20. Kapitel: Alles findet seinen Weg
,,Witzig, wer soll das für mich bezahlen?"
Ich war von seiner Frage ziemlich überrascht. Meinte er das etwa ernst oder war das irgendein Hirngespinst?
,,Blöde Frage, ich arbeite doch", antwortete er mir stumpf. Dann drehte er sich zu mir um und sah mich mit seinem ernsten Gesichtsausdruck an. Meine Blick wanderte nervös hin und her.
,,Das war kein Witz. Du kannst es dir ja überlegen."
,,Ja, aber ich weiß nicht, was Chase dazu sagen würde, verstehst du?"
,,Hmm... Hast Recht... Wollen wir wieder los? Ist ziemlich spät geworden."
Die gesamte Fahrt über sprachen wir kein Wort miteinander. Ehrlich gesagt wünschte ich mir, dass ich ja gesagt hätte, doch das wäre nicht richtig gewesen, weil ich mit Chase zusammen war.
,,Ich hab nochmal nachgedacht wegen Annie, wollen wir zu mir? Dann kann sie oben in deinem Zimmer schlafen."
,,Meinst du, dass das ok ist? Ich meine wegen deinen Eltern."
,,Sind nicht da."
Noah ging schon in die Richtung zu seinem Haus, während ich ihm stumm da stehend hinterhersah. Dann drehte er sich um, lächelte sanft und deutete mit seinem Kopf auf sein Haus. Es war schon länger her, dass ich wieder dort gewesen bin. Vielleicht dürfte das ja auch nicht schaden.
,,Wow, dein Zimmer sieht ja jetzt ganz anders aus! Fertig renoviert?"
,,Wie findest du es?"
,,Ich fand es ja schon vorher perfekt... Aber jetzt! Ich bin sprachlos!"
,,Ähm... Dumme Frage, aber musst du nicht noch deine Sachen holen gehen? Oder soll ich das für dich machen?"
,,Nein, ich geh schon rüber, bis gleich!"
Annie saß gemühtlich am Laptop, als ich ins Zimmer kam. Etwas überrascht fragte ich sie, warum sie anscheinend ohne Mum und John wieder zurück sei.
„Ich hatte keine Lust den ganzen Abend dort zu verbringen. Hab den letzten Zug gerade noch so gekriegt. Geht’s dir schon wieder besser?“, lächelte sie mich an, als sie sich auf dem Stuhl zu mir umdrehte.
„Ja danke, auf jeden Fall! Noah hat sich heute gut um mich gekümmert.“
„Ach so ist das? Und du wühlst jetzt im Schrank rum, weil du heute Abend woanders übernachtest?“
„Ja, bei Noah. Ich such schon die ganze Zeit mein Handy, falls du es irgendwie klingeln hören solltest, kannst du bitte für mich rangehen oder mir morgen Bescheid sagen, was war? Und der Person auch sagen, dass ich mein Handy nicht wiederfinde?“
„Kein Problem, mach' ich! Aber wenn du heute bei Noah schläfst, dann hoffe ich, dass Chase nicht eifersüchtig wird.“
„Ach was! Noah und ich sind doch nur Freunde! Also ich muss jetzt los!“
Kaum war ich wieder bei Noah im Zimmer und wollte mich gerade auf das Bett setzen, fiel mir ein, dass ich mich besser vorher schon mal bettfertig machen sollte.
„Wollt' grad sagen, du schläfst ja immer sofort ein“, lachte er, während sein Blick noch immer auf den Fernseher gerichtet war.
„Jaja, solltest du auch mal tun. Ich äh... Wo ähm...“
„Du kannst in mein Badezimmer, ich gehe dann in das andere“, unterbrach er mich.
In seinem Haus war die Musikanlage überall verknüpft, sodass, wenn man wollte, die gleiche Musik in jedem Raum des Hauses hörbar sein konnte. So war es auch an dem Abend in dem Badezimmer, wo ich mich gerade umzog, dass da gerade Musik lief.
Baby you have become my addiction... know I should stay away from 'cause it's no good for me I try and try but my obsession won't let me leave...
„Wie kitschig“, murmelte ich in dem Moment und zog mein Schlaftop an. Im nächsten Moment musste ich jedoch an Chase denken. Ob er schon schlief? Dann überkam mich auch schon das schlechte Gewissen – war das wirklich ok, dass ich einfach so bei Noah übernachtete? Ich hatte doch einen Freund! Aber andererseits kannte ich Noah auch schon seit ich klein war... Das plötzliche Klopfen an der Tür riss mich jedoch aus meinen Gedanken.
„Alles in Ordnung?“, fragte er mich von draußen. Gott, wie lange brauchte ich mittlerweile schon?!
„J-ja, ich bin fertig!“
„Jetzt hab ich Annie ganz allein drüben gelassen... Ich hoffe, dass das in Ordnung geht. Und hoffentlich klingelt mein Handy, weil dann findet sie es ja vielleicht...“, murmelte ich, während ich leer auf den Fernsehbildschirm starrte.
„Oh man, weißt du echt gar nicht mehr, wo du es hingetan hast?“
„Weiß nicht, wenn ich mal so darüber nachdenke, glaube ich eigentlich, dass ich es auf dem Küchentisch gelassen hab an dem Abend, als ich zusammengeklappt bin. Bin mir aber nicht sicher. Aber ich brauche sowieso langsam ein Neues...“
„Hast du eigentlich mal in Erwägung gezogen, dass Annie es vielleicht haben könnte?“
„Wie kommst du jetzt bitteschön darauf?!“, fragte ich ihn total geschockt.
