Kapitel 13: Die fetten Jahre sind vorbei*
*zumindest für Eberhard
„Seltsam“, denkt sich Wiebke beim Einseifen unter der Dusche, „nun esse ich schon nur noch ein Macchiavelli-Ei pro Tag und werde meinen dicken Bauch trotzdem nicht los!“. Die frischgebackene Frau Stutenbrock (ehemals Fräulein Stutenbrock) ahnt ja nicht, daß sie weiterhin Pfefferminzbonbons anstelle von Verhütungsmittel schluckt, und freut sich lediglich darüber, daß die Pille neuerdings so angenehm minzig-frisch schmeckt. Die Lust am nun gesetzlich abgesicherten Techtelmechteln tut ihr Übriges dazu, daß die Diät nicht anschlagen will.
„Da ist ja jetzt schon Hopfen und Malz verloren!“ stellt Opa Dietmar verdrossen fest. Da bemüht er sich nach Leibeskräften, seiner geliebten Enkeltochter künstlerische Flausen gleich im frühkindlichen Stadium auszutreiben, und das erste Wort, das ihr über die Lippen kommt, ist ausgerechnet ‚Staffelei’ (na gut, eigentlich sagt sie „Schaffhei“, aber Dietmar weiß schon, was sie damit meint). Dabei liest er ihr doch jeden Tag die Börsenkurse aus der Zeitung vor, und benutzt Auszüge aus dem „Großen Lexikon der Kaffeesorten“ als Gute-Nacht-Geschichten. Ein Buch, das Ingeborg sensationell schnell zum Einschlafen bringt, immerhin.
„Ach blöd!“ sinniert Nkosi vor dem Spiegel. Die Diamanten sind wohl futsch, die Eltern haben aus der Heimat bereits einen langen Brief geschickt, dessen nicht sonderlich freundlich formulierter Inhalt in der Botschaft mündet, daß der treulose Sohn nicht länger dem Familienverband angehöre und die Diamantenmine an seinen jüngeren Bruder falle – der auch praktischerweise gleich das Mädchen heiraten wird, das eigentlich Nkosi zugedacht war. Der seither Geächtete habe es ja bisher nicht einmal geschafft, mit seiner neuen Frau (die in besagtem Brief nur unter der Bezeichnung „Hure von Babylon“ firmiert) einen männlichen Stammhalter zu produzieren. Der größte Skandal für Mama und Papa Nkukuleke ist jedoch, daß ihr verstossener Sohn auch noch den Namen der Ehegattin angenommen hat. Ungeheuerlich!
„Wau, ist das romantisch!“ haucht Eberhard verzückt, als Josef am Strand von Mykonos vor ihm niederkniet und ihm die Verlobung anträgt. „Ist ein Regenbogenstein im Birnenschliff!“ verkündet der Antragsteller stolz. „Den habe ich am Eingang der Mine entdeckt!“ Eberhard wäre es auch recht gewesen, wenn sein Angebeteter den Klunker aus einem Überraschungsei gepult hätte, so überwältigt ist er vom galoppierenden Nahen der Hochzeitsglocken. Selbstredend nimmt er den Antrag umgehend an.
Wie können sich zwei brotlose Existenzen einen Griechenlandurlaub leisten, wird sich die geschätzte Leserschaft fragen. Nun, das geht ganz einfach, wenn vorher die Frau Mama ihren prallgefüllten Gemüsekorb aus perfekten Erzeugnissen im Supermarkt verkauft und das Bündel aus Tausenderscheinen ihrem geliebten und überaus verzogenen Sohn zusteckt.
„Uuh gruselig!“ schießt es Bärbel durch den struppigen Kopf, als sie eines schönen Tages mal wieder Familie Bruhns besucht und dort lediglich ihren zum Schulkind gereiften Neffen antrifft. Kevins Trick, die Augen soweit zu verrollen, daß nur noch das Weiße zu sehen ist, hat bereits in der Schule für Furore gesorgt, denn jeder Lehrer meint inzwischen, das Kind sei vom Bösen besessen – was ihm nun Einiges an überflüssigem Hausaufgabengedöhns erspart, sobald er widerspenstigen Paukern mit Verfluchung droht. Da hat sich das Gucken von „Der Exorzist“ Teil 1-4 ja doch gelohnt.
Bei seiner störrischen Tante funktioniert’s leider lange nicht so gut – die stellt ihre lästigen Besuche (angefüllt mit inquisitorischen Fragen zu Mannis wiedergewonnener Leibesfülle bis hin zu Mai Tais Verschwendungssucht) auch nicht ein, nachdem er ihr ein sofortiges Vorstellungsgespräch bei Satan prophezeit. Da setzt es stattdessen nur eine Ohrfeige mit anschließender Gardinenpredigt zum Thema „Mangelnde erzieherische Fähigkeiten von Herr und Frau Bruhns“.
