Kapitel 19
Licht und Dunkel
„Casimir“, sagte Marie und spürte wie ihr Mund trocken wurde. „Was für eine Überraschung…“
Die Stimme am anderen Ende der Leitung klang nicht nach Casimir, ihr fehlte einiges an der Haltung und Stabilität, die diesen Mann sonst ausmachte.
Innerhalb kürzester Zeit schien er diese jedoch zurück erlangt zu haben und fragte in diesem üblich weichen, tiefen Ton: „Geht es dir gut, Marie? Ich wollte mich nur erkundigen, ob du gut nach Hause gekommen bist. Bitte entschuldige, dass ich dich gestern so habe stehen lassen, das ist normalerweise nicht meine Art.“
Marie schwieg und schien auf eine Begründung zu warten, die Casimir ihr natürlich nicht gab.
„Nun, Marie“, begann er statt dessen. „Ich hoffe, du hast unseren gemeinsamen Abend genauso genossen wie ich.“
Marie schluckte hart. Was sollte sie darauf sagen? Sie wusste ja selbst keine Antwort.
Aber Casimir schien auch keine zu erwarten. „Wenn ich darf, möchte ich dich bald wiedersehen, Marie“, sagte er rasch.
Maries Augen weiteten sich. Sie spürte, wie sich Verwirrung in ihr ausbreitete. Wenn Casimir sie wiedersehen wollte, schien es ihm offenbar doch nicht nur um einen One-Night-Stand gegangen zu sein. Die einzige Frage, die dann noch blieb war, ob sie – Marie- ihn wiedersehen wollte oder nicht?
„Wie du weißt, werde ich heute Nachmittag abreisen, Marie. Aber ich plane, in etwa zwei Wochen wieder in der Nähe zu sein. Was hältst du also davon, wenn wir uns heute in zwei Wochen wieder treffen? Dein Chef sagte mir, dass du besagten Freitag frei hast. Da ich auch erst am Samstagnachmittag Geschäftstermine habe, können wir also den ganzen Tag für uns nutzen.“
Marie schwieg immer noch beharrlich, aber Casimir ließ sich nicht beirren. Sie sah ihn förmlich vor sich stehen, die weißen Zähne bei seinem galanten Lächeln entblößend.
„Ich hole dich dann also heute in zwei Wochen gegen zwei Uhr zu einem Kaffee ab, Marie?“
Marie nickte, bis ihr einfiel, dass er das nicht sehen konnte. „Ja, Casimir“, sagte sie dann langsam. „Ist in Ordnung.“
„Wunderbar. Meine Nummer hast du ja, falls dir etwas dazwischenkommt, wovon wir natürlich nicht ausgehen wollen. Bis dann, Marie.“
Und schon hatte er den Hörer aufgelegt und das eintönige Tuten der Leitung dröhnte in Maries Ohren.
Langsam legte sie den Hörer wieder auf und griff sich an den Kopf. Ihr war schwindelig, als wolle ihr Körper gemeinsam mit ihren Gedanken und Gefühlen eine Runde Karussell fahren.
Erschöpft schob sie ihren Schreibtischstuhl nach hinten und ließ sich darauf fallen, atmete tief ein und aus und schloss für einen Moment die Augen.
Sie dachte an die Nacht mit Casimir… und dann an Cedrik. Und die Nacht mit Cedrik.
Ohne dass sie es bemerkte, stahl sich ein Lächeln auf ihr Gesicht. Casimir mochte ein guter Liebhaber sein – aber an diese Nacht kam nichts heran. An Cedrik kam nichts heran.
