Guten Morgen
mein leiblicher uropa war wohl ein richtiger, waschechter nazi, aber ich kannte ihn nicht, da er im krieg gefallen ist. ich weiß jedenfalls, dass meine uroma und mein "stief"uropa (in wahrheit ist und bleibt er mein uropa) die besten großeltern aller zeiten waren. herzensgute menschen, [...]. mir vermittelt das irgendwie das gefühl, dass die propaganda damals einen erheblichen teil beigesteuert haben muss, damit die menschen zu solchen taten in der lage waren. praktisch wie gehirnwäsche...
Mein Uropa (A) war zwar im Krieg, hielt aber nichts von den Nazis. Und ich weiß, dass das nicht nur Schönrederei von Oma (A) ist, sondern die Wahrheit, weil es Briefe von ihm gibt, die genau das zeigen. Auch seine Frau, meine Uroma (A) hat sich, zumindest im Rahmen ihrer Möglichkeiten (Mann im Krieg, 4 kleine Kinder daheim), gegen die Nazis in ihrem Dorf gestellt. Sie hat dafür Einiges riskiert, aber sie hat trotzdem immer den Mund aufgemacht. Am Tag, als die Amerikaner kamen, um unser Dorf zu besetzen, hat sie den flüchtenden Nazis hinterhergerufen, was für feige Schweine sie doch seien und dass sie nun endlich ihre wohlverdiente Strafe erhalten würden - man hat auf sie geschossen. Ich bewundere sie sehr dafür, dass sie - im Kleinen - ihren eigenen Widerstand gegen die Nazis im Dorf bewahrt hat und auch meinen Uropa.
Die Urgroßeltern (B) waren damals schon tot, über meine Urgroßeltern (C), die ich ebenfalls nie kennengelernt habe, weiß ich diesbezüglich nichts.
Was mir seit Jahren Kopfzerbrechen bereitet, sind meine Urgroßeltern (D). Als Kind habe ich die beiden vergöttert. Meine Uroma (D) ist gestorben, als ich vier Jahre alt war - und trotzdem kann ich mich noch so gut an sie erinnern! Über meinen Uropa (D) habe ich allerdings, je älter ich wurde, immer häufiger widersprüchliche Dinge erfahren. Niemand scheint zu wissen, wie er wirklich zu den Nazis stand - er war in der NSDAP, sicher - aber war er ein tief überzeugter Nazi? War er ein Mitläufer? Niemand scheint das so genau zu wissen und das hat mich lange Zeit sehr stark verunsichert. Ich weiß bis heute nicht, wie er zu den Nazis stand. Mittlerweile kann ich mir beides vorstellen - Mitläufer oder vollkommen überzeugt.
Aber auch, wenn er ein durch und durch überzeugter Nazi gewesen sein sollte: Ist nicht (fast) jeder Mensch in der Lage, aus der Vergangenheit und aus Fehlern zu lernen?
Natürlich gab und gibt es sie, die Unverbesserlichen (
hier ein äußerst prominentes Beispiel). Aber das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch Menschen gab und gib, die das, was passiert ist, zutiefst bedauern und bereuen.
Und, du hast es angesprochen: Welche Rolle spielte die Propaganda?
Ist euch schon einmal aufgefallen, dass in der Führungsriege der Nazis extrem viele gescheiterte "Künstler" saßen? Allen voran natürlich Hitler, der gescheiterte Maler. Goebbels, der gescheiterte Schriftsteller uvm. ... Die Art und Weise, wie die Nationalsozialisten sich selbst und ihr Reich in Szene setzten, mutet, wenn man genau hinsieht, tatsächlich wie eine Art "Kunst" an. Sie hat eine ganz eigene Dramaturgie.
