andere bereits erwähnt haben.
Ich werde auf jeden Fall weiterlesen und großes Lob für deine Story :)
 
Fortsetzung...

„Menschenfreundlich“ war das Wort, das er benutzte. Daß er es überhaupt kannte, war mir völlig unverständlich. Seit dem Tag, an dem er mir diesen wahrlich kurzen Besuch abstattete, war er auf Nummer Sicher gegangen. Die Kette, die meinen Fuß mit dem Rohrwerk zur Rechten des Raumes verband, trug ich jetzt Tag und Nacht. Er duldete es nicht mehr, daß ich mich im Zimmer frei bewegte. Die Fessel an scheuerte und juckte entsetzlich an meinem Knöchel. Sie lag zu eng an meinem Fußgelenk, als daß ich mit dem Finger darunter kommen konnte, um zu kratzen und wenn ich schlafen wollte, brachte mich dieses Gefühl schier um den Verstand.

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Es verstand sich von selbst, daß ich alles in meiner Macht stehende versucht hatte, diese Kette zu lösen. Vergebens. Das Rohr, an dem sie befestigt war, war in die Wand hinter mir eingelassen und endete im Boden zur Mitte des Raumes. Es war unmöglich, es herauszureißen. Aber selbst wenn es mir gelungen wäre, änderte es nichts an der Tatsache, daß die Tür weiterhin verschlossen war. Wenn ich schlief, betäubte er mich wie gehabt mit Gas um sich sicher zu sein, daß ich nicht wieder aufwachte, wenn er mir Essen brachte.



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Über seine Motive, mich hier festzuhalten, wußte ich nach wie vor nichts. Auch sein Name, Masakazu Nakagawa, hatte in etwa soviel Aussagekraft wie etwa John Doe, oder das deutsche Äquivalent – Thomas Mustermann. „Vier Monate“ hatte er gesagt. Vier Monate war ich also schon in diesem Zimmer, ohne jeglichen Kontakt zur Außenwelt. Ich hatte keinen Zweifel daran, daß er mich zermürben wollte. Er wartete auf den Zeitpunkt, an dem mein Wille gebrochen, und ich bereit war, alles zu tun. Wie genau dieses „alles“ aussehen sollte, wußte ich nicht. Bereit zu reden sollte ich sein. Das waren seine Worte. Ein Teil in mir sehnte sich danach, einen Gesprächspartner zu haben, mit dem man reden konnte. Jedoch war dieser fürchterliche Nakagawa nicht die Person meiner Wahl, wenn ich überhaupt das Privileg hatte, mir eine Wahl erlauben zu können.

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Ich haßte diesen Mann.
Seit geraumer Zeit jedoch beschäftigte mich ebenso die Frage, ob er allein es war, der mich gefangen hielt, oder ob ich nicht doch Opfer einer kriminellen Organisation geworden war, und er nur derjenige, der die Aufsicht über mich hatte. Abwegig schienen diese Gedanken nicht zu sein, denn aus meiner Position konnte ich nichtmal raten, was genau sich hinter der verschlossenen Tür befand. Eine Wohnung, ein Labor oder der Sitz eines Bouryokudan Syndikats…



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„Meide diesen gottlosen Ort lieber!“ hatte Kaori gesagt, als ich spät abends noch nach Kabukichou wollte, um in der Bibliothek Grenze Tenkaichistraße ein Buch für mein Studium zu leihen. „Kabukichou ist voller Rowdies und außerdem weißt du nie, ob du nicht einem Vertreter irgendeiner Bouryokudan über den Weg läufst.“



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„Bouryokudan?“ hatte ich gefragt, denn dieses Wort war mir damals völlig neu gewesen.
„So nennt die Regierung jetzt das elende Yakuzapack!“ antwortete Kaori mit einem abfälligen Blick, als wäre das Wort an sich schon ein Tabubruch erster Klasse. „Sie glauben, wenn sie es besser umschreiben, nehmen die Leute die Gefahr ernster und vermeiden so potentielle Angriffe auf unschuldige Bürger.“ Ich hatte seit jeher gedacht, daß unsere Freunde im Land der aufgehenden Sonne ihre Yakuza ein wenig zu ernst nehmen. Immerhin konnte man auch ohne Probleme nach Italien reisen, ohne gleich in die Finger der Mafia zu geraten. Warum sollte das also in Japan anders sein?

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Ich versuchte wieder, den Finger unter die Metallschelle an meinem Fußgelenk zu schieben. Ich brauchte keinen Arzt, um mit Gewißheit sagen zu können, daß die Schürfungen darunter näßten und rot geschwollen waren. Dieser fürchterliche Juckreiz war absolut intolerabel und ich befürchtete, wenn die Fessel weiterhin an meinem Fuß blieb, sich ein Dekubitus bilden würde. Der Gedanke daran bereitete mir Sorgen und das Wissen, daß Nakagawa allein den Schlüssel für die Kette hatte, machte mir fast Kopfschmerzen. Seine Art zu reden hatte mir mehr als deutlich gezeigt, daß er kein Mensch war, den man zu einer Milderung erweichen konnte. Würde es sich also lohnen, nach ihm zu rufen, damit er die Fessel lockerte? Andererseits war ich zu stolz, den Mann, der mich seit Monaten zu brechen versuchte, um Hilfe zu bitten.

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Angesichts des Schmerzes und des unerträglichen Juckreizes kam ich zu der Schlußfolgerung, keine andere Wahl zu haben, als nach meinem Entführer zu rufen. Er wollte mit mir reden, er sollte es bekommen! Immerhin konnte ich das Ultimatum stellen, nur mit ihm einen Dialog zu beginnen, wenn er mir im Gegenzug die Metallschelle abnahm. Nach kurzer Überlegung schien mir das ein fairer Kompromiß zu sein, der auch meinen Stolz nicht zu sehr ankratzte. Vielleicht konnte ich so die Rollenverteilung ein wenig zu meinen Gunsten drehen. Ich mußte mir genau überlegen, was ich sagte, denn immerhin wollte ich mein Ziel möglichst schnell erreichen. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihm das anzubieten, was er von mir haben wollte:

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„NAKAGAWA!“ rief ich. „WENN DU MICH HÖREN KANNST, OKAY, ICH REDE MIT DIR!“
Ich hielt inne und lauschte. Tatsächlich – ich hörte die unverkennbaren Schritte sich der Tür nähern und kurze Zeit später klickte das Schloß.

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Ich kann nicht behaupten, daß ich erfreut war, sein kaltes Gesicht wiederzusehen, aber ich war auf irgendeine Art und Weise erleichtert, es geschafft zu haben, daß er ins Zimmer kam.
Er hatte seinen Stuhl wieder mitgebracht und nahm in sicherem Abstand zu mir darauf Platz.



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Dann blickte er mir fordernd in die Augen, als verstehe es sich von selbst, daß ich nun ein Gespräch anfange. Ich quälte ein Lächeln hervor um die Spannung ein wenig zu lockern und die Situation zu entlasten.
„Du hast gesagt, ich wäre nicht bereit, zu reden… Nun, ich bin es jetzt. Aber du hast mir nicht gesagt, worüber ich reden soll. Was willst du wissen?“ Zugegeben war dies nicht der beste Anfang für ein Gespräch, aber ich fühlte mich in seiner Nähe unwohl und je mehr Zeit verging, in der wir uns anschwiegen, desto dichter schien die Luft zu werden.



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„Bist du glücklich“ fragte er mit monotoner Stimme und starrte mir dabei tief in die Augen.
Kaum hatte er den Satz ausgesprochen, ertönten in meinem Gehirn imaginäre Karnevalsfanfaren um die Ironie zu untermauern und ich stieß ein gespielt herzhaftes Lachen aus.



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„Das war eine rhetorische Frage, stimmts?“

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Ich lachte, als hätte er den besten Witz erzählt, den ich je gehört hatte, doch er veränderte keine Miene, was mich letzten Endes dazu bewegte, mein Lachen abrupt zu beenden und genauso kalt zurück zu starren, wie er es tat. „Eine unpassendere Frage hättest du mir nicht stellen können, oder?“ Mein Tonfall war nun wieder vollkommen ernst. Er antwortete nicht.


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„Ich war das glücklichste Mädchen der Welt…“ begann ich nun, etwas wehmütig, da ich an Kaori denken musste. Was er wohl ohne mich machte?


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„Wo lebst du hier? Wohnst du allein?“ riß er mich aus meinen Gedanken.
Eine Weile schaute ich ihn an, etwas unglücklich darüber, daß er mich nicht zuende hatte reden lassen, aber Wehmut und Sorgen gehörten wohl nicht zu dem, was er hören wollte.



