Eddie
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Mach schnell weiter!!!!
Dein Wunsch ist mir Befehl. Ich beantworte deine Fragen mal nicht, das würde zu viel verraten. Und ich bin mir auch noch unschlüssig.
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Jamie und Natalia hatten sich inzwischen angefreundet. Jamie rechnete es Natalia hoch an, dass sie versucht hatte, ihm zu helfen, obwohl sie ihn ja gar nicht gekannt hatte. Jamie mochte die junge Frau. Sie war immer gut drauf, lustig und wirklich schlau. Und wunderschön war sie noch dazu. Jamie schämte sich dafür, dass er sich irgendwie von ihr angezogen fühlte. Denn schließlich war er glücklich vergeben und sie ebenso.
Sie trafen sich gerne, um etwas trinken zu gehen oder ein wenig zu feiern. Natalia brauchte diese Abwechslung von ihrem Alltag zuhause. Sie liebte es, Mutter für die kleine Valerie zu sein, aber irgendwann brauchte sie auch mal Zeit für sich. Mit Jamie verbrachte sie gerne Zeit, denn er hatte nicht nur einen unschlagbaren Humor, sondern schaffte es auch immer wieder, ihre Stimmung zu heben, wenn sie mal nicht so gut drauf war.
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Die kleine Valerie hingegen verliebte sich in ihren vermeintlichen Onkel. Natalia beobachtete die Szenerie mit unglücklicher Miene. Nadja und sie hatten sich darauf geeinigt, die Sache geheim zu halten. Erstens würde es Victor zerstören, wenn er erfahren würde, dass Kira ihn betrogen und ihm ein Kind untergeschoben hatte, zweitens wollte Sasha keine Kinder und war mit seiner Rolle als Onkel voll bedient und drittens wollte Natalia selbst ihre kleine Familie nicht verlieren. Es war vielleicht egoistisch, aber das war ihr in diesem Fall auch egal. Sie liebte Valerie wie ihre eigene Tochter.
Umso nervöser wurde sie, als die kleine Valerie ihren Kopf an Sashas Schulter kuschelte und leise brummte: „Ich habe dich so lieb!“
Sasha lächelte, Jamie grinste glücklich und irgendwie fühlte sich Natalia in diesem Moment ihrer Tochter beraubt.
Sie würde es niemals jemanden sagen, dass Valerie nicht Victors Tochter war. Sie würde dieses Geheimnis wahren.
Für immer.
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Der Herbst ging langsam zu Ende und die ersten Schneeflocken bedecken die Nachbarschaft. Bald würde Valerie in die Schule kommen. Es war unglaublich, dass Valerie nun fast sechs Jahre alt war. Und es war unglaublich, dass weder Victor noch Sasha bisher auf die Idee gekommen waren, dass Valerie irgendwie immer mehr wie Sasha aussah. Wahrscheinlich wollten sie es beide einfach nicht wahr haben. Anders konnte sich Natalia die Sache nicht erklären. Sie hütete das dunkle Geheimnis bereits für zwei Jahre und immer mehr machte sich dieses schlechte Gefühl in ihr breit, dass es falsch war, es weiterhin zu verheimlichen. Sie hatte den Drang, darüber zu reden. Nur mit wem?
Eigentlich wollte sie nur was mit Jamie trinken gehen und entspannen. Sie hatte die letzten Tage kaum geschlafen. Valerie weinte jedes Mal, wenn sie zur Arbeit ging und wenn sie wieder kam, musste sie sich erst ein paar Stunden mit ihr beschäftigen, damit die Kleine nicht böse auf sie war. Das raubte viel Nerven und viel Zeit. Natalia sehnte den Tag herbei, wenn Valerie endlich in die Schule kommen würde. Nicht, dass sie sie loshaben wollte, aber…
Jamie blickte seine Freundin besorgt an, als sie sich mit einem Stöhnen in den Stuhl fallen ließ.
„Was ist los?“, fragte er.