Ich kann mich gut an ein Seminar erinnern, in dem es u.a. um Adolf Hitler und seine Art, zu sprechen und zu schreiben ging. In "Mein Kampf" schrieb Hitler, dass das gesprochene Wort stets dem geschriebenen vorzuziehen sei - und ich glaube, das hat er wirklich "brilliant" gezeigt. Liest man eine Rede Hitlers, dann greift man sich an den Kopf - zumindest geht es mir so. Hört man sie... Nun, auch da will ich mir die Ohren zuhalten, sowohl aufgrund des Inhalts als auch aufgrund der Art und Weise, wie Hitler redete (diese dramatischen Gebärden, dieses Rumgebrülle etc. pp. -
Herr Pastörs von der NPD hat übrigens den Versuch unternommen, das zu kopieren). Aber wir dürfen nicht vergessen, dass dieser "Stil", dieses lautstarke "Poltern" in der Politik der Zeit nicht ungewöhnlich war. Bei Hitler vermischte sich dieses Auftreten i.d.R. mit einer gewaltigen Inszenierung und nachdem ich (u.a. wegen des genannten Seminars) so viele dieser Reden genauer angesehen habe, kann ich mir gut vorstellen, wie das funktioniert und gewirkt haben mag.
Andererseits darf man diesen Aspekt jedoch auch nicht überbewerten. Wie viele Leute erreichte Hitler schon "wirklich" durch diese Reden? Oder besser: Wie "wenige"?
Ich bin überzeugt, dass sehr, sehr Viele vor allen Dingen Mitläufer waren: Mal angenommen, 80% eines Dorfes steht geschlossen hinter Hitler - einige aus völliger Überzeugung, andere, weil sie darin einen Vorteil für sich selbst widmen, andere, weil es ihnen als ein einfacher Weg erscheint - was ist dann mit den restlichen 20%? Wie einfach ist es, auf kleinem Raum Widerstand zu leisten? Wenn jede Art von Widerstand sich direkt auf (tiefgreifende Art und Weise) auf das eigene Leben auswirken kann?
Ich verurteile Niemanden, weil er keinen Widerstand geleistet hat. Ich verurteile Niemanden, weil er Mitläufer war. Wer bin ich, dass ich mir so etwas anmaßen könnte? Wer bin ich, dass ich einen Soldat verurteile, der im 2. Weltkrieg auf einen Anderen geschossen hat?
Ich denke, es fällt sehr, sehr vielen von uns schwer, in Anbetracht dieser unvorstellbaren Gräueltaten und Verbrechen, zu differenzieren. Nicht pauschal zu sagen "Das waren alle Nazis! Die hätte man alle vor's Nürnberger Gericht stellen müssen!" oder ebenso in eine Art "Verteidigungshaltung" zu treten und zu sagen "Die konnten doch nichts dafür. Die wären sonst umgebracht worden.", oder aber "Das war doch übelste Gehirnwäsche! Natürlich haben sich die Leute überzeugen lassen!"
Da spielen so viele komplexe Mechanismen mit hinein... Alleine die historische Basis ist so vielschichtig, dass man sie wohl kaum in Worte zu fassen vermag. Dazu kommen die vielfältigen anderen Dinge, die eine Rolle spielten: Wie funktioniert eine Gesellschaft (Psychologie der Massen etc.)? Wie genau funktionierte das System? Was wusste man über Schlupflöcher? Usw. usw. usw. ...
Ich denke, es führt gar kein Weg daran vorbei, nicht nur zwischen Opfern und Tätern zu differenzieren, sondern auch innerhalb der "Tätergruppe" genauer hinzusehen.
Für mich - und das kann jemand Anderes ganz anders sehen - gab es alle "Typen", die ich hier aufgezählt habe:
Da gab es die Mitläufer. Diejenigen, die a) Angst hatten, diejenigen, denen es b) egal war oder c) diejenigen, die darin nur ihren eigenen Vorteil witterten. Da gab es jene, die zumindest teilweise überzeugt waren - jene, die glaubten, als Angehörige einer "arischen Rasse" hätten sie alles Recht der Welt, in fremde Gebiete einzudringen oder Juden zu töten. Es gab jene, die
vollkommen überzeugt waren - zum Beispiel Heinrich Himmler.
Und es gab natürlich jene, die Widerstand leisteten. Die einen offen, die Anderen im Verborgenen. Die Einen im Kleinen, die Anderen im Großen.
Die Geschichte des "Dritten Reiches" ist einfach zu komplex, um mit einem pauschalen Urteil alle damaligen "Lebenswirklichkeiten" zu erfassen.
Ich persönlich glaube, dass Propaganda, historische Implikationen (Ende des Kaiserreiches, Chaos in der Weimarer Republik, Kriegsschuld, Wirtschaftskrise etc. pp.) und sozialer Druck mit Sicherheit sehr stark dazu beigetragen haben, dass sich so viele Leute von Hitler überzeugen ließen.
