4. Kapitel
Am nächsten Tag fuhren wir noch einmal in das Stadtzentrum. Diesmal schleuste mich Latisha direkt zum Einkaufscenter, das nicht viel größer war, als ein einfacher Laden.
Ich wurde schnell fündig, denn, obwohl der Laden recht klein war, gab es Kleidung in allen Größen.
Wir kauften außer einem T-Shirt, einer Hose und Schuhen aber noch mehrere Zopfgummis und eine Armbanduhr.
Latisha war etwas früher aus dem Laden gegangen, da sie die Kaufhausmusik nicht mehr hatte hören können. Als ich aus der Tür nach draußen trat, fühlte ich mich wieder besser, nicht wie jemand, der seit Tagen umherirrte.
Die Kleidung engte mich etwas ein, aber ich hoffte, mich bald daran zu gewöhnen.
Latisha lächelte mich an.
"Na so gefällst du mir schon besser! Hat sich meine Investition doch gelohnt.", lachte sie.
Auch ich lachte, war andererseits aber auch voller Demut dieser Frau gegenüber, die sich nicht unterkriegen ließ und dann auch noch mir, einem Mädchen, dass sie 13 Jahre lang nicht gesehen hatte und das weder ihre Tochter oder Neffin noch sonstwer war, half.
Gleich danach fuhren wir zu der Versteigerung des Hauses, das ich, so hoffte ich, bald mein Eigen nennen können würde.
Die Adresse hatten wir im Internet gefunden. Ich hatte mich gleich nach dem Gespräch mit Shady für die Versteigerung angemeldet.
Aufgeregt saß ich nun neben Latisha im Wagen und blickte starr auf die Straße, zählte die Laternen, wobei mir schlecht wurde.
Ich hoffte, ich würde gleich nicht vor der Bruchbude stehen, die Shady mir prophezeit hatte, aber andererseits wollte ich mir auch keine Hoffnung machen.
Ich wurde jedoch keineswegs enttäuscht.
Vor mir stand, so kam es mir vor, das schönste Häuschen, das ich je gesehen hatte.
Ich hatte das Gefühl, es strahlte mich regelrecht an und ich musste mir selbst einen inneren Stoß versetzen, um aus diesem Rausch zu kommen und wieder klar denken zu können.
Unsicher sah ich Latisha an und gab ihr zu verstehen, sie solle vorgehen.
So standen wir dann vor dem Eingang. Latisha klopfte leise an die Holztür, da es keine Klingel gab.
Mein Herz fing an, zu klopfen, wie es wollte und Sterne tanzten vor meinen Augen.
Plötzlich öffnete sich die Tür und ein korpulenter Mann trat uns entgegen.
Das musste Herr Specht sein, der auf der Website mit den Worten: "Einer unserer engangiertesten Mitarbeiter, bei dem noch kein Haus nicht einen neuen Besitzer gefunden hat." beschrieben worden war.
Dir Tür stand noch immer offen, und so konnte ich, während Herr Specht noch ein paar Formalitäten mit Latisha austauschte, schon einen Blick in den ersten Raum werfen. Es war die Küche.
Mein Herz fing an, zu rasen und ich war mir sicher, dies sollte mein zu Hause werden!
Herr Specht begrüßte uns beide und bat ins dann, ins Haus zu gehen.
Unsicher betrat ich die Küche und wurde aus meinen Träumen gerissen, als mir bewusst wurde, dass wir hier nicht alleine waren.
Dort standen zwei weitere Bewerber für das Häuschen und unterhielten sich, ohne uns zu beachten.
Sie stand die ganze Zeit in einer merkwürdigen Haltung da und antwortete meist mit: "Das ist mir neu.", oder "Aha.".
Er dagegen war einer der Menschen, die ständig mit einem skeptischen Blick ihre Umwelt einsaugten und dachten, sie wüssten alles über einen Menschen, wenn sie ihn nur einmal gesehen hatten.