Natalia stöhnte erneut und erklärte: „Nichts, ich bin nur überarbeitet.“
Jamie huschte ein Lächeln übers Gesicht. „Es ist nicht leicht, ein Social Media- Star zu sein, stimmt’s?“
Natalia nickte. „Das ist die eine Sache. Und dann gibt’s da noch Valerie. Victor und ich brauchen eigentlich echt mal Urlaub.“
Jamie lehnte sich zurück und musterte die braunhaarige Frau. Sie wirkte ziemlich ausgelaugt, aber gleichzeitig hatte sie wieder dieses Strahlen in den Augen, dass er immer wahrzunehmen schien, wenn sie von dem Kind sprach.
Dem Kind mit den schwarzen Augen.
„Manchmal ist es echt schwer. Ich meine, ich könnte jederzeit einfach sagen, dass ich nicht mehr will. Dass ich mich freiwillig um das Mädchen kümmere…“
Sie brach ab und schaute beschämt auf ihre Hände. „Ich weiß, das ist nicht gerade das, was man als Mutter denken sollte, aber solche Gedanken kommen ab und an. Ich kann nichts dagegen tun.“
Jamie runzelte die Stirn und versicherte ihr: „Ich denke, jede Mutter und jeder Vater überlegt sich manchmal, wie es ohne ein Kind wäre.“
„Verrückt, oder? Dabei entscheidet man sich ja meist bewusst dafür. So wie ich eigentlich ja auch. Nur Victor hatte keine Wahl.“
Jamie zog die Augenbrauen verwirrt zusammen. „Wie meinst du das?“, fragte er und blickte sein Gegenüber forschend an.
Natalia zog die Schultern hoch und erklärte: „Die Schwangerschaft von Kira ist für Victor ein Rätsel gewesen. Eigentlich hätte es gar nicht sein können.“
Der Rotschopf sah sie noch verwirrter an als zuvor. „Das verstehe ich jetzt nicht“, meinte er, „Ist Valerie nicht von Victor?“
Natalia zuckte bei der Frage zusammen und erkannte, dass sie wohl zu viel aus dem Nähkästchen geplaudert hatte. Sie zwang sich ein hilfloses Lächeln auf die Lippen. Noch ehe sie die ganze Sache verneinen konnte, weiteten sich Jamies Augen, als hätte er plötzlich die Erleuchtung gehabt.
„Jamie…“, begann sie vorsichtig.
„Das Kind ist von Sasha oder nicht?“
Er hörte sich nicht wütend an, nicht traurig oder irgendwie angespannt. Er fragte das in einem so ruhigen Tonfall, dass es ihr einen kalten Schauer über den Rücken jagte.
„Wie kommst du darauf?“, hakte sie nach und versuchte aus seinem Blick herauszulesen, ob er gleich ausrasten würde. Aber er hatte nur die Hände schockiert vor dem Gesicht gefaltet und nuschelte durch sie hindurch: „Sie hat seine Augen. Ich habe immer gedacht, dass das irgendein verrückter Zufall der Gene ist, aber…“
Er brach ab und wiederholte seine Frage: „Valerie ist Sashas Kind, oder?“
Sie wollte nicht lügen. Ein Geheimnis zu bewahren war eine Sache, aber sie würde niemals lügen. Nicht, wenn es sich um so etwas Wichtiges handelte.
Also nickte sie nur.
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Jamie hatte sie höflich darauf hingewiesen, dass er nun ein bisschen Zeit für sich brauchte. Dann verschwand er an der Bar. Gähnend packte Natalia ihre Sachen zusammen und verließ geknickt die Bar. So war die Sache nicht geplant gewesen.
Der Rotschopf konnte nicht fassen, was ihm seine beste Freundin gerade gestanden hatte. Valerie war Sashas Kind. Das bedeutete, das Sasha ihn mit Kira betrogen hatte. Und das vor ungefähr sechs Jahren. Sechs Jahre lang hatte er nicht gewusst, dass seine vermeintliche Nichte in Wirklichkeit seine Stieftochter war. Er fühlte sich betrogen und verletzt. Und hintergangen.
