Hier zwei ältere Geschichten.
Sternendieb – Version 1
[geschrieben im Jahr
2006]
Sternendiebe überall und nirgendwo. Niemals sieht man sie. Nur hören tut man von ihnen. Sie sollen die Sterne vom Himmel klauen. Für geliebte Menschen tun sie dies. Kleine Kinder freuen sich über jeden gebrachten Stern. Hüten ihn in einer Art verschlossener Vase. Er leuchtet in der Nacht und spendet Wärme in kalten Nächten. Eines Nachts holte ein Sternendiebmädchen einen wunderschönen, großen Stern vom Himmel. Er war so hell wie noch nie. So einen hellen hatte das Mädchen noch nie einen gesehen. Sie nahm sich den Stern und flog wieder nach unten zur Erde. Wenn die Sonne auf ging, verschwanden die Flügel der Sternendiebe, damit sie nicht erkannt werden. Sie tagsüber normal unter Menschen und niemand merkt, dass sie es sind, die die Sterne vom Himmel klauen. In dieser Nacht hatte das Mädchen nur diesen schönen Stern vom Himmel geholt. Sie bewahrte ihn gut. In ihrem Dorf, da hatte sie einen Jungen in ihrem Alter kennen gelernt. Er war fasziniert von den Sternendieben und sie hoffte, dass er sie nicht irgendwie erkennen würde. Sie liebte diesen Jungen, doch sie durfte eigentlich nicht. Wenn sie andere Sternendiebe sah, verhielt sie sich ihm gegenüber als wären sie Freunde. Gegen Freunde hatte niemand etwas. Zu ihrem Glück fiel ihrem Freund nichts auf, wenn sie plötzlich ganz anders mit ihm umging. Nie übernachtete sie bei ihm, was ihn auch ziemlich traurig machte. Doch wenn die Nacht herein brach, wuchsen ihr langsam Flügel, die bis zur Mitternacht vollkommen ausgewachsen waren. Diese Prozedur war mit viel Schmerzen verbunden. Nun war es Mitternacht und Zeit zum Sterne klauen. Von oben sah sie oft das Haus ihres Freundes. Sie vermisste ihn sehr. Die Luft war kalt und sie trug nur ein weißes dünnes Kleid. Jede Nacht. Wieder flog sie, wie in jeder Nacht, in den Himmel empor und pflückte Sterne von der großen Wiese. In dieser Nacht kam ein anderer Sternendieb zu ihr. Er fragte sie ganz schön viele Sachen über ihren Freund. Seid ihr nur Freunde? Läuft da auch nicht mehr? Das Mädchen musste den Anderen anlügen, um nicht ihren Job als Sternendieb zu verlieren. Im Ehrencodex lautet es, dass ein Sternendieb sich niemals in einen normalen Menschen verlieben darf. Man darf niemanden davon erzählen, wer man ist. Verrät man die Sternendiebe, verliert man auf schmerzvolle Weise seine Flügel und die geliebten Menschen um einem herum verschwinden. Oft überlegte sie in der endlosen Nacht, ob sie es ihm einfach sagt oder für immer schweigt. Doch sie müsste es ewig geheim halten, vielleicht will er auch mal heiraten. Fragen über Fragen, worüber sie oft nach dachte.
Nun war es wieder Tag. Heute ging sie arbeiten in einem Blumenladen. Dort band sie Blumensträuße. Plötzlich stand ihr Freund vor ihr. Sein Gesichtsausdruck war schwer zu beschreiben. Er guckte glücklich, aber ernst und traurig zugleich. Das Sternendiebmädchen ging mit ihm nach draußen, um zu reden. Er erzählte ihr, dass er gestern Nacht jemanden zum Himmel fliegen sehen hat. Ihr wurde ganz mulmig. Heute, zum ersten Mal, fragte, wo sie denn überhaupt wohne und warum sie nicht bei ihm mal übernachtet. Wieder log sie, wie viele andere Mal schon. Lange hielt sie es nicht mehr. Das Schweigen machte sie verrückt. Was sie nicht merkte, dass sie von fast allen Sternendieben beobachtet wurde, die in der Gegend wohnten. Denen wurde klar, dass die beiden doch zusammen waren. Diese sahen aber auch, dass sie sich bemühte nichts aus zu plaudern. Am Abend verabschiedete sich das Mädchen traurig von ihrem Freund. Es gab keinen Kuss, kein Umarmen, kein Zurücksehen. Einfach nichts, was mit Liebe und Zärtlichkeit zu tun hatte. Die Nacht brach herein und die Flügel wuchsen langsam. Größer und größer wurden sie. Punkt Mitternacht, konnte sie wieder los fliegen. Erst bemerkte sie nicht, wie sie von den Anderen angestarrt wurde. Doch plötzlich ein kalter Luftzug.