Da nun alle da waren, die sich angemeldet hatten, bat uns Herr Specht, uns zu versammeln.
"Wir werden uns zunächst die Räumlichkeiten ansehen und danach wird vor Ort die Versteigerung vollführt, wenn sie ihr Interesse an der Immobilie dann nicht verloren haben.", sagte er und wischte sich angestrengt über die Stirn. Er hatte sich den obersten Hemdknopf geöffnet. Wahrscheinlich lief er schon den ganzen Tag umher und suchte hier und dort Käufer für Häuser.
Während er weitersprach, inspizierten wir die Küche.
Latisha sah sich den Kühlschrank an.
Ich sah mich um und kontrollierte alle Möbel auf ihre Stabilität.
Ich fand nichts Kaputtes oder Auffälliges und wandte mich wieder Herrn Specht zu, der uns nun bat, den nächsten Raum, das Wohnzimmer, zu betreten.
Das Wohnzimmer war recht klein und dunkel. Trotzdem gefiel es mir. Hier und dort fehlte etwas Farbe an den Wänden und die Möbel knarrten schon beim Ansehen, aber ich war nicht wählerisch, wenn ich schon die letzten Tage auf einer Couch geschlafen hatte, die nur halb so lang war, wie ich.
Auch über das Wohnzimmer brachte Herr Specht wieder ein paar Fakten an den Tag, doch ich hörte nicht richtig zu. Stattdessen malte ich mir aus, wie schon dieser Raum aussehen konnte, wenn man ihn richtig einrichtete und die Wände mit den richtigen Farben strich.
Auch das Schlafzimmer fand ich wirklich schön. Ich hätte früher nie gedacht, dass ich einmal ein Haus ersteigern würde müssen, aber ich kam mit der Situation inzwischen klar. Und dieses Haus übertraf meine Erwartungen bei Weitem.
Auch das Bad wurde von den beiden Anderen genau auf Makel geprüft.
Für mich war das Aussehen des Bades nicht von Bedeutung, ich war beruhigt, dass es eine Dusche gab.
Ich probierte nur, ob die Klospülung funktionierte und als das Wasser floss, war ich mehr als zufrieden.
Wir fanden uns wieder in der Küche ein und Herr Specht fing von Neuem an, zu reden.
Diesmal hörte ich seiner tiefen Stimme genau zu.
"Nun, wir haben alle Räume gesehen. Sind Sie alle noch an der Immobilie interessiert?", fragte er und sah uns eindringlich an.
Jake Ferell und ich nickten, aber Marylou Hason schüttelte kurz den Kopf, und sagte dann: "Nein, ich möchte dieses Anwesen nicht mehr kaufen.".
Ich atmete erleichtert auf und hoffte, niemand hatte dies gemerkt. Es war unhöflich, sich über so etwas zu freuen.
Ich hatte nur noch einen Konkurrenten und somit war mir eine größere Chance zuteil, dass ich dieses Häuschen kaufen würde.
"Ich bleibe.", sagte Jake Ferell und ich nickte erneut zustimmend.
"Ich auch.", sagte ich.
"Du gehst bis 3000 §.", flüsterte Latisha mir zu.
Ich nickte nochmals leicht, sodass Latisha es sehen konnte.
"Nun, ich erwarte Ihre Gebote. Wir fangen bei 10 $ an.", sagte Herr Specht und wartete auf Gebote. Er wusste, bei welchem Preis er anfangen musste, damit Jake Ferell und ich uns gegenseitig überboten, bis wir bei diesen 300 $ angelangten. Dann würde ich aussteigen. Ich würde Latishas Konto nicht stärker belasten, als es nötig war.
Schließlich würde ich ihr all das Geld zurückzahlen müssen, wenn ich einen Job hatte.
Ich stellte mich neben Mr. Ferell.
"15$", sagte ich und lächelte leicht über diesen Preis, den jedes Grundschulkind hätte überbieten können.
"20$", sagte mein Mitbieter und auch er lächelte wie nach einem schlechten Witz.
