IcedCoffee
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16. Kapitel: Anfang
Die letzten Tage in Cann Beach verbrachten wir gemeinsam mit der Klasse und sonst war ich so gut wie nur mit Chase unterwegs. Am letzten Abend durfte ich sogar bei ihm im Zimmer mit schlafen – von Miss Portrick aus zwar natürlich nicht, aber die hatte ja auch niemand gefragt. Und obwohl der Rest seiner Zimmergenossen dann bei Lisa und Maddy schlief und wir das Zimmer für uns allein hatten, lief nicht mehr als, dass ich neben ihm schlief. Als ich den beiden davon erzählte, waren sie etwas enttäuscht, aber er und ich hatten abgemacht, dass er mir Zeit geben würde.
,,Wo sind denn jetzt die blöden Schlüssel....?!", fluchte ich leise, als ich wie immer nach diesen suchte. Das Gefühl der Verzweiflung, das ich dabei wie jedes Mal empfand, war mit jedem mal auch wieder... naja, verzweifelnd, aber schon seit langem ein Bestandteil meines Alltags geworden. Eigentlich hätte ich die Schlüssel nämlich genauso gut in meine Hosentasche oder in das kleine Innentäschchen meiner Handtasche stecken können, aber wie gesagt – eigentlich. Wenn da nun nicht meine blöde Schusseligkeit und Hektik wäre, die mich schon nahezu beherrschte.
Letztendlich fand ich sie doch, wie immer nach ewigem Rumgekrame in meiner Handtasche.
So betrat ich nun das Haus, rief wie jedes Mal ,,ich bin wieder daaahaa..." mit der Erwartung, dass ich keine Antwort erhalten würde. Erschöpft ließ ich das Gepäck auf dem hellen beigen Holzboden fallen, schlüpfte lässig aus meinen Schuhen und wollte, leicht benebelt wie immer, die Treppe hochgehen, um mir bequeme Sachen anzuziehen. Ja, gleich würde ich erst einmal schön duschen und in meinen Pyjama schlüpfen, mich mit etwas zu Essen an den Laptop setzen und Facebook-Profile stalken. Und irgendwie kam mir das Haus, obwohl ich nur eine Woche weg war, plötzlich so fremd vor. Plötzlich aber stolperte ich fast über einen Karton, der vor mir stand. ,,Macht der Gewohnheit", dachte ich mir einfach. Noch dabei die Haltung wieder zu finden, um nicht doch umzufallen, hörte ich plötzlich eine warme, freundliche weibliche Stimme lachen. Ich konnte sie niemandem zuordnen und war erstmals sichtlich verwirrt. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich nicht allein war. Denn durch die Treppenstufen sah ich nun, dass jemand auf dem Sofa saß. Eigentlich hätte ich auch durch den Fernseher, den ich hörte, wissen müssen, dass ich nicht allein war...
,,Hallo?", begrüßte ich sie in einem vorsichtigen Ton, während ich langsam zögerlich auf sie zuging.
,,Hallo, du bist doch Lou, oder?", fragte sie mich lächelnd.
Das Erste, worauf mein Blick fiel, war, dass sie wirklich ein wunderschönes Gesicht hatte. Vielleicht war sie ein wenig dünn und irgendwie war sie auch ein Stück kleiner als ich, aber sie war hübsch, das musste man ihr lassen.
Ich betrachtete sie ganz genau, von oben bis unten. Sie hatte dunkelbraunes, langes glänzendes Haar, das sie glatt trug. Ihre hellblauen, grauen Augen stachen markant hervor und der dichte, schwarze Wimpernfächer betonte ihre Murmelaugen noch viel mehr. Ihre schöne, natürlich gebräunte Haut war frei von Pickeln und jeglichen Hautunreinheiten. Nichts dergleichen schimmerte durch das Make-Up, das sie trug, durch. Entweder, dachte ich, lag es daran, dass ihr Make-Up sehr gut war oder sie hatte wirklich keinerlei Hautunreinheiten. Aber wozu sollte man dann Make-Up benutzen?
