„Mensch, Penny, du hast dich ja mehr als rar gemacht in den letzten Wochen. Ist alles in Ordnung?“
Mel musterte sie kritisch. „Du siehst aber nicht übel aus, der neue Job scheint dir gut zu bekommen.“
Penny sah sie zerknirscht an. „Tut mir leid, dass ich mal wieder keine Zeit hatte. Aber der Job ist so interessant, es ist alles so anders bei Urban Ents, ich will keinen Fehler machen ...“
„... und arbeitest mal wieder rund um die Uhr.“, fiel Mel ihr ins Wort.
„Nein, tue ich nicht. Dafür sorgt Erec schon. Immer, wenn ich abends noch im Büro bin, lädt er mich zum Essen ein. Also mache ich meist ziemlich pünktlich Feierabend.“
„Schön blöd.“ brummte Mel. „Aber du nimmst dir die Arbeit mit nach Hause.“
„Nein, das ist verboten.“
„Wie, verboten?“ Mel sah sie ungläubig an. „Nur für dich oder für alle?“
„Für alle. Erec will das nicht. Er will Teamarbeit und nicht, dass sich alle gegenseitig Konkurrenz machen, und wenn er etwas sucht, will er es in der Firma finden und nicht bei irgendwem zu Hause. Urban Ents ist nicht so groß, im Grunde weiß er über alles Bescheid, was gerade läuft. Und er ist wirklich so anders, wie ich dir gesagt habe. Ich hab noch nie von einer Firma gehört, wo es so entspannt läuft.
Kein Zickenkrieg - naja, Rachel ...“ Penny verzog das Gesicht und Mel nutzte die Pause.
„Lass mich raten. Sie ist die Chefsekretärin und selbst scharf auf ihn.“
„Naja, so ungefähr.“ Penny musste grinsen. „Aber ansonsten sind alle sehr nett zu mir, und sie würde wohl ziemlich auflaufen, wenn sie ernsthaft versuchen würde, mir Ärger zu machen. Solange sie es nicht übertreibt, kann sie ruhig zicken, aber diese ewigen Kleinkriege, wie wir sie von UC kennen, gibt es gar nicht.“
Penny sah Mel an. „Ja, ja, ich weiß, es klingt unglaublich. Aber wie läuft es denn bei dir? Ich weiß nicht recht, ob ich mich für dich freuen soll, dass du durch meine Kündigung deinen Job wiederhast. Ich bin so froh, dass ich dort weg bin.“
Mel lachte. „Da Mike weiß, dass ich weiß, dass er mich braucht ... Nachdem du weg bist, ist er bedeutend vorsichtiger mit seinen Sprüchen geworden. Ich war ja immer besser darin, ihn auflaufen zu lassen, als du. Und ihm ist sonnenklar, wenn er den Bogen überspannt, kann ihm sowas wie mit dir nochmal passieren. Typen wie wir wachsen ja nun zum Glück auch nicht auf Bäumen. Du stehst nicht mehr zur Verfügung, und wenn ich ihm auch noch abhaue, hat er ein ernsthaftes Problem. Er kann ja nicht nur Spinner beschäftigen, irgendeiner muss die Arbeit machen. Und niemand kennt den Laden - und den Job - so gut wie wir.“
Mittlerweile hatten sie die Kunsteisbahn erreicht und liehen sich Schlittschuhe aus. Penny fühlte sich eingerostet und übte verbissen, während Mel etwas lustlos ihre Kreise zog.
Als sie einen großgewachsenen, attraktiven Mann entdeckte, der auf die Bahn zusteuerte, ging ein Leuchten über ihr Gesicht. Schnell war sie an der nächstgelegenen Bande und überprüfte den Sitz ihrer Schuhe.
Als sie wieder aufblickte, begrüßte er gerade Penny. Als pfiffigem Mädchen und bester Freundin war ihr sofort klar, wer er war. Sie atmete dreimal tief durch, um sicher zu sein, dass sie ihre Venusfliegenfallen-Ausstrahlung auch wirklich abgestellt hatte und wandte sich mit übertrieben fragendem Blick an Penny.
„Sag mal, ich soll deine beste Freundin sein und dann unterschlägst du mir sowas?“ Mel klimperte Erec mit großen Kulleraugen an und richtete ihr Haar. „Willst du mich nicht vorstellen?“
„Mel, das ist Erec Warden, mein neuer Chef. Erec, Mel Jacoby. Meine beste Freundin, falls sie mir den faux pas verzeihen sollte.“
Erec griff nach Mels Hand. „Ich bin sehr erfreut, dich endlich kennenzulernen. Ich muss mich noch bei dir bedanken.“
„Bedanken?“ Mel sah Erec fragend an, während Penny bei der Erinnerung an die Szene noch nachträglich errötete.