Cedrik…
Marie riss die Augen auf. „Streich diesen Namen ein für allemal aus deinem Kopf, Marie!“ schalt sie sich. Ein tiefer Schmerz breitete sich in ihr aus. Cedrik – er war für sie verloren. Oh, wenn sie ihn doch nur nie gefunden hätte, dann hätte sie nie den Verlust zu schmerzlich zu spüren gekommen. Sie hatte ihn verloren, ohne ihn je gehabt zu haben. Außer in diesen wenigen Momenten in dieser wundervollen und so furchtbaren Nacht…
Marie merkte, wie sich ihr Magen zusammenzog und verzog schmerzlich das Gesicht. Diese Magenschmerzen hatte sie nun schon seit einigen Tagen, vermutlich machte sich dieser ganze Stress langsam bemerkbar.
Cedrik… Marie dachte erneut an den Mann, den sie nicht aus ihren Gedanken und noch viel weniger aus ihrem Herzen bekam.
Als er Montagabend bei Simone und Herbert aufgetaucht war, hatte sie sich beeilt, ihren Kuchen zu schlingen und dann unter einem Vorwand aufzubrechen. Seinen traurigen, gebrochenen, ja, fast flehenden Blick spürte sie heute noch wie heiß auf ihrer Haut brennen und in ihrem Herzen schmerzlich pochen.
Wieso musste er es ihr nur so schwer machen – er musste doch begreifen, dass sie beiden keine Zukunft hatten! Und zurzeit zählte doch nur Susan – Susan war wichtig, nicht er, nicht Marie. Nur Susan!
Marie holte tief Luft und kämpfte gegen die schlimmer werdende Übelkeit an, die sich in ihr ausbreitete. Vermutlich war sie einfach noch zu müde und der Wein und das schwere Essen des Vorabends taten ihr übrigens.
Nachdem sie Cedrik, Simone und Herbert verlassen hatte, war sie ihrem spontanen Impuls gefolgt und hatte Casimir angerufen. Die Gründe dafür waren ihr bis heute nicht ganz klar. Vielleicht wollte sie Cedrik mit Gewalt aus ihrem Herzen drängen, indem sie sich einem anderen zuwandte. Vielleicht wollte sie sich aber auch einfach nur ablenken. Davonlaufen, sich einem Menschen zuwenden, der nichts von diesem ganzen Dilemma wusste, ahnte oder auch nur im entferntesten damit verstrickt war. Für den sie nur die hübsche, junge Angestellte aus dem Hotel seiner Wahl war, mit der sich einen Abend oder vielleicht auch mehrere vergnügen wollte – nicht mehr und nicht weniger.
Marie sprang erschrocken auf, als das Telefon erneut klingelte.
Zitternd nahm sie den Hörer ab. „Hallo?“
„Marie? Hier ist Cedrik.“
Marie spürte, wie seine Stimme ihr Herz wie mit einer Schlinge zusammenzog. In ihr keimte ein unangenehmer Würgereiz auf.
„Cedrik? Was willst du?“ Ihre Stimme hätte ruhiger, gefasster klingen sollen, was ihr nicht gelang.
„Es… es ist… wegen Susan“, sagte er stockend. „Marie, bitte komm so schnell du kannst ins Krankenhaus. Und – beeil dich.“
Mehr sagte er nicht und bevor Marie etwas sagen konnte, fand sie sich erneut dem aufdringlichen Tuten des Hörers ausgeliefert.
Ihr Herz raste und pochte bis in die Schläfen, als sie mit zitternden Händen den Hörer zurücklegte. Susan! Was war mit Susan, wenn Cedrik so anrief? Sie war doch nicht etwa… nein… Marie schüttelte den Kopf, sie wollte nicht einmal daran denken.
Cedriks Worte klangen hohl in ihrem Kopf nach… „es ist wegen Susan… beeil dich…“
Marie rang nach Luft, als sie begriff, was dies bedeuten konnte… was dies bedeuten musste…
Susan… sie war… war sie… ???
Marie spürte, wie sich der Boden unter ihren Füßen zu verändern begann. In letzter Minute schaffte sie es ins Badezimmer, wo ihr Magen sie halb schluchzend halb würgend zu seinem Recht kommen ließ.