Er setzte sich an die Bar und bestellte sich erst einmal ein großes Bier, um seine Gedanken zu ordnen.
Während die Barkeeperin ihm das goldbraune Getränk in einen Krug zapfte, überlegte er sich, wie es nun weiter gehen sollte. Bei dem Gedanken an Sasha stieg ihm die Galle hoch und er verspürte den Drang, ihm einfach direkt ins Gesicht zu schlagen.
Wie hatte er ihm das nur antun können? Es war zwar sechs Jahre her, aber das machte es nicht besser. Im Gegenteil.
Mit grimmiger Miene exte er sein Getränk.
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Er hatte sich vorgenommen, ruhig und mit viel Verständnis zu reagieren. Es war sechs Jahre her. Er hatte es mit viel Mühe geschafft, sich die Sache so klein wie möglich zu denken. Er hatte schließlich auch schon viel Mist gebaut. Er war auch schon fremdgegangen und hatte zwei Kinder gezeugt. Er war in Betten aufgewacht, in denen er am liebsten niemals aufgewacht wäre. Und es hatte ihm tierisch Spaß gemacht. Und Sasha war eben auch kein Heiliger.
Die Gelassenheit verflog jedoch, als er die Haustüre leicht beschwipst öffnete und Sasha ihn direkt anzuspringen schien.
„Hey, und, wie war dein Abend?“, jauchzte er ihm entgegen mit so viel Unschuld in der Stimme, dass es Jamie den Magen umdrehte.
„Du Ar*chl*ch!“, rief er und knallte die Türe hinter sich zu.
Sasha hielt erschrocken inne. „Was für eine Laus ist dir denn heute über die Leber gelaufen?“, fragte er und wollte nach den Händen seines Partners greifen, doch der hob sie wütend in die Höhe.
„Du hast mit Kira geschlafen!“, schrie er ohne weitere Umschweife heraus. Er konnte seine Wut kaum mehr bändigen. Schon wieder hatte er ihn verletzt! Nur diesmal würde er sich nicht selbst bemitleiden und sich in seine Welt retten! Diesmal würde er sich dem stellen!
Sasha fuhr sich durch die Haare und überlegte kurz, was er antworten sollte.
Doch Jamie war schneller.
„Wie konntest du das tun? Mit meiner Ex? Ernsthaft?“
Sasha entschied, sich von Jamie nicht fertig machen zu lassen. Er war kein Unschuldslamm, aber Jamie war es genauso wenig.
Und Jamie hatte ihn dauernd betrogen.
„Und du?“, konterte er mit bebender Stimme, „Als du deine Gefühle ausgestellt hattest, bist du von einem Bett ins nächste gehüpft, als wäre es ein Wettbewerb!“
„Das war was absolut anderes. Ich hatte kein Gewissen!“, fauchte Jamie.
Sasha schüttelte fassungslos den Kopf. „Und? Manche nutzen das für etwas Produktives! Schreiben seltsame, sinneserweiternde Gedichte oder werden Präsident… so besch*ssen das dann auch sein mag!“
Jamie konnte nicht fassen, dass Sasha ihm diese Zeit zum Vorwurf machte. In ihm kochte es und er war kurz davor, ihm das Herz aus der Brust zu reißen.
„Du!“, Jamie hob den Finger und funkelte seinen Freund böse an, „Du warst Schuld daran, dass ich überhaupt erst meine Gefühle ausgeschalten habe!“
Sashas blasse Wangen röteten sich vor Wut. Er hasste Jamie, dass er diese alten Geschichten nun wieder aus ihrer Versenkung holte. Das war alles bereits Schnee von gestern gewesen.
Wie kam er überhaupt darauf? Irgendjemand musste es ihm gesagt haben und es war bestimmt nicht Kira gewesen… oder doch?
Er wusste nicht mehr, was er denken sollte. Er hatte so viele Gedanken im Kopf, so viele Dinge, die er Jamie vorwerfen wollte, die ihn erniedrigen würden, ihn verletzen würden. Doch er wusste nicht, wie er sie ausdrücken sollte. Und es kam ihm auch so falsch vor.