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„Nein.“ antwortete ich schließlich. „Ich wohne mit meinem besten Freund in einer Wohngemeinschaft… oder sollte ich besser sagen ‚wohnte’? Immerhin hast du mich hier eingesperrt. Weißt du eigentlich wie es ist, wenn man auf einen Schlag alles verliert, was einem wichtig erschien?“ Ich ließ ihn nicht zu Wort kommen, sondern antwortete stattdessen für ihn: „Nein, das weißt du nicht. Sonst hättest du es nicht getan.“



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Er legte den Kopf schief, als würde er mir zu verstehen geben wollen, daß er nicht nachvollziehen konnte, wovon ich eigentlich sprach. Ich stieß einen Seufzer aus.
„Was bist du eigentlich?“ fragte ich. „Ein Roboter? Eine Maschine? Ein Cyborg? Von Gefühlen scheinst ja nie was gehört zu haben, was?“ Ich untermauerte meine Frage mit einem sarkastischen angedeuteten Lachen.




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„Du wohnst also mit deinem Freund zusammen in einer Wohngemeinschaft“ faßte er zusammen. „Wie lange kennst du ihn?“
„Ist das in irgendeiner Form von Bedeutung für dich?“ platzte es aus mir heraus. „Willst du ihn etwa auch noch kidnappen?“ Sofort legte er wieder sein mißbilligendes Grinsen auf und gab mir deutlich zu verstehen, daß dies als Antwort genügen mußte.
„Wenn du das wagst….“ drohte ich.

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„Dann was?“ fiel er mir ins Wort.
Es schien eine schlechte Eigenschaft von ihm zu sein, mir immer wieder meine Position vor Augen zu halten, um sicher zu gehen, daß ich mir stets bewußt war, daß ich mich nicht in der Lage befand, Forderungen zu stellen.

Ich blickte zu Boden und schwieg.

„Dein Freund…“ begann er wieder, „bist du glücklich mit ihm?“
Langsam fragte ich mich, was das alles sollte. Warum wollte er unbedingt, daß ich ihm Informationen über Kaori gab? Anscheinend interessierte er sich nicht für mich als Person, sondern für mein Umfeld, das ich hier in Tokyo hatte. Welchen plausiblen Grund er dafür auch haben mochte, war mir unklar.
„Laß Kaori aus dem Spiel!“ sagte ich barsch und merkte sofort, daß es unklug war, seinen Namen genannt zu haben.
„Kaori?“ sagte er nun sichtlich überrascht. „Dein Freund ist eine FreundIN?“
Es dauerte eine Weile, bis ich verstanden hatte, warum er so reagierte, dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen und eine Welle der Erleichterung überkam mein Herz.
Kaori hatte seinen Namen mir zu verdanken, da wir uns bei meinem Einzug in die WG über Deutschland unterhielten und ich Kaoru kurzerhand eindeutschte indem ich ihm die verniedlichte Endung –ri andichtete. Daß Kaori jedoch außerdem ein gewöhnlicher japanischer Frauenname war, verriet er mir erst später. Ich hatte ja nie geahnt, daß dieses Wortspiel mir einmal so aus einem geglaubten Fettnapf helfen würde. Voller Selbstbewußtsein schaute ich Nakagawa in die Augen und sagte: „Jawohl! So ist es!“


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Er grinste sein herabwürdigendes Grinsen statt zu antworten.
„Wie wärs, wenn du mir zur Abwechslung mal was von dir erzählst!“ wechselte ich schnell das Thema, damit er nicht weiter über Kaori nachdenken konnte. „Ist das hier deine Wohnung, oder wo sind wir hier? Und außerdem – du könntest mal ein wenig Gnade walten lassen im Gegenzug, daß ich mit dir rede. Diese Fußfessel scheuert enorm…“

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Er veränderte seinen Blick nicht.
Eine Zeit lang wartete ich auf eine Antwort, ein Statement oder auf irgendwas anderes aus seiner Richtung und als ich begriff, daß er nicht vorhatte, sich dazu zu äußern, platzte mir der Kragen.


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„Hör mal, Nakagawa-kisama!“ wurde ich jetzt etwas lauter, mir der Worte genau bewußt, die ich wählte. War die Anrede „Kisama“ zur Edo-Zeit in Japan noch mit einem überhöflichen „verehrter, hochgeschätzter Herr“ vergleichbar, hatte es in der heutigen Zeit ironischerweise die selbe Bedeutung wie „du Lump“. „Diese Fußkette trägt nicht gerade zum Wohl meiner Gesundheit bei, und wenn du es genau wissen willst, ist meine Haut darunter gerade im Begriff, einen Dekubitus zu bilden! Du weißt, was das ist, nehme ich an? Was hältst du von der Idee, mir diese verfluchte Fessel abzunehmen, bevor ich eine Sepsis bekomme und elendig verrecke? Es war doch in deinem Sinne, keine 60kg totes Fleisch entsorgen zu müssen!“


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Statt in irgendeiner Form auf meine Äußerung einzugehen, beschloß er wortlos, daß unser Gespräch beendet war. Er verließ den Raum samt Stuhl und das letzte, was ich von ihm hörte, war das Einrasten des Türschlosses, bevor er wieder eine seiner Enka-CDs einlegte und vergaß, daß es mich gab.

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Ich hatte schon wieder verloren. Mein Plan, ihm ein Ultimatum zu stellen, war grandios gescheitert. Ich mußte mir jedoch eingestehen, nicht optimal an die Sache herangegangen zu sein. Ich hätte erst meine Forderung stellen sollen, bevor ich auf seinen Wunsch einging, mit ihm zu reden. Dennoch kam mir dieser Nakagawa immer seltsamer vor. Was für ein Typus Mensch er sein mochte, konnte ich mir nichtmal im Traum ausmalen. Von seinem Motiv, mich gefangen zu halten, ganz zu schweigen. Das nächste mal mußte ich sorgfältig planen. Ich mußte sichergehen, daß mein Plan absolut wasserdicht war, bevor ich ihn wieder ins Zimmer rief.



...to be continued
 
Zuletzt bearbeitet:
Aha! :)

Sehr schöne Fortsetzung. Da ich ja so gar keine Ahnung von Asien habe, helfen mir Deine Erklärungen sehr beim Verständnis. Appropos Verständnis ... ich habe jetzt gerade keine Lust das nachzuschlagen, wüsste aber doch gerne, was ein "Dekubitus" ist *lol* ... sowas wie "offene-Wunde-die-vor-sich-hin-fault" ???

Ach, mir ist noch was eingefallen: Ich wollte Dir mit meinem letzten Post keine "Auflösung" entlocken :) Ich schreib doch immer nur, was ich mir gerade so denke. Da brauchst Du gar nicht drauf eingehen ;)

Hier ist mir was aufgefallen ... Der Bösewicht ist bestimmt nicht blöd. Und hat sicher gemerkt, daß sie sich verplappert hat. Sie sprach ja von ihrem besten Freund. Und dann auf einmal ein Mädchen? Das hat der doch bestimmt gerafft. Na mal sehen ...

So ... und dann noch ein Gedanke/Eindruck von mir: Irgendwie glaube ich das mit den vier Monaten nicht. Klar ist es schwer, daß darzustellen und so. Und Du schreibst ja auch, daß es vier Monate sind. Aber ich persönlich habe eher das Gefühl, sie ist da erst ein paar Tage ... Hm, ich weiß aber irgendwie auch nicht, wie man das besser machen könnte. Komisch. Aber irgendwie auch cool, weil ich ja so genau wie sie in einer undefinierbaren Zeitschleife gelandet bin *höhö*
Oder hast Du das geplant???

Naja, wie auch immer: Sehr schöne Fortsetzung, tolle Story, gute Bilder und sehr gut geschrieben :D Weiter bitte ;)

Alles Liebe,
Colabirne
 
@Mailin:

Ich hab Japanologie studiert. Andererseits würde ich mich an eine Geschichte in einem völlig fremden Land auch nicht drantrauen. Wäre mir dann alles zu theoretisch und zu fiktiv ^^

@Koffeinhaltiges Kaltgetränk mit Fruchtgeschmack:

Ein Dekubitus ist ein Druckstellengeschwür. Das haben ältere Leute und Bettlägrige sehr oft, wenn man sie als Pfleger nicht regelmässig dreht. Es beginnt mit Hautrötungen und Nässungen, dann wird es eitrig, die Hautschichten gehen verloren und es bildet sich ein recht ekliges und stinkendes Loch mit Nekrosen. Ist alles andere als appetitlich.