Die kleine Stupsnase und die vollen Lippen setzten dem Ganzen noch die Krone auf und ja, nun wusste ich eines mit Sicherheit - sie war aussehenstechnisch eine gesegnete, wahrhaftige Naturschönheit.
,,Stimmt etwas nicht?"
,,Nein, ist alles okay. Äh, möchtest du irgendetwas trinken oder so?"
Ich traute mich nicht danach zu fragen, was sie in unserem Haus verloren hatte, denn es könnte sein, dass ich mal wieder etwas Wichtiges vergessen hatte. Im Kühlschrank stand ein Krug mit Limonade. Die kannte ich, denn die hatte meine Mutter schon lang nicht mehr gemacht.
,,Sag mal, bei dir kann man auch ziemlich leicht einbrechen, oder?"
Erschrocken drehte ich mich zu ihr um und versuchte ihr breites strahlendes Grinsen irgendwie zu deuten.
,,Oh mein Gott, sag mir bitte nicht, dass du hier eingebrochen bist oder wie kommst du jetzt drauf?!"
,,Na, du siehst hier eine Fremde und das Erste, was du tust, ist dich vorzustellen!"
Nachdenklich schenkte ich die Limonade in zwei Gläser ein und stellte sie auf den Tisch. Sie hatte Recht, es war ziemlich naiv von mir. Aber, dass ich naiv war, hörte ich nicht gerade selten.
,,Ja, du hast Recht. Wer bist du denn überhaupt?"
,,Ich bin die Tochter des Freundes deiner Mutter, deine Stiefschwester, wenn du es so willst."
Stiefschwester? Warum hatte meine Mutter nichts davon erzählt? Wo sollte sie oder ich dann schlafen?! Im Haus war nie im Leben genug Platz! Bis auf die Rumpelkammer neben meinem Zimmer... Aber die war wirklich... eine Rumpelkammer. Hin und wieder kroch da mal wieder eine Spinne heraus. Widerlich.
,,Machst du dir gerade Gedanken über die Zimmeraufteilung? Ich kann dich jedenfalls beruhigen, die ,,Rumpelkammer" haben wir letztens aufgeräumt, die wird nun renoviert. Neu gestrichen und neuer Bodenbelag. Eigentlich wollte dich Julia* (* Lous Mutter) nochmal drauf ansprechen, aber die ist mit Papa gerade einkaufen."
,,Gedankenlesen kannst du also?"
,,Vielleicht?", lächelnd ging sie an mir vorbei und füllte ihr Glas mit dem Wasser, das auf dem Tisch stand. ,,Ich bin gespannt, ob die Möbel heute da sind! Papa wollte sie heute abholen... Glaub ich."
,,Was bekommst du denn so alles neu?"
,,Auf jeden Fall ein Bett, eine neue Kommode, einen neuen Schreibtisch, einen Fernseher und joa. Deko kommt dann später... Ich kann mich nur nicht für den Bodenbelag und für die Wandfarbe entscheiden und morgen wollen Julia und Papa in den Baumarkt fahren, um das alles zu besorgen... Weißt du was? Wieso berätst du mich nicht einfach? Willst du den Raum mal sehen?"
,,Solang da keine Spinnen und andere Ekelviecher mehr sind... Und nein, ist schon ok...", antwortete ich ihr etwas widerwillig. Widerwillig deshalb, weil ich weiß Gott nicht gut darin war sie zu beraten... Und irgendwie wusste ich auch nicht, ob ich es nun gut oder schlecht finden sollte, dass Mums neuer Freund und seine Tochter hier schon einzogen. Ich mein klar, sie schien ja eigentlich ganz nett zu sein, aber irgendwo fühlte ich mich leicht unwohl dabei. Wahrscheinlich lag es daran, dass meine Mutter wieder alles ohne mich entschieden hatte. Und ich wurde dann erst eingeweiht, wenn alle Entscheidungen dafür getroffen wurden. Gefragt wurde ich mal wieder nicht. Mum platzte mit einem neuen Mann in unser Leben, nachdem sie mich so lang immer allein zu Hause ließ. Nicht einmal an Weihnachten oder an meinen Geburtstagen hatte sie wirklich Zeit für mich, sie rief meistens nur kurz von ihrer Arbeit aus an. Vor allem war da aber eine Sache, die mich störte: Was ist mit meinem Vater? Dieser war von einem auf den anderen Tag plötzlich komplett aus meinem Leben verschwunden.