Denn schlussendlich hatte Jamie mit allem Recht.
Das ganze bereitete ihm Kopfschmerzen und verzweifelt drückte er seine Finger auf seine Schläfen.
„Können wir das nicht einfach begraben?“, fragte er dann, und blickte Jamie mit seinen pechschwarzen Augen flehend an.
Jamie lachte auf.
„Bitte“, flehte Sasha, „Ich meine, das ist alles schon sechs Jahre her. Ich war verzweifelt. Kira war verzweifelt. Und dann ist es halt passiert.“
Jamie winkte ab und merkte an: „Und hast ausversehen ein Kind gezeugt!“
Sasha verstand nicht, was er damit sagen wollte. „Ein Kind“, hakte er nach, doch Jamie wandte sich von ihm ab.
Er hatte keine Lust mehr, zu streiten. Oder überhaupt zu diskutieren.
Er wollte einfach nur noch, dass Sasha seine Sachen packte und ging. Und nie wieder kam.
„Bitte, hau‘ einfach ab“, murmelte Jamie und setzte sich auf das Sofa.
Als die Haustüre ins Schloss fiel und Jamie alleine in seinem Wohnzimmer saß, war es, als fiele eine Last von ihm ab.
Und dann kullerte ihm eine salzige Träne die Wange hinunter.
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Sasha wusste nicht, wohin er gehen sollte. Ziellos irrte er umher, bis er sich schließlich entschloss, zu der einen Frau zurückzukehren, die ihn immer schon für seinen Lebensstil verachtet hatte.
Nadja öffnete die Türe und ließ ihn eintreten. Sie fragte nicht nach, wieso er mit einem Koffer bepackt vor der Türe stand, sondern setzte sich aufs Sofa und beobachtete ihn, wie er sein Gepäck die Stufen nach oben schleppte.
Dann kam er hinunter, fiel ihr wortlos um den Hals und sie drückte ihn an sich, als wäre ein lange vermisster Sohn endlich wieder nachhause zurückgekehrt.
„Was ist los?“, fragte sie ihn schließlich und strich ihm eine Strähne aus dem tränennassen Gesicht.
„Jamie hat mich rausgeschmissen. Er…“
Er stockte, schluchzte und vergrub das Gesicht in den Händen.
Nadja streichelte ihm dabei tröstend über den Rücken.
„Ich habe ihn betrogen, Mama. Damals mit Kira.“
Nadja nickte. „Ich weiß.“
Sasha holte tief Luft und dann sprudelte alles aus ihm heraus. Er erzählte von der damaligen Situation, wie aussichtslos die Sache für ihn gewesen war, wie traurig Kira vor ihm gestanden hatte. Wie sie sich gegenseitig Mut zugesprochen hatten und eins zum anderen geführt hatte.
Nadja hörte zu, gab ab und an ein leises Staunen von sich.
Und dann weinte Sasha leise.
„Und was willst du nun tun?“, fragte sie ihn.
Sasha wischte sich die Augen trocken und fragte: „Was meinst du?“
„Na, wegen Valerie. Willst du sie als deine Tochter nun anerkennen, oder…?“
Der schwarzhaarige Vampir unterbrach seine Mutter mit einem erstaunter Miene. „Valerie ist meine Tochter?“
Erschrocken wich Nadja zurück.
„Er… er hat es dir nicht gesagt?“, hakte Nadja nach und die Ungläubigkeit in ihren Augen war kaum zu übersehen.
Sasha sah nachdenklich an die Decke. „Das hat er also gemeint!“
Ein paar Minuten verharrte er in der Position und sein nachdenklicher Blick wandelte sich in pure Verzweiflung.
„Valerie ist meine Tochter?“, murmelte Sasha ungläubig.
Nadja nickte.
Panik stieg in Sasha auf und er bekam Schnappatmung. Laut hechelte er nach Luft und seine Mutter wusste nicht erst, was sie machen sollte.
„Beruhige dich, verdammt nochmal!“, forderte sie ihn mit lauter Stimme auf.