Das mit den vier Monaten... hmm... naja. Ich war am überlegen, wie ich es hinkriege, dass man glaubt, sie ist vier Monate in dem Zimmer. Allerdings hätte ich dazu wirklich oft immer das selbe Ritual vom Aufstehen, Essen, Rumlaufen, Schlafen aufschreiben müssen und wäre damit heute noch nicht fertig. Ich glaube, das hätte nicht nur die Leser, sondern auch mich selber gelangweilt. Irgendwie muss ich euch ja bei Laune halten ^^
 
ich find, dass du das mit den vier monaten eigentlich recht gut hingekriegt hast - der unterschied zwischen dem ersten und dem zweiten teil - wo sie dann so fertig war - war schon sehr deutlich.

wieder eine gelungene fortsetzung.
 
Du hast wirklich einen faszinierenden Schreibstil, da mag man gar nicht mehr aufhören mit lesen.
Dein Thema find ich wirklich sehr gut gewählt, bei den ganzen Liebesgeschichten machte es schon gar keinen Spaß mehr, überhaupt noch hier reinzuschauen.

Ich weiß nicht genau warum, aber dieser Nakagawa ist mir mit seiner kühlen Art irgendwie "sympathisch" o.0

Tolle Fortsetzung, warte schon auf den nächsten Teil ^_^
 
Fortsetzung...


Doch es sollte alles anders kommen, als ich es je erwartet hatte.

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Nach einigen geschätzten Tagen war mein Erwachen anders als die etlichen Male zuvor.

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Als ich die Augen aufschlug, fühlte sich mein Schädel wie eine Hochdruckkammer an und bei dem immensen Schmerz, den ich dadurch verspürte, drehte sich mein Magen. Einige Sekunden kämpfte ich gegen diese plötzliche Übelkeit an, doch dann wich jedes körperliche Gefühl aus meinen Knochen und somit auch aus meinem Magen. Der Raum… Mein Umfeld hatte sich verändert.



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Ich war nicht mehr in diesem stickigen Raum, der in den letzten Monaten zu meiner Heimat geworden war. Nein, der Ort, an dem ich mich befand, sah aus wie ein kühl aber liebevoll eingerichtetes, neujapanisches Wohnzimmer. Schräg vor mir stand ein gemütlich aussehendes Sofa und ein kleiner Couchtisch. Träumte ich das nur? Mein Blick wanderte an mir herab. Meine Überraschung vollendete sich, als ich schließlich bemerkte, daß ich andere Kleidung trug und allem Anschein nach gebadet war. Meine Haare waren noch naß und rochen nach fruchtigem Shampoo. Daß die Sachen an meinem Körper nicht für Frauen gemacht waren, erkannte ich sofort, denn das T-Shirt, das ich trug, war mir zu groß und die Hose so lang, daß ich bei jedem Schritt auf ihren Saum trat.



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Der Gedanke von eventueller Freiheit wurde jedoch im Keim erstickt, da ich bei meiner Selbstinspizion schnell feststellte, daß ich immer noch die Fußfessel trug. Sie war hinter mir an der Wand an einem Gitter, welches fest in der Wand verankert war, gekettet. Zu meinem Erstaunen bemerkte ich aber, daß die Druckwunde an meinem Knöchel versorgt und mit Mull verbunden war.
Ein unbeschreibliches Glücksgefühl durchfuhr meine Seele. Ganz plötzlich und aus dem Nichts heraus empfand ich eine tiefe Dankbarkeit für meinen Entführer, der, obwohl er mit mir machen konnte, was er wollte, ohne, daß ich mich hätte wehren können, aufeinmal ungeheuer sympathisch wurde. Obwohl ein Teil von mir wußte, daß dieses Gefühl ihm gegenüber alles andere als richtig war, konnte ich mich ihm nicht entziehen und genoß die Euphorie, die mir zuteil wurde. Von Nakagawa selbst jedoch war nicht das geringste zu sehen.

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Hatte er bis dato den unnahbaren und emotionslosen Peiniger raushängen lassen, entzog es sich immer mehr meines Verständnisses, daß er sich nun doch von einer ganz anderen Seite zeigte. Ich musste mir erneut eingestehen, ihn nicht im Geringsten einschätzen zu können. Das jedoch wollte ich ändern. Ich musste schlau sein, denn nur, wer seinen Feind kennt, kann eine Taktik gegen ihn vornehmen. So beschloß ich, das Puzzle ‚Nakagawa’ ein wenig mehr zu vervollständigen, indem ich die Einrichtung des Zimmers analysierte um irgendwie, wenn auch nur geringfügig auf seinen Charakter schließen zu können.



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Auf dem kleinen Couchtisch, der nicht fern von mir, aber dank der Kette um mein Fußgelenk unerreichbar war, lag ein dickes Buch, dessen Inhalt oder Herkunft ich dank des unbeschrifteten Einbands nicht bestimmen konnte und in einiger Entfernung ragten große Bücherregale bis zur Zimmerdecke empor. Ein Fenster befand sich in der von mir aus gesehenen entgegengesetzten Ecke des Raumes, und ein braunes Holzrollo verdeckte die freie Sicht, sodaß ich keinen Blick hinaus werfen konnte. Daneben stand eindrucksvoll und hochtechnisiert eine Stereoanlage mit blauem Display, die zwar eingeschaltet war, aber entweder auf Mute stand, oder keine CD beinhaltete.


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Die CDs selbst lagen ordentlich gestapelt auf einem Regal, nicht fern der Anlage.
Zu meiner Rechten stand der Fernseher auf einem kleinen hölzernen, aber modernen Tisch. Selbst wenn ich auf dem Boden gelegen hätte, hätte ich dank des ungünstigen Winkels nicht hineinsehen können. Das erübrigte sich jedoch, da der Fernseher nicht eingeschaltet war.
Die Atmosphäre des Zimmers gab mir ein beinahe wohnliches Gefühl. Ich begründete dies mit der Tatsache, daß das letzte mal, als ich eine normale Wohnung von innen gesehen hatte, mehr als sechs Monate zurück lag. Außerdem hatte das Zimmer relativ in meiner Nähe ein großes, hell leuchtendes und plätscherndes Aquarium, in dem viele bunte Meeresfische umherschwammen, welche die Atmosphäre des Wohnzimmers immens aufwerteten.

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Man konnte von meiner Position aus in den breiten Flur blicken, der zwei Türen hatte und in weiter Ferne eine Kurve machte. Dort stand auf einem kleinen Tischchen unerreichbar weit weg von mir ein Telefon. Die pure Anwesenheit dieses kleinen Gerätes, welches mich innerhalb kurzer Zeit sofort hier raus holen könnte und die Gewißheit, es nicht benutzen zu können trübten meine Stimmung ein wenig. Ich löste meinen Blick von dem Fernsprecher und konzentrierte mich wieder auf den Rest meiner Umgebung, welche ich immer noch sehr begrüßte.

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Eines jedoch stach mir wie ein Dorn ins Auge und ich überlegte, wie ich mir das Dasein dieses Gegenstandes möglichst realitätsnah erklären konnte: Das eingerahmte Hello-Kitty Bild an der mir gegenüberliegenden Wand wollte partout nicht in dieses Zimmer oder meine Vorstellung Nakagawas hineinpassen. Gerade Hello-Kitty! Wieso hängte sich ein Mensch, der so kalt und unberechenbar war und außerdem bereits jenseits der 25 sein mußte, sich dieses Abbild fiktiver Niedlichkeit ins Wohnzimmer? Je mehr Einblick ich in das Leben meines Entführers hatte, desto weniger glaubte ich zu verstehen.

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Dennoch betäubte mich die Freude meines Ortswechsels und bescherte mir ein angenehmes Kribbeln in den Wangen. Ich roch an meinem T-Shirt und zum ersten mal in meinem Leben empfand ich den Duft von Waschpulver und Weichspüler als unglaublich berauschend.

Aus irgendeinem unerfindlichen Grund fühlte ich mich fast frei. Zum ersten Mal konnte ich dank des Fensters und des Telefons wieder glauben, daß es dort draußen eine Welt gab, die zweifelsfrei existierte und keine Illusion meines ausgelaugten Verstandes war. Fast sehnsüchtig blickte ich auf das Fenster. Dahinter war die Freiheit. Das ewige Spiel vom Gewinnen und Verlieren. Ich fühlte mich dem normalen Leben, wie es jenseits meiner Position an mir vorüberzog, plötzlich zum Greifen nah. Das Klacken eines Schlüssels, der sich jenseits des Wohnzimmers im Schlüsselloch drehte, beendete abrupt meine Träume der Grenzenlosigkeit. Nakagawa kam zurück!

