Vorab – Baldriantee – Teil 2
Vorab – Baldriantee – Teil 2
Smilla spürte, wie ihre Mutter die Arme um sie legte und sie sanft, aber bestimmt drückte.
«Ganz ruhig, ganz ruhig», machte sie. Erst in diesem Moment fiel Smilla auf, dass sie schrie wie am Spiess. Erschrocken klappte sei den Mund zu. Hinter ihr hatte Linnea zu weinen begonnen, aber niemand achtete auf sie.
Smilla stiess Ingeborg weg. «Lasse! Warum hat ihn niemand weggebracht?» Sie zwang sich, wieder aufs Parkett vor dem Flügel zu sehen. Keine Leiche lag dort.
Kein Lasse.
«Was ist los?», fragte Ingeborg.
Verlegen sah Smilla weg. «Ni… nichts. Ich … ich habe … Es ist nichts.» Sie versuchte, ihre Mundwinkel zu einem Lächeln nach oben zu biegen, doch urplötzlich hatte sie vergessen, wie das ging.
So deutlich hatte sie ihn vor Augen gehabt. Dabei war ihr selbstverständlich klar, dass das Unsinn war. Natürlich hatte man ihn nicht dort liegenlassen. Ausserdem hatte sie ihn selbst aufgebahrt in seinem Sarg liegen sehen, um ihm die letzte Ehre zu erweisen.
Ingeborg hob kurz die Augenbrauen und wandte sich dann ab, um sich um Linnea zu kümmern, als hätte dieser Zwischenfall nie stattgefunden.
Nachdem die Tränen der Kleinen getrocknet waren, setzte sie sie in den Hochstuhl, was ihr jedoch überhaupt nicht gefiel. «Nein!», kreischte sie. «Zu Silla!»
«Sie ist doch bei dir», knurrte Ingeborg, die es augenscheinlich nicht leiden mochte, dass die Ruhe nun schon wieder gestört wurde. Sie vergass sogar ihre Gewohnheit, sofort Linneas Aussprache von Smillas Namen zu korrigieren. Es war offensichtlich, wie angespannt sie war. Die Gesellschaft. Der Salon.
Lasse.
Linnea setzte zu einem Trotzanfall an, und Ingeborg sah hilfesuchend zu Smilla. Das hatte ihr wohl gerade noch gefehlt. Jede Minute konnten die ersten Gäste angemeldet werden.
Smilla war immer noch starr vor Schreck, doch sie schüttelte ihr Entsetzen ab, so gut es ging. Wie peinlich, sich so was einzubilden! Immerhin hatte sie eine Rolle als älteste Tochter der Gastgeber zu erfüllen und hielt gleichzeitig eine Vorbildsfunktion für ihre Schwestern inne. Ein Glück, dass Astrid noch oben war. Und Linnea hatte den Vorfall angesichts ihres Käfigs in Form eines Hochstuhls wohl schon wieder vergessen und war nahe dabei, erneut mit dem Weinen anzufangen.
Rasch hob sie sie aus dem Stuhl. «Wir essen ja noch nicht gleich», meinte sie. «Da kann sie doch gut noch ein wenig umhergehen.»
Ingeborg seufzte – es war ihr anzusehen, wie sehr es ihr missfiel, Linneas Willen nachzugeben, doch es blieb keine Zeit mehr für Diskussionen. «Sie soll aber nichts anfassen.»
«Sie wird schon nichts kaputtmachen», brummte Smilla, beschloss aber, ein besonderes Auge auf die Kleine zu haben. Falls etwas passierte, wäre dies nun alleine ihre, Smillas, Schuld.
Unterdessen war Ingeborg zum Flügel getreten und drückte prüfend ein paar Tasten. Obwohl ihre ungelenke Tonfolge grauenhaft war, begann Smillas Herz schneller zu schlagen. Der Klang war nun mal nicht mit ihrem E-Piano vergleichbar.
«Ist der verstimmt?», fragte sie.