„Bitte sei jetzt nicht sauer, ok? Weiß nicht, wie ich es dir sagen soll, aber an dem Tag, als wir essen gegangen sind, da hab ich dir eine SMS geschickt, du hast sie aber keine bekommen, sagst du.“
„Und du glaubst, dass sie was damit zu tun hat?“
„Ich glaubs, ja.“
„Nichts für ungut, aber wir können ihr aber auch nichts anhängen, ohne vorher zu wissen.“
Eine Weile lang schwiegen wir uns an, die Blicke beide stumm auf den Fernseher gerichtet. Es liefen wie jeden Abend um diese Uhrzeit neben schlechten Erotikfilmen nur Dauerwerbesendungen und Wiederholungen von Filmen, die man entweder schon längst kannte oder deren Skript so einfallslos geschrieben und mit überflüssigen Handlungen nahezu überfüllt waren, dass man sich das in seiner Langeweile nicht auch noch antun wollte. In diesem Moment schossen mir allerlei ebenso unnütze Gedanken durch den Kopf – ansonsten wäre er leer gewesen. Meine Augen schielten durch das gesamte Zimmer hin und her, nach oben und nach unten. Die Wände hatten nun einen braunen Anstrich, der riesige, schwarze neue Kleiderschrank an der linken Wand vom Bett aus gesehen ließ einen geradezu nur erahnen, aus welcher Preisklasse die darin verstauten Dinge stammen mussten. Die Möbel waren alle in Erdtönen gehalten und, wenn man vom Bett aus weiter nach rechts ging stand dort sein Arbeitsplatz, von wo aus man einen direkten Zugang zum Balkon hatte. Das Zimmer war wirklich perfekt. Auch die Bilder von uns beiden hatte er noch hängen. Aber ehrlich gesagt hatte mir sein schlichtes, weißes Zimmer zuvor fast noch besser gefallen, denn nun wirkte alles sehr geräumig und prunkvoll. Fast wie eine Luxushotelsuit mit Büro. Nun war der Unterschied zwischen uns noch deutlicher geworden. Ich sah kurz zu ihm rüber, blickte in sein wohl gelangweiltes Gesicht.
Wieso war er so perfekt? Sein ganzes Leben schien so fehlerfrei und perfekt zu verlaufen. Er müsste nicht einmal nebenbei arbeiten gehen. Das war finanziell gesehen total überflüssig. Er müsste mit seinen gefühlten 10000 Freunden auch nicht jedes wochenende in die Disco oder so – er könnte die Parties auch bei sich steigen lassen. Und sich um seine Zukunft zu sorgen müsste er eigentlich auch nicht – seine Eltern leiteten ein Kreditinstitut. Warum also tat er all dies? Wollte er sich einfach nur gut fühlen? Wahrscheinlich war all das der Grund, warum er so ein guter Mensch war. Noah war bescheiden, sprach nie über sein Geld. Er verhielt sich fast wie jeder andere – nur seine Kleidung ließ es einen erahnen.
Mein Blick fiel auf seine Geschenkboxen, die auf seinem Schreibtisch standen. In zwei Wochen war sein 19. Geburtstag.
„Bekommst du jetzt schon Geburtstagsgeschenke?“
„Ja, zwei Wochen im Voraus, damit nicht gesagt werden kann, dass er vergessen wurde“, schnaubte er verächtlich.
„Stimmt was nicht? Ich mein wirklich begeistert klingst du ja nicht gerade, tut mir Leid...“, fragte ich ihn vorsichtig.
„Ja, keine Ahnung...“, er pausierte kurz.
„Was wäre, wenn ich für eine lange Zeit weg wäre?“
„Ich weiß nicht. Ich kann es mir nicht vorstellen. Du warst irgendwie immer da und eigentlich... also ich wäre wirklich unglücklich darüber, aber wenn du wieder kommst?“
„Und, wenn ich gar nicht mehr wieder komme?“
„Was?!“, reagierte ich geschockt.
„Nein! Das geht nicht! Du kannst mich doch nicht allein lassen!“, ich versuchte meine Verzweiflung, die ich bei dem Gedanken empfand irgendwie zu überspielen. Doch sein Schmunzeln verriet mir, dass es mir nicht wirklich gelungen war.
„Keine Sorge, das war nur ein Spaß.“
Noch nie klangen seine Worte so gelogen, aber wahrscheinlich bildete ich mir das in dem Moment auch nur ein?
„Man, darüber macht man keine Witze...“, murmelte ich leise und sah beschämt zur Seite. Lachend wandte er seinen Blick auf mich zu.
„Immerhin schön zu wissen, dass du mich vermissen würdest.“
Im Laufe des Abends passierte nicht mehr viel. Ich war mal wieder diejenige, die von uns beiden als erstes einschlief.
Als ich am nächsten Tag aufwachte, wunderte ich mich erst einmal, wo Noah war. Ich bemerkte, dass ich in seinem Bett lag und nach kurzem Umsehen sah ich ihn schlafend auf dem Sofa liegen.
Es war irgendwie immer so, dass er mich in seinem Bett schlafen ließ. Selbst, wenn ich mich auf das Sofa legte, wachte ich am nächsten Tag in seinem Bett auf, er selbst schlief aber nie mit im Bett.
Wenn ich ihn so da liegen sah, musste ich lächeln. Ob ihm so ganz ohne Decke überhaupt kalt war? Er sah so unschuldig aus. Fast schon wie ein Engel und, wenn man ihn nicht kennen würde, würde man glauben, dass er wirklich ganz unschuldig sei. Jedoch wusste ich noch ganz genau, wie er vor noch vor einem halben Jahr einige Probleme mit mehreren Mädchen hatte. Die, die er immer gedatet hatte und mit ihnen geschlafen hatte, hatte er genauso schnell wieder abserviert. Und vor einem halben Jahr ist die Situation eben eskaliert. Da drohten sie ihm mit ihren neuen Mackern und eine begann ihn mehr oder weniger zu stalken und jedes Mädchen an seiner Seite zu vergraulen. Nur mich nicht, aber das lag wohl daran, dass sie in mir keine Konkurrenz sahen – ich war zu der Zeit eben noch hässlich. Noah ist zwar ein Mensch, der eigentlich zu allen nett und höflich ist, aber sich wirklich um andere sorgen oder zu kümmern tat er nicht wirklich. Wahrscheinlich behandelte er mich auch nur anders, weil wir uns schon so lange kannten.