,,Alles ok?", riss sie mich aus meinen Gedanken. Besorgt sah sie mich an, so als würde sie ahnen, was ich dachte.
,,Oh äh ja klar, ist alles in Ordnung! Wollen wir nach oben? Du kannst ja ein wenig auf Facebook oder so rumsurfen, ich will mich umziehen.", antwortete ich hastig nickend, während ich mühevoll ein möglichst glaubwürdiges Lächeln aufsetzte. Annie blickte mich noch kurz skeptisch an, dann aber ging sie in Richtung Treppe nach oben. Kurz seufzte ich erleichtert auf und folgte ihr anschließend nach oben.
,,Sorry, ich hoffe es ist ok, dass ich noch schnell alles nachgucke...
Was hast du eigentlich gemacht, während ich weg war? Sieht ja so aus, als wärste schon länger hier."
,,Ja, kein Ding, mach nur! Wir sind vor einer Woche oder so hier eingezogen, kurz nachdem du auf Klassenfahrt losgefahren bist. Cann Beach, huh? Da haben wir vorher gewohnt, ist echt toll da. Und ich hoffe mal schwer für dich, dass ihr auch Meeresfrüchte essen wart, weil wenn nicht, dann habt ihr ehrlich was verpasst! Und jetzt sind ja eh Ferien... Ich gehe erst nach den Sommerferien hier zu Schule, ich hab also quasi nur gegammelt und Sport gemacht im Fitnessstudio hier."
,,Achso... Weißt du was? Ich hab eine Idee. Wollen wir heute Abend weg? Ich stell dich ein wenig den Leuten vor, vielleicht haben die ja Zeit!"
Ich staunte gerade über mich selbst. Nun war ich diejenige, die einen kompletten Neuling Freunden vorstellen konnte. Vorher konnte ich das ja nicht so wirklich, ich führte sie einfach zu Noah und bei Noah war's eben so, dass die Leute dann alle schon von alleine ankamen... Aber nun hatte auch ich andere Freunde als Noah. Immer mehr wurde ich mir darüber im Klaren, wie trist mein vorheriges Leben war. Ich hatte so viel verpasst! Das, was die 'Coolen' alles erlebt hatten, hab ich zumindest zum Teil nun auf Klassenfahrt nacherleben können. Ich habe auf Klassenfahrt meine Jugend ausleben können. Als die Erinnerungen in gedanklichen Bildern vor mir auftauchten, musste ich kurz schmunzeln. Sogar das Kiffen gefiel mir, etwas, was ich mich vorher eigentlich nie getraut hatte. Es war einfach alles zu schön um wahr zu sein. Das Schuljahr war nun zu Ende und ich gehörte endlich zu den Beliebten an der Schule, genau wie Noah. Endlich konnte ich mich an seiner Seite sehen lassen. Endlich musste ich keine Angst mehr haben, dass er durch mich unbeliebt werden könnte, denn nun war ich auch nicht mehr allein. Und nun war ich an der Reihe, sie den Leuten vorzustellen.
,,Oh ja klar gerne! Sag mal, die, die nebenan von uns wohnen... Dieses große Haus, ne? Äh, Julia meinte, dass der Sohn von denen dein bester Freund ist, stimmt das?"
,,Du meinst Noah? Also er heißt Noah, ja und er ist mein bester Freund, das stimmt."
,,Wow! Sieht er gut aus?"
Irgendwie gefiel mir ihre Frage nicht. Und ich hatte das Gefühl, dass er wohl wieder eine Verehrerin mehr haben würde... Was sollte ich antworten? Ja natürlich... Noah war eben allround... Da ist's doch klar, dass er gut aussieht.
,,Also, ich hab ja in den letzten Tagen in deinem Zimmer geschlafen und da hab ich ein paar Bilder von euch zusammen gesehen. Das eine, wo er dich auf dem Rücken trägt, solltest du unbedingt einrahmen, das ist total süß! Auf den Bildern sieht er echt gut aus! Hoffentlich sieht er auch live so aus. Oder hier guck mal, das, das auf dem Schreibtisch steht!"