Smilla schüttelte den Kopf. «Zumindest die Tasten, die du gedrückt hast, nicht.» Dann dämmerte ihr, worauf sie hinauswollte. «Aber Mamma, ich werde …»
«Der Flügel wurde gestern Morgen noch gestimmt», meldete Elsa, die unbemerkt in den Salon getreten war. In der Hand hielt sie ein Kärtchen. Eine Visitenkarte.
«Der erste Gast muss eingetroffen sein», schoss es Smilla durch den Kopf. «Doch warum meldet er sich so förmlich an? Wir wissen doch, wer kommen soll.»
«Ausgezeichnet», antwortete Ingeborg auf Elsas Worte. «Dann wird uns Smilla bestimmt das eine oder andere Stück unterhaltenderweise zum Besten geben.»
«Mamma …», begann Smilla. Musik diene nicht zur Belustigung und zur Kurzweil irgendwelcher Leute, wollte sie sagen. Es gehe um viel mehr als das.
«Bitte, Smilla», wurde sie jedoch unterbrochen, bevor sie ihre Bedenken formulieren konnte. Zu oft war diese Diskussion schon geführt worden, und zu oft hatte Smilla den Kürzeren ziehen müssen.
Schliesslich räusperte sich Elsa ein wenig undamenhaft, um erneut die Aufmerksamkeit der Hausherrin und ihrer Tochter zu erlangen. Wieder fiel Smillas Blick auf die Karte in ihrer Hand.
«Ein Besucher wünscht Empfang durch Smilla», sagte sie gestelzt, wie Ingeborg es von ihrem Personal verlangte. «Wie lächerlich das klingt», dachte Smilla für den Bruchteil einer Sekunde. «Empfang durch Smilla.»
«Durch Smilla?», wiederholte sie laut. «Durch mich?»
Ingeborg sah sie strafend an. «Rede nicht so dumm daher», zischte sie. Dennoch wandte sie sich ebenfalls verwundert an Elsa. «Smilla – warum denn das? Wer ist es?»
Elsa reichte Smilla die Visitenkarte. «Jacob Alexander Mikael Magnus Rosenkvist», stand in golden glänzenden Buchstaben darauf. «Was für ein Angeber», murmelte sie. War ihr schon die ganze Zeit ein wenig unwohl gewesen, wurde ihr nun endgültig übel. Laut rief sie aus: «Lex! Was soll das bitte?»
«Nun ja», liess Ingeborg verlauten. «Die Rosenkvists zählen zu unseren Gästen. Augenscheinlich wird Jacob Alexander auch zugegen sein. Man mag es aufgrund seiner Vergangenheit für verwunderlich halten, aber offenbar war es seinen Eltern ein Anliegen, ihn endlich in eine höhere soziale Stellung zurückzuführen. Kein Wunder, muss doch langsam an die Übernahme des Geschäfts gedacht werden.»
Böse funkelte Smilla sie an, ohne richtig zuzuhören. «Und warum schickt er ausgerechnet mir seine Karte?»
«Nicht in diesem Ton», sagte Ingeborg gefährlich ruhig. «Das ist eine rein höfliche Geste. Nehme ich an.»
Smilla schüttelte den Kopf. Für sie war klar, dass Lex dies nur tat, um sie aufzuregen.
«Smilla», sagte Ingeborg, immer noch völlig gelassen, was ein sicheres Zeichen dafür war, dass sie innerlich brodelte. «Eure persönlichen Differenzen werden uns heute Abend nicht blamieren.»
«Natürlich nicht, Mamma», versetzte Smilla indigniert. «Ich werde ihn in meinem Zimmer empfangen.»
«So kurz vor Erscheinen der anderen Gäste verschwindest du nicht. Du bist unser ältestes Kind.»
Mit einem Ruck drehte sich Smilla um. «Bin ich nicht», brachte sie hervor und warf einen Blick über die Schultern zurück, zu der Stelle, an der sie Lasse vor zwei Jahren vorgefunden hatte. «Das war ich nicht und werde ich nie sein.»
