Sorry, dass es solange nicht weiterging, aber wir beide müssen nun mal zur Schule gehen und lernen.
Kapitel 7
„Hallo, Ma-„ Das Wort blieb mir im Hals stecken. Vor mir stand irgendein unheimlich wichtig aussehender Typ, der nicht die Geringste Ähnlichkeit mit Mark hatte. „Bin ich hier richtig bei…“ Er schaute auf einen kleinen Zettel, „…bei Ralf Schneider?“ „Ja genau, das ist mein Vater.“ „Gut, ich habe hier ein paar sehr wichtige Unterlagen. Deshalb komme ich auch selbst vorbei und schicke keinen Boten. Man kann einfach keinem mehr trauen. Es geht nämlich um…“ Ich hörte ihm schon gar nicht mehr zu, denn ich hatte gerade ein paar wippende braune Haare über der Hecke entdeckt und gleich darauf auch den Rest von Mark. Lässig grüßte er zu mir hinüber.
„Haben Sie alles verstanden?“ Ach stimmt, der Anzugheini war ja auch noch da. „Ja, ja, geht klar.“ Der Typ händigte mir die Papiere aus. Ich hatte zwar kein Wort davon mitbekommen, was ich jetzt damit machen sollte, aber das hatte Zeit. Jetzt gab es wichtigeres. Mit einem gezielten Wurf pfefferte ich die Blätter auf den Flurtisch und schnappte mir meine Jacke. Ich wollte keine Sekunde von diesem Abend verpassen.
Langsam schlenderte Mark auf mich zu. „Fertig, Kleine?“ Ich hasste es, wenn man mich Kleine nannte. Aber bei Mark machte ich eine Ausnahme. Deshalb nickte ich. Mein Hals fühlte sich wie zugeschnürt an und meine Knie schienen nur noch aus Wackelpudding zu bestehen. „Gut, dann komm.“ Er zog mich zu seinem Mofa. „Halt dich an mir fest.“ Langsam legte ich meine Arme um ihn und rückte noch ein Stück näher an ihn heran. Ich hätte ewig so sitzen können.
Die Fahrt zum Kino war viel zu schnell vorbei! „In was für einen Film gehen wir eigentlich?“, fragte ich. Nicht, weil es mich sonderlich interessierte, sondern weil ich einfach so lang es ging in seiner Nähe bleiben wollte. „Bis jetzt noch in keinen. Such du dir einen aus.“
Prüfend ließ ich meinen Blick über die ausgehangenen Filmplakate schweifen. Viel gab es nicht zur Auswahl, nur einen Western, mehrere Zeichentrickfilme und zwei Liebesschnulzen. Für meinen Geschmack war absolut nichts dabei. „Hm, in welchen willst du denn?“ „In den Western. Ich hab gehört der soll ziemlich gut sein. Komm, beeil dich, sonst sind keine Karten mehr da.“
Die Befürchtung war unbegründet. Es waren nur wenige Leute im Kinosaal, ich schätzte sie auf höchstens 20. Die Werbung am Anfang blieb uns Gott sei Dank erspart, wir waren ein nämlich bisschen spät dran. Wir suchten uns einen Platz irgendwo in der Mitte des Saals und die ersten Bilder des Films flimmerten über die Leinwand.
Ein einsamer Reiter galoppierte über die Steppe. Erschöpfung und Schlafmangel zeichneten sich deutlich auf seinem Gesicht ab. Nur das Pferd wirkte trotz des scharfen Galopps unheimlich frisch. Das hatten sie wohl vergessen zu schminken.
Ich unterdrückte mühsam ein Gähnen. Todlangweilig. Ich schielte zu Mark hinüber. Der schien sich prächtig über eine wilde Schießerei, die gerade begonnen hatte, zu amüsieren.
Ungefähr eine halbe Stunde später wurde es ruhiger auf der Leinwand. Leise Klaviermusik ertönte. Der Cowboy stand unter einem großen Baum neben einer blonden Frau. Der Held nahm sie in die Arme und flüsterte ihr etwas ins Ohr.
Na super, Schmuse-Western. Warum sind wir eigentlich nicht gleich in den Zeichentrickfilm gegangen?, überlegte ich. Da hätten wir wenigstens was zu lachen gehabt. Ich versuchte das Beste aus der Situation zu machen und schob meine Hand langsam in seine Richtung. Mark bemerkte das gar nicht. Ich schob sie noch näher, bis sie schon fast auf seiner Hand lag. Keine Reaktion. Gerade wollte ich nach seiner Hand greifen, da versenkte er sie tief in einem Karton mit Popcorn, den wir vor der Vorstellung gekauft hatten. „Klasse Film, oder?“, fragte er flüsternd. Ich murmelte irgendwas und hoffte, dass es sich nach einer Zustimmung anhörte.
Gelangweilt sah ich mir den Rest des Films an. Mark war absolut nicht ansprechbar, gebannt verfolgte er das Geschehen auf der Leinwand. Ich hätte ihm ja eigentlich einen komplett anderen Geschmack zugeteilt, aber so kann man sich täuschen.
Ich war auf einen Schlag wieder hellwach, als der Abspann aufleuchtete und es wieder heller im Saal wurde. Der Abend war noch jung, vielleicht konnte ich ja noch was rausreißen.
„Und was machen wir jetzt? Wie wär’s mit nem Club hier in der Nähe?“, fragte ich, als wir wieder in der kühlen Nachtluft vorm Kino standen. Mark grunzte, was sich für mich nach einem JA anhörte.
Den Rest des Abends verbrachten wir in einem kleineren Club um die Ecke. Ich hatte keine Ahnung, was wir da so alles gemacht hatten, ich hatte einfach zu viel getrunken. An ein paar Szenen erinnerte ich mich noch, wenn auch nur dunkel. Ich wusste nur, dass es einer der geilsten Abende meines Lebens war. Und an eine Szene, an die erinnerte ich mich noch ganz deutlich. Als Mark und ich den Club verließen, kam Mark ganz nah zu mir und hauchte mir ein „Bis morgen, Kleine“ ins Ohr.
Und dann küsste er mich. Lange. So lang, dass ich fast keine Luft mehr bekam. Es war kein romantischer Kuss im Mondschein, bei dem unsere Wimpern im gleichen Takt flatterten, sondern ein Kuss mit dem Geschmack von all dem Alkohol, den Mark den Abend über getrunken hatte, auf den Lippen, aber er war was ganz besonderes. Diesen Kuss würde ich nie vergessen.
Als er mich los ließ, fühlte ich mich wie verzaubert.
Dieses Gefühl wurde aber innerhalb weniger Sekunden wieder vernichtet. Mark sagte nämlich im Davongehen zu mir: „Übrigens, du siehst ganz toll aus. Nur deine Haare…ich bin mir sicher, dass du mit blonden Locken viel schöner aussehen würdest.“ Sprachs und ging. Und ließ mich zurück, total orientierungslos. Ich hatte das Gefühl, als ob mir jemand einen kräftigen schlag in die Magengrube versetzt hätte.
Ich hoffe, die Bilder sind halb so schlimm... Und ja, wir würden uns über Kommis freuen.