Mein Blick wanderte kurz zu dem Foto von uns, das er und ich in der Fotokabine gemacht hatten. Beziehungsweise die Fotocollage... Das Foto war nun ungefähr ein Jahr oder so her. Damals, als ich noch nicht so hübsch war...
,,Ja, genau das! Das ist total niedlich!!! Das hier finde ich nach dem Bild, wo er dich auf dem Rücken trägt, am besten! Läuft zwischen euch eigentlich gar nichts?", fragte sie mich total euphorisch.
,,Wie, was soll denn zwischen uns laufen?!", fragte ich sie entsetzt.
,,Keine Ahnung, ich weiß nicht. Ihr seht gut nebeneinander aus."
Ich fing an zu lachen, wie jedes Mal, wenn mir jemand diese Frage stellte. Durchaus musste ich zugeben, dass ich Noah schon öfters irgendwie auch süß fand, aber etwas in der Richtung Romantik konnte ich mir mit ihm bislang weiß Gott nie vorstellen.
,,Ne, er ist nicht in meiner Liga. Ich war früher eigentlich immer total unbeliebt und eine Stubenhockerin, bis vor etwa anderthalb Monaten oder so war ich Freitagabends immer zu Hause oder habe etwas mit ihm unternommen, wenn er sich mal die Zeit für mich genommen hatte oder von den Partys nach Hause zu mir kam... Er ist also quasi der schöne, talentierte Allerweltsliebling und ich bin sein Klotz."
,,Was?! Er ist dann mitten in der Nacht noch manchmal bei dir aufgekreuzt?! Oh mein Gott, wie süß! Guck, er mag dich!"
,,Was? Nein! Niemals! Außerdem hab ich eh schon einen Freund."
,,Hast du ein Foto von ihm?"
,,Äh.. Willst du ihn mal bei Facebook sehen? Weil wir erst auf Klassenfahrt zusammengekommen sind..."
,,Ja klar!"
,,Haha, guck dir mal, wie die ganzen Mädels kommentieren! 'Hüüüübschii!!!
', lachte Annie. ,,Wow... Der ist echt beliebt, oder? 136 Likes..."
,,Der macht fast nie neue Fotos rein, deswegen sammelt sich das in der Zeit auch an und... Ja, ok. Er ist wirklich beliebt."
,,Aber er ist auch echt hübsch. Du hast es wirklich drauf, oder? Ich glaub ich bin schon fast neidisch! Hoffentlich gibts hier noch mehr von den ganzen hübschen Jungs! Dein Freund und Noah sind ja echt toll. Dein Freund heißt Chase?"
,,Ja. Klingt wie aus so einer Teenie-Romanze irgendwie, oder?"
,,Ja oder wie aus einer Boyband! So aussehen tut er auch!"
,,Aber singen kann er glaube ich weniger...", kicherte ich, als ich mir vorstellte, wie er wohl singen würde. Durchaus hatte er eine schöne, sanfte Stimme, aber eine Gesangsstimme war diese weiß Gott nicht.
Plötzlich hörte ich wie unten das Telefon klingelte. Schnell stand ich auf, sagte ihr, dass sie sich ransetzen durfte und eilte nach unten.
,,Woodsen – hallo?"
,,Hey Lou, bist du das? Warum gehst du nicht an dein Handy?! Hier ist Lisa."
,,Ja, keine Ahnung... Habs auf lautlos oder Akku ist leer. Wie gehts dir?"
,,Mir geht's gut, danke! Und dir? Hast du gerade Zeit und noch nichts vor?"
,,Auch... Ähm... Meine Stiefschwester ist gerade hier."
,,Du hast eine Stiefschwester? Wusste ich gar nicht! Also, wenn ihr beiden Zeit und Lust habt, dann kommt doch zu mir! Noah, Shawn, Emilia und so sind hier. Chase kommt später auch! Wir wollten jetzt gleich grillen und später ein bisschen am Pool chillen, klingt doch gut, oder?"
,,Ja, ich bring sie mit. Hab ihr ja eh gesagt, dass ich sie euch heute vorstelle, das passt jetzt echt gut gerade! Bis später!"

