Kapitel 24: Entscheidungen
Gernot hatte mit meiner Cousine Magda geschlafen und ich hatte sie auf frischer Tat ertappt. Jetzt war er zwar weg, doch hielt ich es trotzdem keine Sekund  länger in meinem  eigenen Haus aus. Nicht solange Magda noch da war. Ich hatte  Gernot  davon gejagt, doch das hatte mich all meine Kraft gekostet. Ich hatte   nicht auch noch die Kraft, um mich Magda zu stellen. Also stolperte ich  zu  meinem alten, rostigen Fahrrad und radelte los. Einfach nur gerade  aus, immer  weiter ohne festes Ziel. Wenn ich einfach nur weit genug  fuhr, dann konnte ich  meinen Problemen vielleicht davon fahren. Ich  fuhr immer weiter und weiter und  langsam senkte sich die Dunkelheit  über Rodaklippa.
		 
	 
Auch  wenn mein Kopf nicht wusste, wohin er fuhr, so wussten  es meine Beine  doch ganz genau. Zielstrebig führten sie mich zu dem einzigen  Ort, an  dem ich mich jetzt sicher und geborgen fühlen konnte, nämlich zum Haus   meiner Eltern. Noch bevor ich klingeln konnte, entdeckte mich mein Vater  durch  das Küchenfenster auf der Veranda. Und mein tränenverschmiertes  Gesicht ließ  ihn sofort wissen, dass etwas Schlimmes passiert war.
Hastig  öffnete er die Tür und bat mich herein. „Spätzchen,  was ist denn  passiert?“, fragte er besorgt. Kaum hatte ich den Fuß über die   Türschwelle gesetzt, brachen bei mir alle Dämme. „Gernot….er hat…er  hat…“,  schluchzte ich bitterlich, „…ich bin ja so dumm…wie konnte…wie  konnte ich bloß  glauben…dass er mich wirklich gerne haben könnte? “  Natürlich wurde mein Vater  nicht schlau aus meinem zusammenhanglosen  Gebrabbel.
Doch  das brauchte er auch nicht um zu wissen, dass ich jetzt  in erster  Linie Liebe und Zuwendung bedurfte. Irgendwann würde ich schon in der   Lage sein, ihm alles zu erklären. Behutsam strich er mit seinen großen  Händen  über mein Haar und flüsterte mir beruhigende Worte zu. Mama  hatte oben im  Schlafzimmer gestrickt, als sie erst Stimmen und dann  mein Weinen von unten  vernahm. Eilig kam sie die Treppe hinunter und  blickte dabei meinen Vater  fragend an. Dieser konnte aber nur ratlos  mit den Schultern zucken.
		 
	 
Als  sie unten angekommen war, trat Papa einen Schritt zur Seite  um meine  Mutter an mich heranzulassen. „Klaudi, Pummelchen, was ist passiert?   Wir machen uns Sorgen“, redete sie bedächtig auf mich ein und legte ihre  Hände  auf meine Schultern. Endlich brachte ich einen klaren Satz  hervor. „Gernot…er  hat mich betrogen.“ Ich konnte hören, wie meine  Eltern beide scharf die Luft  einzogen. Dabei hatte ich ihnen das  schlimmste noch gar nicht gesagt: „Ich hab  ihn eben erwischt…und zwar  mit Magda.“
		 
	 
Sofort  schloss Mama mich in ihre Arme. „Mein armes  Pummelchen“, flüsterte sie  und küsste dabei meine Haare. „Ein Mann wie dieser  Gernot ist es nicht  wert, dass du auch nur eine Träne für ihn verschwendest.“  Dann nahm  sie meine Hand und führte mich zum Esstisch in der Küche. „Ich mache   dir erst einmal einen schönen Tee, Pummelchen.“ Während Mama das Wasser   aufsetzte und den Tee aufbrühte, erzählte ich den beiden die ganze  Geschichte.  Papa lief während meiner Erzählung wie ein Tiger im Käfig  in der Küche auf und  ab. Als ich zu Ende erzählt hatte und vorsichtig  an meinem Tee nippte, konnte  er nicht länger an sich halten. „Ich werde  ihn windelweich prügeln!“, rief er  wütend und ballte die Hände zu  Fäusten. „Wie konnte er das meinem kleinen  Mädchen antun? Und wie  konnte Magda dir das antun? Sie werde ich auch  versohlen, dass sie sich  eine Woche lang nicht mehr wird hinsetzten können.  Dieses  hinterlistige, heimtückische Biest!“
		 
