Kapitel 66: Ultimatum
In den folgenden Wochen malte in ununterbrochen. Und als  ich zwei Serien von Bildern fertiggestellt hatte, rief  ich Melinda an.  Meine Galeristin war sofort Feuer und Flamme, hatte ich doch  schon  lange keine neuen Bilder mehr abgeliefert. Sie kam noch am selben Tag   vorbei, um sich meine neusten Werke anzusehen. Obwohl ich das Prozedere  fast  schon auswendig kannte, war ich dennoch so aufgeregt wie beim  ersten Mal, als  ich ihr ein Bild präsentierte. Gespannt wartete ich auf  ihr Urteil. 
„Klaudia,  diesmal haben Sie sich selbst übertroffen“, schwärmte  Melinda. „Die  Bilder sind fantastische. Die Motive, die Komposition, die  technische  Ausführung…das sind wahre Meisterwerke.“ Ich hört ihr mit offenem  Mund  zu. „Wir müssen sofort eine Ausstellung planen. Vielleicht könnten Sie  ja  noch einige weitere Bilder malen. Und dann sollten wir daran denken,  die Bilder  nicht nur hier in Rodaklippa, sondern auch in Simnorsk oder  gleich in SimCity  zu zeigen. Die Leute werden begeistert sein.“
		 
	 
Eine  Ausstellung in SimCity war schon immer mein Traum  gewesen. Melinda  musste mich also nicht lange von dieser Idee überzeugen.  Begeistert  tauschten wir Ideen für weitere Bilder aus und Melinda begann sich   schon Gedanken über die notwendige Werbung zu machen. Wir waren so in  unser  Gespräch vertieft, dass ich gar nicht bemerkte, wie meine  Schwiegermutter, die  im Garten mit Lottchen gespielt hatte, nun mit  meiner Tochter auf dem Arm die  Treppe hinaufstieg. Einen Moment blieb  sie bei uns stehen und lauschte unsere  Unterhaltung. Dann brachte sie  Lottchen in ihr Zimmer. 
		 
	 
Als  sie wieder aus Lottchen Zimmer kam, standen Melinda und  ich vor den  beiden Bildern, die ich von meiner Tochter gemalte hatte. „Ich  schätze,  dass Sie sich von diesen beiden Bildern nicht trennen wollen, nicht   wahr, Klaudia?“ „Nein, diese beiden stehen nicht zu Verfügung“, bejahte  ich  ihre Frage. „Zu schade, zu schade.“ Wir unterhielten uns noch einen  Moment,  doch dann musste Melinda auch wieder weiter. Aber wir machten  einen Termin für  nächste Woche aus, um weiter Details meiner  Ausstellung zu besprechen. 
		 
	 
Ich  hatte Melinda gerade verabschiedet und die Tür kaum  hinter mir  geschlossen, als Lady Eleonore auch schon auf mich zu kam. Und sie  sah  nicht erfreut aus…ich meine noch weniger, als sie es ohnehin schon tat.   „Klaudia, ich hoffe dir ist klar, dass du diese geplante Ausstellung   augenblicklich absagen musst. Ich wollte dich nicht in Gegenwart einer  Fremden  belehren, aber für die Lady von Rodaklippa ist es undenkbar,  dass sie Bilder  zum Verkauf anbietet, wie eine einfache  Straßenkünstlerin.“
		 
	 
Die  Worte meiner Schwiegermutter waren wie ein Schlag ins  Gesicht.  „Aber…aber wieso?“, stammelte ich. „Es sind doch nur Bilder. Ich  schade  doch niemandem damit.“ „Klaudia, bist du denn wirklich so naiv? Dieser   Frau, dieser Melinda, geht es doch in erster Linie gar nicht um deine  Bilder,  sondern lediglich um den Namen Hartfels. Was glaubst du was für  eine Wirkung  dein Name hat? Die Leute würden deine Bilder kaufen, egal  was darauf zu sehen  ist, alleine weil sie von der Lady von Rodaklippa  gemalt wurden. Und was würde  das für den Ruf unserer Familie bedeuten?  Wir würden wie eine geldgierige Bande  wirken, die vor nichts  zurückschreckt, um ihren Reichtum weiter zu mehren. Die  Presse würde  sich ihr Maul über uns zerreißen. Und das Letzte was wir  gebrauchen  können, ist das wir in diesen ohnehin schwierigen Zeiten, in denen  hinter jeder Ecke ein Republikaner lauert, der uns stürzen will, negativ  beim  Volk auffallen. Du hast doch selbst miterlebt, wie heftig die  Proteste bei  Francescos letzten öffentlichen Auftritten waren.“
		 
