18
Whoa, here it comes that funny feeling again
Winding me up inside every time we touch
Hey, I don't know, oh, tell me where to begin
'Cause I never ever felt so much
(Van Halen - Why can't this be love)
Doch ich wartete dort vergebens. Annabelle kam nicht. Die Minuten zogen sich zu Stunden hin, die Tage schienen Wochen zu sein. Ich kann nicht mehr sagen, wie lange ich auf sie wartete, aber es waren einige Tage. Ich wusste, sie hatte einen Grund warum sie nicht kam, aber es quälte mich, mit meinen Fragen allein zu sein. Ich wollte noch so viel wissen, über sie und über Robert.
Als ich es nicht mehr aushielt geduldig zu warten, machte ich mich auf den Weg zu Annabelles Hof. Ich wollte sie dort eigentlich nicht mehr so besuchen, um sie nicht in Gefahr zu bringen, aber ich musste wissen, ob es ihr gut ging. Ich machte mir so langsam Sorgen um sie. Doch als ich auf dem Hof ankam, war sie gerade im Badezimmer und wusch sich die Hände. Sie sah gesund aus und nichts zeugte davon, dass sie misshandelt worden war in letzter Zeit. Ich winkte ihr lächelnd zu doch sie schüttelte den Kopf. Ich sah wie sich ihre Lippen bewegten. "Hinter das Haus."
Ihr Wunsch war mein Befehl. Ich verschwand hinter das Haus und wartete ein paar Minuten geduldig in der Nähe der Tür. Endlich öffnete sie sich und Annabelle trat hinaus in den Schatten.
"Es tut mir Leid", sagte sie leise. "Ich konnte einfach nicht weg. Robert hat auf mich aufgepasst wie ein Adler. Ich weiß nicht, warum er im Moment so versessen darauf ist, in meiner Nähe zu sein." Sie seufzte.
"Na ja, er ist dein Ehemann."
"Das ist es nicht. Ich glaube, er ahnt das ich in letzter Zeit zu oft den Hof verlassen habe, um woanders zu sein. Aber ich glaube, er weiß nicht warum." Sie machte eine kleine Pause. "Auf jeden Fall hoffe ich das."
"Ich auch. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er begeistert von der Idee wäre, dass du dich mit zweifelhaften Geistern herumtreibst."
Sie lachte leise. "Nein, vermutlich nicht."
"Aber trotzdem muss ich mit dir reden und das nicht hier in aller Eile. Ich gebe zu, ich habe Robert noch ein wenig nachspioniert..."
"Das solltest du nicht tun. Es könnte gefährlich sein."
"Nicht ihm direkt, sondern den Leuten, die er kennt. Aber mehr davon nicht hier. Ich will dich nicht in Schwierigkeiten bringen."
Sie blickte rasch zur Tür. "Also gut. Robert will nachher wieder ins Dorf. Ich werde versuchen meiner Mutter zu entwischen und komme nachher zum Turm. Dort können wir dann reden. Aber jetzt muss ich wirklich wieder rein. Bis später."
"Ich werde warten."
Sie lächelte mich noch mal kurz an und verschwand dann wieder im Haus. Ich machte mir Sorgen, denn sie klang schon sehr ängstlich. Ich hoffte nur, dass Robert sie nicht erwischen würde.
Kurz darauf war ich schon wieder am Turm und wartete auf sie. Die ganze Zeit gefangen zwischen Hoffen und Bangen. Dementsprechend zogen sich die Minuten und Stunden endlos hin.
Als Annabelle endlich den Pfad zum Turm entlang kam, konnte ich nicht anders als vor Erleichterung seufzen. Ich stand auf und ging ihr ein paar Schritte entgegen.
"Ich freue mich, dass du es geschafft hast her zu kommen." Begrüßte ich sie recht verhalten.
"Ich habe meiner Mutter gesagt, ich gehe Wäsche waschen. Die steht jetzt gewaschen am Fluss und wartet darauf, dass ich sie nachher wieder mitnehme." Sie lächelte mich unsicher an, verwirrt durch meinen Ton.