Nach einigen Minuten richtete Marie sich auf und sah sich im Spiegel an. Ihr blickte ein aschfahles, verzerrtes Gesicht entgegen. Doch all das war nun egal.
Mit wenigen Handgriffen hatte sie sich zurechtgemacht und war in ihre Kleider gesprungen. Nur zehn Minuten später betrat sie das Krankenhaus. Ihr Magen rebellierte erneut, als die Wucht des nach oben steigenden Aufzuges ihn traf, doch sie ignorierte es.
Mit bangem Gefühl trat sie auf den Flur, der zur Intensivstation führte.
Dort blieb sie unsicher einen Augenblick stehen und wusste nicht, ob sie weitergehen sollte. Zu bang war ihr Herz ob des Grauens, das sie vorzufinden erwartete. Da hörte sie plötzlich Schritte auf sich zukommen und sah Simone, die ihr entgegengelaufen kam. Ihr Gesicht war tränenüberströmt.
Maries Herz schien auszusetzen und sie blieb wie angewurzelt stehen, bis Simone sie erreicht hatte.
„Marie! Oh Marie, Marie! Ich kann es selbst kaum glauben! Aber es ist wahr! Oh Marie!“
Marie schüttelte immer wieder den Kopf und merkte, wie sie ebenfalls zu schluchzen begann.
„Nein, Simone“, stammelte sie. „Sag, dass das nicht wahr ist.“
Dasah Simone sie überrascht an und Marie erkannte, dass ihre Augen lächelten. Sie spürte, wie sich eine unendliche Erleichterung in ihr ausbreitete.
„Aber nein, Marie, nicht doch, es ist nicht, was du denkst. Susan ist vor einer Stunde aus dem Koma erwacht, Marie!“
Marie sah Simone entgeistert an. „Simone… ist… das wirklich wahr?“
Simone nickte. „Ich muss sofort wieder zu ihr, mein liebes Kind. Warte du hier, Cedrik ist schon auf dem Weg…“
Und schon war sie wieder davon geeilt.
Marie blieb alleine im Gang zurück und spürte, wie ihre Knie weichen wurden. Sie atmete einige Male tief durch. In ihrem Kopf sprangen die Gedanken wie Heuschrecken durcheinander und in ihrer Brust tobte ein Sturm aus widersprüchlichsten Gefühlen! Susan war wach! Das war wunderbar! Und doch… was, wenn Susan sich an alles erinnern würde und sie sofort zur Rede stellen? Wie sollte sie Simone und Herbert jemals in die Augen sehen können? Marie spürte erneut Übelkeit in sich aufsteigen und ihr schwindelte.
„Marie? Alles in Ordnung?“
Sie sah auf und blickte in Cedriks veilchenblaue Augen.
Sein Anblick schien sie noch schwächer werden zu lassen und sie hatte das dringende Bedürfnis, sich irgendwo oder an irgendwem festzuhalten.
„Ja…“, sagte sie nur leise. „Wie… wie geht es Susan?“
Cedrik musterte sie besorgt und sagte dann: „Ich komme gerade von ihr. Sie sagt, sie will uns sehen … beide…“
Maries Augen weiteten sich und ihr Körper zuckte zusammen.
Sie sah Cedrik angsterfüllt an und stammelte dann. „Aber… nein… das geht nicht…“
Und bevor sie noch etwas sagen konnte, merkte sie, wie sich alles um sie herum zu drehen begann und ihr die Welt vor Augen verschwamm.
„Marie!!!!!“
Das letzte, was Marie noch spürte, war, wie sie Cedriks starke Arme fest umschlangen und mit ihr zu Boden gingen. Dann ließ sie sich dankbar in die ruhige Dunkelheit fallen, die sie zu umschließen begann.
Fortsetzung folgt.
