Das Geständnis
David hatte sich in den letzten Monaten verändert. Verena fiel auf, dass jedesmal
wenn sie das Thema Hochzeit ansprach, er sich immer irgendwie herausredete:
„Wir sollten uns ruhig noch etwas Zeit damit lassen, so ist es doch auch ganz schön.“
Dabei war doch er derjenige, der es so eilig mit dem Heiraten hatte.
Nicht, dass er sie nicht mehr liebte, den Eindruck hatte sie ganz und gar nicht.
Aber irgendwas musste passiert sein, dass er plötzlich Angst vor der Ehe zu haben schien.
Des Öfteren kam es vor, dass er abends alleine wegging. Dann saß David gedankenverloren
in irgendeiner Bar und nahm einen Drink nach dem anderen. Was war nur los mit ihm?
Verena vermutete schon, dass er wieder Depressionen hatte.
Dabei hatte sie doch, seitdem David ihr den Antrag gemacht hatte,
immer wenn er nicht zuhause war, an ihrem Brautkleid genäht. Jetzt war es fertig,
sollte das denn alles umsonst gewesen sein? Nein das konnte und wollte Verena nicht zulassen,
dazu liebte sie ihn viel zu sehr und außerdem hatte sie sich schon so auf den Tag der Hochzeit gefreut.
„Es tut mir Leid, das hat nichts mit dir zu tun“ hatte er gesagt, als sie ihn zur Rede stellte.
„Ich hatte es schon längst vergessen und jetzt hat mich meine Vergangenheit
nach langer, langer Zeit eingeholt und …“ David sprach nicht weiter. „Und was?“ hinterfragte Verena.
„Vielleicht wäre ich besser nie nach Irgendwo gekommen.“ „Aber David“ rief Verena entsetzt,
„warum sagst du denn sowas? Dann hätten wir uns doch auch nicht wiedergetroffen.
Wenn es die alten Liebesgeschichten aus deiner Vergangenheit sind, mach dir doch
darum keine Gedanken, ich weiß doch, dass du mal ein Draufgänger warst, damit kann ich leben.“
„Nein, das ist es nicht, aber ich habe vor über zwanzig Jahren etwas getan,
was ich jetzt sehr bereue und was ich dir bislang verschwiegen habe.“ David sprach für Verena in Rätseln.
„Was um Gottes Willen hast du denn nur getan? Du hast doch wohl nicht jemanden getö…“
Verena traute sich nicht es auszusprechen. Ihr Herz blieb fast stehen. Was wäre, wenn doch?
„Nein“ konnte David sie ein wenig beruhigen. „Aber die Wahrheit würde euch,
dich und Wilfried, sehr verletzen. Wahrscheinlich willst du mich dann auch gar nicht mehr heiraten.“
David und Verena setzten sich auf den Boden, so wie sie es in den Therapiestunden in der Klinik gelernt hatten.
„Wieso uns verletzen und was hat Wilfried damit zu tun? Nun aber raus mit der Sprache!“
Verena war irritiert. „Du und Wilfried, ihr seid die wichtigsten Sims in meinem Leben,
das musst du mir glauben“ begann David.
„Ich habe dir doch erzählt, dass mir früher die Mädchen scharenweise nachgerannt sind
und dass ich keine Gelegenheit ausgelassen habe, sie ins Bett zu kriegen.“ Verena nickte.
„Als ich in Green-Valley studiert habe, tauchte da eines Tages plötzlich
eine meiner Verflossenen auf. Ich weiß noch nicht einmal mehr ihren Namen."
„Mit den Worten >Das ist Klein David, dein Sohn< legte sie mir ein Baby in den Arm
und war auf nimmer wiedersehen verschwunden.“
„Oh, du hast einen Sohn, aber das ist doch schön“
sagte Verena erfreut, die Kinder über alles liebte. „Was ist aus ihm geworden?“
„Genau das ist mein Problem“ sagte David. „Was sollte ich auf dem Campus mit einem Baby?
Und dann schrie der kleine Kerl ohne Ende und stank ganz fürchterlich,
weil er die Windeln voll hatte. Ich wollte ihn einfach wieder los werden,
also fuhr ich des Nachts nach Irgendwo, weil mich hier niemand kannte,
und legte das Bündel vor der Tür eines Kinderheims ab.“
„Aber dann ist Wilfried…“platzte Verena heraus. „Ja, wie es aussieht, ist Wilfried mein Sohn.
