Pussy Riot, oder die Frage der Moral

Margaret

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Im Ernst jetzt, ich habe vor, ein politisch-philosophisches-religiöses Thema zu eröffnen :ohoh: Irgendwo sonst passt es nicht, denn einen nicht-Deutschland-Politik-Thread gibt es nicht, zum religiösen passt es auch nicht ganz... hm. (Ansonsten gerne verschieben.)

Heute ist etwas kleines passiert, worüber ich euch gleich eine Geschichte erzähle. Und dann etwas frage^^

Nun ja. Auch die deutschen Nachrichten haben es gebracht, und deutsche Zeitungen, selbst Bild, zuvor auch. Aber von innen sieht es noch interessanter aus.

Also. Dank meiner teilweise russischen Wurzeln und dem Fernsehen bei meinen Eltern habe ich das Vergnügen, russische Politik beobachten zu dürfen. Hauptsächlich, um mich zu erinnern, wie gut Deutschland es hat. Oder einfach zur Unterhaltung (Masochismus??), denn solch unglaublichen heuchlerischen Spaß kriegt man nirgendwo sonst. (Deutschland muss natürlich die russische Politik nicht interessieren; bis auf die kleine Tatsache, dass Russland zu viele Waffen und zu viele Ressourcen hat und gerade auf dem besten Weg ist, Deutschland's Entwicklung vor dem zweiten Weltkrieg nachzuspielen.)

Die Geschichte von Pussy Riot, die gerade das Land heftig spaltet, ist einfach.

An einem wunderschönen Tag erschien diese provokante Möchtegern-Girlband in der Hauptkathedrale des Landes, in bunten Kleidern und Masken, und spielte dort ein Lied, eine Art "Punk-Gebet", wo sie a)eine unhöfliche Meinung über den aktuellen Kirchenoberhaupt kundgetan haben, b)Jungfrau Maria darum baten, Putin loszuwerden.

Aha, sagen die Kundigen bei dem letzten Punkt^^ Interessant wurde es, nachdem sie rausgeleitet wurden. Ein Paar Wochen Gemeinschaftsarbeiten? Eine Strafe? Eine Medaille, falls sie dies für Putin gemacht hätten? Nein, sie landeten im Untersuchungshaft, fünf Monate; dann kann es zu einer brillianten Farce, genannt ein Prozess, wo heute das Urteil gefallen ist.

Das war einfach zu köstlich; während die furchtbaren Verbrecherinnen ein bisschen gefoltert (kein Schlaf, wenig Essen, keine Toilette...) und in Handschellen hinter Gittern gesperrt wurden, sowie kaum Möglichkeiten bekam, sich zu verteidigen - wetterte die Anklage über ihre grauenvolle Teuflichkeit und präsentierte eine Reihe von Zeugen, die so erschreckend mit dem Anblick traumatisiert wurden, dass sie immer noch arbeitsunfähig sind. Besonders toll war es, dass es gesetzmäßig schwer war, sie richtig anzuklagen; offiziell herrscht in Russland die Meinungsfreiheit, also kann keiner vorwerfen, dass sie den Präsidenten angegangen haben (was eigentlich ja das kleine Problem war); Kirche war auch nicht die regierende Kraft und eigentlich ist es nicht mal verboten, in einer Kirche zu singen. (Apropos die orthodoxe Kirche, die dabei auch ihre Mühe gab. Es gibt da so einiges über diese Kirche, knallhart: sie ist sehr oft selbstgerecht und ganz intolerant. Ich darf es sagen, ich war dank meiner Großmutter orthodox getauft :D Aber das, was ich beobachte...) Nun, es wurde eine Beleidigung der Gefühle von gläubigen Menschen und Rowdytum in einer kirchlichen Einrichtung. (Es war auch von religiösem Hass die Rede. Die Mädchen haben sich im Übrigen entschuldigt, aber es hieß: um das wieder gutzumachen, sollen sie mindestens Buße ablegen und in ein Kloster gehen... Ich scherze nicht. DAS ist diese Kirche.)

2 Jahre im Knast. Für das Lied. Hätte ich auch so sagen können. Verlangt waren 7, aber zu viele Proteste, das besser nicht; freisprechen geht aber auch nicht, neinneinnein. Ich hätte mit 2-3 Jahren gerechnet, wo wurde es auch. Kurzum, alles perfekt geeignet, um aus "dummen provokanten Mädchen" Märtyrinnen zu schaffen.