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Als er den Korridor entlang kam, glaubte ich das erste mal eine Form der Überraschung in seinem Gesicht sehen zu können. Anscheinend hatte er nicht damit gerechnet, mich bei vollem Bewußtsein vorzufinden.

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„Soso, Fräulein. Du bist schneller aufgewacht, als ich gedacht hätte.“ kam es von ihm, als er im Gehen einige Dinge auf den Telefontisch warf und mich kaum beachtete. „Dieses verfluchte Chloroform ist auch nicht mehr das, was es mal war…“ – Ich konnte mir nicht helfen, er kam mir enorm abgespannt vor. Wo er wohl gewesen war? Bisher hatte ich geglaubt, er wäre eine Art Bürohengst oder irgendetwas in der Art, was ich an seinem Kleidungsstil festmachte. Jedoch hatte ich immer aus den Augen gelassen, daß er stets ein paar häßliche Lederhandschuhe trug, deren Fingerspitzen abgetrennt waren. Sie erinnerten an Fahrradhandschuhe, jedoch waren sie dafür zu ein wenig zu edel und paßten wohl kaum in das gesellschaftliche Bild gemeiner Arbeitskleidung.



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Ich wollte nicht um den heißen Brei reden, also kam ich direkt zur Sache:
„Womit habe ich es verdient, daß du mich in dein Wohnzimmer einquartierst? Und überhaupt – du hast mich gewaschen! Welch Ehre…“ Daß meine Worte geradezu in Ironie getränkt waren, war nicht beabsichtigt, jedoch bemerkte ich es zu spät, um noch die Kurve zu kriegen.

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Er schenkte mir keinen Blick, sondern griff in den Schrank unter dem Aquarium, holte eine Dose hervor und begann seelenruhig, die Fische zu füttern.
„Ich habe dich gewaschen, weil mich der Gedanke daran, wie du mein Wohnzimmer mit deinem Geruch kontaminierst, nicht sonderlich begeistert hat.“ kam es über seine Lippen.




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Ich hatte keine barmherzigen Worte erwartet. Aber es änderte nichts daran, daß ich froh darüber war, daß er es überhaupt getan hatte. „Weshalb hast du mich hergebracht?“ fragte ich wieder und ging nicht in der Annahme, daß er mir wirklich antworten würde – und das tat er auch nicht. Stattdessen reckte er kurz sein Genick und machte sich auf den Weg zur Stereoanlage, um wieder eine seiner CDs einzulegen. Diesmal war es Mayumi Itsuwa, deren revolutionäres „Koibito yo“ man aus den Lautsprechern hörte – eine Hitballade aus den 80ern. Nakagawa setzte sich auf die Couch, zog eine Schachtel ‚Seven Stars’ hervor und zündete sich ruhig und gelassen eine Zigarette an.

Mein Gesicht muß ausgesehen haben wie das eines kleinen Kindes, wenn die Mutter im Supermarkt an einem Regal mit Süßigkeiten vorbeigeht, ohne etwas davon in den Einkaufswagen zu packen. Ich hatte seit Ewigkeiten keine mehr geraucht und das Verlangen nach einer Zigarette potenzierte sich ins Unermeßliche. Ich beobachtete jeden einzelnen Zug genau, den Nakagawa nahm und stellte mir vor, wie es wäre, hätte ich auch einen dieser Glimmstengel.


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Wie auch immer, er mußte in meinem Gesicht deutlich lesen können, denn er warf einen Blick auf die brennende Zigarette und ein fast hämisches Grinsen spielte um sein Gesicht.
Bei seiner Art, mich anzuschauen, mußte ich an eine Zeile aus Tuxedo Moons „In a Manner of Speaking“ denken: „…you told me everything by saying nothing“

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„Wie wärs, wenn du zur Abwechslung mal sagen würdest, warum du mich nun hier angekettet hast, statt immer nur zu grinsen wie ein Haifisch.“ sagte ich, mehr um mich selbst von der Zigarette abzulenken, als um des Dialogs wegen.

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„Und denkst du, es würde etwas für dich ändern, wenn du den Grund wüßtest?“ fragte er und blies dabei den Rauch in meine Richtung. Ich haßte es, wenn er jede meiner Fragen mit einer Gegenfrage abkanzelte. „Nein!“ antwortete ich, „Aber immerhin würde es mir helfen, das zehntausend Teile Puzzle ‚Nakagawa’ um einen Teil reicher zu machen.“ Er lächelte wieder auf seine verlogene und hinterlistige Art und Weise.
„Alternativ könntest du mir den generellen Grund nennen, warum du mich gefangen hältst! Du hast keinen Vorteil davon, mich hier einzusperren wie ein Tier!“ Ich ließ nicht locker.
„Das denkst du vielleicht.“ sagte er ruhig. „Aber ich habe auch nicht damit gerechnet, daß eine gewöhnliche Person wie du auch nur die leiseste Ahnung von meinen Motiven hat.“
Er drückte die aufgerauchte Zigarette im Aschenbecher aus.
Gewöhnliche Person wie ich… Sein überheblich gewähltes Vokabular paßte mir nicht. Jedoch war es wohl nicht ungewöhnlich für einen Menschen mit derart geschwollenem Ego, wie dem seinen. „Wenn du ein Haustier gewollt hast, das du regelmässig füttern und saubermachen musst, wärst du mit einem Hund oder einer kleinen Katze besser dran gewesen!“ höhnte ich.
„Ein… Haustier…“ zitierte er mich. „Trotz deiner Naivität hast du nicht den selben Stellenwert wie eine dieser…. autonomen Dekorationen, oder wie du sie nennst, Haustiere.“

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Ich sah keinen Sinn darin, mit ihm ein Gespräch über solche irrelevanten Themen aufrecht zu erhalten. „Wann läßt du mich endlich gehen?“ fragte ich und gab mir Mühe, möglichst viel Druck in meine Worte hineinzusetzen. Ich sehnte mich nach meinem Leben, nach Kaori, nach jemandem, den man berühren konnte, ohne, daß er zerplatzte wie ein Traum im ersten Morgenlicht.

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„Du solltest dich nicht mit dem „wann“ beschäftigen.“ kam es aus seiner Richtung.
„Wenn alles so funktioniert, wie ich es geplant habe, gibt es für dich kein Zurück. Ich schlage deshalb vor, daß du dich möglichst schnell von deinem alten Leben verabschiedest.“



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Hatte ich das eben wirklich gehört? Er wollte mich nie wieder freilassen?
Das Glücksgefühl, das ich bis eben noch hatte, verschwand so plötzlich, wie es gekommen war und machte zwei neuen Emotionen Platz: Der Wut und der Frustration.



..to be continued
 
Zuletzt bearbeitet:
Fortsetzung..

„WIE KANNST DU SOWAS SAGEN?“ brüllte es aus mir heraus. „Du kannst nicht einfach Menschen von der Straße kidnappen, sie bei dir zuhause einsperren und sie für den Rest ihres Lebens gefangen halten! Hast du überhaupt den Hauch einer Ahnung, was Menschenrechte sind?“


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Er blieb die Ruhe selbst. „Es ist völlig irrelevant, ob du dich aufregst, oder nicht.“ sagte er mit monotoner Stimme. „Was hattest du in deinem Leben schon großes? Du warst eine Studentin, du hattest keine großen Verpflichtungen. Du warst ein Nichts.“
Jedes Wort, das seinen Mund verließ, brachte meine Wut mehr zum kochen.

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„SAG MAL, HAST DU SIE NOCH ALLE?“ keifte ich. „WAS UM ALLES IN DER WELT GIBT DIR DAS RECHT, ÜBER MEIN LEBEN ZU URTEILEN?“


Er lächelte. „Dein Leben erfüllt jetzt einen Zweck.“

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„Du….. ARROGANTER W*CHSER!“ schrie ich und hoffte, daß man mich noch bis über’s Meer in Hong Kong hören würde. „HÄTTEST DU AUCH NUR EIN BIßCHEN A*SCH IN DER HOSE, WÜRDEST DU HERKOMMEN, DAMIT ICH DIR DEIN DRECKIGES GESICHT EINSCHLAGEN KANN!“

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„Du wirst es schon noch verstehen.“ sagte er zuversichtlich. „Jedoch beschleicht mich der Verdacht, dich anscheinend ein wenig zu früh aus dem Zimmer herausgeholt zu haben…“
Meine Augen weiteten sich.
„Du willst mich doch nicht wieder in dieses Rattenloch stecken, oder?“ versuchte ich die Fassung zu bewahren. Mir wurde schnell klar, daß ich absolut keine Chance hatte – er würde immer am längeren Hebel sitzen, egal, was ich tat. Wenn er wollte, konnte er mich am ausgestreckten Arm verhungern lassen.