Ich glaube auch, dass Viele nicht wirklich wussten, wohin der Weg ging.
Ich glaube auch, dass Viele mehr Widerstand geleistet hätten, wenn sie nicht um ihr eigenes Leben hätten fürchten müssen - eben so, wie es hier bereits gesagt wurde:
Ich bin mir auch sicher, dass auch in höheren Ebenen viele Menschen mitgezogen haben um sich zu schützen. In die Lage kann man sich ja gar nicht reinversetzen, aber da war einfach niemand sicher.
Ich glaube auch, dass der Widerstand im Kleinen ganz, ganz wichtig war und auch, wenn der große Widerstand, wie er z.B. von den Aktivisten mit und um Stauffenberg einherging, zweifellos beeindruckend ist, so hat doch auch der kleine Widerstand Leben retten oder - vielleicht - ein Umdenken bewegen können.
Man

musste nicht im Widerstand sein um dagegen zu sein.
Ich glaube aber auch, dass es genug Menschen gab, die wirklich von ganzem Herzen überzeugt waren, das Richtige zu tun - auch ganz ohne Hitlers Propaganda.
Ich glaube, dass es Menschen gab, die bereit waren, für ihren eigenen Vorteil über Leichen zu gehen (und die gibt es ja auch heute noch).
Ich glaube, dass es Menschen gab und gibt, die im Nachhinein bitter bereuten, was geschah - aber auch solche, die Holocaust, Krieg und "Führerprinzip" noch heute für goldrichtig halten.
Und diesen Menschen gilt es meiner Meinung nach zu begegnen - und sei es nicht auf Demos, auf Kundgebungen o.ä., dann vielleicht im Privaten, indem man ihnen die Stirn bietet, wenn sie ihr Gift verbreiten (Stichwort: Geschichtsrevisionismus, Holocaustleugnung, Verherrlichung des "Dritten Reiches", etc. etc.) und nicht einfach wegsieht, weil wegsehen so viel bequemer ist. Die Wegseher, die gab es m.E. nach auch unter Hitler zu Hauf.
Menschen sind sehr beeinflussbar. Manche tun aus falscher Überzeugung, was man ihnen sagt, andere auch einfach aus Angst. Die Realität und viele dokumentierte Geschichten zeigen ja, dass viele "überzeugte" Nazis wie auch Stauffenberg etc. gar nicht wirklich der "Sache" dienten, sondern versuchten, auf ihre Weise das Richtige zu tun und Menschen zu retten.
Die Quellen zeigen vor allen Dingen, dass Menschen sich ändern können. Ich weiß nicht, ob Stauffenberg wirklich ein "überzeugter Nazi" war (soweit ich weiß, gab es durchaus Berührungspunkte mit den Überzeugungen der Nazis, aber er verachtete sie von Anfang an - dennoch unterstützte er sie...), aber ich weiß, dass er einem Adelsgeschlecht angehörte, das sich v.a. durch ranghohe Mitglieder des Militärs auszeichnete und dass er der Reichswehr schon lange vor dem Krieg (nämlich 1926) beitrat. Wenn ich an Militär denke, dann verbinde ich es in dieser Zeit v.a. (noch immer) mit dem preussischen Militär, das uneingeschränkte Loyalität einforderte. Wie schwer mag es jemandem wie Stauffenberg, der in diesem Geist erzogen wurde, gefallen sein, sich gegen Hitler zu stellen? Was hat den Ausschlag gegeben? Sei es, wie es sei: Er und mit ihm alle Anderen, die Widerstand gegen Hitler geleistet haben, haben etwas getan, für das Viele von uns vielleicht niemals den Mut aufgebracht hätten.
Mir kamen heute die Tränen, nachdem ich gelesen habe was in Kassel passiert ist. Kinder dürfen/können nicht zum Religionsunterricht in die Synagoge weil draußen ein wütender Mob steht.
Das ist einfach furchtbar

Ich finde diese Hetze dermaßen unerträglich... Mit Israels Politik nicht einverstanden zu sein und sie zu kritisieren, das ist die eine Sache - Juden dafür in "Sippenhaft" zu nehmen, eine ganz andere, die in eine ganz, ganz furchtbare Richtung deutet...
