Kapitel 1
September
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Es war ein kalter, düsterer Septembermorgen, so fern ich meinen Blick aus dem Fenster wagen konnte, sah ich dass dicke Wolken schwer und grau über dem Himmel hingen und meine Stimmung trübten.
Es musste der erste Septembertag in diesem Jahr sein, soweit ich richtig gezählt hatte.
Mit einer kleinen Kreide, die ich zwischen all dem Schrott vor unserer geheimen Tür gefunden hatte, habe ich die Monate und Tage an die Wand gekritzelt.
Unter meinen, oder unter allen unseren Umständen, wollte ich mein Zeitgefühl nicht verlieren.
Ein leiser Seufzer fuhr über die Lippen meiner besten Freundin, die ich schon seit Schultagen kannte.
Wie lang mochten diese glücklichen Schuljahre schon her sein?
Langsam zählte ich mit meinen Fingern ab, jeder Finger zählte ein Jahr.
In der 11.ten Klasse begann dieser schreckliche Albtraum. Weggerissen von all dem was ich liebte, von all dem was ich brauchte.
Einfach so. Doch es musste sein, es war die einzige Lösung.
Man hatte zwei Möglichkeiten, vor, ja ich zählte nun 4 Jahre, entweder sterben oder zu flüchten bzw. sich verstecken zu müssen, um zu überleben. Letzteres hatte ich gewählt.
Meine Freundin, Joanna, bewegte ihre Beine auf dem alten, harten Sofa und blinzelte mit den Augen.
Als ich mich in dem tristen, halb leeren Raum umsah, bemerkte ich wie mich eingehend Fiona, die älteste in unserer Gruppe beäugte.
Ich ließ mir nichts von meinem sehnsüchtigen Wunsch, hier endlich raus zukommen, anmerken.
Fiona hatte diesen stechenden, durchdringenden Blick, mit dem sie den Leuten ihre Gefühle herauslesen konnte.
Aber anstatt rot anzulaufen, wie ich es in den ersten Jahren unter ihrer Beobachtung getan hatte, konzentrierte ich mich nun eisern auf einen Punkt an der Wand.
So gut wie möglich versuchte ich meinen Gefühle und innersten Wünsche zu verbergen, vor ihr zu verstecken. Nach einer Weile gab Fiona in unserem geistlichen Kampf auf und wandte sich James zu, der seine kleine Tochter im Arm hielt. Sie war gerade einmal dreieinhalb, bis jetzt hatte sie ihr Leben in diesem Bunker verbracht. Ich verzog bei dem Gedanken den Mund und bedauerte sie.
Wahrscheinlich hatte sie noch nie in der Sonne mit Freunden gespielt, die frische Luft eingeatmet. Sie war noch so jung und hatte ihr ganzes Leben vor sich. Und das würde sich nicht im Bunker zutragen, dessen war ich mir sicher. Das würde ich nicht zulassen.
Joanna bewegte sich nun leise, schloss ihre Augen wieder und atmete regelmäßig.
Da niemand von unserer Gruppe etwas zu sagen hatte, trat ich vor an das einzige Fenster das wir in diesem Raum hatten. Es war dreckig und die Scheiben waren teilweise geplatzt.
Trotzdem fuhr ich mit meiner Hand über das kühle, angefrorene Glas. Ich ging mutig ein Stückchen weiter heran um die Luft aus einem der Löcher zu atmen.
Die Umgebung draußen, war platt gedrückt, fast kein einziges Haus stand mehr.
Nirgendwo waren Pflanzen zu entdecken, nicht mal ein paar kleine, verrottete Bäume sah ich. Die hatten
sie wohl auch umgestürzt, wie den Rest dieses tristen Landes. Erschüttert vergleichte ich dieses Abbild meiner Heimat mit Bildern desselben Landes vor 4-5 Jahren. Sallys & Mo’s Laden, in dem wir uns einquartiert hatten, war hellbraun gestrichen gewesen, hatte einen leichten Hauch von einem Westernsalon und war immer gut besucht gewesen. Trotz das es nur aus Holz bestand, war es sehr robust, deswegen stand es auch noch.
Was mit der guten alten Sally und dem netten, immer schieflächelndem Mo passiert war, wollte ich mir nicht ausdenken. Sicher wurden sie…
Plötzlich packte mich eine kalte, starke Hand an der Schulter und riss mich zu Boden, worauf mein Kopf dumpf aufknallte.