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Licht und Dunkel
„Casimir“, sagte Marie und spürte wie ihr Mund trocken wurde. „Was für eine Überraschung…“
Die Stimme am anderen Ende der Leitung klang nicht nach Casimir, ihr fehlte einiges an der Haltung und Stabilität, die diesen Mann sonst ausmachte.
Innerhalb kürzester Zeit schien er diese jedoch zurück erlangt zu haben und fragte in diesem üblich weichen, tiefen Ton: „Geht es dir gut, Marie? Ich wollte mich nur erkundigen, ob du gut nach Hause gekommen bist. Bitte entschuldige, dass ich dich gestern so habe stehen lassen, das ist normalerweise nicht meine Art.“
Marie schwieg und schien auf eine Begründung zu warten, die Casimir ihr natürlich nicht gab.
„Nun, Marie“, begann er statt dessen. „Ich hoffe, du hast unseren gemeinsamen Abend genauso genossen wie ich.“
Marie schluckte hart. Was sollte sie darauf sagen? Sie wusste ja selbst keine Antwort.
Aber Casimir schien auch keine zu erwarten. „Wenn ich darf, möchte ich dich bald wiedersehen, Marie“, sagte er rasch.
Maries Augen weiteten sich. Sie spürte, wie sich Verwirrung in ihr ausbreitete. Wenn Casimir sie wiedersehen wollte, schien es ihm offenbar doch nicht nur um einen One-Night-Stand gegangen zu sein. Die einzige Frage, die dann noch blieb war, ob sie – Marie- ihn wiedersehen wollte oder nicht?
„Wie du weißt, werde ich heute Nachmittag abreisen, Marie. Aber ich plane, in etwa zwei Wochen wieder in der Nähe zu sein. Was hältst du also davon, wenn wir uns heute in zwei Wochen wieder treffen? Dein Chef sagte mir, dass du besagten Freitag frei hast. Da ich auch erst am Samstagnachmittag Geschäftstermine habe, können wir also den ganzen Tag für uns nutzen.“
Marie schwieg immer noch beharrlich, aber Casimir ließ sich nicht beirren. Sie sah ihn förmlich vor sich stehen, die weißen Zähne bei seinem galanten Lächeln entblößend.
„Ich hole dich dann also heute in zwei Wochen gegen zwei Uhr zu einem Kaffee ab, Marie?“
Marie nickte, bis ihr einfiel, dass er das nicht sehen konnte. „Ja, Casimir“, sagte sie dann langsam. „Ist in Ordnung.“
„Wunderbar. Meine Nummer hast du ja, falls dir etwas dazwischenkommt, wovon wir natürlich nicht ausgehen wollen. Bis dann, Marie.“
Und schon hatte er den Hörer aufgelegt und das eintönige Tuten der Leitung dröhnte in Maries Ohren.
Langsam legte sie den Hörer wieder auf und griff sich an den Kopf. Ihr war schwindelig, als wolle ihr Körper gemeinsam mit ihren Gedanken und Gefühlen eine Runde Karussell fahren.
Erschöpft schob sie ihren Schreibtischstuhl nach hinten und ließ sich darauf fallen, atmete tief ein und aus und schloss für einen Moment die Augen.
Sie dachte an die Nacht mit Casimir… und dann an Cedrik. Und die Nacht mit Cedrik.
Ohne dass sie es bemerkte, stahl sich ein Lächeln auf ihr Gesicht. Casimir mochte ein guter Liebhaber sein – aber an diese Nacht kam nichts heran. An Cedrik kam nichts heran.
Cedrik…
Marie riss die Augen auf. „Streich diesen Namen ein für allemal aus deinem Kopf, Marie!“ schalt sie sich. Ein tiefer Schmerz breitete sich in ihr aus. Cedrik – er war für sie verloren. Oh, wenn sie ihn doch nur nie gefunden hätte, dann hätte sie nie den Verlust zu schmerzlich zu spüren gekommen. Sie hatte ihn verloren, ohne ihn je gehabt zu haben. Außer in diesen wenigen Momenten in dieser wundervollen und so furchtbaren Nacht…
Marie merkte, wie sich ihr Magen zusammenzog und verzog schmerzlich das Gesicht. Diese Magenschmerzen hatte sie nun schon seit einigen Tagen, vermutlich machte sich dieser ganze Stress langsam bemerkbar.