Der Preis erhöhte sich, bis wir bei 100$ angelangt waren.
"110$", sagte Jake und schaute mich unsicher an.
"120$", erwiderte ich. Ich hasste dieses System. Hätten wir nicht beide unser Höchstgebot auf einen Zettel schreiben und einreichen können? Das wäre schneller gegangen und auch nichts anderes gewesen, als wir es gerade taten.
Ich ging immer weiter mit dem Preis mit und hoffte, es wäre bald vorbei.
Ich dachte nicht mit, hörte nur und fühlte mich, als wäre ich in einer Zeitschleife gefangen.
Plötzlich ließ mich ein Satz auffahren.
"Ich geh' nicht mehr mit. Das übersteigt mein Budget.", sagte Jake Ferell.
Ich erschrak.
Wie weit war ich denn gegangen, ohne mitzudenken?
"Ich bin schon viel zu weit gegangen! Meine Frau bringt mich um, wenn ich höher geh' ", sagte Mr. Ferell und stand betrübt da.
Wäre das Haus für ihn und seine Frau nicht ohnehin viel zu klein gewesen?
"In Ordnung. Dann darf ich Ihnen gratulieren Miss Brians, Sie haben das Anwesen soeben für 2300 $ erworben."
In mir stieg Freude auf. Ich hatte also doch nicht die 3000 $ übersteigen müssen. Und ich hatte ein Haus!
Latisha stellte sich neben mich.
"Hey! Du hast ein Haus!", sagte sie, verwundert über über mein Schweigen. Ich konnte es einfach noch gar nicht glauben.
Erst als sie mich umarmte, wachte ich langsam aus diesem Traum auf.
Konnte das wirklich sein? Hatte ich jetzt ein Haus, ein Bett, eine Dusche? Hatte ich sogar einen Fernseher?
Mein Herz hatte die ganze Besichtigung über gerast, aber jetzt sprintete es und ich hatte Angst, es würde aus meiner Brust springen.
Fest drückte ich Latisha, bevor Herr Specht uns unterbrach.
"Ähm... was wollte.. ich jetzt...?", er starrte lächeln auf den Küchenschrank, um seine Gedanken zu ordnen.
"Achso, ja! Ich hole jetzt den Laptop aus meinem Wagen und dann werden noch die Formalitäten erledigt!", sagte er und verließ zusammen mit Jake Ferell den Raum, der gedankenverloren nach Hause ging, oder in irgendeine Kneipe, um sich volllaufen zu lassen.
Ich wusste nicht, wie dringend er dieses Haus gebraucht hätte, aber ich wusste, dass auch ich es dringend brauchte.
Als Herr Specht mit dem Laptop unter dem Arm wieder in der Küche stand, bedankte Latisha sich bei ihm.
"Ach, Herr Specht! Ich möchte Ihnen noch einmal für die hervorragende Arbeit und ihr Engagement bedanken!", sagte sie und lächelte, "Und es bleibt dabei, dass das Geld von meinem Konto abgebucht wird, in Ordnung?"
"Ja, dies wird jetzt über ein Formular aber noch einmal bestätigt, was ich dann ausdrucke und Ihnen zukommen lasse, damit Sie es unterschreiben können. Sie müssen es dann nur noch zurückschicken und Miss Brians kann einziehen!", sagte er erfreut.
Dann stellte er sein Laptop ab und bat mich, Platz zu nehmen.
Da gab es so Einiges auszufüllen...
Name, bisherige Adresse, Alter, Geburtsort,...
Ich verbrachte einige Zeit damit, jedes Kästchen einzeln anzuklicken und etwas hineinzutippen. Doch irgendwann hatte ich es geschafft und war glücklich, all die Last endlich los zu sein.
Dankbar verabschiedeten wir uns.
Und dann fuhren wir endlich nach Hause, müde, aber unglaublich froh. Und ich war bereit, mein neues Heim bald zu beziehen.
S.I.M.S.