Die letzten Tage in Cann Beach verbrachten wir gemeinsam mit der Klasse und sonst war ich so gut wie nur mit Chase unterwegs. Am letzten Abend durfte ich sogar bei ihm im Zimmer mit schlafen – von Miss Portrick aus zwar natürlich nicht, aber die hatte ja auch niemand gefragt. Und obwohl der Rest seiner Zimmergenossen dann bei Lisa und Maddy schlief und wir das Zimmer für uns allein hatten, lief nicht mehr als, dass ich neben ihm schlief. Als ich den beiden davon erzählte, waren sie etwas enttäuscht, aber er und ich hatten abgemacht, dass er mir Zeit geben würde.

,,Wo sind denn jetzt die blöden Schlüssel....?!", fluchte ich leise, als ich wie immer nach diesen suchte. Das Gefühl der Verzweiflung, das ich dabei wie jedes Mal empfand, war mit jedem mal auch wieder... naja, verzweifelnd, aber schon seit langem ein Bestandteil meines Alltags geworden. Eigentlich hätte ich die Schlüssel nämlich genauso gut in meine Hosentasche oder in das kleine Innentäschchen meiner Handtasche stecken können, aber wie gesagt – eigentlich. Wenn da nun nicht meine blöde Schusseligkeit und Hektik wäre, die mich schon nahezu beherrschte.
Letztendlich fand ich sie doch, wie immer nach ewigem Rumgekrame in meiner Handtasche.

So betrat ich nun das Haus, rief wie jedes Mal ,,ich bin wieder daaahaa..." mit der Erwartung, dass ich keine Antwort erhalten würde. Erschöpft ließ ich das Gepäck auf dem hellen beigen Holzboden fallen, schlüpfte lässig aus meinen Schuhen und wollte, leicht benebelt wie immer, die Treppe hochgehen, um mir bequeme Sachen anzuziehen. Ja, gleich würde ich erst einmal schön duschen und in meinen Pyjama schlüpfen, mich mit etwas zu Essen an den Laptop setzen und Facebook-Profile stalken. Und irgendwie kam mir das Haus, obwohl ich nur eine Woche weg war, plötzlich so fremd vor. Plötzlich aber stolperte ich fast über einen Karton, der vor mir stand. ,,Macht der Gewohnheit", dachte ich mir einfach. Noch dabei die Haltung wieder zu finden, um nicht doch umzufallen, hörte ich plötzlich eine warme, freundliche weibliche Stimme lachen. Ich konnte sie niemandem zuordnen und war erstmals sichtlich verwirrt. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich nicht allein war. Denn durch die Treppenstufen sah ich nun, dass jemand auf dem Sofa saß. Eigentlich hätte ich auch durch den Fernseher, den ich hörte, wissen müssen, dass ich nicht allein war...

,,Hallo?", begrüßte ich sie in einem vorsichtigen Ton, während ich langsam zögerlich auf sie zuging.



,,Hallo, du bist doch Lou, oder?", fragte sie mich lächelnd.
Das Erste, worauf mein Blick fiel, war, dass sie wirklich ein wunderschönes Gesicht hatte. Vielleicht war sie ein wenig dünn und irgendwie war sie auch ein Stück kleiner als ich, aber sie war hübsch, das musste man ihr lassen.

Ich betrachtete sie ganz genau, von oben bis unten. Sie hatte dunkelbraunes, langes glänzendes Haar, das sie glatt trug. Ihre hellblauen, grauen Augen stachen markant hervor und der dichte, schwarze Wimpernfächer betonte ihre Murmelaugen noch viel mehr. Ihre schöne, natürlich gebräunte Haut war frei von Pickeln und jeglichen Hautunreinheiten. Nichts dergleichen schimmerte durch das Make-Up, das sie trug, durch. Entweder, dachte ich, lag es daran, dass ihr Make-Up sehr gut war oder sie hatte wirklich keinerlei Hautunreinheiten. Aber wozu sollte man dann Make-Up benutzen?