"Eine gute Ausrede." Ich hielt mich immer noch zurück, selbst verwirrt über mein Verhalten.
"Das erschien mir das Einfachste und es gibt mir genug Zeit um mit dir zu reden. Meine Mutter weiß, dass ich immer lange brauche um Wäsche zu waschen. Schließlich nutze ich diese Ausrede schon lange, um ein paar Stunden für mich zu haben."
Ich rang mir ein Lächeln ab. "Dann will ich nur hoffen, dass du damit nicht nur deine Mutter sondern auch Robert täuschen kannst."
Sie blinzelte mich an. "Du bist heute so anders. Macht es dir so viel zu schaffen, dass er soviel Macht über mich hat?"
Wie immer traf ihre Frage ins Schwarze. Ich nickte. "Ja, macht es. Gerade, weil er soviel Macht über dich hat, solltest du vorsichtig sein."
"Dabei warst du es doch, der um dieses Treffen gebeten hat." Sie klang verärgert.
"Stimmt, ich habe dich darum gebeten, aber mir war nicht klar, dass es so schwer für dich sein würde."
Sie seufzte. "Was ist schon einfach heutzutage. Aber mach dir bitte keine so großen Sorgen. Ich weiß diesmal schon, was ich tue. Robert ist für mehrere Stunden weg. Ich bin mir sicher, dass er wieder mit einer anderen Frau zusammen ist. So langsam kenne ich seine Vorbereitungen, wenn er mal wieder loszieht."
Ich sah sie einen Moment stumm an und erkannte den entschlossen Zug um ihren Mund. Sie würde sich nicht auf weiter Diskussionen darüber einlassen. Also gab ich nach. Sie hatte ja auch Recht. Ich wollte dieses Treffen und so beschloss ich, die Zeit mit ihr zu genießen.
"Setzen wir uns doch da rüber." Ich deutete auf die langsam verfallende Mauer. "Drinnen wird es nur heiß und stickig sein."
Annabelle nickte. "Gerne, aber irgendwann musst du mir mal zeigen, wie du so lebst."
"Komm mich einfach besuchen, wenn es kalt ist." Ich grinste sie an, während wir durch das hohe Gras zur Mauer gingen.
"Ich will eigentlich gar nicht davon anfangen, aber ich muss mit dir über Robert reden."
"Ich würde es zwar vorziehen, wenn wir über etwas anderes sprechen würden, aber schieß los. Es wird dir sonst ja doch keine Ruhe lassen." Sie sah mich durchdringend an und wieder war da der entschlossene Zug um ihren Mund. Ich konnte mir vorstellen, dass es schwierig für sie war mit mir über ihn zu sprechen.
Um es schnell hinter mich zu bringen, erzählte ich ihr von dem Gespräch zwischen dem Meuchelmörder und seiner Gespielin. Sie unterbrach mich nicht einmal und nachdem ich geendet hatte, herrschte erst einmal Schweigen zwischen uns.
"Ich wusste es. Er war in der Hinsicht ganz offen zu meiner Mutter und mir. Ich wusste auch, dass er versuchen würde wieder an seinen Besitz und auch an seinen Titel wieder heranzukommen. Er hat meiner Mutter versprochen, dass er sich in dem Fall immer um uns kümmern würde."
"Aber du weißt, dass das eine Lüge ist?" Eigentlich war es keine Frage. Ich konnte die Wahrheit in ihren Augen sehen.
"Ja, ich weiß es, aber meine Mutter glaubt daran. Ich habe nicht das Herz, ihr zu sagen, dass er lügt. Nachdem wir Vater verloren haben, will ich ihr nicht auch das letzte bisschen Hoffnung nehmen, was sie noch hat. Ich weiß, dass sie höchstwahrscheinlich auch nicht mehr lange zu leben hat und ich will nicht, dass sie sich auf ihre letzten Monate noch grämt."
"Das ist wirklich selbstlos von dir." Ich sah sie bewundernd an.
"Ich weiß nicht, ob ich es so nennen würde. Ich liebe meine Mutter und ich will nicht, dass sie sich meinetwegen Sorgen macht."