Ich streckte mich nochmal, stand auf, machte das Bett und ging leise wie möglich aus dem Zimmer.
Draußen im Flur wurde ich aber plötzlich von eines der Hausangestellten überrascht.
„Guten Tag, entschuldigen Sie Miss, Sie sind Lou, nicht wahr?“
„Hallo, ähm ja.“
„Ein gewisser Herr Chase Millow hat angerufen. Ich soll Ihnen ausrichten, dass er Sie später hier abholen möchte.“
„Oh ok, danke!“
Woher wusste er, dass ich hier war? Leicht verwirrt ging ich ins Badezimmer und begann mich fertig zu machen.
Immerhin hatte ich wenigstens schönere Kleidung hierhergeholt.
Als ich gerade dabei war mich zu schminken, betrat Noah das Bad.
„Wouh, tut mir Leid... warum so viel?“
„Wie meinst du das?“
„Willst du als Clown arbeiten oder wie?“
„Nein?! Ist das etwa zu doll geschminkt?!“
„Also wenn du jetzt noch 'ne Schicht von dem Zeugs draufpackst, dann auf jeden Fall. Wohin geht’s?“
„Chase holt mich gleich ab wurde mir gesagt. Frag mich, woher er weiß, dass ich hier bin, aber wahrscheinlich hat's Annie ihm gesagt oder so. Und außerdem... Wenn ich mich nicht so zurecht mache, dann findet Chase mich bestimmt nicht schön. Er hat mich doch auch erst nach meiner Veränderung angesprochen, genau am ersten Tag, als ich so zur Schule kam.“
„Er muss dich aber so annehmen wie du bist.“
„Also bin ich in Wirklichkeit hässlich?“
„Fangfrage, ich glaub' ich geh lieber raus“, lachte er und verließ ebenso plötzlich wie er reingekommen war wieder den Raum.
„Wir müssen reden. Sie hat gestern wirklich hier geschlafen, oder? Warum hast du mir nicht gesagt, dass sie gestern krank war?“
„Du wärst auch so nicht gekommen. Außerdem habe ich dir eine SMS geschrieben, die hast du aber wahrscheinlich nicht gelesen, oder? Warst nach deinem Bewerbungsgespräch so beschäftigt, oder was?“
„Ich hab die SMS-Töne ausgeschaltet, ein Anruf hätte es auch getan.“
„Alter, weiß ich wie lange dein Bewerbungsgespräch geht?!“
„Sch**ß drauf, aber was auch immer das hier werden soll mit dir und ihr, lass' es besser in Zukunft, ihr seid jetzt beide erwachsen, das ist nicht mehr wie früher, wo ihr einfach mal eben so zusammen übernachten könnt. Werd' erwachsen.“
Als ich nach unten kam, sah ich Chase schon an der Tür stehen. Er schien mich irgendwie nicht zu bemerken, genauso wenig wie Noah...
„Hey, du bist ja schon da? Ähm, ist alles ok mit euch oder mit dir?“
„Ist nichts. Hast du schon gegessen? Ihr seid erst grad aufgestanden, oder?“
„Nein, hab ich nicht... Ok Noah, bis dann oder so?“
„Jo tschüss.“
Als ich mit Chase zusammen das Haus verließ, drehte ich mich nochmal kurz zu Noah um, der gerade die Tür zumachte. Ich musste etwas seufzen, denn ich ahnte irgendwie, dass etwas nicht stimmen musste.
„Ich hab die Stelle übrigens bekommen. Und vom nächsten Gehalt kann ich mir ein neues Auto kaufen.“
„Echt? Das freut mich! Wie viel Zeit hast du heute?“
„Nicht viel, deswegen sind wir leider nur in dem Café hier. Wenn du willst können wir uns aber heute Abend sehen, dann hol ich auf'm Weg zur Arbeit noch zwei Kinotickets.“
„Echt? Das wär' super!“
Innerlich freute ich mich schon bei dem Gedanken, dass er und ich ins Kino gehen würden. Es war das erste Mal, dass wir uns sprachen, nach der Sache mit John, meinem Stiefvater bzw. seinem Onkel. Aber irgendwo war es auch seltsam. Wir sprachen miteinander als wär nichts vorgefallen. Eigentlich hätte er mir viel zu sagen, aber bis jetzt schwieg er. Vielleicht aber wartete er auch nur auf den richtigen Moment?
„Warum bist du gestern eigentlich nicht an dein Handy gegangen?“
„Ich hab's nicht mehr gefunden!“, antwortete ich aufgebracht.
„Ich hab's wirklich überall im Haus gesucht, aber es ist irgendwie verschwunden. Keine Ahnung wieso! Und, falls du mich wirklich angerufen haben solltest, im Haus war weit und breit nichts zu hören, obwohl ich es nicht mal auf stumm geschaltet hab.“
„Hm, dumm. geht’s dir schon besser? Sorry, dass ich gestern nicht gekommen bin, hab's aber erst erfahren, als ich gestern schon zugesagt hab.“
„Kein Problem... Wo zugesagt?“
„Na, zum Essen. Die haben mich ja noch eingeladen.“
„Achso...“
Chase sprach mit mir, als hätte ich wissen müssen, dass er gestern noch unterwegs war. Hatte ich etwa was verpasst? Oder ich bildete mir wieder etwas ein, wie vieles in letzter Zeit.