Die kleine Stupsnase und die vollen Lippen setzten dem Ganzen noch die Krone auf und ja, nun wusste ich eines mit Sicherheit - sie war aussehenstechnisch eine gesegnete, wahrhaftige Naturschönheit.
,,Stimmt etwas nicht?"
,,Nein, ist alles okay. Äh, möchtest du irgendetwas trinken oder so?"
Ich traute mich nicht danach zu fragen, was sie in unserem Haus verloren hatte, denn es könnte sein, dass ich mal wieder etwas Wichtiges vergessen hatte. Im Kühlschrank stand ein Krug mit Limonade. Die kannte ich, denn die hatte meine Mutter schon lang nicht mehr gemacht.

,,Sag mal, bei dir kann man auch ziemlich leicht einbrechen, oder?"
Erschrocken drehte ich mich zu ihr um und versuchte ihr breites strahlendes Grinsen irgendwie zu deuten.
,,Oh mein Gott, sag mir bitte nicht, dass du hier eingebrochen bist oder wie kommst du jetzt drauf?!"
,,Na, du siehst hier eine Fremde und das Erste, was du tust, ist dich vorzustellen!"
Nachdenklich schenkte ich die Limonade in zwei Gläser ein und stellte sie auf den Tisch. Sie hatte Recht, es war ziemlich naiv von mir. Aber, dass ich naiv war, hörte ich nicht gerade selten.

,,Ja, du hast Recht. Wer bist du denn überhaupt?"
,,Ich bin die Tochter des Freundes deiner Mutter, deine Stiefschwester, wenn du es so willst."
Stiefschwester? Warum hatte meine Mutter nichts davon erzählt? Wo sollte sie oder ich dann schlafen?! Im Haus war nie im Leben genug Platz! Bis auf die Rumpelkammer neben meinem Zimmer... Aber die war wirklich... eine Rumpelkammer. Hin und wieder kroch da mal wieder eine Spinne heraus. Widerlich.
,,Machst du dir gerade Gedanken über die Zimmeraufteilung? Ich kann dich jedenfalls beruhigen, die ,,Rumpelkammer" haben wir letztens aufgeräumt, die wird nun renoviert. Neu gestrichen und neuer Bodenbelag. Eigentlich wollte dich Julia* (* Lous Mutter) nochmal drauf ansprechen, aber die ist mit Papa gerade einkaufen."
,,Gedankenlesen kannst du also?"
,,Vielleicht?", lächelnd ging sie an mir vorbei und füllte ihr Glas mit dem Wasser, das auf dem Tisch stand. ,,Ich bin gespannt, ob die Möbel heute da sind! Papa wollte sie heute abholen... Glaub ich."

,,Auf jeden Fall ein Bett, eine neue Kommode, einen neuen Schreibtisch, einen Fernseher und joa. Deko kommt dann später... Ich kann mich nur nicht für den Bodenbelag und für die Wandfarbe entscheiden und morgen wollen Julia und Papa in den Baumarkt fahren, um das alles zu besorgen... Weißt du was? Wieso berätst du mich nicht einfach? Willst du den Raum mal sehen?"
,,Solang da keine Spinnen und andere Ekelviecher mehr sind... Und nein, ist schon ok...", antwortete ich ihr etwas widerwillig. Widerwillig deshalb, weil ich weiß Gott nicht gut darin war sie zu beraten... Und irgendwie wusste ich auch nicht, ob ich es nun gut oder schlecht finden sollte, dass Mums neuer Freund und seine Tochter hier schon einzogen. Ich mein klar, sie schien ja eigentlich ganz nett zu sein, aber irgendwo fühlte ich mich leicht unwohl dabei. Wahrscheinlich lag es daran, dass meine Mutter wieder alles ohne mich entschieden hatte. Und ich wurde dann erst eingeweiht, wenn alle Entscheidungen dafür getroffen wurden. Gefragt wurde ich mal wieder nicht. Mum platzte mit einem neuen Mann in unser Leben, nachdem sie mich so lang immer allein zu Hause ließ. Nicht einmal an Weihnachten oder an meinen Geburtstagen hatte sie wirklich Zeit für mich, sie rief meistens nur kurz von ihrer Arbeit aus an. Vor allem war da aber eine Sache, die mich störte: Was ist mit meinem Vater? Dieser war von einem auf den anderen Tag plötzlich komplett aus meinem Leben verschwunden.