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Bei dem Gedanken an das stinkende Zimmer mit seiner unbarmherzigen Neonröhre wurde mir schlagartig wieder übel. Meine Wut schlug erneut um. „BITTE!“ bettelte ich. „Mach mit mir, was du willst, aber sperre mich nicht wieder in dieses Zimmer! Was immer du willst, nimm es dir, aber laß mich nicht in diesem gottverdammten Raum verrecken!“ Ich fiel auf die Knie. Er lächelte zu mir herab. Ja, er wollte mich zermürben und er hatte es geschafft.



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Mit einer enormen Ruhe griff er wieder in seine Innentasche und holte erneut eine Zigarette hervor. Dann erhob er sich vom Sofa und kam ein paar Schritte auf mich zu. Ich kam mir vor, wie ein geprügelter Hund, der nun um die Gnade seines Herrchens bettelte. Die Tränen rannen eine nach der anderen mein Gesicht herab, während ich zu seinen Füßen lag und um Erbarmen winselte. „Bitte!“ flehte ich. „Hab ein Herz und bring mich nicht zurück an diesen gottlosen Ort!“



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Dann passierte etwas, womit ich niemals gerechnet hatte.
Nachdem er ein paar tiefe Züge genommen hatte, tätschelte er mir barmherzig und beinahe liebevoll über den Kopf und hielt mir die Zigarette vor die Lippen.



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Für eine Weile schien die Zeit stillzustehen. Dieser Mann, der das Wort „Gefühl“ vermutlich nichtmal buchstabieren konnte, hatte es geschafft, daß ich mich in ein heulendes Häufchen Elend verwandelte und bot mir tatsächlich eine Zigarette an. Als ich diese Geste realisierte, überkam mich ein Schwall der Emotionen. Ich heulte wie ein Schloßhund, diesen angedeuteten Hauch von Nähe, den er mir zuteil werden ließ, in mich aufsaugend wie ein ausgetrockneter Schwamm. Ich fühlte mich wie ein Kind, das nach einer Tracht Prügel in die tröstenden Arme der Mutter fiel.

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Es war ein kurzer Anflug von Zärtlichkeit, den er mir gab und ich verschlang ihn wie ein hungriger Wolf.

Ich wagte es nicht, ihn anzusehen. Während ich den stechenden Rauch inhalierte und mir der Schnodder aus der Nase auf die Oberlippe rann, um dort an den Winkeln meines Mundes hinabzulaufen, kam mir Nakagawa vor wie ein Gott und ich mir selbst wie ein unwürdiges Insekt. Mein Wille war gebrochen.

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Nach einigen Minuten jedoch löste er sich von mir.
„Du wirst sehen, bald ist alles gut.“ sagte er und mit diesen Worten knipste er das Licht aus und verschwand hinter einer der Türen im Korridor.
Ich ertrank in meinem eigenen Selbstmitleid. Jetzt, wo es auch noch dunkel war, hatte die Welt nichts weiter als absolute Trostlosigkeit für mich übrig. Der blaue Equalizer der Stereoanlage hüpfte noch einige Zeit zu den Takten Mayumi Itsuwas Musik, bevor jeglicher Klang, mit Ausnahme des Aquariumgeplätschers, und somit auch das einzige Licht im Raum erstarb.

Kaori…

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Ich würde dein lächelndes Gesicht niemals wiedersehen. Ach, hätte ich doch nur die Möglichkeit gehabt, mich von dir zu verabschieden… Hätte ich an jenem Morgen gewußt, daß ich nie wieder nach Hause kommen würde, ich hätte alles anders gemacht. Ich wäre nicht eine halbe Stunde zu spät aufgestanden, um mich dann abzuhetzen, um zur Uni zu kommen. Ich hatte keine Zeit für den obligatorischen Smalltalk am Küchentisch gehabt und keine Chance, mir Kaoris warmes Lächeln nochmal einzuprägen.

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„Lebe jeden Tag wie deinen letzten“ hatte ein altes Sprichwort gesagt und wann immer ich es hörte, entlockte es mir nichtmal ein müdes Lächeln. Es wurde so oft von so vielen Leuten benutzt, daß es mir abgelutscht und langweilig vorkam. Pseudoweisheiten, hatte ich immer gesagt. Doch aus unerfindlichem Grund fiel mir genau dieses Sprichwort jetzt gerade ein und ich mußte ihm angesichts meiner Situation einen ungeheuren Wahrheitsgehalt beimessen.



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Die halbe Nacht lag ich wach. Mein Gedankenkarussell ließ mich nicht schlafen.
„Dein Leben erfüllt jetzt einen Zweck!“ waren Nakagawas Worte. So sehr ich es auch versuchte, mich in seine Lage zu versetzen, ich konnte es mir nicht erklären. Das einzige, was ich ihm tatsächlich bereitete, war Arbeit. Ob er mich schon beobachetet hatte, als ich noch nicht hier in seiner Wohnung eingesperrt war, war fraglich. Daß ich Studentin war, hatte er mühelos den Utensilien aus meiner Tasche entnehmen können, die ich an jenem Morgen auf meinem Weg zur Universität dabei hatte. Darin war alles, was ich brauchte. Selbst das Visum, das mir meinen Aufenthalt in Japan gewährte, schleppte ich täglich mit mir herum. Diese Tasche und ihren Inhalt hatte ich seither nicht mehr gesehen. Ich war jedoch überzeugt, daß Nakagawa sie aufbewahrt hatte. Er hätte es sich nicht erlauben können, auch nur den Hauch einer Spur von mir zurück zu lassen.

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Ebenso war ich überzeugt davon, daß er selbst ein Mensch war, der niemals auffällig wurde. Hätte er ein Vorstrafenregister gehabt, dann hätte die Polizei ihn sicherlich längst unter die Lupe genommen. Ich hatte keinen Zweifel daran, daß Kaori längst eine Vermißtenanzeige aufgegeben hatte, immerhin sorgte er sich ja schon, wenn ich nur später als geplant nach Hause kam.

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Das einzige, was ich mir durchaus vorstellen konnte war, daß Nakagawa ein sehr einzelgängerischer Typ war. Die ganze Zeit, in der ich nun schon hier in der Wohnung war, hatte ich nicht einmal das Telefon, oder die Türklingel gehört. Da er meist über Stunden hinweg die Musik laufen ließ, war es auch schwer zu sagen, ob er oft außer Haus war. Das alles ergab keinen Sinn. Ich rollte mich auf dem Boden zusammen und schloß die Augen und obwohl ich nicht bequemer lag als vorher noch in dem Raum, ließ mich das stetige Plätschern des Aquariums und das Wissen, in einem Wohnzimmer zu sein, schließlich in einen sorglosen und erholsamen Schlaf gleiten, in dem nichts mehr Bedeutung hatte. Weder meine Umstände, noch Nakagawa, noch der sehnliche Wunsch, endlich wieder frei zu sein.

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...to be continued
 
ich weiß gar nicht so genau was ich schreiben soll o.o obwohl es immer der gleiche raum ist,bis zum neuen kapitel,also eigentlich war,und immer kreist die handlung nur um maximal 3 personen,mehr gesichter hat man noch gar nicht gesehn. aber die geschichte ist total mitreißend und ergreifend,auch spannend und..einfach toll o.o
bedrückend..keine ahnung.
man konzentriert sich nur auf den text,und der ist echt gut,um nicht zu sagen perfekt =^___^=
man kann sie auch irgendwie total gut verstehen,weil man genauso wenig weiß wie sie.und als sie ihn das wohnzimmer kam war ich auch richtig erleichtert und hab mich viel entspannter und gelöster gefühlt o_Ô weil du es irgendwie so gut beschreibst <3
ich weiß auch nciht,aber nachdem die geschichte jah irgendwas mit glücksweg heißt,falls ich das richtig lesen kann,oder was genau bedeutet der titel?
najah,auf jeden fall denke ich mal ihr entführer will ihr ein neues lebensgefühl geben..ich weiß auch nicht oo er hält sich jah für ein höheres wesen und hat sie gefragt ob sie glücklich ist..er meint aber auch er wird sie nie wieder freilassen..aber das sagt er evtl auch um ihre psyche zu beeinflussen.. oder er ist nur ein kranker sadist.wobei er jah so und so krank ist...

ich bin auf jeden fall gespannt,und hoffentlich schreibst du wieder schnell weiter <3 und falls du benachrichtigungen per pn machst kannst du mich bitte auch gerne mal benachrichtigen,obwohl cih eh regelmäßig reinschaun werde. :3
 
Vielen Dank für dein Lob, Karrotten-Gebäck ;)

Die Intention dieser Story hat viele Facetten, würde ich behaupten und ich finde, total perfekte Bilder und möglichst Abwechslungsreiche Szenerien machen noch lange keine gute Geschichte aus. Das zum einen.... Zum anderen war ich gespannt, ob eine Geschichte, die eigentlich von den Bildern her total eintönig ist, überhaupt funktioniert. Ich habe die Story extra so konzipiert, dass man die Bilder nicht braucht, um sich in das Geschehen einfühlen zu können, da ich eine blinde Freundin habe und seit ich sie kenne, bei allem, was ich tu, immer daran denke, dass es auch Menschen gibt, die nicht sehen können.

