So, fertig.
Ist ein kleines, klitzekleines Kapitelchen. Deshalb gibt´s auch keine Lupenbilder, und alle waren brav, deshalb gibt´s auch keine Outtakes.
Ich hoffe, ihr habt trotzdem Spaß.
Ich war Runcal in meinen Träumen begegnet.
Ich hatte begonnen, Runcal zu vertrauen.
Und ich hatte ihm alles – fast alles – anvertraut, was mich bewegte und was wir planten.
Die Erkenntnis streckte mich nieder wie ein Keulenschlag; ich fühlte mich wie betäubt, mir schwindelte und ich konnte mich kaum auf den Beinen halten.
Dann durchschnitt Shainaras Stimme die dröhnende Stille in meinem Kopf.
„Das ist nicht Runcal."
Sie kniete vor der Pritsche und hielt ihren Blick starr auf den Mann gerichtet, ihre ganze Konzentration galt ihm.
„Was soll das heißen, das ist nicht Runcal?" fragte Leodric scharf.
Shainara legte die Hände um das Gesicht des Mannes. Er hob den Blick und sah sie an, dann begann er, am ganzen Körper zu zittern.
„Es bedeutet", sagte Shainara langsam, „dass das hier nicht Runcal
ist. Es ist nur jemand, der wie Runcal
aussieht."
„Aber – wie ist das möglich?" stieß Alec hervor.
„Es ist eine Illusion." Immer noch hielt Shainara den Mann mit ihrem Blick gefangen.
„Ein machtvoller Täuschungszauber, der uns etwas sehen lässt, das es nicht gibt.
Die Bänne um diesen Kerker sorgen dafür, dass Runcal seiner Macht beraubt ist und man dieses Verlies durch Magie weder betreten noch verlassen kann.
Und das bedeutet, dass jemand anderes diesen Zauber gewirkt hat. Und dass derjenige durch die Tür gekommen ist."
Leodric stieß einen unterdrückten Schrei aus und schlug mit der Faust gegen die Tür. Aus seinen Augen loderte blanker Zorn.
„Neiyra", sagte Shainara, und ich fuhr zusammen.
„Ich brauche Deine Hilfe. Ich habe meine volle Kraft noch nicht zurück erlangt, und das hier ist heikel."
Zögernd trat ich an die Pritsche heran. Es fiel mir schwer, diesem Mann ins Gesicht zu sehen, mich ihm auch nur zu nähern.
„Was kann ich tun?", fragte ich leise.
„Wir müssen seinen Geist festhalten", erwiderte Shainara.
„Damit er uns nicht entgleitet, wenn ich den Zauber breche. Es könnte sonst sein Tod sein."
Ich kniete mich neben Shainara, schloss kurz die Augen und versuchte, mich zu öffnen für was auch immer Shainara vorhatte.
Fast sofort konnte ich es spüren; den Kern einer Präsenz, gefangen innerhalb dieses Körpers, dessen Äußeres mir so schmerzlich vertraut war.
Verzweifelt kämpfte der Mann an gegen das, was ihn band; verurteilt zu stummer, panischer Hilflosigkeit.
Seine Schreie drangen nicht nach außen, und das Zittern des Körpers war nur ein schwaches Echo seiner Raserei im Innern.
Entsetzt versuchte ich, zu ihm vorzudringen, doch Shainara hielt mich zurück.
„Warte", sagte sie, „wir müssen behutsam vorgehen. Wir haben nur einen Versuch."
Ich nickte stumm und zog meinen Geist zurück, folgte Shainaras Führung.
Ich konnte spüren, dass sie begann, eine Art leuchtenden Kokon um die gefangene Seele zu legen, langsam und vorsichtig; und ich bemühte mich, die pulsierende Kraft, die von ihr ausging, zu verstärken und zu stabilisieren.
Bereits nach kurzer Zeit ließ das Toben im Innern nach, und als der Geist des in dem Körper eingekerkerten Mannes ganz in eine schimmernde, leuchtende Blase gehüllt war, hatte er sich fast vollständig beruhigt; ich spürte nur noch eine erwartungsvolle, angsterfüllte Hoffnung.
„Neiyra", sagte Shainara leise, und ich nickte, ohne den Blick von diesen weit aufgerissenen, starr auf Shainara gerichteten Augen abzuwenden, in die ich schon so oft geschaut hatte; und in deren Tiefe ich jetzt nichts mehr finden konnte.