Mit diesen Worten verliess sie den Salon, bevor sie irgendjemand aufhalten konnte. Selbstverständlich gehörte sich ein solches Benehmen nicht, doch noch war niemand da. Ausserdem wollte sie unter keinen Umständen vor Ingeborg mit Lex reden. Wer weiss, mit welchen Gemeinheiten er aufwarten würde.
In ihrem Zimmer angekommen, sah sie sich rasch um. Es war aufgeräumt wie immer, zumindest beinahe. Die Tasse des nun kalten Baldriantees stand immer noch auf dem Schminktisch.
Doch Lex würde sich wohl kaum daran stören. «Ausserdem ist mir ganz und gar egal, woran er sich stört und woran nicht», redete sich Smilla ein. Viel wichtiger war ihr eine andere Sache.
Sie trat zu ihrer CD-Sammlung. Es war lange her, seit sie zuletzt CDs gehört hatte – die Sammlung glänzte nur so tadellos, weil sie sich darum kümmerte, dass sie regelmässig abgestaubt wurde. Doch nun ging sie die Stücke einzeln durch und zog einige davon aus dem Regal.
Ein Album hatte er herausgebracht, ausserdem ein halbes Dutzend Singles. Smilla besass sie alle. «Warum habe ich sie bloss nie weggeworfen?», fragte sie sich. «Irgendwie habe ich die letzten beiden Jahre kaum mehr daran gedacht.»
Sie stapelte die CDs aufeinander. Dabei fiel ihr Blick auf sein schelmisch grinsendes Gesicht auf dem obersten Cover. «Lex Rosenkvist – Jumping Into Love», war darauf zu lesen. Das war seine allererste Single gewesen, sein allererster Erfolg. Damit hatte er damals das «Idol» gewonnen.
«Ist das tatsächlich schon so lange her?», wunderte sie sich.
Sie besah die darunterliegende CD. Das Album hingegen hatte nicht mehr an den Erfolg seines Siegessongs anknüpfen können. Er sei sich nicht treu geblieben, hatte es in der Presse geheissen. Doch Smilla wusste, dass das nicht Lex’ Schuld gewesen war. Sein Traum war es immer gewesen, eigene Songs zu schreiben, ganz schlicht und mit tiefsinnigen Texten. Aber das Plattenlabel hatte ihm das nicht erlaubt, zu gross sei das Risiko gewesen. Man hatte ihn gezwungen, generische Popsongs aufzunehmen, die tatsächlich wenig mit ihm zu tun hatten – der Sound war mit viel Nachbearbeitung beim Abmischen verfälscht worden. Dabei hatte er eine wunderbare Singstimme. Die hatte er schon immer gehabt, schon bevor er Gesangsstunden genommen hatte.
Ehe sie sich versah, schwelgte Smilla in Erinnerungen – damals, als sie es geliebt hatte, ihn auf dem Klavier zu begleiten, als sie noch Kinder gewesen waren.
«Es war so schön», dachte sie wehmütig.
Auf einmal wurde ihr bewusst, dass Lex nicht mehr weit sein konnte. Mit einem Satz war sie auf den Beinen, klaubte gleichzeitig die CDs zusammen und hastete zu ihrem Bett, wo sie sie unter der Decke verschwinden liess. Ein besseres Versteck fiel ihr auf die Schnelle nicht ein, doch es würde wohl ausreichend sein.
Rasch strich sie die Bettwäsche glatt und stiess anschliessend die Tür auf. Sie wollte sich die Peinlichkeit ersparen, dass er anklopfte und sie ihm öffnen musste, als empfinge sie ihn in ihrem eigenen Haus.
Just in diesem Moment kam er schon die Treppe hoch. Er sah sie sofort und grinste sie an.
Ihr Herz schlug schneller, was natürlich nur an der Aufregung lag, die diese Unannehmlichkeit mit sich brachte.