Die ganze Geschichte jedoch ist ein Experiment von mir. Ich wollte damit das Hauptmerkmal auf Emotionen und Menschlichkeit setzen, und nicht zuletzt sogar einen Drahtseilakt versuchen, der vermutlich den wenigsten Lesern zusagen wird. Aber wie ich oben schon schrieb: Es ist die Geschichte, die ich schreiben will. :)

Saigo no Koufukuron bedeutet "Die letzte Theorie vom Glücklichsein" oder "des Glücks". Und der Titel ist nicht umsonst gewählt, das stimmt.

Wenn sie dich aber so mitgerissen hat, wie du schreibst, dann hab ich meine Arbeit gut gemacht. Gerade die manchmal sehr paradoxen Gefühle von Julie sind das, was kaum jemand nachvollziehen kann.

Ich benachrichtige dich :)
 
Also... Ich bin FS-Schreiber und eigentlich kein -Leser aber das hier...

Du hast es gerade geschafft, dass ich rund 20 Minuten wie gebannt auf den Bildschirm starre und meine Gedanken im Kopf Purzelpäume schlagen. Dank deiner absolut autentischen Beschreibungen werde ich wohl diese Nacht in Empathie für das Mädchen schlaflos zubringen. Ausserdem fürchte ich, dass mein Gehirn ebenso gemartert wird, ewig lechzend nach einem Hinweis, der mich der Lösung des Rätsels "Warum" und "Wozu" näher bringt.

Zudem versinke ich in tiefster Ehrfurcht und - ja - auch ein bisschen Eifersucht angesichts deines fantastischen Händchens für Dramaturgie! Ich wünschte, ich hätte deine Rethorik und deine Augen!

Lange Rede, kurzer Sinn: Ich bin hin und weg!

Uhm... das einzige was ich sagen muss ist, dass ich mit dem japanischen Einfluss in dieser Story nichts anfangen kann. Aber ich an deiner Stelle würde wahrscheinlich auch dazu greifen. Ich finde, du hast es gut gelöst. Oder übersehe ich irgend einen höheren Sinn warum die Geschichte in Japan spielt und nicht irgendwo anders?
Dann: Nach 4 Monaten alleine eingesperrt in einem Raum wird man hochgradig psychotisch! Dieses Mädchen muss einen Willen haben, den man echt nur bewundern kann! Die Charakterenentwicklung finde ich im Übrigen super!

Ist es ein anbahnendes Stockholm-Syndrom, das ich da rieche, oder eher das Entführen des Lesers in seine eigene Abgründe?
 
Da war ich mal ein paar Tage nicht da und schon gibt´s wieder eine Menge zum Lesen.
Ich finde diesen Nakagawa sehr mysteriös... Ich glaube nicht, dass er ein Mensch ist.

„Ein… Haustier…“ zitierte er mich. „Trotz deiner Naivität hast du nicht den selben Stellenwert wie eine dieser…. autonomen Dekorationen, oder wie du sie nennst, Haustiere.“

Sehr, sehr eigenartig dieser Typ. Was ich auch sehr gruselig fand, ist das er sie sauber gemacht hat. Irgendwie unheimlich.
Und am Schluss die Aktion mit der Zigarette wo er ihr den Kopf schreichelt...
Also ich habe wirklich keine Ahnung was es alles damit auf sich hat.
Ansonsten muss ich meinen Vorrednern (schreibt man das so?) Recht geben was deinen Schreibstil angeht. Man kann sich genau in Julies Lage hineinversetzen.
 
@Nonuna:

Ich weiss garnicht, was ich sagen soll. So ein Kompliment hab ich noch nie bekommen. Das überrumpelt mich grade etwas (o_o)''' Eigentlich hatte ich sogar gedacht, dass kein Mensch die Geschichte überhaupt lesen wird, und dann das hier...
Die Geschichte spielt in Japan aus vielerlei Gründen:
1) In Deutschland wohn ich selber schon, da muss meine Story nicht auch noch da spielen
2) bin ich mit Japan am ehesten vertraut, ausser halt noch mit Deutschland
3) ist dieses "weit weg von zuhause" noch ein kleiner Punkt in der Geschichte

Julie befindet sich mittlerweile am Rand eine Psychose. Sie ist ein starkes Mädchen, aber wie du siehst - sie hält das alles nicht mehr durch. Wo das hinführt... ne? ;)

@Japanese:
Oh, Nakagawa ist durchaus ein Mensch. Er ist ein seltsamer und ebenso grausamer Mensch, aber er ist einer. Das kann ich schonmal versprechen :)

\(*^__^*)/ Ich freue mich jedenfalls über all das Lob! Das geht runter wie zehn Pfund Schmierseife!
 
Also wenn er doch ein Mensch ist muss ich meine Theorien alle wieder über den Haufen schmeißen. :lol:
Jetzt bin ich sehr verwirrt! :confused:
 
Du hast einen Schreibstil, da bleibt man förmlich hängen. Das kann man schlecht in Worte fassen, einfach wie du ihre Gefühlswelt und alles schilderst. Respekt!

Weißt du schon, wann der nächste Teil kommt?

EDIT:
Achja, kannst du mich auch benachrichtigen?
 
Zuletzt bearbeitet:
richtig guter anfang
benachrichtigst du mich bitte, wenn es weiter geht?
was hat dieser naka wohl mit ihr weiter vor???
aberecht suppi anfang
 
Fortsetzung...

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Viel später konnte es nicht gewesen sein, als mich das Klirren von Besteck und Tellern wieder aufweckte. Als ich die Augen aufschlug, waren meine Lider geschwollen, als hätte ich zehn Tage nicht geschlafen und zu meiner Überraschung nahm ich den Geruch von frischen Pfannkuchen wahr. Hatte ich jetzt völlig den Verstand verloren? Nein, hatte ich nicht, denn just in dem Augenblick kam Nakagawa ins Wohnzimmer. Er grinste sein typisches Haifischgrinsen als er bemerkte, daß ich wach war und stellte mir einen Teller auf den Boden. Ich hatte mich nicht getäuscht. Es waren wirklich Pfannkuchen.

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„Du solltest sie essen, solange sie noch heiß sind.“ sagte er und bevor ich ihn richtig ansehen konnte, hatte er sich schon wieder von mir abgewendet und suchte eine CD aus dem Stapel neben der Stereoanlage. „Danke“ brachte ich über die Lippen. Ich erwartete eine Reaktion auf die gestrige Situation, irgendein Wort, eine Gestik oder Mimik, die verraten würde, daß Nakagawa ebenfalls noch an den Vorfall dachte, doch meine Erwartungen wurden nicht erfüllt.

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Während ich mit gesunden Appetit die Pfannkuchen in mich hineinstopfte, wirbelte er durch die Wohnung ohne, daß ich einen Grund für seine Hetzerei entdecken konnte. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich nicht, aber es war nur allzu deutlich, daß er wohl in absehbarer Zeit vorhatte, die Wohnung und damit auch mich zu verlassen. So sehr ich mich auch fragte, wohin er gehen würde, ich traute mich nicht, ihn danach zu fragen.