„Neiyra, Du musst seinen Geist festhalten, während ich den Zauber breche. Kannst Du das tun?"
Erneut nickte ich und konzentrierte mich ganz auf das Wesen des vor Furcht wie erstarrt wirkenden Mannes und die ihn umgebende, schützende Hülle.
Ich fühlte, wie Shainara sich langsam zurückzog und die Seele des Mannes drohte mir zu entgleiten; ich biss die Zähne zusammen und richtete all die Kräfte, die mich durchströmten, auf ihn, bis ich nichts mehr wahrnahm außer ihm und mir selbst und dem Band, das ihn hielt und ihn fest und sicher an meinen eigenen Geist fesselte.
Ich spürte, wie eine gewaltige Woge aus reiner Kraft uns zu umspülen schien und uns zu verschlingen drohte; und dann hörte ich Shainaras Stimme in meinem Kopf.
„Jetzt, Neiyra!" rief sie, und ich bot alle Kraft auf, die mir noch zur Verfügung stand.
In einem blendenden Blitz jagte Shainara die Kraftwoge in ungeahnte Höhen, und als die schützende Hülle um die Seele des Mannes zerbarst, fühlte ich, wie Shainara nach uns griff und uns aus diesen tobenden Kraftfluten an die Oberfläche des Bewusstseins zurück führte.
Keuchend holte ich Atem, doch dann spürte ich, dass etwas geschah, und meine ganze Aufmerksamkeit richtete sich auf das Gesicht des Mannes vor mir.
>>KLICK<<
Langsam, fast unmerklich, verblasste Runcals Antlitz, und das eines anderen, mir fremden Mannes gewann die Oberhand, verstärkte sich mehr und mehr, bis nichts mehr von Runcals Bild übrig war.
Als die Verwandlung vollständig war, stieß der Mann einen klagenden, schmerzerfüllten Schrei aus, dann verdrehte er die Augen und sackte in Shainaras Armen zusammen.
Alec und Leodric sprangen vor und legten ihn behutsam auf die Pritsche.
Leodric strich dem bewusstlosen Mann eine Strähne aus dem Gesicht.
„Verdammt", sagte er.
„Das ist Lyall. Er gehört zu meinen besten Männern."
Artair und Brayan halfen Shainara und mir beim Aufstehen.
Ich war froh, mich auf Brayan stützen zu können; mir zitterten die Beine, und Shainara war leichenblass und klammerte sich an Artairs Arm.
Wütend lief Leodric im Kerker auf und ab.
„Lyall wurde vermisst, wir haben ihn überall gesucht. Erfolglos, wie man sehen kann."
Er blieb stehen und starrte den regungslosen Mann auf der Pritsche an.
„Wir hätten an so etwas denken müssen", stieß er gepresst hervor.
„Niemand hätte dies vorhersehen können." Artairs Stimme war ruhig.
„Seit wann wird Lyall vermisst?"
Alec schüttelte den Kopf.
„Wir konnten es nicht genau feststellen. Es schien, als ob alle Wachen nur noch eine verschwommene Erinnerung daran hatten, wann sie Lyall das letzte Mal gesehen hatten."
„Zweifellos kennen wir jetzt den Grund dafür", sagte Leodric bitter.
Er drehte sich zu Shainara um.
„Was ist hier geschehen?"
„Das müssen wir herausfinden." Shainaras Stimme klang müde.
„Ich habe eine recht klare Vorstellung, aber ich will zuerst mit Raghnall sprechen. Jetzt sofort. Er ist auch hier eingekerkert, er könnte etwas bemerkt haben."
„Traut Ihr ihm?" In Leodrics Stimme schwang Zweifel mit.
„Ja", sagte Shainara schlicht.
Leodric nickte kurz. „Dann folgt mir."
Entschlossen schritt er zur Kerkertür und bedeutete den Wachen, sich um den noch immer besinnungslosen Lyall zu kümmern, während sich Shainara, Alec, Artair und Brayan anschickten, ihm zu folgen.
„Wartet", sagte ich leise, und meine Stimme klang heiser.
Niemand schien mich zu hören, und einen Moment lang war ich versucht, sie einfach gehen zu lassen.
„Wartet!", rief ich dann laut, und alle blieben stehen, wandten sich zu mir um und sahen mich überrascht an.
Ich sah Artair in die Augen und konnte meinen Blick nicht lösen.
„Ich muss euch etwas erzählen", flüsterte ich.
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Stammbaum ~
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