"Dir ist aber schon klar, dass sie es trotzdem macht. Schließlich sieht sie ja, wie Robert dich behandelt."
Sie lachte gezwungen. "Natürlich weiß ich das und genau deshalb versuche ich die vielen kleinen Grausamkeiten von ihm vor ihr zu verbergen. Sie sieht nur die wirklich auffälligen Dinge, die er mir antut."
"Was glaubst du passiert mit dir und deiner Mutter, wenn Robert sein Ziel erreicht hat?" Ich wollte nicht fragen, aber ich tat es trotzdem.
"Er wird uns fallen lassen wie eine heiße Kartoffel." Sie klang emotionslos, aber ich spürte, dass sie sich wirklich sorgte.
"Aber ihr seid verheiratet. Das kann er nicht einfach so ignorieren."
Sie lachte bitter auf. "Das ist doch nur eine Kleinigkeit für ihn. Er wird einen Weg finden, wie er das rückgängig machen kann."
Mir lief es kalt den Rücken runter, trotz der Hitze des warmen Sommertages. "Wie meinst du das?"
"Nun ja, er könnte behaupten, dass ich ihm nie eine richtige Ehefrau gewesen bin. Wir haben keine Kinder zusammen und niemand kann beweisen, dass die Ehe vollzogen wurde. Das wäre eine Möglichkeit. Dann könnte er noch sagen, dass ich ihm untreu war und so eine Entbindung des Eheversprechens erwirken. Oder noch ganz abwegig, könnte er zum Beispiel auch noch erklären, dass der Priester gar keiner war und die Ehe deshalb ungültig wäre. Wenn man Macht hat, findet man viele Möglichkeiten um eine ungeliebte Frau loszuwerden."
"Er könnte dir auch etwas antun." Ich sprach leise, doch sie hörte mich.
"Ja, das ist auch eine Möglichkeit. Den Mörder dafür hat er ja anscheinend schon."
"Sag so etwas nicht, glaube daran, dass er einen anderen Weg wählt."
"Warum? Ich nehme lieber das Schlimmste an, dann ist die Enttäuschung am Ende nicht so groß."
"Dann ist das aber auch das Ende." Flüsterte ich, verzweifelt versucht die richtigen Worte zu finden.
"Und? Das Leben hat mir bisher nichts mehr als Enttäuschung und Schmerz gebracht, warum sollte der Tod da anders sein." Wieder war da der harte Klang in ihrer Stimme.
"Weil das Leben nicht nur daraus besteht. Du hast es nur im Moment nicht einfach. Vertrau mir, es kann auch besser sein. Nur dafür musst du aufhören dir das Ende zu wünschen."
Sie sah mich an und ich wusste, dass ich sie diesmal nicht erreicht hatte. Und es war meine Schuld, dass sie jetzt wieder darüber nachdachte. Nur weil ich über Robert reden wollte. Ich war ein Idiot.
Aber dann lehnte sie sich zurück und lächelte plötzlich völlig ungezwungen. "Du hast Recht. Ich sollte das Leben wirklich einmal versuchen zu genießen."
Und mit diesen Worten ließ sie sich rückwärts ins Gras fallen und schloss die Augen.
Verwundert sah ich zu ihr rüber. Manchmal war sie mir ein Rätsel, aber solange sie so zufrieden und entspannt hier neben mir lag, war auch ich zufrieden. Ich wollte ja nicht, dass sie sich noch mehr sorgte und düstere Gedanken hegte.
"Ich liebe es im Gras zu liegen und wenn mir dabei die Sonne ins Gesicht scheint. Das waren schon immer meine liebsten Stunden." Meinte sie nach einer ganzen Weile des Schweigens. "Als Kind habe ich mich immer im Sommer weggeschlichen und mich auf sämtlichen Wiesen im Umkreis versteckt. Das Gras war immer so hoch, dass ich für jeden fast unsichtbar war. Meine Eltern haben mich dann immer stundenlang gesucht und wenn ich später zurück zum Hof kam, gab es immer Ärger. Aber den war es auch immer Wert."
"Das hört sich wunderbar an, außer das mit dem Ärger natürlich."