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Als ich aufgegessen hatte, machte sich der Druck in meiner Blase bemerkbar und mir fiel zum ersten mal bewußt auf, daß der Eimer, an dessen Anwesenheit ich mich so gewöhnt hatte, nicht im Zimmer stand.
„Wo ist mein Eimer?“ fragte ich.
Nakagawa hielt inne und schaute mich an. „Ich gehe davon aus, daß du noch weißt, wie man eine normale Toilette benutzt.“ sagte er – nicht mehr oder minder monoton, als ich es von ihm gewohnt war. Meine Augen weiteten sich. Sollte das wirklich bedeuten, er ließ mich ins Bad gehen? Ehe ich mich versah, zog er einen Schlüssel aus der Tasche seines Jacketts und schloß die Kette um meinen Fuß auf. Ich war gerade dabei, dank meiner Überraschung mein zugegeben schlechtes Bild von Nakagawa um einige Punkte zu bessern, erstickte er dieses Vorhaben schon im Keim, indem er plötzlich und aus dem Nichts heraus eine Pistole auf mich richtete.


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Mein Herz begann hörbar laut zu klopfen. Wollte er mich erschießen? Ich öffnete den Mund um etwas zu sagen, jedoch kam kein Laut in mir zustande.
„Wir wollen doch nicht, daß du irgendwelche Dummheiten anstellst, nicht wahr?“ sagte er und wies mir mit ausholender Geste den Weg durch den Korridor.

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Ich setzte mich stockend in Bewegung. Wäre diese Waffe nicht gewesen, ich hätte mich auf ihn gestürzt und versucht, ihn zu töten – soviel stand fest. Jedoch wagte ich es nicht, mich entgegen seiner Vorgaben zu verhalten, denn die Anwesenheit einer geladenen Pistole erschrak mich beinahe zu Tode.
Soweit ich mich zurückerinnern konnte, hatten Schußwaffen immer eine furchteinflößende Wirkung auf mich gehabt und selbst die breite Masse an Actionfilmen, die mit ebensolchen nicht gerade sparsam umgingen, hatte mich desbezüglich nicht abhärten können.

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Ich erreichte die Badezimmertür, die Nakagawa für mich öffnete und mich mit einladender Geste hereinbat. Es war ein sehr modern ausgestatteter Raum mit seperater Badewanne und Duschkabine, und die weißblauen Fliesen erzeugten eine fast schon sterile Atmosphäre, die zwar in Japan Gang und Gäbe waren, mich aber dank meiner deutschen Heimat immer wieder aufs Neue zu überraschen wußte.


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Mein Blick wanderte auf die Toilette und dann über meine Schulter zu Nakagawa, der mir immer noch die Pistole in den Rücken drückte.

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Hatte ich wirklich gedacht, er würde mir das letzte bißchen Würde lassen und während meiner Notdurft den Raum verlassen? Ich kam mir beinahe lächerlich vor, jenes wirklich in Betracht gezogen zu haben. Ich war jenseits davon, mich zu schämen. Meine Seele, einst ein bleierner Berg, der jeder Geste der Boshaftigkeit getrotzt hatte, war zu einem erbärmlichen Haufen Knetmasse geworden und Nakagawa konnte ihn formen, wie es ihm gerade zusagte.

Ohne zu zögern setzte ich mich auf die saubere Klobrille, während Nakagawa eine Zigarette aus der Tasche holte und sich bequem in den Türrahmen lehnte. Ich blickte zu Boden.

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„Ich schlage vor, du beeilst dich ein wenig.“ sagte er, vermied es jedoch anstandshalber, mich anzusehen. Noch während ich spülte, richtete er wieder die Waffe auf mich und leitete mich zurück ins Wohnzimmer, wo er mir wieder die Fessel um den Fuß klemmte und sie ordentlich verschloß. Mit den Augen verfolgte ich jede Bewegung, die seine Hand mit dem kleinen Schlüssel machte, den er schließlich zurück in die Innentasche seiner Jacke steckte.

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„Ich werde für ein paar Stunden weggehen“ kam es aus seiner Richtung. „Benimm dich anständig!“ Ich sah zu ihm auf und erhielt als Antwort ein Grinsen. Dann verschwand er.
Ein paar Stunden… Ich mochte die Einsamkeit nicht. Nach all der langen Zeit hatte ich es immer noch nicht geschafft, mich an sie zu gewöhnen. Auch wenn ich Nakagawa immer noch haßte, war mir seine Gesellschaft dennoch ein Trost – womöglich sogar der einzige, den ich hatte. Wäre ich ihm unter normalen Umständen im Zug oder in der übervollen Fußgängerzone in Shinjuku begegnet, er wäre einer der Menschen gewesen, die ich versucht hätte, zu meiden.

Ich blickte stumm im Zimmer umher und mein Blick blieb wieder auf dem eingerahmten Hello-Kitty Bild hängen.

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Nein, ich verstand es nicht. So sehr ich mich auch anstrengte – die Existenz dieses Bildes in genau dieser Wohnung war mir ein Rätsel. Während sich die Teenagermädchen in Deutschland von einem aufkeimenden Japan-Hype in nahezu jedes erkaufbare Detail aus dem Land der aufgehenden Sonne verliebten, hatte ich stets verständnislos den Kopf darüber geschüttelt. Überhaupt hatte das kleine, niedliche Kätzchen mit der rosa Schleife mehr in Europa und Amerika seinen Fanclub, als in Japan selbst.

Nakagawa hatte wirklich eine beachtliche Menge an Büchern. So sehr ich es auch versuchte, die Titel der Einbände lesen zu können, ich war zu weit von den Regalen entfernt. Mir war schon nach den ersten Sätzen von ihm klar gewesen, daß er kein dummer Mensch sein konnte. Auch seine Ausdrucksweise wirkte mehr als belesen. Was hätte ich darum gegeben, eines dieser Bücher aus dem Regal vor mir liegen zu haben. Auch das geringste bißchen Entertainment sollte mir genügen. Doch eines ließ ich dabei völlig außer Betracht, und doch war es so naheliegend, daß ich es schon nicht mehr wahrnahm – das Buch auf dem kleinen Couchtisch direkt vor meiner Nase.


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Da lag es mit seinem unbeschrifteten und nichtssagenden Einband. Es war fast zum greifen nah, wäre die schwere, eiserne Kette um mein Fußgelenk nicht gewesen. Ich kaute gedankenversunken auf meiner spröden Unterlippe herum, während ich mir Strategien überlegte, wie ich an jenes Buch herankommen könnte und schließlich sah ich mich selbst ausgestreckt auf dem Boden liegen, mit dem Arm wild vor dem kleinen Tischchen rumfuchtelnd.

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„Immer locker bleiben!“ sagte ich in Gedanken zu mir selbst. „Du hast alle Zeit der Welt.“
Ich probierte es noch ein paar mal, indem ich mich soweit streckte, wie es meine Knochen zuließen, jedoch erreichten meine Fingerspitzen nur gerade so eben noch die Tischkante und waren mindestens fünf Zentimeter von dem Buch entfernt.

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Wenn es mir nur gelingen würde, das Buch vom Tisch zu schubsen…

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Ich setzte mich wieder aufrecht hin und nahm meine nähere Umgebung in näheren Augenschein. Ein Stückchen neben mir war der kleine Fernsehtisch. Er stand zwar in einigem Abstand zu mir selbst, aber mit meiner Strecktechnik sollte es mir gelingen, in die kleinen Regalfächer darunter zu greifen. „Einen Versuch ist es wert!“ sprach ich laut vor mich hin und legte mich erneut flach auf den Boden bis die Kette an meinem Knöchel spannte. Dann streckte ich meine Hand aus und erreichte tatsächlich das kleine Fach unter dem Fernsehgerät. Ich tastete mit den Fingern umher und stieß auf einen eckigen, länglichen Gegenstand. Ich robbte das kleine Teil mit den Fingerspitzen in meine Handfläche und schließlich hatte ich meine Errungenschaft in festem Griff.
Eine Fernbedienung! Ja! Damit sollte es mir gelingen, das Buch vom Tisch zu fegen. Wieder streckte ich mich auf dem Boden aus und nahm diesmal dieses kleine, technische Gerät als Angel. Nach ein paar Versuchen hatte ich es geschafft! Mit einem schweren „Flapp“ fiel das Buch zu Boden, direkt vor meine Hand.



