Story Der Mann im Wald

Yannis

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Juli 2025
Ort
Niedersachsen
Geschlecht
m

Manchmal vergessen wir, dass wahre Größe nicht aus Schlachten und Tapferkeit erwächst, sondern aus Mitgefühl und Barmherzigkeit.

In den Büchern steht das der Krieg 30 Jahre dauern sollte und nachfolgende Generationen nannten ihn denn auch so. Für die Menschen die damals lebten, versuchten ihr karges Auskommen zu sichern oder um ihr schieres Überleben kämpften war es keine geschichtliche Zeitspanne, voller Helden, Schlachten oder großer Triumpfe; es war Bitterkeit und Elend, Tod und Angst, Hunger und Grauen. Die Armeen beider Seiten waren gnadenlos. Felder verwüßtet, Männer erschlagen, Weiber verschleppt, missbraucht und massakriert, Kinder verroht und verwaist, bettelnd...verhungernd. Längst waren heere Ziele nur nach leere Worte und die Anwerber fanden leere Dörfer und Hütten vor.

Im Frühherbst 1641 ritt ich mit Botschaft für den schwedisch königlichen Tross eine einsame Straße herunter. Pappeln und Eichen säumten meinen Weg, eine kräftige Sonne beschien mein Gesicht. Der Gaul war müde, Pause hatte ich keinem von uns gegönnt, wiewohl im Sack kaum noch genug Hafer übrig war den Boden zu bedecken und der Kanten im Tornister sicher härter als manch Stein am Wegesrand war, konnte ich den Weg ohnehin fortsetzen, bis der letzte Glanz der Sonne die Kronen der Bäume erstrahlen ließ. Dennoch hielt ich. Mein Hintern war taub und zwischen meinen Schenkeln brannte die aufgeschubberte Haut vom ewig gleichen auf und ab, vor und zurück. Auch drückte mir die Blase und so trat ich an einen der Bäume mir Erleichterung zu verschaffen. Meine steifen Finger nestelten an den Knöpfen der Hose und ich war gar so abgelenkt, dass ich nur noch den Schlag am Kopf erinnere. Dumpfer Schmerz zuckte den Hals hinab und im Niedergang nahm ich drei Kerle war, Deutsche Landser wie mir schien, die in ihrer groben bellenden Sprache mich mit Fragen überhäuften, ohne aber in wilder Wut nachzulassen mich mit den Füßen in Magen und Unterleib zu treten. Schon riß einer die Posttasche aus den Ösen am Gürtel, ein weiteres paar Hände suchte nach der Börse und der grobschlächtigste Kerl den ich je gesehen hatte, zog einen Säbel und hieb mir über den Leib.
Viele Geschichten endeten damals so, aber meine sollte noch nicht zu Ende sein.

Ich weiß nicht wie lange ich da so lag, in Blut, Urin und Verzweiflung, wartend auf den Tod, als ein Schatten auf mich fiel.

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Ich sah in tiefe braune Augen und wähnte einen Engel, gekommen mich zu geleiten. Die starken Arme die mich hochhuben rochen nach Wald und Schweiß, aber vielleicht phantasierte mein Geist schon um den Schmerzen zu enfliehen. Als ich zu mir kam lag ich auf einem einfachen Bett. Der Raum war düster, ärmlich, Kerzen flackerten und durch die Ritzen des Gebälks heulte der Abendwind.

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Ich hatte Angst. Panik kroch meine trockende Kehle hoch, saurer Speichel füllte meinen Mund. Jeder hier hatte wen zu beklagen und es war sicher einfach und befriedigend ein greifbaren Schweden für all das erlittene Leid büßen zu lassen. Wäre der Schläger ein besserer Schwertkämpfer gewesen, ich wäre tot, erlöst. So war ich Willkür und Rache ausgeliefert und sicher verstand selbst ein so grober Mensch, wie ihn die Wälder hier formten, es vorzüglich, meine Qualen wenigstens Stunden wenn nicht bis Tagesanbruch zu verlängern. Sein Gesicht blieb derweil unbewegt, nur in den tiefen braunen Augen war der flackernde Widerhall der Talgkerze wie ein diabolisches Funkeln aus dem Abgrund der Hölle wahrzunehemen. Wortlos schritt mein Richter zu einem Tisch an der Wand, zupfte Kräuter von einem Gestell und vermengte alles mit Pulvern und Talg zu einer übelriechenden Paste.