„Du hast übrigens nur zwei Bagels gegessen, glaubst du echt, dass das reicht?“
„Ja, mach' dir keine Sorgen!“
„Apropos Sorgen, wo wir schon dabei sind... Versteh' mich bitte nicht falsch, aber als du gestern bei Noah geschlafen hast... Ihr habt nicht in einem Bett miteinander geschlafen, oder?“
Fast verschluckte ich mich an meinem Kaffee, als er mich das fragte.
„Oh mein Gott, nein! Wir sind nur Freunde. Er schläft immer auf dem Sofa... Trägt mich auch ins Bett, wenn ich auf dem Sofa einschlafe. Du bist doch nicht etwa... nein, du bist doch nicht eifersüchtig auf ihn, oder?“
„Doch natürlich, er ist immerhin auch nur ein Mann.“
„Ach was, ich glaube der ist sowieso mit Emilia zusammen... Wobei er mir das nicht erzählt hat...“
„Pass' einfach auf. Irgendwie gefällt mir der Gedanke nicht, dass du bei ihm schläfst. Aber ich wollte nichts sagen, weil ihr beiden befreundet seid. Ich will dir auch nichts verbieten, aber zu viel Kontakt zu ihm... Ich kenne Noah auch schon ziemlich lang und ich durchschaue ihn. Der hat schon seine Methoden und Weise, wie er das umsetzt. Hast du nie daran gedacht, dass er dich vielleicht mehr mögen könnte als nur freundschaftlich?“
„Nein?! Er mit Sicherheit nicht! Um Himmels Willen!“
„Egal, ich muss jetzt leider los, tut mir Leid. Ich fahr' dich noch schnell nach Hause.“
Hastig trank er den letzten Schluck aus seinem Kaffebecher aus, stand auf und deutete mir das selbe zu tun.
Ich dachte während der Fahrt die ganze Zeit über seine Worte nach. Warum zur Hölle glaubte jeder außer mir, dass Noah mich liebte? Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte, wenn er es wirklich tun würde. Unsere Freundschaft wäre vorbei...
„Bis später, ich liebe dich.“
Mit diesen Worten verabschiedeten wir uns. Kein richtiger Kuss, nur ein flüchtiges Bussi auf meine Wange, denn ich musste schnell raus – er musste zur Arbeit.
Im Haus war ein Lärm los, den konnte ich nicht beschreiben. Wie auf einer Baustelle. Überall standen Kisten herum und das Geräusch von bohrenden Maschinen, die in die Wände eindrangen, hallten durch das ganze Haus. Von oben hörte ich die Stimmen meiner Mutter, von John und Annie.
„Lou, das sieht schon echt toll aus, oder?“
„Äh, ja...“, antwortete ich etwas überrumpelt.
„Soll ich irgendwo mithelfen?“
„Ach, hallo Schatz! Die Wände sind so gut wie fertig gestrichen, das macht John aber jetzt. Wir können ja in der Zeit schon mal im Garten weitermachen, oder?“
Während ich die Blumen goss, sah ich kurz zu Annie rüber. So weit wie sie weg war dürfte sie mich jetzt wohl nicht hören. Ich nutzte die Gelegenheit also, um mit meiner Mutter wegen John zu reden, denn das, worüber ich mit ihr reden wollte, war ziemlich ernst.
„Mum, John ist Chases Onkel. Wusstest du das? Ich mein wir sind ja alle nicht blutsverwandt, aber es ist irgendwie komisch.“
„Ja, ich habe es auch gestern erfahren, aber ich denke nicht, dass das so schlimm sein sollte.“
„Die beiden haben ein angespanntes Verhältnis, glaube ich. Oder?“
„Naja, John hat mir die Situation so geschildert, dass er sich mit Chase zerstritten hat, weil Chase nicht mit dem Tod seines Vaters klarkäme. Außerdem sei schon immer ein Problemkind gewesen, dauernd nur am Feiern ohne überhaupt einen Gedanken an die Zukunft zu verschwenden.“
„Ey, das glaubst du ihm doch nicht wirklich, oder?!“
Ich war wütend. Sehr wütend. Das konnte mein dummer Stiefvater doch wohl nicht im Ernst über Chase gesagt haben, oder? Dass er ein assoziales Problemkind sei?! Mag ja sein, dass sein Vater wirklich tot war, aber Chase war definitiv alles andere als assozial!
„Mum, ich meine du hast Chase doch schon gesehen! Er ist total lieb, höflich. Du hattest doch auch einen guten Eindruck von ihm! Die Sache stinkt doch von vorne bis hinten!“
„Naja, ich denke nicht, dass John ihn verurteilt, er klang auch sehr verständnisvoll und besorgt, als er das erzählt hat. Chase behauptet, dass der Onkel am Tod seines Vaters verantwortlich sei, dabei war das ein Unfall, der durch eine Reihe von unglücklichen Zufällen entstand. Er hätte wirklich nichts mehr tun können. Aber lass' uns jetzt das Thema wechseln! Wir sollten dein Zimmer auch noch renovieren. Diese blauen Wände... Ich mein du bist doch jetzt schon eine kleine Lady geworden. Und diese Poster über deinem Bett. Ich weiß ja nicht, aber man könnte auch meinen, dass es ein Jungenzimmer sei.“
„Ich mag mein Zimmer so wie es ist. Woher haben wir jetzt eigentlich so viel Geld?“
„Naja, John hat einen sehr guten Job. Zusätzlich ist der Betrag des Unterhalts deines verhältnismäßig gesehen auch relativ hoch. Wir können uns das jetzt also leisten.“
„Dann ist das ja eigentlich komplett überflüssig, was Papa alles zahlt.“
„Nein, das ist der Unterhalt.“
„Mum! Er muss aber nicht mehr so viel zahlen! Ich meine wir haben jetzt doch genug Geld, wie du sagst!“
„Ich glaube wir sind fertig, oder? So viel war gar nicht zu erledigen. Lou, möchtest du eigentlich auch neue Möbel und so weiter für dein Zimmer?“
„Ach, ich will gar nichts. Oder obwohl, doch. Mein Handy, hast du es gesehen?“, fragte ich wohl sichtlich genervt.