„Die ganze Sache bleibt unter uns. Oder willst du deinem Bruder die Familie kaputt machen?“
Nadjas feuerrote Augen funkelten ihn eindringlich an. Er nickte mehrere Male. Niemals würde er nur ein Wort darüber verlieren. Er wollte dieses Kind nicht, um nichts auf der Welt.
Das war vielleicht egoistisch, aber er wäre eh kein guter Vater für sie. Also war es wohl auch für das Kind das Beste.
Irgendwo in ihm meldete sich dann aber doch sein Gewissen zu Wort, das ihm leise einflüsterte, dass er der Vater war. Und er die Verantwortung hatte.
„Ich glaube, mir wird schlecht!“
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Der Winter stand vor der Tür und in Victors Fingern juckte es schon gewaltig. Schon lange hatte er sich überlegt, wie er seiner Freundin sagen wollte, dass er sein gesamtes Leben mit ihr verbringen wollte. Sie war so eine tolle Mutter, eine tolle Frau. Mit ihr hatte er diese düsteren Gedanken nicht mehr, die ihn immer heimgesucht hatten. Er liebte sie. Genauso wie damals auch schon.
Es sollte ein schöner Familienausflug werden. Sie standen am Pier und beobachteten das Meer. Die frühwinterliche Landschaft wirkte trist und grau, aber Natalia fand darin trotzdem noch etwas Schönes. Fasziniert beobachtete sie die Wellen, die an den dicken Pfeilern der hölzernen Konstruktion, auf der sie standen, brachen. Die dicken grauen Wolken, die am Himmel hangen, waren ein Vorbote für das, was kommen würde. Nur wenige Minuten später prasselte der Regen auf sie hinab.
Doch das war Victor egal. Für ihn war es der perfekte Moment. Er nahm sie an den Händen und blickte in ihre meerblauen Augen.
„Natalia, ich wollte dich etwas fragen“, begann er und räusperte sich. Er suchte die richtigen Worte, um ihr zu sagen, dass sie sein Ein und Alles war.
Natalia lächelte allwissend. Sie hatte irgendwie damit gerechnet. Und sie würde Ja sagen, sie würde es in die Welt hinaus schreien.
Er ging in die Knie und blickte sie mit seinen roten Augen voller Hoffnung an. „Natalia, du bist das Beste, was mir je passiert ist. Du hast mich nach so vielen Jahrhunderten wieder genauso verzaubert. Ich will mit dir für immer zusammen sein.“
Sie ließ ihn nicht ausreden, sondern nahm den Ring aus der burgunderfarbenen Schatulle, die er ihr entgegen streckte.
„Ja!“, rief sie dann und steckte sich den goldenen Ring an den Finger.
Er lächelte und richtete sich auf.
„Ich liebe dich“, hauchte er.
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Jamies Gesichtsausdruck verfinsterte sich einen kurzen Moment, als Natalia ihm ihren Verlobungsring begeistert entgegen streckte.
„Er hat mich gefragt“, rief sie und jauchzte wie ein kleines Kind.
Jamie zwang sich ein Lächeln auf die Lippen. „Herzlichen Glückwunsch“, presste er hervor.
Natalia war so glücklich. Jamie tat es leid, dass er es nicht war. Er wollte sich für sie freuen, das wollte er wirklich. Aber er konnte einfach nicht. Sie waren jetzt schon lange die besten Freunde, hatten zusammen gefeiert, hatten Geheimnisse ausgetauscht und zusammen geweint. Und das hatte Gefühle in ihm wach gerufen, die er niemals haben wollte.
Aber er würde ihr das Glück nicht versauen.
Natalia bemerkte seinen zerknirschten Gesichtsausdruck und fragte verunsichert: „Du freust dich doch für mich, oder?“
Er nickte. „Na klar“, log er, „Ihr zwei seit ein wundervolles Paar.“ Er hörte sich nicht sehr überzeugt an, aber bevor Natalia noch etwas sagen konnte, zog er sie zu einer Umarmung an sich.