„Bist du verrückt?“, zischte Fiona. Sie hatte meine Hände fest im Griff und Norrington, der mit seiner Tochter Elaine, genauso alt wie James Tochter, auch noch in unserer Gruppe anwesend war, knurrte laut, weil ich vor lauter Aufregung laut aufgeschrieen hatte.
Joanna riss beängstigt die Augen auf und lief zu mir. Sie bückte sich herunter und tastete meinen Kopf ab. Die dicke Beule an meinem Hinterkopf spürte sogar ich.
Plötzlich riss mich etwas von hinten hoch worauf ich leise aufschrie. Verwirrt blickte ich nach hinten, doch Joanna hatte mir nur einen Schubser nach oben in den Rücken gegeben.
„Danke.“ Ich lächelte.
Dann begleitete sie mich zurück zu unserer Couch, während Fiona zu ihrer eigenen zurückging und sich hochnäsig hinsetzte.
„Ist alles in Ordnung?“, flüsterte Joanna.
Nickend bejahte ich. Meinen schmerzenden Fuß dazu wollte ich nicht erwähnen. Fiona sah mich verachtend an und Norrington, wie James schüttelten den Kopf.
„Willst du sie etwa darauf aufmerksam machen, dass wir hier versteckt sind?“, fauchte Fiona mich an. „Es tut mir leid.“, nuschelte ich.
Fiona genügte das anscheinend und sie ließ sich zurück in ihre Couch sinken.
James setzte seine kleine Tochter Grace leise zu Elaine ab, die schlafend auf einer kleinen Decke lag.
Zum Glück schrieen die Kinder nicht, sie hatten die angespannte Atmosphäre mitbekommen und verhielten sich leise.
Mein Blick senkte sich zu Boden. Vielleicht war jetzt genau der richtige Zeitpunkt gekommen, um das allseits beliebte Thema anzusprechen.
Meine Finger quetschten sich ineinander und ich begann zögernd zu sprechen.
„Ehm, ich weiß das das Thema hier nicht sehr beliebt ist, aber ich denke…“, weiter kam ich nicht den Fiona unterbrach mich: „Nein.“
„Fiona hör mir bitte erstmal zu-.“
„Nein hab ich gesagt. NEIN!“
Ich beschloss sie und ihren eisernen Willen zu ignorieren und sprach zum Rest der Gruppe.
„Wollt ihr etwa euer ganzes Leben ewig hier drin verbringen? Wir wissen doch gar nicht ob sie da draußen noch sind, wir haben seit einem halben Jahr nichts Auffälliges mehr gehört! Wenn wir morgen aufbrechen würden, könnten wir es in einem Tagesmarsch schaffen, zum Strand zu kommen.“
„Und dann Yvonne?“, unterbrach mich Norrington.
James sprach für ihn weiter: „Wie wollen wir den rüber zum sicheren Festland kommen? Es ist kein einziges Mittel da. Sie haben alles zerstört. Schwimmen wäre zu weit.“
Ich wollte schnippisch etwas erwidern, doch Fiona legte mich mit ihrem eisernen Blick in Ketten und ich blieb still.
Joanna legte einen Arm um mich und schniefte. Kauernd lag ich in ihrem Arm und betrachtete meine Fingernägel. Zerrissen und dreckig waren sie geworden. Ich seufzte und schloss die Augen. Die ganze letzte Nacht war ich wach gelegen und hatte überlegt dieses Thema anzusprechen. Fiona sah mir an, dass ich müde war und so bugsierte sie sanft meinen Kopf auf ihren Schoß. Dankend lächelte ich sie an. Ich war froh, so eine gute Freundin zu haben. Eine Weile lag ich einfach so da, Joanna summte ein beruhigendes Lied. Dennoch dachte ich angestrengt nach, und fällte das Urteil, das die Entscheidung noch nicht getroffen war. Nach diesem letzten, zufrieden stellenden Gedanken schloss ich die Augen.
Nun überkam mich diese endlose Müdigkeit und mit einem letzten Lecken über die entzündeten Lippen schlief ich ein.
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Das wars für den Anfang
Hoffe es hat euch gefallen...