„Ja, es lag im Badezimmer auf den Klamotten im Wäschekorb. Du hattest es auf stumm geschaltet, wahrscheinlich hast du es deswegen nicht gehört. Julia ist das heute beim Aufräumen aufgefallen. Ich hab's dir auf den Schreibtisch gelegt.“
„Echt?“, fragte ich überrascht – von meiner eigenen Dummheit.
„Dann geh' ich gleich mal nachsehen!“
Als ich oben in meinem Zimmer auf mein Handydisplay sah, erschrak ich erstmal wegen der vielen verpassten Anrufe – die meisten waren von Chase und von Lisa. Einer von Maddy.
So viele verpasste Anrufe hatte ich von so vielen verschiedenen Personen noch nie in meinem Leben auf dem Display stehen!
Von Lisa und Maddy hatte ich ja auch schon lang nichts mehr gehört, fiel mir in dem Moment ein. Ich schaltete den Laptop ein und sah, ob Lisa in Skype online war – nein. Auch Maddy war nicht online. Deswegen entschied ich mich dazu beiden eine SMS zu schicken. Was sie wohl gerade taten?
„Hey, ich wollte mich nur mal wieder bei euch melden. 
Sry, dass ich nicht an mein Handy gegangen bin, ich habs nicht mehr wiedergefunden und es war auf lautlos. Was macht ihr gerade? Wie geht’s euch? 
:*“
Seufzend legte ich mein Handy wieder hin und ließ mich auf den weißen Drehstuhl sinken. Früher schrieb ich nie solche SMSen. Und nun hatte ich endlich Freunde. Andere, außer Noah. Und einen Freund, der bald bei der Bank arbeitete, gut aussah und beliebt war – es war so, als würde ich mich in einem Traum befinden, aus dem ich nie wieder aufwachen wollte.
Kurze Zeit später kam Annie auch schon ins Zimmer.
„Das ist viel zu schönes Wetter draußen, warum sitzt du hier drin?“
„Weiß nicht, mir ist langweilig.“
„Nur Langweilern ist langweilig! Komm, lass' uns was machen. Wollen wir ins Freibad?“
„Hmm... Ja, du hast Recht und...“, plötzlich unterbrach mich der SMS-Sound meines Handys. Gespannt sah ich nach, wer mir geschrieben hatte – Lisa.
„naaa
ich wollte heute eigentlich bei dir vorbeischauen aber jz wo du schon so lieb fragst:*
mir geht’s gut und dir? Was machst du heute? Wollen wir in die Stadt? Ich muss noch ein paar Besorgungen machen
Wenn du lust hast dann bring auch annie mit ok! :*
Zu 3. ist besser als zu 2.! Treffen wir uns im Eiscafé?
“
„Lisa hat mich grad gefragt, ob wir in die Stadt wollen, möchtest du mit?“
„Das kam jetzt gerade perfekt, ja!“
Ich tippte eine SMS-Zusage und machte mit ihr den Treffpunkt um 15.30 Uhr aus. Chase sagte mir, dass er mich um acht dann an der Bushaltestelle abholen wollte.
„Mein Gott, der Tag wird so toll! Erst in die Stadt und danach mit Chase ins Kino, so traumhaft! Ich hätte nie gedacht, dass ich das noch so erleben würde!“
Meine Vorfreude kannte beinahe keine Grenzen. Am liebsten hätte ich in diesem Moment die ganze Welt umarmt. Noch nie hatte ich so schöne Sommerferien wie jetzt. Noch nie hatte ich mich außer mit Noah in den Sommerferien verabredet.
„Das ist echt schade, dass du das erst jetzt erlebst... Aber ich freue mich für dich!“, antwortete mir Annie daraufhin lächelnd.
„Lou, wie läuft's eigentlich zwischen dir und Chase? Hab die Tage ja gar nichts mehr von euch gehört.“
„Eigentlich ganz gut, wir gehen heute Abend zusammen ins Kino. Aber irgendwie ist das ein bisschen komisch, seit ich weiß, dass mein Stiefvater Chases Onkel ist.“
„Shawn weiß darüber richtig gut Bescheid, er hat mir ein paar Sachen erzählt, das ist eine ziemlich lange und krasse Geschichte. Ich glaube aber, dass es besser ist, wenn Chase dir das erzählt.“
„Ja, du hast Recht...“, seufzte ich. Ich hätte zu gerne gewusst, was das alles für einen Hintergrund hätte. Aber heute Abend würde ich die Gelegenheit haben Chase zu fragen, dachte ich mir.
„Was musst du eigentlich noch hier für Besorgungen machen?“, fügte ich schnell hinzu.
„Tjaha, heute Abend geht bei Vince eine Hausparty. Schade, dass du heute Abend schon ein Date hast! Aber Annie, du hast heute Abend noch nichts vor, oder?“
Lisa sah lächelnd zu Annie rüber, die gerade mit ihrem Eis beschäftigt war.
