Ich glaube, man könnte schon viel erreichen, wenn man es schaffen würde, den Kindern einen Sinn für Sprache mitzugeben. Wer so etwas hat, der windet sich bei "Back-Shop" oder "chillen" oder "City-Call" von ganz alleine in Schmerzen und macht auch nicht jeden Murks mit. Aber da wir uns nicht zuletzt wegen des bescheidenen Bildungssystems und des Wandels von Schrift- zu Bildmedien in ein Volk von funktionalen Analphabeten verwandeln, das nur noch ein minimales Denglisch-Pidgin beherrscht, sehe ich da eher schwarz.
Übrigens scheint mir noch ein ganz anderer Punkt eine Rolle zu spielen, nämlich der Wandel von der Produktions- zur Dienstleistungsgesellschaft. Das entführt jetzt vielleicht den ursprünglichen Thread ein bisschen auf Pfade, die er gar nicht gehen sollte, aber ich stelle das jetzt trotzdem mal in den Raum.
Meine Theorie ist, dass in früheren Zeiten mehr das Produkt zählte und weniger die Vermarktung. Heute dagegen ist jedes Produkt von einer Masse an Dienstleistungen umgeben (oft gibt es gar nur noch Dienstleistungen als Produkt), und statt unspektakulärer, aber langfristig haltbarer Ware (sei es ein Haushaltsgerät oder Musik) wird heute oft nur noch auf kurze Sicht gedacht und mit hochprofessionellen Vermarktungsstrategien auch noch der letzte Schrott, die letzte Eintagsfliege bis aufs Letzte ausgequetscht.
Horden von Beratern, Serviceagenturen und was-nicht-alles schwirren umher und werben, werben, werben. In einem solchen Umfeld dient die Sprache natürlich dazu, sich möglichst im besten Licht darzustellen, andere zu übertrumpfen. So verliert sie oft ihren eigentlichen Zweck (kommunizieren, erklären, anschaulich machen) und wird zum Gegenteil benutzt: Kulissen aufbauen, verschleiern, blenden.
Dazu kommt, dass wir heute überall und von allen Seiten von Werbung und Angeboten überflutet werden. Früher sendeten zwei Fernsehkanäle ein paar Stunden lang, Internet gab es nicht, und am Telefon riefen Freunde und Bekannte an. Heute senden -zig Kanäle rund um die Uhr, es gibt ausgefeilte Schleichwerbestrategien, das werbevermüllte Internet, Telefonmarketing und und und... kein Club, kein Anbieter, der die Kundenanmeldung nicht nutzt, um einen pausenlos mit "exklusiven" Angeboten und Gewinnspielen zu überschütten, sich in den Vordergrund zu drängen. Die Produkte sprechen nicht mehr für sich selbst, und der Kunde wird davon angelockt und geht hin. Nein, auf dem Kunden wird mit Sprache und Bildern herumgeklopft wie auf einem zähen Schnitzel, bis er endlich weich wird.
Der Inhalt tritt zurück, Hauptsache, die Form macht was her.
Hausmeister? Das geht heute nicht mehr, das klingt so nach... Hausmeister! Da nennt man das Kind beim Namen, das ist nicht sexy. Ab sofort heißt das
facility manager, das ist so weltläufig und kosmopolitisch... ok, zugegeben: Es weiß keine Sau mehr, was gemeint ist, aber das zählt eben auch nicht mehr! Nicht mehr Inhalt ist gefragt, sondern tolle Verpackung. Das soll nicht mehr aussagen "jetzt weißt Du, was ich mache", sondern "keiner weiß Bescheid, aber alle sind wahnsinnig beeindruckt".
In solch einem Klima können die abstrusesten Wortschöpfungen und Sprachvergewaltigungen gedeihen, eben weil die Sprache nicht mehr an Anforderungen wie Transparenz und Klarheit gebunden ist. Ich habe gestern einen Testbericht zu einem neuen Computerchipsatz gelesen. Die kleinste Version davon heißt "Ultra".

Auch hier das übliche Schema: Es ist gar nicht mehr Sinn und Zweck, die kleinste Version als das identifizierbar zu machen, was sie ist. Es ist gar nicht beabsichtigt, die genauen Eigenschaften dieses Produkts durchblicken zu lassen (klein, billig, ohne Firlefanz) - sch31ß was auf Sinn und Inhalt, etwas reißerisches muss her! Eine simple Holzzahnbürste muss heute
Retro-Style PowerDent UltraWood Turbobrush XL 5000 heißen, anders läuft es nicht.
Es herrscht geradezu eine panische Angst davor, Dinge einfach beim Namen zu nennen und dabei auch mal Beschreibungen zu verwenden, die nicht vor hohlen Superlativen und pseudo-weltläufigem Imponiergehabe strotzen.
Und ich versteige mich jetzt glatt mal zu der Behauptung, dass es verdammt schwer sein wird, in dieser unserer 'Bunzreplik' (wie Ex-Kanzler Kohl so unnachahmlich sagte) wieder einen Sinn für Sprache und deren guten Gebrauch zu erwecken, solange das hier beschriebene Klima vorherrscht.
Vielleicht ist es auch ein Ausdruck der derzeit herrschenden allgemeinen Verunsicherung, dass die meisten sich nicht mehr trauen, einfach selbstbewusst die Dinge beim Namen zu nennen und nicht jede Strömung mitzumachen, bis sie so sehr "streamlined" sind, dass man früher wahrscheinlich einfach nur "aalglatt" oder "charakterlos" dazu gesagt hätte?
Um das Beispiel "chillen" aufzugrifen: Welcher Jugendliche traut sich heute noch, zu seinen Freunden zu sagen "Ich bleib heute einfach zu Hause und entspanne mich 'n bisschen?" Wie uncool - hauptsache, man "chillt". Was das so genau ist, weiß zwar im Grunde auch keiner (ich kann mir das Gedruckse bei Fußgängerzoneninterviews lebhaft vorstellen, bis zum hilflosen Eingeständnis "na ja, so entspannen und nichts tun, irgendwie, so... keine Ahnung"), aber man muss ja cool sein und darf nicht einfach sagen, was man tut. Man muss es schon schön verpacken und unter hippen Begriffen verschleiern. Merke: Auch wenn man nur angeödet in den Kissen hängt und sich durch Klingeltonwerbung zappt - es muss für Andere so klingen, dass jeder, der es hört, sich in den A... beißt, dass er es verpasst hat!
So, jetzt habt Ihr's überstanden.