Das Land zerbrach über diese Sache. Und das nicht mal, weil so viele gläubig sind; das eher weniger. Ein Teil, besonders regierungstreuer und der, der dem Fernsehen glaubt (oh glückliche Deutsche, die nicht wissen, was ein zombierendes Propaganda-Fernsehen ist...) hält sie für Ungeheuer und will, dass ihnen eins reingewischt wird. (Das beste Argument war "und hätten sie das in einer Moschee versucht?!" :rolleyes: Anscheinend sollen sie froh sein, dass sie nicht gleich verbrannt wurden^^) Die anderen sind der Meinung : "das war doof, aber das, was danach kam, war viel, viel schlimmer. Und es ist nicht gerecht so. Es sind politische Repressionen und Inquisition." Diese Duskussionen zu sehen, ist... faszinierend. Ich kenne da meine Meinung (es ist ein klar politischer Fall, und weder die Regierung, noch die Kirche bedeckt sich da mit Ruhm. Absolut widerlich. Wie im Mittelalter.)

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Nun ja. Und dann mal die Frage. Also, ich meine, außer politischer Bedeutung dieser Sache, die auch angesprochen werden darf, bzw. der Meinungen.

Mich interessiert es, wie sieht das ein anderer normaler deutscher Mensch. Wie wäre es in Deutschland (edit: oder Schweiz, oder Österreich)? Angenommen, jemand veranstaltet so was direkt im Kölner Dom. Ein politisches Lied, das, sagen wir mal, ein Loswerden von Merkel erbietet. Was würdet ihr sagen? Welche Strafe? Werdet ihr davon betroffen und beleidigt sein? Was wäre gerecht?
 
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Ich bin zwar Schweizerin aber erlaube mir doch was dazu zu sagen ;)

Meiner Meinung nach ist diese Haftstrafe masslos übertrieben... Sowas sollte gar nicht bestraft werden, schliesslich gibt es die Meinungsfreiheit.
Es ist allein schon katastrophal das die Frauen 5 Monate in Untersuchungshaft sassen...

Mich würde es nicht stören wenn hierzulande jemand ein politisches Lied, oder was auch immer tut, um gegen etwas zu protestieren, auch wenn es gegen die Regierung ist. Meiner Meinung nach muss Meinungsfreiheit gewährleistet sein.

Ich persönlich habe grossen Respekt vor den Damen das sie sich das in Russland getraut haben. Ich wüsste nicht ob ich den Mut hätte sowas in so einem Land zu wagen...

Für mich war dieser Prozess ein Schauprozess und ich denke das dient zur Abschreckung.

Wie gesagt bin ich nicht dafür das man überhaupt eine Strafe ausspricht.

Allerdings ist es ja in Russland nicht neu, das man verhaftet und weggesperrt wird wenn man der Regierung wohl nicht in den Kram passt. Soweit ich mich erinnere, wurden schon einige Menschen verhaftet und hart verurteilt.
 
Hier die rechtliche Lage in D:

§ 167
Störung der Religionsausübung


(1) Wer
1. den Gottesdienst oder eine gottesdienstliche Handlung einer im Inland bestehenden Kirche oder anderen Religionsgesellschaft absichtlich und in grober Weise stört oder

2. an einem Ort, der dem Gottesdienst einer solchen Religionsgesellschaft gewidmet ist, beschimpfenden Unfug verübt,


wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Dem Gottesdienst stehen entsprechende Feiern einer im Inland bestehenden Weltanschauungsvereinigung gleich.

In D wäre deshalb zurecht auch eine Strafe fällig gewesen.

In Russland war es aber klar ein politischer Prozess. Die russisch-orthodoxe Kirche ist quasi eine Staatskirche und dem atheistisch-altkommunistisch-totalitären Putin war das religiöse Empfinden egal.
 
Drei Jahre - oder eine Geldstrafe? Scheint mir ungleich zu sein %) Eine Geldstrafe für so was verstehe ich und wäre mMn gerecht (dass es straffrei in Deutschland wäre, hätt ich nicht angenommen.) Etwas auf Bewährung bei schwereren Fällen auch, aber da wäre wohl noch unter zwei Jahren.

(Warum ich das hier angesprochen habe- das hat mich erstaunlicherweise mitgenommen, das alles von innen beobachten zu dürfen. Heute war es ja "offiziell" beendet.)
 
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. Meiner Meinung nach muss Meinungsfreiheit gewährleistet sein.