	 
„Dominik,  beruhig dich“, beschwichtigte Mama ihn. „Du machst  unserem Pummelchen  ja noch Angst…und mir übrigens auch.“ Mama erkannte sofort,  dass Papas  Wort nicht nur so dahingesagt waren. Mein Vater war kurz davor, aus  dem  Haus zu stürmen. „Außerdem wird niemandem damit geholfen, wenn du  Gernot  oder gar Magda angreifst. Gott weiß, sie hätten es verdient.  Aber dafür riskierst  du nicht, womöglich noch von der Polizei verhaftet  zu werden. Unser Mädchen  braucht jetzt ihre Eltern, und zwar beide. Es  ist ja klar, dass sie nicht  zurück in ihr Haus kann, solange Magda  dort ist. Und dieser Gernot wohnt ja  auch gleich nebenan.“
		 
	 
Damit  hatte Mama natürlich vollkommen Recht. Ich konnte  Magda nicht  gegenübertreten. Ich wusste, dass ich dafür nicht die Kraft haben   würde. Ein Blick von ihr würde genügen, und ich würde weinend wie ein  Häufchen  Elend zusammenbrechen. Und Gernot wollte ich erst Recht nicht  sehen. Allein an  ihn zu denken zerriss mir schon das Herz. Als stimmte  ich sofort zu, als Mama  mir anbot, für ein paar Tage bei ihr und Papa  zu bleiben. Ich durfte zu Mama  ins Bett, während Papa es sich in einem  Schlafsack so bequem machte, wie es auf  dem harten Dielenboden eben  möglich war. Und kaum hatte mein Kopf das Kissen  berührt, war ich auch  schon eingeschlafen. Liebevoll streichelte mir meine  Mutter noch über  das Haar, bevor sie das Nachtlicht löschte und sich zu mir ins  Bett  legte.
		 
	 
Während  ich tief wie ein Stein schlief, bekam meine Mutter  in dieser Nacht  kaum ein Auge zu. Schon lange vor Sonnenuntergang lag sie wach  im Bett,  blieb aber so lange liegen, bis der Wecker auf dem Nachttisch sieben   Uhr anzeigte. Hastig warf sie sich ihren Schlafrock über und verließ  leise das  Schlafzimmer. Ihr Ziel war das Telefon unten im Flur und sie  wählte die Nummer  meiner Tante Joanna. Obwohl es früh war, klang ihr  Schwester bereits hellwach,  als sie sich am anderen Ende der Leitung  meldete. „Jojo, deine Tochter hat  etwas furchtbares angestellt“, begann  meine Mutter unvermittelt das Gespräch  und erzählte ihrer Schwester,  was gestern vorgefallen war. Meine Tante hörte  ihr geduldig zu.
		 
	 
Doch  leider erhielt meine Mutter nicht die Unterstützung,  die sie sich von  ihrer Zwillingsschwester erhofft hatte. „Und was soll ich  deiner  Meinung nach jetzt unternehmen, Xana?“, fragte sie meine Mutter, nachdem   diese geendet hatte. „Meine Magda und deine Klaudia sind beide  erwachsene  Frauen. Sie müssen das unter sich regeln und ich werde mich  da nicht  einmischen.“ „Aber du weißt doch ganz genau, wie sensibel  Klaudia ist“,  entgegnete meine Mutter scharf. „Und Magda ist dieses Mal  wirklich zu weit  gegangen. Ich hab nichts gesagt, als deine Tochter  sich einfach bei Klaudia  eingenistet hat und du es zugelassen hast.  Aber jetzt verlange ich von dir,  dass du deine Tochter wieder zurück  nach SimCity beorderst. Klaudia muss vor  ihr geschützt werden.“ Meine  Mutter hatte sich regelrecht in Rage geredet. Doch  meine Tante war  nicht so entschlossen zu handeln, wie meine Mutter es sich  gewünscht  hätte. „Ich werde mir deinen Vorschlag durch den Kopf gehen lassen“,   antwortete sie lediglich und verabschiede sich anschließend.
		 
	 
Ich  schlief tief und fest und verbrachte eine traumlose  Nacht. Doch kaum  schlug ich meine Augen auf, kehrten die Bilder von Gernot und zurück.   Ich konnte sie einfach nicht verdrängen und sie quälten mich. Ich kam  mir so  dumm vor und ich schämte mich, weil ich mich so hab hintergehen  lassen. Deshalb  wollte ich auch niemanden sehen. Meine Eltern hatten  sich gestern zwar rührend  um mich gekümmert, aber ich hätte das Mitleid  in ihren Augen nicht länger  ertragen können. Also schlich ich mich  leise aus dem Haus und ging in den  Pferdestall. Als junges Mädchen war  ich oft hier gewesen, wenn ich allein sein  wollte.
		 