„Erspar mir das, bitte.“
„Einer schönen Frau kann ich doch nichts abschlagen.“ Er wandte sich wieder an Mel. „Du hältst jetzt also Pennys Stellung bei Urban Chaos?“
„Ja, seit Penny die Flucht ergriffen und Mike mich mit mehr Geld geködert hat. Es war eine gute Gelegenheit, und genau genommen verdanke ich das wohl dir. Erec Warden, der Robin Hood der armen, arbeitenden Frauen.“ erwiderte sie lachend.
„Gern geschehen. Ich finde das Arrangement so bedeutend besser. Nicht, dass ich dir deinen Chef dort gönne - ich bin natürlich der Traum-Chef schlechthin, zumindest behaupten das die Leute.“, grinste Erec. „Aber ich kann mir vorstellen, dass du mit ihm besser zurechtkommst. Oder?“
Mels Lachen verschwand, sie schwieg einen Moment. „Ziemlich gut beobachtet. Was kannst du sonst noch?“
„Zwei schöne Frauen zu einem Drink einladen?“
„Das ist doch mal ein Vorschlag.“ Mel hakte beide ein. „Ab ins Café, ich bin für heute genug gestolpert.“
„Ich möchte nicht, geht ihr nur allein. Ich will noch etwas laufen, ich hatte so wenig Bewegung in letzter Zeit.“
Mel sah Penny fragend an. „Bist du sicher?“
„Ja, geht nur. Ich komme dann nach.“
„Wie du willst, das ist deine Show.“ Mel schüttelte verständnislos den Kopf und zog dann Erec in Richtung Café. „Lass uns gehen, vielleicht überlegt es sich unsere Eisprinzessin noch anders.“
„So, beste Freundin, was willst du wissen?“ Erec nickte Mel auffordernd zu. „Jetzt kommt doch das Verhör, oder nicht?“
Mel blieb ernst. „Nicht unclever. Aber ganz im Ernst: Was willst du eigentlich von Penny? Wenn du ihr wehtust ...“ Ihre Augen verengten sich.
Erec lehnte sich zurück, fixierte Mel und schwieg eine Weile. „Was ich eigentlich von ihr will, das sage ich ihr selbst, beste Freundin. Und ich habe nicht vor, ihr wehzutun. Ich fürchte allerdings, dass es passieren kann, selbst wenn ich mich noch so sehr bemühe, sie zu schützen. Sie ist sehr leicht zu verletzen, richtig? Es ist in der Vergangenheit nicht nur einmal passiert, nehme ich an. Und sie hat Angst. Ich bin auch nur ein Mensch, ich kann nicht garantieren, dass alles, was ich sage und tue, nur gut für sie sein und sie nicht schmerzen wird.
Aber ich will sie nicht verletzen, und ich werde mein Bestes tun.“
Seine Stimme wurde wärmer. „Wir sind auf derselben Seite, Mel.“
Mel sah aus dem Fenster, wo Penny ihre Runden drehte.
„Du verstehst es sehr gut, dich glaubwürdig zu verkaufen. Aber ich habe schon zu viele erlebt, die das auch gut konnten, und es war nichts als Show. Also sieh es mir nach, dass ich misstrauisch bin. Ich habe Penny sehr gern, wir kennen uns schon lange, und irgendjemand muss ein bisschen auf sie aufpassen. Und ich werde nicht plötzlich damit aufhören, nur weil du aufgetaucht bist.“
„Das ist okay, das verstehe ich. Ich hoffe nur, dass du mir eine Chance gibst.“
„Und ich möchte dich etwas fragen, Mel. Ist vor etwa drei Monaten etwas mit Penny passiert, etwas Schlimmes?“
„Warum willst du das wissen? Hast du von ihr geträumt, bist du etwa sowas wie ein Hellseher?“ Mels Stimme klang ironisch.
Erecs Antwort kam ganz selbstverständlich und ohne zu zögern. „Sowas wie, ja. Ich weiß nicht, was es war, aber es muss zu bemerken gewesen sein. Ist dir nichts aufgefallen?“
Mel sah auf ihre Hände, an die Decke, aus dem Fenster. Man sah ihr an, dass sie grübelte, und man sah ihr an, dass die Frage ihr sehr unangenehm war.
„Da war was. Aber sie hat nie etwas erzählt, und es geht ihr manchmal nicht so gut, also bin ich nicht weiter in sie gedrungen, und sie hat auch später nicht davon angefangen. Aber jetzt, wo du fragst... Irgend etwas muss passiert sein, sie war anders als sonst. Soll ich versuchen, mit ihr zu reden?“
„Nein, besser nicht. Danke, dass du es mir gesagt hast.“
Penny trat neben ihn und seine Augen leuchteten auf.
„Penny, endlich, ich dachte schon, Mel singt schmutzige Lieder, bevor du kommst.“
„Von wegen. Dich trinke ich auf nüchternen Magen unter den Tisch.“
Das Geplänkel ging weiter und Penny atmete auf. Was auch immer die beiden zu klären hatten, es war jetzt okay.