,,Alles ok?", riss sie mich aus meinen Gedanken. Besorgt sah sie mich an, so als würde sie ahnen, was ich dachte.
,,Oh äh ja klar, ist alles in Ordnung! Wollen wir nach oben? Du kannst ja ein wenig auf Facebook oder so rumsurfen, ich will mich umziehen.", antwortete ich hastig nickend, während ich mühevoll ein möglichst glaubwürdiges Lächeln aufsetzte. Annie blickte mich noch kurz skeptisch an, dann aber ging sie in Richtung Treppe nach oben. Kurz seufzte ich erleichtert auf und folgte ihr anschließend nach oben.

,,Sorry, ich hoffe es ist ok, dass ich noch schnell alles nachgucke...
Was hast du eigentlich gemacht, während ich weg war? Sieht ja so aus, als wärste schon länger hier."
,,Ja, kein Ding, mach nur! Wir sind vor einer Woche oder so hier eingezogen, kurz nachdem du auf Klassenfahrt losgefahren bist. Cann Beach, huh? Da haben wir vorher gewohnt, ist echt toll da. Und ich hoffe mal schwer für dich, dass ihr auch Meeresfrüchte essen wart, weil wenn nicht, dann habt ihr ehrlich was verpasst! Und jetzt sind ja eh Ferien... Ich gehe erst nach den Sommerferien hier zu Schule, ich hab also quasi nur gegammelt und Sport gemacht im Fitnessstudio hier."
,,Achso... Weißt du was? Ich hab eine Idee. Wollen wir heute Abend weg? Ich stell dich ein wenig den Leuten vor, vielleicht haben die ja Zeit!"
Ich staunte gerade über mich selbst. Nun war ich diejenige, die einen kompletten Neuling Freunden vorstellen konnte. Vorher konnte ich das ja nicht so wirklich, ich führte sie einfach zu Noah und bei Noah war's eben so, dass die Leute dann alle schon von alleine ankamen... Aber nun hatte auch ich andere Freunde als Noah. Immer mehr wurde ich mir darüber im Klaren, wie trist mein vorheriges Leben war. Ich hatte so viel verpasst! Das, was die 'Coolen' alles erlebt hatten, hab ich zumindest zum Teil nun auf Klassenfahrt nacherleben können. Ich habe auf Klassenfahrt meine Jugend ausleben können. Als die Erinnerungen in gedanklichen Bildern vor mir auftauchten, musste ich kurz schmunzeln. Sogar das Kiffen gefiel mir, etwas, was ich mich vorher eigentlich nie getraut hatte. Es war einfach alles zu schön um wahr zu sein. Das Schuljahr war nun zu Ende und ich gehörte endlich zu den Beliebten an der Schule, genau wie Noah. Endlich konnte ich mich an seiner Seite sehen lassen. Endlich musste ich keine Angst mehr haben, dass er durch mich unbeliebt werden könnte, denn nun war ich auch nicht mehr allein. Und nun war ich an der Reihe, sie den Leuten vorzustellen.
,,Oh ja klar gerne! Sag mal, die, die nebenan von uns wohnen... Dieses große Haus, ne? Äh, Julia meinte, dass der Sohn von denen dein bester Freund ist, stimmt das?"
,,Du meinst Noah? Also er heißt Noah, ja und er ist mein bester Freund, das stimmt."
,,Wow! Sieht er gut aus?"
Irgendwie gefiel mir ihre Frage nicht. Und ich hatte das Gefühl, dass er wohl wieder eine Verehrerin mehr haben würde... Was sollte ich antworten? Ja natürlich... Noah war eben allround... Da ist's doch klar, dass er gut aussieht.
,,Also, ich hab ja in den letzten Tagen in deinem Zimmer geschlafen und da hab ich ein paar Bilder von euch zusammen gesehen. Das eine, wo er dich auf dem Rücken trägt, solltest du unbedingt einrahmen, das ist total süß! Auf den Bildern sieht er echt gut aus! Hoffentlich sieht er auch live so aus. Oder hier guck mal, das, das auf dem Schreibtisch steht!"