	 
Lediglich  eines der Pferde stand in seiner Box, Trixi, das  Lieblingspferd meiner  Mutter. Die übrigen Pferde waren draußen auf der Koppel,  doch Trixi  wartete noch darauf, dass meine Mutter in den Stall kam, um ihren   morgendlichen Kontrollausritt hinaus in die Apfelplantagen zu machen.  Als die  Stute hörte, wie ich das Tor zum Stall öffnete, kam sie zur  Öffnung ihrer Box  getrabt und streckte den Kopf hinaus. Ich kam auf sie  zu und streckte ihr eine  Karotte entgegen, die ich auf dem Weg zum  Stall aus dem Gemüsegarten geholt  hatte. Mit ihren Weichen Lippen fraß  sie das Gemüse aus meiner Hand. Die  Berührung kitzelte meine Haut und  für eine Sekunde huschte ein Lächeln über  mein Gesicht. Doch im  gleichen Moment kamen auch die Tränen wieder. Wieso war  die Welt bloß  so ungerecht? „Sei froh, dass du dich nicht mit so fiesen Leuten  wie  meiner Cousine und diesem Gernot herumplagen musst“, sagte ich zu Trixi  und  streichelte ihre Stirn. Allein ihr weiches Fell zu spüren, tröstete  mich in  ungeahnter Weise.
		 
	 
Ich  verbrachte fast den ganzen Vormittag im Stall. Ich  erzählte Trixie was  vorgefallen war und auch wenn mir klar war, dass sie  natürlich nichts  von meinen Problemen begriff, fühlte ich mich erleichtert.  Anders als  bei meinen Eltern, hatte ich das Gefühl, dass ich mir alles von der   Seele reden konnte, dafür aber in keinster Weise bemitleidet oder gar   verurteilt wurde. Dennoch wollten die Tränen nicht so recht aufhören zu   fließen, denn ein Problem blieb ja immer noch: Magda wohnte zusammen  mit mir in  einem Haus und ich musste nicht, wie ich es ertragen sollet,  sie jemals wieder  zu sehen. Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen,  als die Tür des Stalls zur  Seite gerollt wurde und Papa  eintrat.  „Ich  hab mir schon gedacht, dass du hier bist, Spätzchen“, sagte er  liebevoll,  auch wenn ich den Kummer in seiner Stimme heraushören  konnte.
		 
	 
„Im  Haus wartet Besuch auf dich“, setzte er fort. Ich drehte  mich um und  sah ihn erschrocken an. Mein Vater erriet auf Anhieb meine  Gedanken.  „Keine Angst, Spatz. Wären Gernot oder Magda hier aufgetaucht, ich   hätte sie längst zum Teufel gejagt, verlass dich darauf.“ Erleichtert  atmete  ich aus. „Nein, es ist dein anderer Mitbewohner, Jamie. Ich hab  gesagt, ich  werde fragen, ob du ihn sehen willst. Er scheint wirklich  besorgt um dich zu  sein. Vielleicht solltest du mit ihm sprechen.“
		 
	 
Am  liebsten hätte ich meinen Vater zurück ins Haus  geschickt, um Jamie  wieder weg zu schicken. Es war eine Sache vor meinen Eltern  zuzugeben,  betrogen worden zu sein. Es aber auch noch vor dem eignen Mitbewohner   einzugestehen, war etwas ganz anderes. Ich wusste nicht, ob ich die  Kraft dazu  haben würde. Aber auf der anderen Seite war Jamie auch ein  guter Freund…mein  bester sogar, wenn man bedachte, wie sehr ich mich in  Magda und Gernot  getäuscht hatte. Vielleicht war es also gar nicht so  verkehrt, mit Jamie  zu sprechen. Ich ging ins Haus meiner Eltern und  fand Jaime im Wohnzimmer vor,  wo er mit meinem jüngeren Bruder gerade  an der Konsole spielte.
		 