Seine Gestalt unterschied sich kaum von dem Bild, das sie von ihm in Erinnerung hatte. Er trug sein Haar nun nicht mehr als zottelige Mähne, die erst zu seinem supercoolen Image als Popstar gepasst und später von einem Mangel an Körperhygiene hergerührt hatte. Sein kurzer Schnitt sah gemeinsam mit dem Hemd beinahe brav aus, hätte die Etikette nicht vorgesehen, im Smoking zu erscheinen. «Doch ein Lex Rosenkvist hat sich wohl nicht daran zu halten», dachte Smilla missbilligend. Seine Schultern waren etwas breiter geworden, aber er bedachte Smilla immer noch mit demselben spöttischen, fast etwas überheblichen Blick, der ihm immer eigen gewesen war, wenn er sie ins Bockshorn hatte jagen wollen.
«Hej», piepste sie. Aus irgendeinem Grund war ihre Stimme eine Terz in die Höhe gesprungen.
«Smilla. Wie geht es dir?», fragte er. Misstrauisch beäugte sie ihn. Mit einer höflichen Smalltalkfrage hatte sie nicht gerechnet.
«Gut, danke.» Sie brachte es nicht über sich, sich nach seinem Befinden zu erkundigen.
Dabei konnte sie ihm ansehen, dass es ihm viel besser ging als noch vor einem Jahr. Doch sie wollte ihm keinen Anlass liefern, anzudeuten, dass er ihretwegen eine schlimme Zeit durchgemacht hatte.
«Es ist ja auch nicht alleine meine Schuld gewesen», versicherte sie sich im Stillen.
Nach einer heiklen Pause grinste er sie erneut an. «Mir geht’s auch gut. Besser.»
«Also doch. Darum geht es ihm», dachte sie. Laut sagte sie: «Das … freut mich zu hören» Was tat er hier? Warum liess er sie nicht einfach in Ruhe?
Wieder schwiegen beide. Irgendwo in einem Nebenraum tickte eine Uhr – Smilla wusste noch nicht einmal welche.
«Lex …», begann sie langsam.
«Ja, Smilla?», erwiderte er süffisant.
«Hör auf, mich zu ärgern», dachte sie, rang sich aber doch zu der Frage durch, die ihr am meisten unter den Nägeln brannte. «Warum bist du hierhergekommen?»
«Deine Eltern haben mich eingeladen», sagte er schlicht. «Grosse Gesellschaft. Und so weiter.»
«Das ist Unsinn. Du warst … seither … nie irgendwo dabei, wenn so ein Anlass war. Deine Familie kam immer ohne dich.»
«Das schwarze Schaf nimmt man nicht unbedingt mit, wenn es sich vermeiden lässt.» Zum ersten Mal klang er nicht mehr überheblich und selbstsicher, sondern ein kleines bisschen verletzt. Oder bildete Smilla sich das nur ein? Sofort wechselte er wieder zum überlegenen Grossmacker. «Können wir uns eigentlich mal hinsetzen?»
Er machte einige Schritte auf ihr Bett zu.
«Nein!», schrie sie auf, lauter als beabsichtigt. Nicht auszudenken, wenn er sich auf die CDs gesetzt hätte. Wenn er bemerkt hätte, dass sie sie nicht nur immer noch besass, sondern auch vor ihm versteckte. «Ich habe eine Bettbank. Die ist normalerweise dazu da, um darauf zu sitzen. Ein Bett ist zum Schlafen gedacht.»
«Danke sehr. Dann weiss ich ja jetzt Bescheid.» Seine Augen glitzerten amüsiert. Er drehte sich einmal um die Achse und ging direkt auf den Schminktisch zu. Er hob die Tasse hoch und schnupperte daran. «Was haben wir denn da? Benötigte das Fräulein Gyldenløve etwa ein wenig Beruhigungstee?»
«Dir wäre etwas Härteres wohl lieber», giftete sie zurück.