„Ihr solltet mal euer Eis essen, die machen echt Gutes! Ich glaub ich hol mir gleich noch einen Becher! Und äh... Ne, ich hab noch nichts vor, aber nett, dass du fragst! Darf ich denn wirklich mit? Ich meine es ist ja eine Hausparty...“
„Gott, du bist ja schon fast so schlimm wie Lou! Wie ich sie anfangs immer dazu zwingen musste irgendwo mitzugehen und so weiter! Ich darf mitbringen, wen ich will und Vince... Ja, Vince und ich, das ist so eine Sache. Das geht schon klar.“
„Was ist das denn für eine Sache zwischen dir und Vince?“
„Ich hoffe du bist keine Nonne!“, lachte Lisa kurz zögernd.
„Vince heißt eigentlich Vincent Chester, aber jeder nennt ihn einfach nur Vince. Und er ist Eventmanager hier im Maxim, wir nennen den Club aber nur Maxx. Das Maxx ist eines der besten Clubs hier in der Stadt, warum? Ist einfach so. Ja, ich weiß jetzt nicht, wie ich das ausdrücken kann, ohne dass es irgendwie zu lächerlich oder arrogant klingt... Aber es ist einfach so, dass hier überall Gesellschaften herrschen und Vince eben der Partytyp ist, der in dieser Szene auch eine große Nummer ist. Der sucht sich, wie es sich gehört auch mal Vorzeigefrauen aus. Ich war eine von ihnen. Man fängt was mit ihm an und, wenn es nicht allzu unglücklich mit euch endet, dann erntest du hier quasi lebenslang einen Bonus in der Partyszene. Deswegen kann ich euch alle in die Clubs reinbringen, wo Vince auch ist.“
„Wie, du hattest was mit Vince?!“, geschockt ließ ich den Löffel fallen und sah sie nur ungläubig mit großen Augen an.
„Wann das denn?!“
„Das war am Anfang, als ich die tollste Freundin überhaupt kennenlernte“, zwinkerte mir Lisa zu. Mit
tollste Freundin überhaupt meinte jetzt doch nicht etwa mich?!
„Woah Lou, guck! Sie ist sogar richtig VIP! Gott, ihr alle habt es echt drauf!“
„Tja, also wenn du magst, kannst du heute Abend mit!“
„Ja gerne!“, stimmte Annie total euphorisch zu. Ich begann zu überlegen, ob Annie und ich nicht doch viel gemeinsam hatten. Sie erinnerte mich irgendwie an mich vor meiner Veränderung.
„Also, ich geh noch ein bisschen shoppen für heute Abend.“
„Ach ja Annie, nichts gegen dich, aber... Wenn du heute Abend so kommst... Das sieht zwar gut und süß aus, aber dann kann selbst ich nichts machen. Du musst dem Anlass entsprechend gekleidet kommen, da fehlt noch der Sexappeal in deinem Outfit. Ok, aber das bauchfreie Top ist schon mal ein Anfang.“
„Ja, das habe ich mir auch schon gedacht... ich trau mich aber nicht. Weiß nicht... Kannst du mich vielleicht ein bisschen beraten?“
„Keine Sorge, guck dir Lou an – jetzt stehen so viele auf sie, das kriegen wir hin! Sie war anfangs einfach nur ein ungeschliffener Diamant.“
„Ja, ich immer mit meinem Zopf, den Mützen und den Baggyshorts oder T-Shirts anfangs!“, lachte ich.
„Wobei du hier vor zwei Monaten nach diesem verlängerten Wochenende da... Als ich dich da wiedergesehen habe, Lou, da hab ich echt gedacht 'wow, so ein hübsches Mädchen!' da kamst du ganz anders in die Schule, mal mit offenen Haaren und in Jeansshorts, nicht wie immer mit diesen Baggyshorts und dem Zopf! Da wurdest du mir richtig sympathisch irgendwie. Und ich dachte auch 'hey, warum sprech ich sie nicht mal an, vielleicht ist sie nur schüchtern?' Alison meinte immer, dass du arrogant seist und deswegen nicht auf uns zugegangen bist. Und irgendwie haben dich die Mädchen sowieso immer gehasst, weil sie dachten, dass du mit Noah zusammen wärst. Typische Sprüche, die da kamen, waren so Sachen wie 'boah, was will er denn von der, die ist doch so hässlich!'. Das war immer ganz lustig mit anzuhören...“
„Ah... Und was hast du damals von mir gedacht?“, fragte ich sie vorsichtig. Das wollte ich eigentlich sowieso schon immer wissen. Was dachte Lisa anfangs von mir?
