Die verbliebenen drei schwarzen Bauern verteilten sich an diesem Abend wieder über das Spielbrett und taten zunächst so, als wenn sie schlafen würden.
Doch währenddessen trieb sich noch eine weitere Gestalt über das Spielfeld. Nicht schwer zu erraten, dass es wieder die Dame [Smutje] war. Heute war sie extrem gut gelaunt. Natürlich war der Verlust ewrys bedauerlich, aber was machte das schon? Immerhin stand die Dame so noch besser da. Sie war es ganz allein gewesen, die Margaret entsorgt hatte. Margaret, die tatsächlich ein schwarzer Bauer gewesen war. Die Dame musste sich ziemlich zusammenreißen, um nicht in lautes Gelächter auszubrechen. Es war zu einfach gewesen und die anderen hatten es vorher nicht bemerkt. Naja, verübeln konnte sie es ihnen nicht. Konnten ja nicht alle so intelligent sein wie sie. Wäre auch irgendwie schlecht, dann würde sie schließlich niemand bewundern. Heute hatte sie gehört, wie ein weißer Bauer zu einem anderen Bauern gesagt hatte, dass sie ohne sie, die Dame, schon längst keine Chance mehr hätten. Und dass es schon an Genialität grenzen würde, dass sie es unbemerkt von allen anderen geschafft hatte, so ganz allein einen schwarzen Bauern zu vergiften. So musste das sein. Endlich bekam sie die Bewunderung, die ihr zustand, jetzt, wo sie gerade nicht im Schatten des Königs stand.
Dann wollte sie es doch heute gleich noch einmal versuchen. Eine halbe Flasche Gift hatte sie ja noch. Schade eigentlich, dass es nur so wenig war. Aber eine erneute Herstellung würde jetzt zu lange dauern. Da wäre ja selbst sie nie drauf gekommen, dass sie es mal brauchen würde, weil die schwarzen Figuren hier mit unfairen Mitteln spielten. Unfair… Das war sowieso das Stichwort. Heute, während das Duell lief, hatte sie, die natürlich den Blick fürs Detail besaß, gesehen, wie Mizuki eine andere Schachfigur ganz dreist zur Seite geschubst hatte, um besser sehen zu können. Sowas konnte auch nur einer schwarzen Figur einfallen. Eine weiße Figur wäre schlau genug gewesen, sich mit ein paar Zügen auf ein freies Feld mit guter Sicht – davon gab es schließlich genug – zu bewegen. Während sie so darüber nachdachte, kam sie zu dem Schluss, dass sie es ja eigentlich noch ganz gut getroffen hatte mit den weißen Figuren. Die meisten von ihnen hatten immerhin noch etwas Respekt vor ihr, auch wenn sie den König mehr verehrten. Die schwarzen schienen überhaupt keine Ahnung von Anstand zu haben. Noch ein Grund mehr, diese so schnell wie möglich loszuwerden, auch wenn dann wohl irgendwann der König zurückkommen würde. Aber da sie mehr für das Wohl für der weißen Figuren getan hatte, würde sie dann wohl mal einen besseren Status bekommen als er. Hoffte sie zumindest.
Also schlich sie sich nach dem gleichen Schema wie letzte Nacht an Margaret heute an Mizuki heran. Wieder öffnete sie die Giftflasche und schüttelte sie so, dass der gesamte Rest des Inhalts, ohne dass auch nur ein kleiner Tropfen verloren ging, sich auf Mizukis Haupt ergoss.
So durfte auch Drei alias Mizuki mit den schrecklichen Kopfschmerzen, die schon ihre Kollegin Margaret letzte Nacht verspürt hatte, Bekanntschaft machen. Sie waren wirklich nicht angenehm. Und schließlich ereilte auch sie dasselbe Schicksal. Erst zerfiel der runde Bauernkopf, dann der Rest, bis nur noch ein kleines Häufchen Staub von den schwarzen Bauern [Meuterer] zurückblieb.
Als Eins und Zwei sich später am Abend trafen, waren sie beunruhigt, denn von Mizuki, die auch unter ihrem Decknamen Drei bekannt war, fehlte jede Spur. "Ob es schon wieder die verflixte Dame war?!" Zwei war außer sich vor Wut, und auch Eins war völlig niedergeschmettert über den Verlust.
Angstvoll bewegten sie sich auf den Versteck des schwarzen Königs zu und trauten sich kaum herein. "Nun, was habt ihr zu berichten?" fragte sie ihr König. "Wieso bloß diese düsteren Minen? Und wo sind die anderen? Habt ihr etwa versagt?!" Seine Stimme wurde zornig, und unwillkürlich zuckten die beiden schwarzen Bauern zusammen. Zwei schluckte, und eine kleine Träne rollte über ihre Wange. Sie konnte es kaum ertragen, ihren König so enttäuscht zu sehen.