Ich bin sehr stolz Jüdin zu sein und Deutsche. Das hat mir meine Uroma schon mitgegeben als ich nicht mal Laufen konnte. Sie sie hat mir noch etwas wichtiges mitgegeben. Hass bringt niemanden etwas.
Ich habe dich nicht falsch verstanden. Bsp. meine Urgroßmutter wurde zusammen mit ihrer Schwester von Deutschen im Kartoffelkeller versteckt. ALLE im Dorf wussten das dort zwei Jüdinnen versteckt waren - KEINER hat was gesagt. Erst als das Dorf von den Soldaten ausgehoben wurde (es stand strategisch günstig) sind die Beiden entdeckt worden. Einem recht "netten" Offizier hatten es die Beiden zu "verdanken", das sie nicht sofort erschossen wurden, sondern sie wurden "nur" deportiert.
Da fällt mir auch eine Geschichte aus meinem Heimatdorf ein... Da versteckte ein Mann, der als durch und durch überzeugter Nazi galt, eine Jüdin in seinem Keller. War seine zur Schau getragene Überzeugung also vielleicht doch nur eine perfekte Tarnung? Oder war er glühender Nationalsozialist, aber dennoch nicht mit allem einverstanden, was die Regierung diktierte? Brannte er vielleicht für das Führerprinzip, für die Idee einer "arischen Rasse" uvm., war aber gegen Antisemitismus?
Ich finde, das ist so ein Beispiel, das recht gut zeigt, wie schwierig es sein kann, zu differenzieren.
Ich finde das unheimlich schlimm, das wir im Jahre 2014 immer noch nichts gelernt haben.
Ich denke, wir haben viel gelernt. Aber noch nicht genug.
Nachdem Hitler an der Macht war, wurde der Betrieb kontrolliert, und dann musste der Besitzer eine Heizmöglichkeit in jedem Zimmer installieren und ein Waschbecken, jedes Mädchen bekam eine Kommode, ordentliches Bettzeug und einen angemessenen Lohn.
Und so war das in sehr vielen Bereichen, und die Propagandamaschinerie hat ein Übriges getan.
Ja. Noch heute hört man ja vielerorts: "Aber unter Hitler, da gab es wenigstens Arbeit." Vielen mag nicht klar gewesen sein, zu welchem Preis. Aber ich bin sicher, dass diese Dinge definitiv auch eine wichtige Rolle spielten. Und solange man die Füße still hielt, konnte man - solange man auf der "richtigen Seite" stand - mitunter auch unter dem Naziregime gut leben.
Es ist so einfach, aus heutiger Sicht zu sagen "Wie konntet ihr das nur alles glauben? Wie konntet ihr das nur zulassen?"
Aber nachdem ich in dieser Ausstellung war, habe ich mich tatsächlich hinterher ernsthaft fragen müssen, ob ich nicht ebenfalls das geglaubt hätte, was damals mit teilweise bombastischen, aber zusätzlich auch sehr subtilen und perfiden Mitteln verbreitet wurde.
Dem würde ich mich anschließen - und auch deswegen halte ich es wichtig, soweit möglich, zu differenzieren. Ich glaube kaum, dass es für uns jemals möglich sein wird, wirklich zu begreifen, was da schief gelaufen ist; wir können es vielleicht erahnen, vielleicht nachvollziehen. Aber wirklich begreifen? Ich glaube, dass wir die Prozesse besser verstehen können, wenn wir - zumindest im kleinen Rahmen - genauer hinsehen; dazu gehört, dass wir versuchen, wenn möglich, nicht pauschal zu verurteilen oder pauschal zu entschuldigen. Wenn wir sagen "alle waren schuld", dann tun wir jenen Menschen Unrecht, die vielleicht einfach nicht in der Lage waren, etwas gegen das Naziregime zu unternehmen - wenn wir sagen "das war nur die Propaganda, ist ja kein Wunder, dass es soweit gekommen ist", dann nehmen wir jene in Schutz, die - aus welchen Gründen auch immer - kein Problem damit hatten, Unschuldige zu töten und sich an den sinnlosen Morden zu bereichern (finanziell, gesellschaftlich usw.) und dies möglicherweise auch noch für völlig richtig hielten, bis in die heutige Zeit hinein.
Argh, ist das lang geworden...