Storm
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- August 2008
Die Straße der tausend Blüten
Nemuro - Der Sommer kam in diesem Jahr schnell. Es war eines der Jahre, in denen er förmlich herbeizufliegen drohte - schon bevor die ersten sakura-Blüten an den Bäumen zu erkennen waren und weit bevor eben diese Blüten die Straßen und Parks in ein hellrosafarbenes Meer verwandelten herrschte herrliches frühsommerliches Wetter, warm und hell, aufmunternd und zukunftsweisend. Die Monate waren ins Land gezogen, als hätte sie irgendjemand einfach allesamt mit einem schnellen Ruck vom Kalender heruntergerissen - die Zeit schien zuletzt wirklich über Nagato dahingerast zu sein; sie hatte nicht einmal inne gehalten, um sich umzudrehen und zurückzublicken. Als die Sonne über der sonst so lebendigen Vorstadtgegend von Yanaka aufging, tauchte sie die Welt unter sich schnell in den Glanz, der seit Wochen die Menschen in der gesamten Küstenregion in seinen Bann zog - es war die Zeit der ume-Blüte, nicht so atemberaubend schön wie die sakura-Blüte, aber auf seine Art eben auch bezaubernd. Der Tag, der anzubrechen drohte, war ein warmer; in etwa so warm wie der Abend, an dem der Wandel begonnen hatte, seinen Lauf zu nehmen. Noch immer schauten viele nagatonische Bürger zurück auf den Abend, an dem ihr beliebtester Premierminister aller Zeiten zurückgetreten war. Zusammengebrochen hatte man ihn in einem nahen Park gefunden, offensichtlich geistig und auch körperlich einfach nicht in der Lage, den gesamten Schmerz einer Nation in seiner Person aufzunehmen und zu bewältigen. Die Nachricht von Yamamotos Zusammenbruch - nicht die des Rücktritts, welche an diesem Abend schnell in den Hintergrund getreten war - hatte weite Teile der Stormic Bevölkerung schnell in einen schwerwiegenden Schockzustand versetzt; Hiroshi Yamamoto hatte bis zu seinem Rücktritt vom Amt des Premierministers immer und immer wieder versucht, Anlass zur Hoffnung und zum Wiederaufstehen zu geben. Die Tage waren nach dem Vorfall mit dem ehemaligen Premierminister ins Land gezogen, Entscheidungen hatten getroffen werden zu müssen. Eine Neuwahl strikt ausschließend, war innerhalb der alleinregierenden Liberaldemokratischen Partei nach Yamamotos Zusammenbruch wider jeglicher Erwartungen kein Machtkampf der noch so kleinen Intensität ausgebrochen - offenbar schien man auch innerhalb der Regierungspartei unmittelbar erkannt zu haben, dass Streitigkeiten nicht die Folge des tragischen Abgangs ihres möglicherweise für immer besten Parteivorsitzenden sein durften. In ruhiger Absprache setzte sich somit ein Mann namens Shinichi Yoshihara an die Spitze der LDP. Mittleren Alters, mit einem allgemein hohen politischen Sachverstand gesegnet, hatte es Yoshihara sofort verstanden, sich bei der Bevölkerung beliebt zu machen - nicht zu beliebt, wohlgemerkt, zumal der neue Premierminister offensichtlich den Vergleich seiner Person mit dem längst legendären Hiroshi Yamamoto scheute. Aber Shinichi Yoshihara ging mit beinahe erschreckend starkem Tatendrang an die Umsetzung seiner neuen politischen Agenda, einer Reihe von Umwälzungs- und Reformplänen der LDP, die schnell deutlich machte, dass der Wind nun von einer anderen Seite zu wehen hatte. Dass die Nyappy-Politik nach ihrem abrupten und relativ unschönen Ende kein Modell für die Zukunft mehr war, das war allgemein wohl jedem Stormic Bürger längst zur leidvollen Gewissheit geworden. Die Veränderungen, die der Mann namens Yoshihara allerdings mit sich brachte, erwiesen sich schnell als weitreichender, als man es zunächst hätte annehmen können - der Wandel der Storm Republic hin zu Nagato war nur der erste, jedoch bereits relativ symbolträchtige Schritt.