	 
Als  er mich sah, legte er das Game-Pad sogleich zur Seite  und  entschuldigte sich bei meinem Bruder. Damit wir uns in Ruhe unterhalten   konnten gingen wir hinaus in den Obsthain neben dem Haus. Ein Blick in  mein  Gesicht genügt um zu bestätigen, dass Magda ihm die Wahrheit  gesagt hatte. „Sie  hat also wirklich mit deinem Freund geschlafen. Ich  wollte es erst nicht  glauben als sie es mir gesagt hat.“ Traurig  schüttelte er den Kopf. „Es tut mir  sehr leid für dich, Klaudia.“
		 
	 
Wieder  drohten mich die Tränen zu übermannen, die eben erst  getrocknet waren.  Ich musste mich zusammenreißen, um nicht vor Jamie zu weinen.  Doch  dann wurde mir bewusst, was er gesagt hatte. „Magda hat dir also einfach   so erzählt,  was sie getan hat? Liebst du  sie denn nicht immer noch?“  Jamie zuckte mit den Schultern. „Wir hatten Spaß  zusammen. Vielleicht  wäre auch mehr draus geworden, aber offenbar war es nicht  das, was  Magda wollte. Ich kann damit leben, aber was sie dir angetan hat, war   echt böse. Was ich nur nicht verstehe ist, warum sie es getan hat.“
		 
	 
Nun,  darüber hatte ich mir inzwischen auch meinen Kopf  zerbrochen und war  nur zu einem Schluss gekommen. „Sie wollte sich dafür  rächen, dass wir  sie nicht darüber aufgeklärt haben, dass du der Sohn ihres  Ex-Freundes  bist. Indem sie meinen Freund verführt hat, konnte sie sich mit einem   Schlag an uns beiden rächen.“ „So ein Verhalten ist doch echt kindisch“,   schnaubte Jamie. „Und das sage ich, wo ich doch der jüngste von uns  allen bin.  Durch dieses Spielchen hat sich doch nichts gewonnen, aber  dich und mich als  ihre Freunde verloren…und vielleicht noch mehr. Wie  gedenkst du, jetzt mit ihr  zu verfahren? Wirst du sie auf die Straße  setzten?“
		 