"Ach, so schlimm war der nie. Nur ein paar Worte der Ermahnung, die ungefähr bis zum nächsten Tag gehalten haben." Sie lachte. "Was ist mir dir? Hast du als Kind immer brav gehorcht oder hat dich auch das Abenteuer gepackt?"
"Wenn ich ehrlich bin, kann ich mich nicht wirklich an meine Kindheit erinnern. Das ist wohl schon zu lange her." Ich wollte ihr keine erfundene Geschichten mehr erzählen.
"Schade. Ich hätte gerne gewusst, wie du als Kind so warst. Ich kann mir vorstellen, dass du deinen Eltern oft widersprochen hast."
"Hm, kann schon sein, aber wie gesagt. Ich erinnere mich nicht."
Sie setzte sich ein wenig auf. "Dann kannst du dich wahrscheinlich auch nicht an so etwas erinnern." Und mit diesen Worten warf sie ein Büschel Gras auf mich. Sie war eine gute Schützin auf die Distanz und ihre ganze Ladung landete in meinem Gesicht. Sie lachte und sprang leichtfüßig auf.
"Du musst dich auch wehren." Rief sie mir zu und warf das nächste Büschel auf mich.
Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und sprang ebenfalls auf. Ihr Wurf verfehlte mich und ich stellte mich triumphierend hin.
"Daneben."
Sie zielte noch einmal und traf mich wieder. Und das packte meinen Ehrgeiz. Ich bückte mich und rupfte einige Grasbüschel aus und warf sie in ihre Richtung. Ich verfehlte sie um mindestens einen Meter.
"Daneben", lachte sie und ich bekam die nächste Ladung Gras ab.
"Na warte. Ich kriege dich schon noch."
Unser Graskampf dauerte noch eine ganze Weile an und ihr Gelächter über meine Würfe hallte über das Grundstück, hallte in meinen Ohren nach und floss durch mich durch wie pures Glück.
Wir alberten rum, ganz so wie Kinder. Annabelle siegte im Graskampf haushoch, einfach weil sie wirklich eine gute Werferin war und ich zu viel Spaß daran hatte sie gewinnen zu sehen. Es tat mir gut, sie so lachen zu sehen nachdem unser gemeinsamer Nachmittag so ernst angefangen hatte.
"Genug", lachte sie nach einer besonders fiesen Attacke auf mich. "Mir tut schon alles weh vor Lachen."
"Du gibst also endlich auf."
"Natürlich nicht. Ich habe ganz klar gewonnen. Sieh doch nur, wie viel Gras an dir klebt."
"Zählst du jetzt jeden einzelnen Halm oder wie?"
"Nein, aber ich habe eindeutig gewonnen."
"Pah", schnaufte ich. "Du gibst doch auf und willst jetzt noch um jeden Preis deine Ehre retten."
"Also gut, noch ein letztes Duell. Dann sehen wir ja wer besser ist." Sie lachte siegessicher.
"Na, schön. Du hast es ja nicht anders gewollt." Ich bewaffnete mich mit Gras und sie tat das Gleiche.
"Auf drei werfen wir los. Eins. Zwei. Drei." Sie zählte und wir beide ließen im selben Moment die Waffen fliegen. Ich traf. Sie verfehlte.
"Du Schuft. Das war von vornherein geplant. Die ganze Zeit hast du so getan als wärst du ein mieser Werfer, nur um jetzt im entscheidenden Moment zu treffen." Sie klang fast beleidigt, wenn da nicht die lachenden Augen gewesen wären.
"Natürlich", bestätigte ich überheblich.
"Na, warte. Das zahl ich dir heim." Sie grummelte noch kurz vor sich hin und warf sich dann auf mich. Ich war total überrascht und konnte ihrem wilden Ansturm nichts entgegensetzen. Zusammen flogen wir ins weiche Gras. Sie landete unter mir und ich hielt sie an den Armen fest. Ihre Augen funkelten mich an, ihr Mund verzog sich zu einem leichten Lächeln. Mein Herz raste und ich konnte nicht anders als sie anzusehen, während sich in meinem Kopf die Gedanken überschlugen.