	 
„Und  Kunst ist zudem ein so kontroverses Thema. Die Menschen  interpretieren  gerne Dinge in Bilder hinein, die sie dort sehen wollen.  Bevorzug  solche Dinge, die einen Skandal hervorrufen werden. Es ja spricht   nichts dagegen, dass du zu deinem Vergnügen malst und mit den Bildern  euer Haus  verschönerst. Und wenn du ab und an eines deiner Bilder,  bevorzugt harmlose  Landschaften, dem Krankenhaus spendest oder sie bei  einer wohltätigen Tombola  als Preis zur Verfügung stellst, dann gewinnt  unsere Familie dadurch sogar an  Ansehen. Aber dass du mit deinen  Bildern Geld verdienst, das ist undenkbar und  völlig inakzeptabel.  Klaudia, ich sage dir das nicht, um dich zu kränken oder  weil es mir  Spaß macht, dich zu quälen. Aber du bist jetzt die Lady von  Rodaklippa  und als solche musst du bei jeder deiner Handlungen darüber  nachdenken,  welche  Auswirkungen diese auf deinen Mann und die Familie  haben. Und  wenn dir diese Weitsicht fehlt, dann sehe ich mich leider gezwungen,   dich auf deine Fehler hinzuweisen.“
*****
Ich  befand mich in einer Schockstarre. Ich war nicht in der  Lage, mich  gegen meine Schwiegermutter aufzulehnen, und schon gar nicht ihr ein   gutes Gegenargument zu liefern. Wie in Trance ging ich in Lottchens  Zimmer,  nachdem sie das Haus verlassen hatten. Ich nahm ein Buch aus  dem Regal und  begann meiner Tochter vorzulesen. Doch immer wieder  stockte ich im Text, den  mit meinen Gedanken war ich ganz wo anders. 
Ich  würde keine Bilder mehr verkaufen könne.  Dieser Gedanke war so furchtbar,  dass ich ihn lange nicht fassen  konnte. Doch dann wurde mir klar, dass ich ohne  die Malerei, und dazu  gehörte auch der Verkauf meiner Bilder, einfach nicht  glücklich sein  konnte.
Schon  als ich hörte, wie der Schlüssel im Schloss  gedreht wurde, sprang ich  vom Sofa auf. Francesco schaffte es gerade noch,  seine Aktentasche  abzustellen, als ich auch schon auf ihn einstürmte. „Du musst  mit  deiner Mutter reden, Francesco! Sie hat gesagt, ich darf meine Bilder  nicht  mehr verkaufen. Nicht einmal ausstellen soll ich sie. Das würde  sich für die  Lady von Rodaklippa nicht gehören. Das kann nicht ihr  Ernst sein! Du musst mit  ihr reden!“
		 
	 
„Klaudia,  nicht so hastig“, unterbrach er mich mit ruhiger  Stimme. „Was genau  ist denn vorgefallen, während ich im Rathaus war?“ Ich  berichtete ihm  von Melindas Besuch, den Ideen zur Ausstellung und der Reaktion  seiner  Mutter auf unsere Pläne. Doch leider merkte ich schnell, dass er meine   Empörung über Lady Eleonores Aufforderung an mich nicht teilte.  „Klaudia,  Mutter hat vermutlich Recht. Mit dem Verkauf deiner Bilder  könntest du wirklich  ein ungünstiges Licht auf unsere Familie werfen.  Ich verstehe, dass du nicht  bloß tatenlos Zuhause rumsitzen möchtest.  Aber in dem Fall findet Mutter sicher  eine Position als Schirmherrin  einer wohltätigen Organisation für dich. Das  wird eindeutig der bessere  Weg sein.“
		 
	 
Aber  ich wollte nicht die Schirmherrin irgendeiner doofen  Organisation  sein! Ich wollte malen! Und das teilte ich Francesco auch  lautstark  mit. „Ich liebe meine Kunst und ich werde sie nicht aufgeben. Ich  male  schon seit ich ein Kind bin und ich bin gut darin, Francesco! Es ist die  einzige  Sache, in der ich wirklich gut bin, und das willst du mir mit  deiner Mutter  jetzt wegnehmen?“ „Klaudia, du darfst ja weiterhin malen.  Mutter sagt nur…“  Doch jetzt platzte mir endgültig der Kragen. „Ich  höre immer nur ‚Mutter sagt‘  und ‚Mutter will‘. Ich weiß, dass sie dir  wichtig ist, Francesco, aber ich bin  deine Frau! Ich! Du solltest auf  meiner Seite stehen! Und jetzt verlange ich  von dir, dass du zu ihr  gehst und ihr erklärst, dass du damit einverstanden  bist, dass ich  meine Bilder weiterhin ausstellen und verkaufen kann, ganz egal,  was  sie davon hält.“
		 
	 
Ich  erschrak selbst über meine Worte, kaum dass ich sie  ausgesprochen  hatte. Wo hatte ich bloß den Mut her genommen, so mit Francesco  zu  reden? Als ich nun in seine zusammengekniffenen Augen blickte, dich mich   kalt anstarrten, hätte ich am liebsten alles zurückgenommen und ihn um   Verzeihung angefleht. Doch dazu ließ er mir gar keine Möglichkeit,  denn er  drehte sich wortlos um und verließ mit einem lauten Türknallen  das Haus. 
Das  Knallen der Tür war so laut, dass selbst Lottchen davon  wach wurde,  die zuvor noch in ihrem Bettchen geschlummert hatte. Vielleicht  wäre  ich Francesco ja nachgelaufen, aber das Weinen meiner Tochter konnte ich   einfach nicht ignorieren und eilte umgehend in ihr Zimmer.
„Ist  ja gut, mein Spätzchen“, beruhigte ich mein Mädchen und  nahm sie auf  den Arm. „Das war nur der Wind. Alles ist gut.“ Und unter meinen   liebevollen Streicheleinheiten beruhigte sich Lottchen schnell wieder.  Ich  wünschte, meine Tränen wären auch so einfach getrocknet, doch sie  bahnten sich  gerade erst ihren Weg in die Freiheit. Ich hatte Angst.  Angst weil ich wusste,  dass Francesco wütend war und Angst, weil ich  keine Ahnung hatte, wo er  hingegangen sein könnte und wann er  wiederkommen würde.