Jaha, die viel propagierte Meinungsfreiheit. Klingt immer so toll. Leider (bzw glücklicherweise) hat auch diese Meinungsfreiheit Grenzen. Die stehen sogar im Grundgesetz und richten sich an Diskriminierung im Hinblick auf... ok, hatten wir alle in der Schule. Insofern bin ich sehr dafür, "Meinungsfreiheit" nicht immer damit gleichzusetzen, dass jeder sich stets und ständig äußern kann, wie es ihm beliebt, und das bitte straffrei. Zumindest glaube ich kaum, dass Herr Westerwelle sehr erbaut wäre und es als Meinungsfreiheit einstufen würde, wenn ich ihn als "schwules <irgendein Schimpfwort>" bezeichne, weil es nunmal meine Meinung is, dass er ein solches sei (Disclaimer: Das ist ein Beispiel. Ich habe nichts gegen Homosexuelle und gegen Herrn Westerwelle nichts Persönliches, nur Politisches.) Und ich vermute auch ganz stark, dass es kein Priester oder Bischof oder sonstirgendein Kirchen"angestellter" lediglich als Meinungsäußerung betrachten würde, wenn ich mitten in seiner Predigt aufstehen würde und ihm an den Kopf werfen, was ich von seiner Religion und ihm als Person zuzüglich vielleicht noch Herrn Stoiber denke, und das bitte am Sonntag in einer Kirche in Oberbayern.

Das nur mal am Rande.

Zu Pussy Riot:

Natürlich ist das in erster Linie ein politisch motiviertes Schauspiel gewesen und kein Prozeß. Da ging es nicht für eine Sekunde um religiöses Empfinden. Allerdings überrascht mich das angesichts der Entwicklungen der letzten Jahre in Rußland nicht wirklich. Wobei ich ehrlich zugeben muss, dass mir die Motivation der Mädels nicht hundertprozentig schlüssig ist und dass auch ich als Atheist es als nicht passend empfinde, ein Haus, das zur Ausübung einer Religion dient, in diesem Maße zu nutzen. Aber ich schätz mal, das hatten die Mädels einkalkuliert und dass die da ohne Strafe rauskommen, haben sie vermutlich selber nicht geglaubt. Nur mit der Art der Prozeßführung hatten sie vielleicht in diesem Maße nicht gerechnet.
 
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@BdKBanschee: Beleidigungen fallen nie unter Meinungsfreiheit. Man kann seinen Mißmut über eine Person auch ohne Beleidigungen ausdrücken und das würde dann unter Meinungsfreiheit fallen.

Pussy Riot haben letztendlich ihr Ziel erreicht und werden jetzt erst einmal den Preis für ihren Weg bezahlen. Es sind viele bereit und werden es ihnen nachtun. Ohne Fundament wird das System Putin irgendwann einmal stürzen und ich vermute das wird noch in diesem Jahrzehnt passieren. Russland gleicht im Hinblick auf die Zufriedenheit der Bevölkerung mit dem politischen System einem überhitzten Dampfkessel, der wohl explodieren wird. In China wird übrigens zur Zeit angeheizt.
 
@BdKBanschee: Beleidigungen fallen nie unter Meinungsfreiheit. Man kann seinen Mißmut über eine Person auch ohne Beleidigungen ausdrücken und das würde dann unter Meinungsfreiheit fallen.


Und nichts Gegeteiliges habe ich behauptet. Meinungsfreiheit hat ihre Grenzen und die liegen eben zum Beispiel auch da, wo religiöses Empfinden verletzt wird. Daher kann ich mich Rubys Aussage, dass man für eine Aktion wie die der Pussy Riot-Mädels nicht bestraft gehört, weils nur Meinungsfreiheit ist, eben nicht anschließen.
 
Meine persönliche Meinung dazu, zwei Jahre Haft sind eine maßlose Übertreibung. Das einzig Verwerfliche für mich an dieser "Tat" ist das Auftreten in einem Gotteshaus. Hätte der Auftritt auf einem öffentlichen Platz im Freien stattgefunden, hätte ich die Mädchen straflos davonkommen lassen, ich glaube bei uns wär auch nicht mehr geschehen ausser einer Verwarnung, Belehrung, evtl. ein paar Stunden auf der Polizei.
In einer Kirche, das sehe ich dann schon etwas anders, etliche Stunden Sozialarbeit wäre sicher angemessen gewesen,z.B. in einer kirchlichen Einrichtung. Könnte mir vorstellen, dass dies bei uns wohl so geahndet worden wäre.
Andrerseits wir wissen alle über die politische Situation in Russland Bescheid, Putin hat eine funktionierende Diktatur aufgebaut,wer etwas anderes behauptet, verkennt die tatsächlichen politischen Verhältnisse in diesem Land, und den Mädchen hätte dies bewusst sein müssen. Wer in Russland auf Meinungsfreiheit pocht, wird immer die Erfahrung machen, dass diese de facto nicht existiert.
Mir tut es leid für die Mädchen, zumal der Aufenthalt in russischen Gefängnissen bestimmt kein Zuckerschlecken ist. Evtl. gibt es ja in einigen Monaten ein Freikommen aus dem Gefängnis auf Bewährung durch Druck der Weltöffentlichkeit. Würde die Winterolympiade unmittelbar bevorstehen, ständen die Chancen für ein frühe Entlassung sicher gut. Man will sich ja dann der restlichen Welt als modernes, aufgeschlossenes Land präsentieren.
 