Er stellte die Tasse hin und sah sie lange an. «Das ist nicht witzig, Smilla.»
Sie errötete und biss sich auf die Lippen. «Also gut … Setzen wir uns endlich», sagte sie und ging auf die Sitzbank zu. Sie wartete, bis er sich hingesetzt hatte, bevor sie sich ebenfalls niederliess. Dabei achtete sie darauf, möglichst weit von ihm entfernt zu sitzen.
«Wobei wir ohnehin gleich nach unten müssen. Mamma – Ingeborg –»
«Ja, ich weiss noch, wie deine Mutter heisst», unterbrach er sie.
Ihr Gesicht wurde noch röter. Dass er sie auch immer in Verlegenheit bringen musste! «Na dann. Und warum durfte das schwarze Schaf diesmal mit?», hakte sie stattdessen nach.
«Oh, das schwarze Schaf durfte nicht mit», erklärte er. «Die weissen Schafe hatten bloss keine Zeit, weswegen das schwarze sie vertreten darf. Lieber ein schwarzer Rosenkvist als gar keiner. Es wäre ja unhöflich gewesen.»
«Du machst dich immer noch über die Gepflogenheiten unserer Familien lustig», stellte sie fest.
«Klar», sagte er unverblümt. «Du etwa nicht?»
Sie überging seine Frage. «Dann bist du also alleine hier.»
«Messerscharf kombiniert.» Er schlug sich mit beiden Händen auf die Oberschenkel. «Stört dich das?»
«Natürlich nicht», antwortete sie automatisch, doch das war gelogen.
«Du wirkst auch sehr begeistert.»
«Hör mal, für mich ist das auch nicht so einfach. Seit dem Ende unserer Beziehung ist das das erste Mal, dass wir wieder richtig miteinander reden. Ich –»
«Bist du etwa noch nicht über mich hinweg?», unterbrach er sie neckisch.
Wütend starrte sie ihn an. «Ich war von Anfang an über dich hinweg.» Doch als sie in seine grünen Augen sah, fragte sie sich unwillkürlich, ob sie immer noch über ihn hinweg war. Rasch schob sie den Gedanken beiseite.
«Manchmal habe ich dich vermisst», sagte er, auf einmal wieder ernst.
Sie seufzte.
«Ja, seufze nur vor dich hin. Wie lange waren wir zusammen? Ein halbes Jahr? Etwas länger?»
«Acht Monate», sagte sie unweigerlich.
«Das ist keine besonders lange Zeit. Aber davor waren wir ein Leben lang beste Freunde. Ich habe meine beste Freundin vermisst.»
Er sagte dies ohne Vorwurf in der Stimme, doch sie hörte trotzdem einen heraus. Ihr Magen zog sich zusammen.
«Ich war nicht da, als du mich gebraucht hättest», stellte sie fest. «Das ist mir bewusst.»
«Das ist dir bewusst? Und trotzdem ist es dir nicht eingefallen, dich mal bei mir zu melden? Dass du mich damals fallenliesst, als ich verdammt noch mal mit dieser ******** nicht klarkam – okay! So … so bist du eben. Hätte ja jemand etwas Böses über deine Familie sagen können. Aber danach?»
«Das hätte ich bestimmt nicht gekonnt.»
Kalt sah er sie an, so lange, bis sie dem Blick nicht mehr standhalten konnte. «Natürlich nicht.» Nach einer Weile hob er seine Stimme erneut. «Ich kenne dich schon mein ganzes Leben lang, Smilla. Es überrascht mich nicht, dass du plötzlich mit mir zusammensein wolltest, als ich Erfolg in dieser beschissenen Show hatte. Es war auch klar, dass du nicht zulassen konntest, dass der Name Gyldenløve mit einem Säufer in Verbindung gebracht wurde. Völlig logisch, dass du mit mir Schluss gemacht hast und mich nicht mehr sehen wolltest. Das war Smilla Eleanor Gyldenløve, die Repräsentantin der Familie.» Seine nächsten Worte waren so leise, dass Smilla sie kaum verstehen konnte. «Aber was ist mit Smilla, meiner allerbesten Freundin? Warum hast du all die Jahre nicht mal angerufen? Dich entschuldigt? Ich hätte es sogar verstanden, verdammt. Ich bin so ein Idiot, dass ich es verstanden hätte. Ich habe es ja schon lange verstanden. Aber ich wollte es von dir hören. Ich wollte, dass du es zugibst. Dass du versuchst, wenigstens unsere Freundschaft zu retten.»