Ich fühlte mich ihm von Anfang an irgendwie verbunden und als er mir dann erzählte,
dass du ihn damals vor der Tür des Kinderheims gefunden hast, war mir alles so klar,
als wäre das alles erst gestern geschehen. Wie soll ich ihm das nur sagen?
Es tut mir so Leid, dass ich dem Jungen das angetan habe.“
„Ach David, du musst es ihm gleich heute sagen und zwar genauso, wie du es mir gerade gebeichtest hast.
Wenn du im die Umstände erklärst, wird er dir verzeihen, da bin ich mir ganz sicher.“
Verena nahm David in den Arm und küsste ihn zärtlich. „Ich möchte dich trotzdem heiraten,
erstens weil ich dich über alles liebe, zweitens ist das alles schon so lange her
und drittens hat es auch etwas Gutes, Wilfried wird dann auch mein Sohn,
und das habe ich mir immer gewünscht.“
Als Wilfried abends nach Hause kam, bat David ihn um ein Männergespräch.
„Ich habe dir etwas sehr wichtiges zu sagen, bitte setz dich zu mir.“ Wilfried war ein wenig überrascht,
denn er ahnte nicht im Geringsten, was David ihm sagen wollte.
„Jetzt kommt aber nicht die Geschichte mit den Blümchen und den Bienchen, oder?“
fragte er ironisch, setzte sich dann aber zusammen mit David auf die Couch.
„Im Prinzip fängt es genau mit dieser Geschichte an.“ David musste schmunzeln.
„Ach, wenn es doch so einfach wär. Ich weiß gar nicht, wie ich es dir sagen soll“ druckste er herum.
„Nun spuck‘ s schon aus Kumpel, bist doch sonst nicht so schüchtern“ forderte ihn Wilfried auf.
„Ich bin schon Erwachsen und kann die Wahrheit vertragen.“
Dann begann David mit seinem Geständnis.
Überrascht und überwältigt von den Neuigkeiten sprang Wilfried auf. Er wusste nicht, was er sagen sollte.
Da hatte er plötzlich einen Vater, den Vater, den er sich einundzwanzig Jahre lang gewünscht hatte.
„Und meine Mutter“ fragte er, „wie war sie? Ich musst unbedingt mehr über sie erfahren.“
„Ach Junge, nach so langer Zeit weiß ich es selbst nicht mehr so genau.“
David überlegte kurz und fuhr dann fort: „Sie war ein sehr hübsches Mädchen,
eine richtige Schönheit mit ihrem langen roten Haar, daran kann ich mich erinnern.
Ihr Name war…ich glaube, Rosi. Ja, Rosi hieß sie, aber mehr weiß ich auch nicht, tut mir Leid.“
„Ich hoffe, du urteilst nicht allzu hart über mich und kannst mir vergeben…, irgendwann.“
David war sichtlich erleichtert und wartete auf Wilfried’ s Antwort. „Soso Angeklagter,
du möchtest also Vergebung. Na, einsichtig bist du ja, wenn auch reichlich spät.
Versprichst du mir, dass wir alles nachholen, was Väter und Söhne normalerweise
so in einundzwanzig Jahren zusammen unternehmen?“ sprach Wilfried mit erhobener Stimme.
David nickte: „Ich verspreche dir, was du willst“ „Na gut. Im Namen der Familie ergeht
folgendes Urteil: Lebenslänglich und eine ordentliche Hochzeitsfeier.“ Wilfried grinste.
Jetzt mussten beide lachen und umarmten sich, so wie es sich für Vater und Sohn gehörte.
Verena war die ganze Zeit über in der Küche und bereitete das Abendessen, bis Wilfried sie herbeirief.
„Siehst du, jetzt wirst du doch noch meine Mutter.“ „Genau das habe ich zu David auch schon gesagt.“
Sie nahm Wilfried in den Arm. „Und du hast jetzt eine richtige Familie, wie du es dir immer gewünscht hast.“
„Hat einer von euch beiden denn schon mal aus dem Fenster geschaut?“ fragte Verena.
Ich glaube, ihr könnt gleich eure erste Vater-Sohn-Aktivität bei einer Schneeballschlacht ausprobieren.“
Wilfried war begeistert. Es hatte den ersten Schnee gegeben und alles war weiß.
„Au ja, dann werde ich David erst einmal so richtig einseifen.“ „Nun werd mal nicht frech.
Du wirst doch wohl deinen alten Vater nicht…“ David hatte schon den ersten Schneeball geformt und war bereit.