Ein großer Schatten hinter ihr. Vorsichtig drehte sie sich um. Dort war jemand, den sie niemals erwartet hatte. Der Meister der Sternendiebe, auch Oberhaupt genannt. Er erzählte ihr was vom Ehrencodex, doch dann fing an von Ausnahmen zu reden. Nun hörte sie genauer hin. Ob die anderen doch etwas gesehen oder bemerkt haben? Was er dann sagte, machte das Mädel überglücklich. Am liebsten hätte sie ihn dafür umarmt. Du darfst diesen jungen Mann lieben und ehren, aber du wirst deine Flügel verlieren. Deine Sterne darfst du bis in alle Ewigkeit behalten, doch erzähle niemanden unsere Geheimnisse. Wo wir uns verwandeln, wie, wann und wo. Von mir aus darf jeder von deinen Freunden, wissen was du warst, doch du selber darfst es nie wieder machen. Dieses Angebot nahm sie gerne an, doch etwas hatte sie Angst. Wie wird sie ihre Flügel verlieren? Das Oberhaupt hob seine Arme und legte seine großen Hände auf ihren Kopf. Er sprach noch einmal den Ehrencodex der Sternendiebe und sagte etwas, was kein anderer Sternendieb verstanden. Vielleicht ein Art Zauberspruch? Ein kurzer Schmerz, ein kurzer Stich und ihre Flügel waren verschwunden. Aber sie schwebte noch. Langsam beförderte das größte von allen Sternendieben sie nach unten auf die Erde.
Vom Glück getroffen, rannte sie runter ins Dorf. Sie stürmte ins Haus ihres Freundes. Platze ins Schlafzimmer. Der Schock. Gerade wo sie ran kam, sah sie ihn mit einer anderen Frau. Sie wollte gerade mit einander schlafen. Wo kommst du plötzlich her? Ja, das sagte er nur. Dem Mädchen kamen nur die Tränen. Wäre ich nur Sternendieb geblieben! Das Mädchen schrie so laut sie konnte und wollte am liebsten nicht mehr damit auf hören. Ihr Freund schmiss sie aus seinem Haus. Er wollte nichts mehr von ihr wissen. Am nächsten Morgen lag sie leblos vor seiner Tür. Die Mediziner zu dieser Zeit sagten, sie hätte sich zu Tode geschrien. Doch was war die wirkliche Ursache? Ob die Sternendiebe alles beobachtet haben? Hatte ihr Freund sie kaltblütig ermordet? Wir werden es nie erfahren…
Sternendieb – Version 2
[geschrieben im Jahr
2009]
Sternendiebe sind überall und nirgendwo, man sieht nie. Doch man spricht von ihnen. Sie pflücken die Sterne von der Himmelswiese. Diese Sterne sorgen bei armen Leuten für neues Glück und viel Wärme in den kalten Nächten. Die Sternendiebe sind am Tag wie andere Menschen, sie leben und arbeiten wie sie, doch nur in der Nacht sind sie anders. Ihnen wachsen langsam die Flügel. Um Punkt Mitternacht können sie dann in den Himmel empor fliegen, um neue Sterne zu pflücken. Eines dieser Sternendiebe heißt Nikita. Sie ist noch sehr jung und weiß noch nicht so recht was mit ihr geschehen ist. Doch von Nacht und Nacht versteht sie mehr den Sinn ihrer neuen Lebensaufgabe. Bis zu ihrem achtzehnten Lebensjahr wird sie wachsen, wie jedes andere Menschen, doch dann wird sie nicht mehr altern, denn Sternendiebe sind unsterblich. Nikita sitzt wie jede Nacht auf ihrem Bett und schaut in den Himmel. Sie wartet darauf, dass ihre Flügel wachsen. Es war ein sehr schmerzvoller Akt. Ein eigenartiges Gefühl beschleicht sie, als Nikita heute ihr Zimmer verlässt. Diese Nacht wird nicht wie jede andere Nacht verlaufen…
Als sie in der Frühe wieder in ihr Zimmer kehrte und sich gerade die Bettdecke über den Kopf ziehen wollte, ging das Licht in ihrem Zimmer an. Ihr Vater stand in der Tür. Er brüllte um sich und fragte seine Tochter wo sie die ganze Nacht gewesen sei. Nikita antwortete ihm nicht und blickte ängstlich nach unten. Ihr Vater kam näher und gab ihr eine Ohrfeige. Seit dieser Nacht blieb Nikita nie lange bei den Sternendieben. Fast einmal in der Woche erwischte Nikitas Vater sie und jedes Mal gab es einen Satz heiße Ohren. Nikita versuchte sich unter dem Tisch zu verkriechen, doch auch da konnte er sie treten.