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Gift? Oder eine Salbe die mir brennende Schmerzen und Wundbrand bescheren sollte?
Es blieb keine Zeit zu spekulieren. Schon trat er an mich und mit einem riesigen Messer beugte er sich über mich. Ich schrie, zappelte, heulte, flehte...er aber drückte mich mit ungeahnter Sanftheit auf die Strohmatratze und schnitt geübt die Jacke auf. Mit einem Schwamm säuberte er den Rand der Wunde und legte frisches Werg zusammen mit der widerlichen Tinktur die er eben gerührt hatte auf das klaffende Fleisch. Es brannte scharf und letzte Tränen rannen mir die Wange herab. Dann flöste er mir irgendeinen Fusel in den Rachen und ich sank abermals in süßes Vergessen.
Ich weiß noch das ich ein paarmal erwacht war, fiebrig mit trockenem Mund und spröden Lippen. Er kam dann stets alsbald heran und legte feuchte Tücher auf meine Stirn und gab mir Schlucke warmen Wassers. Auch wusch er mich und entleerte den irdenen Topf, den er mir zwischen die Beine geklemmt hatte. Wie lange ich so da lag, hilflos und erbärmlich? Ich weiß es nicht.
Das trillern einer Blaumeise, die im Gebälk ihr Revier hatte weckte mich schlussendlich ganz. Vorsichtig richtete ich mich auf schaute mich um. Die Narbe schmerzte noch, aber das heiße Brennen der Tage zuvor blieb aus. Er setzte sich neben mich aufs Bett und gab mir eine Holzschüssel mit Brühe und Brotbrocken. Gierig schlang ich das Festmahl herunter, als ich erkannte wie groß mein Hunger war.

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Dankbar schaute ich ihn an. Ich legte meine Hand auf meine Brust und sagte: "Svante." Er nickte freundlich. Ich schämte mich, erkannte ich doch, dass er meinen Namen für ein Dankeschön hielt. Mit roten Wangen sah ich auf meine Füße und sagte :"Tack!" Dann deutete ich erneut auf mich und wiederholte meinen Namen, um sogleich auf ihn zu zeigen. Erkennen trat in seine Züge und er erwiderte: "Till." Dann verschwand er im Wald.

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Drei Wochen blieb ich noch in seiner Hütte. Wir sprachen nicht viel, wie auch, kannten wir doch einander nicht die Sprache des Anderen. Oder vielleicht kommunizierten wir doch, anders, subtiler. Seine tiefbraunen Augen flüsterten unablässig in einer allen Wesen bekannten Sprache und in meiner Brust floss eine Wärme, die ich nie zuvor verspürt hatte. Unauffällig, wie ich mir einredete, folgte ich jeder seiner Bewegungen, lauschte dem Rascheln des Laubes auf dem Weg, wenn er von seinen Streifzügen durch die Wälder zurückkehrte, machte mir weiß es sei aus Sorge allein in fremden Land ohne Beschützer zu sein, anstatt auf das leise Singen meines Herzens zu hören, das mir etwas mitteilen wollte, was ich nicht bereit war mir einzugestehen. In den langen Nächten beruhigte mich sein gleichförmiges Atmen neben mir, die Wärme die sein Körper ausstrahlte und mehr als einmal fand ich meine Hand an seinem behaarten Arm, wie durch Zufall wenn man sich im Schlaf herumdreht, strich ich sehnend darüber, wissend und doch blind, sündhaft und zugleich Unschuld heuchelnd.

Wollte ich vor Winter den Wald verlassen musste ich nun aufbrechen. Schweigend packte er mir ein Bündel und brachte mich zum Fluss, wo die Tragödie ihre Anfang genommen hatte. Wir sagten einander Lebwohl und ich wanderte in die armseligen Lumpen die er für mich entbehrt hatte gehüllt den Weg entlang. Nach einer Viertelstunden stoppte ich. Ich suchte die Winkel meines Verstandes ab, hoffend etwas in der Hütte vergessen zu haben, dass zu Holen eine Rückkehr rechtfertigte. Tat mir nicht die Brust noch weh? Ja, aber nicht von der Wunde, sondern von einem zerbrochenen Herzen. Wegen des Aufbruchs hatte ich der Meise nichts hingestellt, sagte ich mir, war das Feuer richtig verloschen bevor wir uns Aufmachten? Mit diesen Gedanken Schwermut tragend merkte ich nicht (oder wollte nicht merken!) wie diese eigensinnigen Füße nicht dem Verstande folgend, sondern einem launischen Herzen gehorchend den Rückweg antraten. Er war noch an de Stelle, wo wir uns Lebwohl entboten hatten und wusch sich im Fluss. Im Schutze eines Baumes sah ich ihm zu.

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Da wusste ich was ich vergessen hatte. Langsam streifte ich die Kleider vom Leib und näherte mich ihm. Mit dem süßesten Lächeln, das je meinen Antlitz galt sagte er "Svante". Ich war zuhause!

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