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Ich setzte mich wieder hin und blickte eine Weile erfreut über meinen Sieg auf den abgewetzten Einband. Obwohl ich es kaum erwarten konnte, es aufzuschlagen, nahm ich mir die Zeit, mich ein wenig in meinem guten Gefühl zu baden. Ich hatte gewonnen. Obgleich es auch eine kleine Schlacht war, die ich geführt hatte, ich hatte einen Punkt erzielt im ewigen Kampf, den ich gegen Nakagawa und die Einsamkeit führte.
Voller Erwartung schlug ich das Buch auf…

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Es war ein Fotoalbum. Ich muß zugeben, ich war sichtlich irritiert über meinen Fund, hatte ich doch einen schweren Wälzer wie Tolstois „Krieg und Frieden“ erwartet. Nein, stattdessen mußte ich feststellen, daß es eine Sammlung von Fotos war, die ordentlich und schnurgerade auf die leeren Seiten geklebt war. Ich nahm mir Zeit für jedes Bild, das ich dort sah.
Offensichtlich waren all diese Fotos im Park geknipst worden. Sie zeigten wahllose Menschen, die man jeden Tag sehen konnte, wenn man in die Gesichter von irgendwelchen Namenlosen Passanten blickte.

Ein Pärchen auf einer Bank, eine Mutter mit ihrem Kind beim Spaziergang, zwei Jugendliche mit einem Hund, geschäftig aussehende Schlipsträger, die sich vermutlich über die letzten Börsenergebnisse unterhielten… Eben jenes, was man täglich sah, wenn man sich die Zeit nahm, und im Park die kommenden und gehenden Menschen beobachtete. Und wieder hatte ich das Gefühl, immer weniger zu verstehen. Hatte Nakagawa all diese Fotos geknipst? Wenn ja, aus welchem Grund? Ich blätterte immer weiter in dem Album, und mir fiel auf, daß alle Bilder von jeweils dem selben Standort aufgenommen wurden. Manchmal war noch der Schatten des Fotografen auf dem steinigen Parkboden sichtbar. Nicht, daß mich all jenes nicht schon genug verwundert hätte, so entdeckte ich auf der letzten Seite des Buches unter dem letzten Foto eine handschriftliche Notiz: Futaribocchi.


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„Futaribocchi??“ murmelte ich vor mich hin. Obgleich ich mittlerweile fließend Japanisch sprach und auch lesen konnte, ergab diese Wortkonstellation keinen Sinn. War doch „Futari“ das Wort für „zwei Personen“, und die Endung „-bocchi“ ein Synonym für „ganz allein“. Während man im Deutschen wohl Konstruktionen wie „zu zweit einsam“ erschaffen konnte, war es im Japanischen hingegen völlig undenkbar, ein solch paradoxes Wortgerüst zu bilden. Ich erinnerte mich an jenen Tag, wo ich einem Freund etwas vom Deutschen ins Japanische übersetzen sollte. „Das Feierabend-Dilemma“ hatte er von mir gefordert und es wollte partout nicht in seinen Schädel gehen, daß ein Japaner selbst, wenn man diesen Satz wörtlich übersetzen würde, den Sinn nicht verstünde, da der Feierabend ja ansich was Gutes war und überhaupt am weitesten entfernt von einem Dilemma.

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Somit empfand ich es als nahezu unmöglich, mir vorzustellen, daß ein gebürtiger Japaner wie Nakagawa je ein derartiges Wort ‚erfand’.
Eine Weile blätterte ich noch im Fotoalbum vor und rückwärts, bevor mir einfiel, daß es sicher nicht das Klügste war, wenn er plötzlich zur Tür reinkam und mich damit erwischte. Ich beschloß, es zurück auf den Tisch zu werfen. Ich visierte mein Ziel genau an und schleuderte mit leichtem Schwung das Buch darauf zu, jedoch verweigerte ein gewisser Herr Murphy, dessen ungeschriebenes Gesetz es war, daß alles, was man tut, grundsätzlich schief ging, meinen Erfolg. Es flog haarscharf an der Tischkante vorbei, direkt vor die Füße des Sofas und somit weit außer Reichweite.

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„Mist!“
Noch bevor ich mich geistig auf die Frage vorbereiten konnte, was Nakagawa wohl mit mir tun würde, wenn er bemerkte, daß ich in dem Buch gelesen hatte, drängte sich mir das Bild von seiner Pistole auf und versetzte mich in eine aufsteigende Panik. Ich zog mich so weit in meine Ecke zurück, wie nur menschenmöglich und auch, wenn mich das keineswegs schützen würde, wenn er mich tatsächlich erschoß, so hoffte ich doch, ein mitleiderregendes Bild abzugeben, das die Umstände ein wenig mildern würden. In meiner Angst zog sich die Zeit wie alter Kaugummi und jedes Geräusch ließ mein Herz hörbar laut schlagen, bis ich schließlich die Wohnungstür hörte…

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...to be continued
 
Du meine Güte, was ist dieser Nakagawa bloss für ein besessener gefühlsloser Arsch! Dass er ein Mensch ist, daran zweifle ich nicht! Nur Menschen können so sein!
Die arme Julie... wie sie das durchhält zeugt wirklich von Charakterstärke!

Ich glaube, all jenen Lesern, die auch nur ein Fünkchen Empathie in sich tragen gefriert bei den Worten dieses misantropischen Sadisten das Herz!

Und dann machst du's auch immer noch so spannend! Ich lechze nach dem nächsten Kapitel!

(Ich sollte, wenn ich deine FS lese, das Ausrufezeichen auf meiner Tastatur sperren lassen, sonst wird das in meinen Kommentaren eine invasive Art!)
 
Wieder eine richtige tolle Fortsetzung.

Kann es sein, dass du dich mit der Raumbeschreibung bisschen vertan hast? Am Anfang vom 2. Abschnitt (also als sie dann in dem Wohnzimmer ist) beschreibst du, dass die Anlage von ihr aus am anderen Ende des Raums steht, aber das Ding im 1. Bild von der (neuen) Fortsetzung sieht so aus wie diese große Stereoanlage.


Erklärst du auch noch, warum er sie jetzt eigentlich "umquartiert" hat? So grausam das klingt, aber in dem kleinen Raum kann sie doch schon durch das Chloroform viel besser kontrollieren.
Ich habe mir alles mehrmals durchgelesen, komme aber irgendwie nicht auf den Trichter.

Was ist das eigentlich für ein Gitter? Eine Art Heizkörper oder was soll das sein?


ganz nebenbei:
Was heißt das eigentlich in deiner Sig?
 
@LiT:
Du hast gute Augen (>_<) ... Ich hab mich tatsächlich vertan... Son Mifft! Aber es ist auch irgendwie komisch und ich behalt nicht immer alles, was im Spiel so vorkommt. Ich schreibe die Geschichte ja in Word vor und mache später dann die Bilder. Hab also mal gut daneben gelegen...

Die ganzen "Warums" und "Wiesos" werden auf jeden Fall aufgelöst, mach dir da keine Gedanken :) Das Gitter ist ... naja, eigentlich ist es son Dingen, was man hinters Bett packt. Also ein klassisches Bettgitter. Ich hab es jedoch ein wenig zweckentfremdet, weil es so schön passte. Wenn man es ohne Bett betrachtet, kommt man ja auch nicht zwangsläufig drauf, dass es eigentlich garnicht für solche Arten von Fesselspielchen gemacht ist ;)

In meiner Signatur? 地球で最後の二人 heißt zu deutsch: Die letzten zwei Menschen auf der Welt.
 
Tolle Fortsetzung. So langsam kommt ja richtig Abwechslung in die Geschichte. Zumindest was die Räume angeht! :lol:
Das der Text mal wieder einfach perfekt geschrieben war brauche ich dir ja eigentlich nicht zu sagen. Du solltest ein Buch schreiben. Bei dir ist es nämlich wirklich als wüde man in einen Buchladen gehen und überlegen was man sich für ein Buch holt. Dann sucht man sich einen Schriftsteller aus bei dem man weiß, dass er gut ist und man wird nicht enttäuscht.
Der Gesichtsausdruck wo Julie versucht an den Tisch ranzukommen ist wirklich göttlich!
Ich bin schon ganz gespannt was passiert wenn Nakagawa wieder kommt und sieht, dass das Buch nicht mehr da liegt wo es sollte. :ohoh:
Und das Rätsel um das Hello Kitty Bild versuche ich gar nicht erst zu lösen. Ich lass mich mal überraschen!

lg Japanese
 
:hallo:
tut mir leid das ich erst jetzt wieder schreibe, sorry!!!

zur story:
also, ich dachte er wäre jetzt netter zu ihr weil sie ja jetzt im wohnzimmer ist, doch dann kommt er mit einer pistole angerannt!!!! so ein a*schloch!!!!!

zum text:
ich finds echt beeindrukend wie du es schaffst deinen text so spannend, interessant und fliesend zu schreiben!!!! und deine bilder ... wow!!!!

LG lisa
 
musszt du denn aufhören, wenn es am spannendsten wird?
danke für die benachrichtigung und die schönme fs
 
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