Einige Jahre später… in jener Nacht war Nikita verzweifelt. Sie war nun bald achtzehn Jahre alt und ihre Mutter war seit einigen Wochen verschwunden. Ihr Vater traf sie nur noch im Suff an. In dieser Nacht ging sie nicht zu den Sternendieben, sondern wollte ihre Großeltern um Rat bitten und ihnen alles beichten. Das sie ein Sternendieb ist, das ihr Vater sie seit Jahren schlägt und das Mutter seit einigen Wochen verschwunden ist. Leise klopfte sie an der alten Holztür. Doch niemand machte auf. Die Tür war offen. Sie konnte ein leises Winseln hören. Sie folgte dem Geräusch. Als Nikita um eine Ecke schaute, sah sie auf dem Boden ihren Großvater hocken. Er betete. Doch nur warum? So was tat er sonst nie. Er bemerkte Nikita sofort und sah sie mit glasigen Augen an. Nikita wurde ganz mulmig zu Mute. Er brach in Tränen aus und kaum verständlich murmelte er, dass Großmutter gestorben sei. Mit großen Augen sah Nikita ihn an. Eine Welt brach für sie zusammen. Nach einigen Stunden beichtete sie ihrem Großvater alles. Er konnte nur den Kopf schütteln. In dieser Nacht blieb sie bei ihrem Großvater, obwohl ihr wie immer Flügel wuchsen. Am nächsten Tag verlief alles wie immer. Nikita ging arbeiten, die Kunden kommen und gehen, doch dann kam einer ihrer Sternendiebfreunde. Mit einem bösen Blick begrüßte sie Nikita. Leicht verwirrt grüßte sie zurück. Sie konnte ein leises „Das wirst du noch bereuen“ hören und schon war sie wieder verschwunden. Der Tag ging zu Ende und Nikita freute sich auf eine Nacht im Freien. Als sie in den Himmel flog, traf sie das Oberhaupt der Sternendiebe an. Wie kannst du es wagen hier nicht auf zu tauchen, wie jeder andere, fragte er Nikita mit einem bösen Unterton. Nikita stammelte vor sich hin und wusste nicht was sie zu ihm erst sagen sollte. Gestern ist für mich eine Welt zusammen gebrochen, meine Großmutter ist gestorben. Sie war für mich die einzige Person mit der ich über alles reden konnte, ihr alles sagen konnte. Ich wollte ihr alles sagen. Das mich mein Vater Tag für Tag schlägt, mich anbrüllt und mich fragt wo ich jede Nacht sei. Und ich wollte ihr, aber auch nur ihr sagen, dass ich einer der Sternendiebe bin.
Das sagte Nikita und das Oberhaupt hatte glühende Augen wie Feuer. Er legte seine große Hand auf ihren Kopf und sprach den Ehrencodex der Sternendiebe. Alle anderen sprachen mit ihm. Niemals sollst du sagen, wer du bist und was machst. Niemand soll wissen wer wir sind. Doch tust du dies, wirst du dafür bestraft. Das heißt, dass du deine Flügel und deine Unsterblichkeit verlieren wirst. Für ein noch größeres Vergehen wirst du um so mehr bestraft. Nikita bekam es mit der Angst zu tun und wollte so schnell wie möglich auf den Boden der Tatsachen zurück. Doch sie konnte sich nicht bewegen. War es die Angst oder die Macht des Oberhauptes? Es war die gleiche Angst wie bei ihrem Vater. Immer stand sie da und lies sich verprügeln. Nun war es aber an der Zeit sich nicht mehr alles gefallen zulassen. Nikita versuchte sich zu wehren, doch es war schon zu spät. Die Macht des Oberhauptes nahm ihren Lauf. Auf eine schmerzvolle Art und Weise verschwanden ihre Flügel. Doch noch schwebte sie. Das Oberhaupt nahm seine Hand weg und Nikita fiel in die Tiefe.
Am nächsten Morgen fand man sie tot am Dorfrand. Niemand weiß wie es geschehen ist, niemand wird es jemals wissen...