Nachdem Eins schließlich schweren Herzens alles berichtet hatte, was es zu berichten gab, schwieg der König lange. "Wie konntet ihr nur so versagen?" Er schüttelte den Kopf und sagte dann mit zusammengepressten Zähnen: "Ihr müsst unsere Mission vollenden. Egal wie! Ihr dürft euch keinen Fehler mehr erlauben, damit ich endlich den weißen König besiegen kann! Enttäuscht mich nicht noch einmal, ich warne euch!"
Die beiden schwarzen Bauern nickten voller Furcht und beeilten sich wieder aufs Spielfeld hinaus. Sie mussten heute wirklich erfolgreich sein, es war der einzige Weg.
Zunächst irrten sie eine Zeit lang auf dem Spielbrett - immerhin waren nicht mehr so viele weiße Schachfiguren übrig - doch dann stieß Zwei plötzlich einen freudigen Schrei aus. "Die Dame! Endlich können wir uns an ihr rächen!" Schnell flüsterte sie Eins ihren Plan zu, und er nickte.
Lima, die Dame [Smutje], war äußerst zufrieden mit sich selber. Nur ihr und sonst niemandem war es schließlich zu verdanken, dass zwei von fünf schwarzen Bauern das Zeitliche gesegnet hatten. Sie war eben die mächtigste Figur auf dem Spielbrett und absolut unbesiegbar! Endlich würden alle erkennen, dass sie viel mehr wert war, als dieser Schnösel, der sich König nannte, sich aber lieber versteckte als gegen die Gefahr zu kämpfen!
Und siehe da! Kamen da etwa die ersten zwei weiße Bauern, die ihr ihre Dankbarkeit ausdrücken wollten? Fast verschüchtert wirkten sie, und respektvoll - jedenfalls deutete sie das aus ihren Minen. Zwar erkannte sie die beiden Bauern nicht auf Anhieb, aber es war schließlich auch schon dunkel.
"Was wollt ihr?" fragte Lima herrschaftlich die beiden Ankömmlinge. "Warum stört ihr meinen Schlaf? Wisst ihr nicht, dass ich meinen Schönheitsschlaf brauche?"
"Verzeiht bitte, Eure Hoheit", flüsterte einer der beiden Bauern. "Wir wollten Euch nicht stören, nur trauten wir uns vorher am Tag nicht, Euch anzusprechen. Und dabei wollen wir Euch doch unbedingt unsere Bewunderung aussprechen."
"So ist es", warf der zweite Bauer, und Lima sah es nicht, wie ein dunkles Lächeln über sein Gesicht huschte. "Und so stark und erhaben seid ihr! Wir dagegen", der zweite Bauer sah den ersten an, fast um Unterstützung zu bekommen, dann sprach er ängstlich weiter. "Wir haben so viel Angst vor den schwarzen Figuren. Vor allem wo unser Turm nicht mehr da ist. Wir trauen uns nicht zu unseren sonstigen Schlafplätzen. Es ist so schlimm für uns. Und wo Ihr doch so stark und mächtig und die wichtigste Figur von allen seid..." Hoffnungsvoll sah er Lima an, mit einem flehenden Blick in den Augen.
"Hmpf", rümpfte Lima kurz die Nase. Eigentlich wollte sie nicht Aufpasser für die beiden Bauern spielen. Sie war sich dafür viel zu wichtig, und das war doch gar nicht ihre Aufgabe. Doch dann schmeichelten deren Worte ihr doch zu sehr, und sie wollte so viel Bewunderung und Anerkennung bekommen wie möglich.
"Na gut, ausnahmsweise!" sagte sie und schritt voran, um den beiden Bauern den Weg zu weisen. Grinsend schauten sich Eins und Zwei an, sie konnten kaum glauben, dass ihr Plan aufgegangen war. Der eine von links, der andere von rechts, fielen sie der Dame in den Rücken und kämpften so sehr wie nie zuvor, um Lima umzustürzen.
"Waaas?!" rief Lima schockiert und ruderte mit den Armen, um Gleichgewicht zu bewahren. "Was tut ihr da, wie ist es möglich?" Doch mit Kraft der Verzweiflung schafften Eins und Zwei schließlich, die Dame zu überwältigen.
"Für Mizuki und Margaret!" rief ihr Zwei hinterher, als die Dame wild kreischend und außer sich vor Zorn vom Spielbrett herunterfiel. "Wir haben uns endlich gerächt!"
Lima war die Dame [Smutje]. Mizuki war schwarzer Bauer [Meuterer] und wurde vom Smutje vergiftet.