	 
Der  Gedanke war mir bislang gar nicht gekommen. Aber konnte  ich das  überhaupt? Immerhin hatten wir beide für den Umbau des Hauses   zusammengelegt. Es war nicht mehr nur mein Haus, sondern auch Magdas.  Ich hatte  nicht das Recht, sie hinaus zu werfen. Ich äußerte meine  Bedenken Jamie  gegenüber. Doch dieser legte seien Stirn in Falten und  sah mich fragend an.  „Ist es wirklich euer gemeinsames Haus? Ich meine,  du hast es gekauft und du  bist im Rathaus als Besitzerin eingetragen.  Es ist schön, dass Magda dich  finanziell unterstützt hat, aber habt ihr  nach dem Umbau etwas an den  Besitzverhältnissen verändern lassen?“ Ich  schüttelte den Kopf, was Jamie ein  Lächeln entlockte. „Na, dann würde  ich mal behaupten, du kannst Magdas  verräterischen Hintern jeder Zeit  auf die Straße setzten. Es ist dein Haus, du  kannst also machen, was du  willst.“ Unsicher sah ich Jamie an. Er hatte Recht.  Ein Wort genügte  und ich konnte Magda los sein. Aber war ich wirklich stark  genug um das  auch zu tun?
Gedanken
Ich war  ja so dumm. So dumm! Wie konnte ich jemals glauben,  dass mich ein Mann  wirklich lieben könnte? Mich! Mir hätte von Anfang an klar  sein  müssen, dass Gernot es nicht ernst meinen könnte. Denn wer würde eine so   graue Maus wie mich schon lieben wollen? Aber trotz meiner inneren  Zweifel hatte  ich mich auf ihn eingelassen und bin total auf die  Schnauze geflogen. Gernots  Betrug schmerzte ungemein, aber noch viel  schlimmer traf mich Magdas Betrug.  Ja, sie hat mich immer und immer  wieder mit ihren Sticheleien geärgert. Aber in  meinem innersten war ich  immer überzeugt gewesen, dass sie es gar nicht so  meint, dass diese  Bemerkungen nur ihre verdreht Art waren mir zu zeigen, dass  sie sich um  mich sorgt und dass ich ihr wichtig war. Aber da hatte ich mich   gehörig in ihr getäuscht. Und dabei schienen wir uns doch so gut zu  verstehen.  Wir haben uns gemeinsam ein schönes Zuhause aufgebaut und  beide hart dafür  gearbeitet, es uns auch leisten zu können.
Das Geld für den Umbau zusammen zu bekommen war  nicht einfach. Magda  musste fast ihr gesamtes Gehalt dafür aufbringen.  Zusätzlich verdiente  sie noch Geld mit gelegentlichen Auftritten in den Discos  und Clubs der  Gegend. Und ich stand Tag und Nacht an der Leinwand und malte.   Aufgrund der turbulenten Ereignisse am Tag meiner Ausstellung verpasste  ich  diese leider, aber Melinda versicherte mir, dass meine Bilder  wieder einmal  sehr gut ankamen und sich bereits am ersten Tag viele  Käufer fanden. Und auch  Jamie half uns, den Umbau zu finanzieren. Er  bezahlte seine Miete immer  regelmäßig. Das Geld dafür verdiente er sich  mit Schreiben und dem Verkauf von  Insekten an das wissenschaftliche  Institut.
Ich  gebe zu, dass ich einen Fehler begangen hatte, als ich  Magda nichts  davon erzählte, dass Jamie der Sohn von Ron war. Es war unfair ihr   gegenüber. Aber wie konnte ich ahnen, dass sie sich so kurz nach der  Trennung  von Ron schon wieder auf eine neue Beziehung einlassen würde?  Und zudem war  Jamie doch auch noch so viel jünger als wir. Ich war  überzeugt gewesen, dass es  zu keinen Schwierigkeiten kommen würde. Und  wenn sich Magda erst einmal mit  Jamie angefreundet hätte, dann wäre es  ihr auch egal gewesen, dass er Rons Sohn  ist. Aber da hatte ich mich  gewaltig getäuscht. Und auch wenn ich mich ihr  gegenüber unfair  verhalten hatte, eine solche Rache hatte ich doch nicht  verdient. Zumal  meine Absichten gut waren, als ich zuließ, dass Jamie bei uns einzog.   In meiner Kindheit musste ich am eigenen Leib miterleben, wie sehr ein  Kind  darunter leidet, wenn der Haussegen schief hängt. Auch heute noch,  nach so  vielen Jahren hörte ich die Streitgespräche zwischen meiner  Mutter und meiner  Schwester Kinga. Damals hatte ich mir nichts  sehnlicher gewünscht, als diesen  ewigen Streitereien entfliehen zu  können. Und Jamie hatte sich in einer ganz ähnlichen  Situation  befunden. Die neue Frau an der Seite seines Vaters sorgte dafür, dass   er sich in seinem eigenen Zuhause nicht mehr wohl fühlte. Ich könnte  also nicht  anders, als ihm zu helfen.
Und  ich hatte ihn inzwischen wirklich in Herz geschlossen.  Auch wenn er  nicht so schüchtern war wie ich, so vermied Jamie doch gerne große   Menschenmassen und im Gegensatz zu Magda konnte man gut einen Abend mit  ihm  einfach auf der Couch vor dem Fernseher verbringen. Ich gebe zu,  dass er  manchmal etwas mürrisch und aufbrausend war, insbesondere, wenn  er am frühen  Morgen das Bett verlassen musste. Aber dann verzog er  sich meist einfach in  sein Zimmer und gut war‘s. Und er war schlau!  Manchmal kam ich mir fast schon  dumm neben ihm vor, und dabei war er  vier Jahre jünger als ich. Er hätte auf  die Uni gehen sollen, nicht  ich, aber daran schien er kein Interesse zu haben.  Dieses galt nämlich  vorrangig der Umwelt. Magda und ich mussten uns des Öfteren  eine  Standpauke darüber anhören, dass mir zu viel Wasser verbrauchten oder   wieder einmal das Licht in der Küche brennen ließen. Und er hatte ja  Recht  damit, wir sollten wirklich mehr an unsere Umwelt denken.
Und  jetzt stand ich vor der Schwierigen Entscheidung, was  ich mit Magda  machen sollte. Sollte ich sie wirklich auf die Straße setzten?  Dafür  dass sie mit meinem Freund geschlafen hat, hätte sie es verdient. Aber   ich musste auch eingestehen, dass ich nicht ganz unschuldig daran war,  dass sie  sich dazu gedrängt fühlte, sich an mir zu rächen. Und sie  hatte Geld, Ideen und  Mühen in den Umbau unseres Hauses gesteckt. Und  nicht zuletzt war sie meine  Cousine. Konnte ich wirklich ein  Familienmitglied auf die Straße setzen? Ich  wusste es nicht.