Mein Blick wanderte kurz zu dem Foto von uns, das er und ich in der Fotokabine gemacht hatten. Beziehungsweise die Fotocollage... Das Foto war nun ungefähr ein Jahr oder so her. Damals, als ich noch nicht so hübsch war...
,,Ja, genau das! Das ist total niedlich!!! Das hier finde ich nach dem Bild, wo er dich auf dem Rücken trägt, am besten! Läuft zwischen euch eigentlich gar nichts?", fragte sie mich total euphorisch.
,,Wie, was soll denn zwischen uns laufen?!", fragte ich sie entsetzt.
,,Keine Ahnung, ich weiß nicht. Ihr seht gut nebeneinander aus."
Ich fing an zu lachen, wie jedes Mal, wenn mir jemand diese Frage stellte. Durchaus musste ich zugeben, dass ich Noah schon öfters irgendwie auch süß fand, aber etwas in der Richtung Romantik konnte ich mir mit ihm bislang weiß Gott nie vorstellen.
,,Ne, er ist nicht in meiner Liga. Ich war früher eigentlich immer total unbeliebt und eine Stubenhockerin, bis vor etwa anderthalb Monaten oder so war ich Freitagabends immer zu Hause oder habe etwas mit ihm unternommen, wenn er sich mal die Zeit für mich genommen hatte oder von den Partys nach Hause zu mir kam... Er ist also quasi der schöne, talentierte Allerweltsliebling und ich bin sein Klotz."
,,Was?! Er ist dann mitten in der Nacht noch manchmal bei dir aufgekreuzt?! Oh mein Gott, wie süß! Guck, er mag dich!"
,,Was? Nein! Niemals! Außerdem hab ich eh schon einen Freund."
,,Hast du ein Foto von ihm?"
,,Äh.. Willst du ihn mal bei Facebook sehen? Weil wir erst auf Klassenfahrt zusammengekommen sind..."
,,Ja klar!"

,,Haha, guck dir mal, wie die ganzen Mädels kommentieren! 'Hüüüübschii!!!

,,Der macht fast nie neue Fotos rein, deswegen sammelt sich das in der Zeit auch an und... Ja, ok. Er ist wirklich beliebt."
,,Aber er ist auch echt hübsch. Du hast es wirklich drauf, oder? Ich glaub ich bin schon fast neidisch! Hoffentlich gibts hier noch mehr von den ganzen hübschen Jungs! Dein Freund und Noah sind ja echt toll. Dein Freund heißt Chase?"
,,Ja. Klingt wie aus so einer Teenie-Romanze irgendwie, oder?"
,,Ja oder wie aus einer Boyband! So aussehen tut er auch!"
,,Aber singen kann er glaube ich weniger...", kicherte ich, als ich mir vorstellte, wie er wohl singen würde. Durchaus hatte er eine schöne, sanfte Stimme, aber eine Gesangsstimme war diese weiß Gott nicht.
Plötzlich hörte ich wie unten das Telefon klingelte. Schnell stand ich auf, sagte ihr, dass sie sich ransetzen durfte und eilte nach unten.

,,Woodsen – hallo?"
,,Hey Lou, bist du das? Warum gehst du nicht an dein Handy?! Hier ist Lisa."
,,Ja, keine Ahnung... Habs auf lautlos oder Akku ist leer. Wie gehts dir?"
,,Mir geht's gut, danke! Und dir? Hast du gerade Zeit und noch nichts vor?"
,,Auch... Ähm... Meine Stiefschwester ist gerade hier."
,,Du hast eine Stiefschwester? Wusste ich gar nicht! Also, wenn ihr beiden Zeit und Lust habt, dann kommt doch zu mir! Noah, Shawn, Emilia und so sind hier. Chase kommt später auch! Wir wollten jetzt gleich grillen und später ein bisschen am Pool chillen, klingt doch gut, oder?"
,,Ja, ich bring sie mit. Hab ihr ja eh gesagt, dass ich sie euch heute vorstelle, das passt jetzt echt gut gerade! Bis später!"
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