„Oh man. Also, nimm's mir nicht böse, aber ich hab dich damals irgendwie nicht wirklich wahrgenommen. Immer nur, wenn Alison über dich hergezogen hat, wenn Noah dich wieder an den Tisch mit rangeholt hat in der Caféteria, was ja so ziemlich jede Pause war.“
„Gott, wie unangenehm mir das immer war mit euch am Tisch zu sitzen!“
„Ja warte und da hab ich dich immer angeguckt und gedacht, dass du eigentlich mehr aus dir machen könntest. Deswegen warst du mir irgendwie unsympathisch. Du saßt immer mit gesenktem Kopf da, hast auf den Boden geguckt und nichts gesagt, mit deiner Mütze oder deinem Zopf und deinen Baggyshorts. Du warst fast wie ein kleiner Junge.“
„Gott, das ist mir so gar nicht aufgefallen... Kein Wunder...“
„Aber hey, du brauchtest einfach jemanden, der mal richtig auf dich zugeht! Und Noah ist, auch wenn du ihn nicht wirklich so siehst, auch nur ein Mann. Der konnte das so oder so nicht wirklich verstehen. Der versteht es nicht mal wirklich, wenn ein Mädchen was von ihm will. Schade für Alison.“
„Was ich dich fragen wollte... Waren du und Alison nicht mal beste Freunde?“
„Ja, waren wir. Ich war mit Vince zusammen, den hat sie mir aber weggenommen. Das fand ich nicht ganz so schlimm, weil ich wusste, dass das sowieso nicht halten würde. Dann aber hat sie noch was mit Chase gehabt, das war vor etwas mehr als einem halben Jahr. Die hatten eine sexuelle Beziehung und wirklich nur das... Das war wirklich zu viel für mich, weil... naja, ich will nichts mehr von ihm, also versteh mich nicht falsch, aber damals war ich schon ziemlich in ihn verknallt. Und dann hab ich in der Zeit aber immer mehr mit Shawn zu tun gehabt, der hat mich getröstet – nicht mit Sex, sondern mal ganz normal. Wir kamen uns immer näher, aber ich weiß, dass Shawn ein Playboy ist... Und leider hab ich auch schon mit ihm geschlafen, das war ein dummer Fehler von mir. Jetzt hab ich es mir mit ihm mit Sicherheit versaut, weil solche Kerle dann von den Frauen normalerweise nichts mehr wollen. Aber ich bin froh, dass er nicht den Kontakt abgebrochen hat, sondern irgendwie immer noch... Egal, das ist eine andere Geschichte. Jedenfalls hat Alison sich dann auch an Shawn rangeschmissen. Ich weiß nicht, ob die beiden was miteinander hatten, er sagt nein, sie sagt ja – vielleicht will sie mir damit auch nur eins auswischen. Ich glaube sie wollte sich mit den Aktionen auch an mir rächen, weil ich ihr nicht in der Sache mit Noah und ihr helfen wollte, dass sie besser an ihn rankommt, weil ich eine der wenigen bin, die nichts Romantisches von ihm wollen.“
„Wow, ziemlich kompliziert das Ganze!“
„Euer Leben ist echt aufregend...“
Annie und ich waren beide wirklich baff. Ja, baff. Anders konnte man es in dem Moment nicht beschreiben.
„Aber das mit Shawn und dir geht sicher noch, oder?“
„Ach, klar. Ich habe mir jetzt auch vorgenommen nicht mehr so viel auf Flirts einzugehen und so weiter. Und das auf Klassenfahrt, was du, Maddy und ich gemacht haben, das auch nicht.“
„Was habt ihr drei denn gemacht?“
Plötzlich schossen mir wieder die Bilder in den Kopf. Das war da, wo ich das erste mal high war. Oh mein Gott!!!
„Nichts besonderes!“, wandte ich schnell ein. Das durfte auf keinen Fall jemand anders als Maddy und Lisa wissen! Andernfalls wäre ich wirklich erledigt! Im Nachhinein war mir das wirklich peinlich. Wenn ich so darüber nachdachte, fühlte ich mich fast wie jemand, der seinen Körper verkauft, auch wenn ich an dem Abend eigentlich nur da saß. Ich war aber dabei und das reichte.
„Sorry, das muss unter uns bleiben. Aber heute Abend geht sicher auch noch was! Maddy kommt heute Abend auch und dann geht’s richtig ab, das sag ich dir, Annie. Dann zeigen wir's dir!“
Als wir danach noch shoppen gingen, musste ich leider schon früher los, weil sie um sieben noch immer nicht fertig waren und ich für den Weg nach Hause mit dem Bus noch eine halbe Stunde brauchte. Und zu Hause wollte ich mich nochmal erneut fertig machen – schließlich sollte Chase mich nicht immer in den gleichen Sachen sehen müssen.
Ich wollte gerade anfangen meine Haare neu zu frisieren, als mein Handy neben mir klingelte. Ich hatte eine neue SMS von Chase.
„hey maus, sry dass ich so kurzfristig absagen muss aber es geht nicht anders eines der mitarbeiter ist krank geworden und die akten müssen bis morgen raus. Will keinen schlechten eindruck machen deswegen bleib ich noch hier. Wir können morgen ins kino, wenn du willst. :*“
Ich brauchte kurz einen Moment, um zu realisieren, was er da geschrieben hatte. Eine kurzfristige Absage...
Traurig legte ich mein Handy zur Seite und warf mich aufs Bett. Ich versuchte meine Tränen zu unterdrücken, doch es ging nicht. Zu enttäuscht war ich. Ich hatte mich so drauf gefreut. Es war endlich die Gelegenheit, um ihn zu fragen, was los war. Wir hätten mal wieder richtig miteinander reden können. Er wusste, dass ich krank war und sah nicht nach mir. Andererseits war die Arbeit aber auch wichtig...
„Ja, er hat Recht...“, dachte ich mir. Er konnte es sich jetzt nicht erlauben einen schlechten Eindruck zu hinterlassen. Vor allem dann nicht, wenn er jetzt schon so gut ankam.
„Hast du ihr jetzt wirklich abgesagt?“
„Ja, ich muss gleich los. Muss gleich Scarlet abholen und dann fahren wir los zum Büro.“
„Scarlet?“, fragte Shawn skeptisch.
„Jaja, ist nur 'ne Arbeitskollegin.“
„So fängt das immer an. Ich bin ja sowieso nicht der Jesus-Papst-Mönch oder so, ne? Aber ganz ehrlich, wenn du Lou enttäuscht, dann wird Noah richtig sauer sein. Und du willst ihn nicht wütend erleben, ohne Scheíß.“
„Sie wird das verstehen. Da kann Noah auch nichts machen.“
„Hast du eigentlich überhaupt mal in Erwägung gezogen, dass Noah schon seit langem was von Lou will? Glaube ich zumindest.“
„Dachte ich auch schon... Aber warum macht er nichts?“
„Ja, sie korbt ihn doch immer voll.“
„Egal, find ich gut so. Sie ist meine Freundin. So, wir sind da, oder? Muss jetzt los. Bis später.“
„Ah, sie ist ja noch da! Und irgendwie nicht so glücklich... Oder?“
„Alles ok?“
„Chase hat mir abgesagt.“
Mittlerweile bereute ich es sogar mich darauf gefreut zu haben. Wahrscheinlich hätte ich es auch erahnen können.