"Es ist an der Zeit, diese Nation in die Strukturen zu befördern, die sie stark gemacht haben" - mit diesem Satz als Einleitung begründete der neue Premierminister einige Wochen nach seiner Amtseinführung und ein paar Wochen mehr nach dem Zusammenbruch von Hiroshi Yamamoto die größte seiner Reformen. Der Aufbau einer Monarchie in einem bis dato demokratischen Staat, er ist immer schwierig - besonders, wenn dieser Staat bereits eine Geschichte als Monarchie besitzt und diese erfolgreich hinter sich gelassen hat. Im Einklang mit seinem Akt des Neusortierens und Aufräumens in den politischen und gesellschaftlichen Strukturen des mittlerweile nicht mehr Storm Republic heißenden Nagatos ging Shinichi Yoshihara allerdings in der Tat weit genug, um eben diese monarchistische Geschichte wieder aufleben zu lassen. Mit der Erklärung des Tennō Hikohito zum - repräsentativen und vollständig von politischen Entscheidungsgewalten losgelösten - Staatsoberhaupt wählte der Mann, der sich offensichtlich anschickte, auch eine ordentliche Spur in der Geschichte der Nation, die er nun leitete, zu hinterlassen, den Weg der schnellen Reform. Hikohito seinerseits war ein Mann, der in der Tat aus der ehemaligen Königsfamilie des Storm Kingdom stammte. Er mochte weder ein reiner Stormic noch ein reiner Japaner sein - sein Vater aus der Stormic Königsfamilie hatte eine japanischsprachige Emmerianerin geheiratet -, doch so wie der bei der Zeremonie seiner Erhebung auf den Thron des ersten Tennō freundlich lächelnde Herr konnte wohl kaum eine andere Person verkörpern, was Premierminister Yoshihara mit seinen weitreichenen Reformen zum Ausdruck zu bringen versuchte. Es war längst eine neue Ära angebrochen in der ehemaligen Storm Republic; diese Ära machte sich Tag für Tag und Blüte für Blüte bei der Bevölkerung bemerkbar. Der Stadtteil Yanaka, einige Kilometer abseits der lebendigen inneren Bezirke der mittlerweile Nemuro genannten nagatonischen Hauptstadt gelegen, hat all die Wochen des Umbruchs Stück für Stück miterlebt. Sein Beispiel steht stellvertretend für quasi jeden Ort der Nation, so groß er auch sein mag - denn in jedem dieser Orte schien sich in den vergangenen Wochen und Monaten mit jedem neuen Sonnenaufgang, mit jedem neuen blühenden sakura- oder ume-Baum der Wandel weiter fortzusetzen. Die Kinder, die heute lachend und freudestrahlend durch die teils engen Gassen von Yanaka laufen, sie laufen vorbei an einer Umgebung, die längst die Ausgestaltung angenommen hat, die bereits unter der Regierung von Hiroshi Yamamoto langsam Formen angenommen hatte. Vorbei an shamisen-Spielern mit runden, spitzen Hüten; durch belebte Geschäftsstraßen, gesäumt von onigiri-Läden und den üblichen Kneipen. Manch ein Mensch, gerade wenn er aus dem Ausland kommen sollte, mag sich mittlerweile bei dem Anblick, der sich ihm in vielen, sehr vielen Straßen des neuen Nagato bietet, bereits die Frage stellen, ob man die Nation irgendwann eines Nachts einfach ausgewechselt hat. Die Antwort auf diese Frage scheint nicht gewiss zu sein; gewiss scheint hingegen, dass spätestens mit dem Rücktritt und dem Zusammenbruch von Hiroshi Yamamoto auch die letzten Blockaden, die die Vollendung des in seiner Frühphase noch wechselseitig belächelten oder fluchend verurteilten stetigen Wandels der ehemaligen Storm Republic noch gehemmt hatten, die Kapitulation gegenüber eines nach eben dieser Vollendung verlangenden Volkes vollzogen hatten. Yamamoto selbst, der vier Wochen nach seinem Zusammenbruch aus dem Krankenhaus entlassen wurde und umgehend von der nagatonischen Öffentlichkeit mit dem üblichen personenkultartigen Jubel umringt wurde, begriff diese Entwicklung, die in der Zeit seiner Abwesenheit ihren Höhepunkt erreicht hatte, in seiner einzigen öffentlichen Aussage als "nett, aber in mancher Hinsicht beunruhigend". Mit dem anschließenden Rückzug des ehemaligen Premierministers folgte die Phase, die auch heute wieder mit dem Aufgang der Sonne einen weiteren glänzenden Tag über Nagato hat hereinbrechen lassen. Es mag sein, dass der beliebteste Premierminister aller Zeiten von der Bühne heruntergetreten ist - wenngleich seine einzige Aussage nach seinem Rücktritt bereits genug Spekulationen auf eine irgendwie geartete Rückkehr in das politische Geschehen auslöste -, doch das ehemals als Storm Republic bekannte Nagato hat nun die Zügel in die Hand genommen, aus eigener Kraft weiterzugehen. Aufgebaut auf dem Guten der eigenen Geschichte und erweitert durch die modernen, zukunftsbetonten Prozesse, die die Nation seit Jahren prägen, hat sich das nagatonische Volk einen eigenen Weg gebildet; es ist eine Straße der tausend Blüten entstanden, die entlangzuwandern Nagato längst bereit ist.