«Wäre sie denn noch zu retten, nach … all dem?» Sie blinzelte eine Träne weg.
«Du tust es schon wieder.»
«Was? Was tue ich?», fragte sie erstickt.
«‹All dem.› Du nennst es ‹all dem›. Warum nennst du das Kind nicht endlich beim Namen?»
Sie schluckte, strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, nestelte an ihrem Armband herum und, als ihr nichts mehr einfiel, womit sie hätte Zeit schinden können, begann sie mit leiser Stimme zu sprechen. «Ich bin mit dir zusammengekommen, weil du als Popstar so Erfolg hattest. Und ich habe wieder mit dir Schluss gemacht, als du keinen Erfolg mehr hattest.» In letzter Sekunde konnte sie sich davon abhalten, sich die Haare zu raufen. Es wäre unangenehm gewesen, Elsa nochmals herzubitten, um die Frisur zu richten. «Es tut mir leid, Lex, okay? Ich habe dich auch vermisst.»
«Na bitte.» Er lehnte sich zurück. «Geht doch.»
«Verzeihst du mir also?»
Statt einer Antwort sah er sie nur sehr lange an. Sein Blick verriet nicht, was er dachte. «Wie grün seine Augen sind», schoss es Smilla im unpassendsten Moment durch den Kopf. Einen Moment lang sah es so aus, als wollte Lex etwas sagen, doch dann zuckte er mit den Schultern.
Smillas schluckte. Was wollte er nur? Die Freundschaft wiederbeleben? Sie ärgern?
In diesem Moment unterbrach Ingeborg das Gespräch. Smilla hatte gar nicht gehört, dass jemand die Treppe hochgekommen war, weswegen sie zusammenzuckte, als plötzlich die Tür aufflog und ihre wutentbrannte Mutter ins Zimmer stürzte. Wie immer äusserten sich ihre Gefühlsregungen weder in ihrem Gesicht noch in ihrer Wortwahl, doch rein die Tatsache, dass sie persönlich vorbeikam und nicht eines der Mädchen schickte, sagte Smilla, dass ihre Nerven zum Zerreissen gespannt waren.
«Smilla, wo steckst du denn? Du sollst die anderen Gäste begrüssen.»
Sie bedachte Lex mit einem geringschätzenden Blick. «Oh, Jacob Alexander. Schön, dich wieder einmal zu sehen.»
Lex streckte ihr mit seinem gewinnenden Lächeln die Hand entgegen. Ingeborg starrte sie an, atmete einmal tief ein, bevor sie sie aufreizend langsam ergriff. Danach drehte sie sich um und rauschte davon, ohne sich davon zu überzeugen, dass die beiden ihr folgten.
«Schwarzes Schaf», raunte Lex Smilla zu.
«Unsinn», flüsterte diese zurück, obwohl Ingeborgs Zögern nicht abzustreiten war. Regelrecht peinlich war es gewesen, fand Smilla. Wohl viel peinlicher als ihre Abwesenheit von den Gästen.
Auf dem Treppenabsatz hielt er sie kurz zurück. «Du hast mir sehr wehgetan, Smilla.» Nach diesen Worten polterte er unnötig laut die Stufen hinunter.
Smilla stiess scharf die Luft aus, bevor sie ihm und ihrer Mutter folgte. Der Abend hatte noch nicht einmal begonnen.