Letzten Endes haben sich die entbehrungsreichen Jahre des Kaffeekochens dann doch gelohnt: Dietmar ist zum Super-Broker aufgestiegen und wird nun künftig mit der Stretchlimousine zur Firma gebracht. Und in einigen Jahren wird er dann soviel an Bonuszahlungen und Gewinnausschüttungen eingestrichen haben, daß er die Voolcool-Corporation gleich ganz übernehmen kann! Endlich steht ein Leben in Saus und Braus vor ihm. Dumm nur, daß er gar keine Zeit mehr findet, sein Vermögen wirklich genießen zu können. Er hetzt von Meeting zu Meeting, um das Riesengeflecht aus Shareholdern und Anteilseignern kontrollieren zu können, zudem er seinen Steuerberatern und Bankmanagern permanent auf die Finger schauen muss, damit die sich nicht mit seinen Kapitaleinlagen nach Rio de Janeiro absetzen. Irgendwie sehnt sich Dietmar nach der Zeit zurück, als seine einzige berufliche Sorge die korrekte Milchschaumkrone auf dem Latte für Frau Landgraf war.
Wiebke hatte Nkosi ja einen Fussballer versprochen, doch Ingeborg erweist sich als extrem unsportlich. Weder kann sie einen Ball fangen noch mag sie mit ihrem Vater joggen gehen. Vielleicht sollte er ihr erstmal das Laufen beibringen? Ungeachtet ihrer bisherigen Unsportlichkeit liebt Nkosi seine Tochter abgöttisch, außerdem stirbt die Hoffnung zuletzt. Im Antiquariat wurde „Manni der Libero – das Bilderbuch zur Fernsehserie“ ausfindig gemacht, und nun muss sich Ingeborg jeden Abend Fotos von einem pubertierenden Thommi Ohrner anschauen, während ihr Papa ihr erläutert, was eine Blutgrätsche ist.
Och nöö, nicht schon wieder! Wiebke kann nicht fassen, daß sie gleich nach Ingeborgs Geburt erneut einen kugelrunden Bauch bekommt. Dabei wollte sie doch endlich mit ihrer literarischen Karriere durchstarten. So wird das ja nie was mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis!
Zudem sie nicht weiß, wie sie der Familie den erneuten Babysegen beibringen soll. Das Haus platzt jetzt bereits aus allen Nähten – und teilt damit das Schicksal ihrer altrömischen Schwangerschaftstoga. Weswegen sich Wiebke für ein floral gemustertes Sommerkleid entschieden hat, mit dem sie sich in Bärbels Gemüsebeet stellt. So gut getarnt fällt der Babybauch erstmal nicht auf, und Wiebke benötigt Zeit, um einen Plan auszuhecken.
Da fällt Eberhard doch glatt die Kinnlade herunter. Soeben hat ihm seine große Schwester mitgeteilt, daß sie sein altes Kinderzimmer für ihre Babys requirieren wird und er sich samt Verlobtem doch bitteschön eine eigene Bleibe suchen soll.
Das ist natürlich ein arger Schock – mit ihren geringen Einkünften kann sich das künftige Ehepaar Hitzlsperger wohl kaum den angestrebten Bungalow mit Meerblick leisten, den Josef schon eifrig plant. Und wer soll den beiden dann die Hemden bügeln oder die morgendlichen Wassermelonenpfannkuchen zubereiten, wenn sie so grausam von Mama Bärbel getrennt werden?
Das klappt doch schon ganz prima, stellt Nkosi fest. Vielleicht hat er noch etwas verfrüht Ingeborg die Baby-Joggingschuhe übergestreift, aber immerhin kann sein Töchterlein schon erste wacklige Schritte machen. Nur am Speed muss noch gefeilt werden, bisher läuft das Kind ja erst 0,037 km/h und muss durchschnittlich alle 74 Sekunden eine Pause machen, indem sie sich auf ihren windelgepolsterten Popo plumpsen lässt.
Vielleicht ist das nächste Baby ja rasanter unterwegs, hofft der erfreute Vater. Jawohl, erfreut! Als Wiebke ihm die Nachricht vom erneuten Kindersegen überbrachte, wurde Nkosi ganz von Stolz erfüllt, schließlich wünscht er sich eine komplette Fußballmannschaft. Was er aber Wiebke verschweigt, denn die droht bereits bei der zweiten Schwangerschaft schlapp zu machen.
Das Schlimmste kommt zum Schluss: Eberhard und Josef müssen Bärbel mit dem Gedanken vertraut machen, daß sie bald getrennte Haushalte führen. Um den Schock abzumildern, wird Bärbels Tageshöchstform abgepasst – nämlich dann, wenn sie im Garten das Unkraut aus ihren Knoblauchbeeten zupft. Den blickdichten Bretterzaun hat übrigens Dietmar aufstellen lassen, damit die Nachbarn nicht mehr mit dem Finger zeigen, wenn seine Gattin mal wieder im baumwollenen Negligée die Gartenarbeit verrichtet.