„Was, so kurzfristig?! So ein Ársch!“
„So ein Idiot, wirklich... Aber bevor man dich nicht mehr schminken kann, hör bitte auf zu weinen. Komm doch einfach mit! Das ist besser als hier zu Hause zu versumpfen, wirklich.“
„Ja, aber ich weiß nicht, ob das ok ist, wegen Chase...“
„Schätzchen, erstens hat er dir abgesagt und zweitens wirst du ihn da wohl kaum betrügen, oder?“
„Ja... Ja, du hast Recht“, antwortete ich ihr zögerlich und stand auf.
Die Lichter des riesigen Pools im Zentrum des gesamten Geschehens warfen ein schönes Licht auf alle anwesenden Gäste. Zusätzlich wurde die Sommernachtsatmosphäre noch gleich viel authentischer. Man bediente sich selbst an seiner Bar und die Musik und das Gelächter waren so laut, sodass man sie schon draußen auf der Straße hörte. Überall waren diese schönen Mädchen, die tanzten und in den dunklen Ecken waren einige gerade dabei rumzumachen oder Trinkspiele zu veranstalten. Im Pool selbst spielten ein paar Marco Polo und am Poolrand saßen Leute, die ihre Füße einfach nur ins Wasser reinhingen.
Die Stimmung war insgesamt also sehr gut und es kam mir so vor, als wäre ich nun selbst ein Teil der Filmszenen, die ich vor einigen Monaten sonst nur freitagabends im Fernsehen miterleben durfte.
Ein dunkelblonder junger gut durchtrainierter Mann kam lächelnd auf uns zu, um uns zu empfangen. Er hatte einen leichten Bart, der ihn in Kombination mit seiner Kleidung sehr modisch erscheinen ließ.
„Hey Lisa.“
Er gab ihr einen Kuss auf die Wange, dann wandte er sich uns zu.
„Und ihr beiden seid Lisas Freunde, oder?“
Annie und ich nickten nur stumm. Dann brachten wir beiden noch ein beinahe stummes
hi raus.
„Ihr braucht nicht schüchtern zu sein, bedient euch ruhig an der Bar oder so, für euch drei geht das auf mich.“
„Ja Vince, nur ein guter Gastgeber empfängt seine Gäste persönlich!“, lachte Lisa, während wir in Richtung Bar gingen.
„Du hast es verstanden! Mein Motto!“, zwinkerte Vince ihr noch zu und verschwand wieder im Nirvana der Menschenmenge.
„Tja, ihr habt gehört, oder? Auf zur Bar! Und übrigens, seid ruhig etwas offener. Ihr braucht keine Angst zu haben.“
Wir hatten an dem Abend wohl Einiges getrunken. Aber ich war noch nicht so weit, dass ich einen Absturz bekommen würde. Irgendwie schaffte ich es auch mich zum Tanzen zu überwinden.
Ich bemerkte, dass eine kleine Gruppe von jungen Männern immer wieder zu uns rübersah.
„Was gucken die so...?“, fragte ich nervös.
„Ach, das ist normal. Ich glaub hier, der mit dem weißen, offenen Shirt. Dem scheinst du wohl zu gefallen... Gott, was für ein Widerling. Ok, er ist gut durchtrainiert, das muss man ihm lassen.“
„Was machst du hier?!“
„Ah Noah. Vince hat mich eingeladen, wollte hier nur mal kurz vorbeigucken.“
„Ah ja...“
„Warte hier kurz. Geh da besser nicht rein jetzt.“
„Warum nicht?“
„Weil Lou auch hier ist und ich sag's dir, wenn sie dich hier sieht, dann wird sie richtig enttäuscht sein. Warte hier.“
„Einen scheíß Dreck man, ich geh da jetzt hin und hol sie raus!“
Im nächsten Moment spürte Chase jedoch Noahs Arm, der fest an seinem zupackte und ihn wegzog. Geschockt drehte sich Chase zu ihm um.
„Was willst du?!“
„Ich hab dir doch gesagt, warum du hier warten sollst, also mach das jetzt auch. Ich hol sie raus!“
Kurz nachdem Lisa und Annie weg waren, um auf's Klo zu gehen, gesellten sich auch schon zwei andere Männer zu uns.
„Und, was macht ihr beiden Hübschen heute Abend noch?“, fragte der Blonde von den beiden. Ich hoffte, dass die beiden so schnell wie möglich zurück kommen würden – wohl fühlte ich mich in dem Moment nicht.
„Na, das werdet ihr beiden doch wohl sicher besser wissen, oder?“, antwortete Maddy ihm lässig und lehnte sich weiter an ihn ran.
„Was ist mit der schwarzhaarigen Lady hier?“, mischte sich nun der andere ein und checkte mich von oben bis unten ab.
Sein Grinsen, das er daraufhin auf den Lippen hatte, bedeutete wohl, dass ihm gefiel, was er sah. Oder er war so betrunken, sodass selbst ich schön aussah.
„Hey Lou, was ist los?“
„I-Ich äh... Ich warte gerade auf eine Freundin.“
„Ach, möchtest du nicht ohne sie?“
„Wie, was?“
„Wie süß, du weißt doch genau, was ich meine.“
Er zwinkerte mir zu und trat immer näher an mich heran. Ich hingegen versuchte den Abstand weiterhin so groß wie möglich zu halten, doch irgendwann stieß ich gegen die Wand.
„Ich hätte dich ehrlich gesagt lieber für mich allein. Du bist wirklich ungewöhnlich schön.“
„Danke, aber ich habe schon einen Freund.“
„Der scheint aber nicht hier zu sein, oder? Was für ein Freund ist das bitte, der seine Freundin allein lässt?“