Sorry für Dopelpost, ich habe heute gehört, dass es eine Berufung geben wird und vermutet wird, dass die drei Mädchen so in 1-2 Monaten wieder auf freiem Fuss sein werden.
 
Ich hole doch wieder ganz unverschämt ganz kurz mein eigenes Thema hoch, im Angesicht der neuen "Entwicklungen"... (Die paar Monate sind auch schon rum^^)

Eine von den drei Mädchen wurde freigelassen. So wird es begeistert in der Presse heißen, jetzt muss ich erklären, was es bedeutet.

Bei der Revision kam raus, dass eine nicht teilgenommen hat. Sie betrat schon die Kirche, hat aber weder gesungen noch getanzt. Es kommt jetzt raus, nachdem sie ihren Anwalt gefeuert hat. Deswegen wurde ihre Strafe (2 Jahre) auf Bewährung ausgesetzt. (!)Die zwei anderen- die mit Kindern, wenn ich mich nicht irre- bleiben in der Haft, keine Bewährung, nix.

Jetzt kommen die Fragen:

1. Wieso wurde beim Gericht, wo so und so viele Zeugen befragt wurden und so und so viele Bände zusammengeschrieben wurden und das Verbrechen sooo ausführlich betrachtet wurde, diese "kleine" Tatsache nicht bekannt? Was sagt es über das Gericht aus?

2. Mit der Bewährung wurde ja die Wahrheit anerkannt, dass sie nicht teilgenommen, nicht gesungen etc. hat. Wofür ist dann die Strafe? Es ist nicht verboten, eine Kirche zu betreten. WOFÜR sind die 2 Jahre auf Bewährung? WTF?

Im Ernst, diese Sache ist so was von politisch und wirklich zum Kotzen. Ich weiß nicht, wieso ich mir die russischen Nachrichten noch antue, es war selbst beim Kommunismus nicht so schrecklich heuchlerisch. Würden die Mädchen irgendwas zu Ehren von Putin vortragen, egal wo und wie, hätten sie jetzt eine Medaille, und eine Aussicht auf einen Platz im Parlament (wie dieser Typ, der angeboten hat, mit Jungs nach Moskau zu fahren und der Polizei zu helfen, mit den bösen Demostranten fertig zu werden, wenn die es selbst nicht schafft. Das ist mein Ernst- und ihr kennt zufällig noch die deutsche Geschichte in der Vorkriegszeit?)

Lucrezia schrieb:
Sicher auch hilfreich, dass die Kirche ihnen verziehen hat
Ist zwar recht spät darauf zu antworten =), aber ich muss einfach sagen: das ist ein typisches Beispiel der unendlichen HEUCHELEI, die die russiche Politik derzeit über alles definiert. Hätte die Kirche den verzeihen wollen, könnte und würde sie das ruhig während dem Gericht tun. Und nicht irgendwann kurz danach ohne eine Rolle zu spielen und um einfach was zu demostrieren.
 
Zuletzt bearbeitet:
Etwas hat mich an dem Prozess gewundert. Angeklagt waren drei Frauen. Eine von ihnen ist auf dem Video nicht zu sehen, weil sie vorher abgefangen wurde. Aber auf dem Viedo sind doch drei/ vier Frauen zu sehen. Was ist mit den anderen?
 
Ich kann mir das alles kaum durchlesen, so sehr regt mich diese Ungerechtigkeit auf. Dass erstens Menschen mit Macht solche Taten begehen und zweitens dann auch noch komplett Unschuldige wegen ihrer Meinung oder noch besser, der Wahrheit, dermaßen gequält werden. Und obwohl das alle Welt weiß, wird nichts dagegen unternommen.

Ich finde es schon eine Frechheit, dass in Amerika ein Mann wie Mitt Romney als Präsident kandidieren darf.
 

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