„Ich freu mich wirklich für dich.“
Er klopfte ihr kurz auf die Schulter, dann ließ er sie aus seiner Umarmung und lächelte.
Sie lächelte zurück. Und so standen sie da, blickten sich einfach nur an, bis Natalia nachgab und sich zum Tresen umwandte.
„Willst du auch einen Kaffee?“, fragte sie.
Der Rotschopf schüttelte den Kopf und erklärte: „Ich muss gleich wieder los.“
„Okay“, entgegnete Natalia enttäuscht und setzte zu einer Umarmung an.
Er drückte sich an sich und wünschte sich, dass er sie nie wieder loslassen müsste. Er roch ihr Shampoo, eine Mischung aus Blumen und Schokolade, fühlte ihre glühenden Wangen an seinem Hals. Er wollte sie nicht gehen lassen.
Und es brach ihm das Herz, weil er musste.
Natalia war sich unschlüssig, ob sie ihn von sich stoßen sollte. Er schien sie beinah erdrücken zu wollen. Sie spürte seine muskulösen Arme an ihrem Rücken, wie sie sie komplett umfassten. Sie wünschte sich für einen kurzen Moment, dass er sie nie mehr loslassen würde. Sie fühlte sich geborgen in seinem Griff, fühlte sich sicher und beschützt vor der Welt. Vor dem Alltag.
Doch irgendwann wurde ihr die Sache unangenehm. Sie machte einen Schritt zurück und nötigte ihn so, sie loszulassen.
„Ich sollte gehen“, sagte er dann, als er realisierte, dass er kurz davor war, sich zu verraten.
Sie sollte nicht wissen, dass er etwas für sie empfand. Denn er wusste, das würde die Sache nur kompliziert machen. Denn er wusste, dass sie Victor über alles liebte.
„Okay“, entgegnete sie und wollte sich gerade wieder zum Tresen umdrehen, doch dann entschied sie sich dagegen, schenkte ihm noch einmal ein strahlendes Lächeln und drückte ihre Hand in seine.
„Ich will dass du mein Trauzeuge bist“, sagte sie.
Jamie nickte. „Klar, gerne.“
Sie strich sich nervös eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Soll ich dir ein Geheimnis verraten“, fragte Jamie mit einem verschmitzten Grinsen und beugte sich zu ihr vor, so nah, dass sich beinah ihre Lippen berührten.
„Ich werde mich auf eurer Hochzeit dermaßen betrinken und dann eine richtig schlechte Rede halten“, flüsterte er ihr zu.
Sie lachte auf und stemmte einen Arm in ihre Taille. Sie wusste, dass es nur als Scherz gemeint war, aber irgendwie machte sich das Gefühl in ihr breit, dass es so kommen würde.
Dann bemerkte sie, dass sie immer noch seine Hand hielt und Jamie nach der anderen griff.
„Das war ein Witz. Also das mit der Rede“, scherzte er weiter, „Aber betrinken werde ich mich definitiv.“
„Okay, das glaube ich dir sogar“, sagte sie und riss ihre Hände aus seinen. Das war zu viel. Sie hielt diese Nähe nicht weiter aus. Nicht, dass es ihr dermaßen unangenehm war, nur bekam sie ein schlechtes Gewissen. Sie war verlobt mit Victor und sie liebte ihn über alles.
Jamie bemerkte, dass die Situation außer Kontrolle geriet und wich zurück.
„Sorry“, sagte er nur dabei.
Dann wandte er sich mit einer kurzen Handbewegung zum Gehen. Auf dem Weg nachhause grübelte er darüber nach, was passiert war. Wieso hatte sie zugelassen, dass er sie so umarmte? War es reine Toleranz gewesen, ihrer Freundschaft wegen? Hatte sie wegen Sasha noch Mitleid mit ihm? Oder empfand sie doch was für ihn?
Er wünschte sich, dass das nicht passiert wäre. Er wünschte sich, dass es sie nicht gab. Er wünschte sich, dass er sich nicht in sie verliebt hätte.