Cedrik… Marie dachte erneut an den Mann, den sie nicht aus ihren Gedanken und noch viel weniger aus ihrem Herzen bekam.
Als er Montagabend bei Simone und Herbert aufgetaucht war, hatte sie sich beeilt, ihren Kuchen zu schlingen und dann unter einem Vorwand aufzubrechen. Seinen traurigen, gebrochenen, ja, fast flehenden Blick spürte sie heute noch wie heiß auf ihrer Haut brennen und in ihrem Herzen schmerzlich pochen.
Wieso musste er es ihr nur so schwer machen – er musste doch begreifen, dass sie beiden keine Zukunft hatten! Und zurzeit zählte doch nur Susan – Susan war wichtig, nicht er, nicht Marie. Nur Susan!
Marie holte tief Luft und kämpfte gegen die schlimmer werdende Übelkeit an, die sich in ihr ausbreitete. Vermutlich war sie einfach noch zu müde und der Wein und das schwere Essen des Vorabends taten ihr übrigens.
Nachdem sie Cedrik, Simone und Herbert verlassen hatte, war sie ihrem spontanen Impuls gefolgt und hatte Casimir angerufen. Die Gründe dafür waren ihr bis heute nicht ganz klar. Vielleicht wollte sie Cedrik mit Gewalt aus ihrem Herzen drängen, indem sie sich einem anderen zuwandte. Vielleicht wollte sie sich aber auch einfach nur ablenken. Davonlaufen, sich einem Menschen zuwenden, der nichts von diesem ganzen Dilemma wusste, ahnte oder auch nur im entferntesten damit verstrickt war. Für den sie nur die hübsche, junge Angestellte aus dem Hotel seiner Wahl war, mit der sich einen Abend oder vielleicht auch mehrere vergnügen wollte – nicht mehr und nicht weniger.
Marie sprang erschrocken auf, als das Telefon erneut klingelte.
Zitternd nahm sie den Hörer ab. „Hallo?“
„Marie? Hier ist Cedrik.“
Marie spürte, wie seine Stimme ihr Herz wie mit einer Schlinge zusammenzog. In ihr keimte ein unangenehmer Würgereiz auf.
„Cedrik? Was willst du?“ Ihre Stimme hätte ruhiger, gefasster klingen sollen, was ihr nicht gelang.
„Es… es ist… wegen Susan“, sagte er stockend. „Marie, bitte komm so schnell du kannst ins Krankenhaus. Und – beeil dich.“
Mehr sagte er nicht und bevor Marie etwas sagen konnte, fand sie sich erneut dem aufdringlichen Tuten des Hörers ausgeliefert.
Ihr Herz raste und pochte bis in die Schläfen, als sie mit zitternden Händen den Hörer zurücklegte. Susan! Was war mit Susan, wenn Cedrik so anrief? Sie war doch nicht etwa… nein… Marie schüttelte den Kopf, sie wollte nicht einmal daran denken.
Cedriks Worte klangen hohl in ihrem Kopf nach… „es ist wegen Susan… beeil dich…“
Marie rang nach Luft, als sie begriff, was dies bedeuten konnte… was dies bedeuten musste…
Susan… sie war… war sie… ???
Marie spürte, wie sich der Boden unter ihren Füßen zu verändern begann. In letzter Minute schaffte sie es ins Badezimmer, wo ihr Magen sie halb schluchzend halb würgend zu seinem Recht kommen ließ.
Nach einigen Minuten richtete Marie sich auf und sah sich im Spiegel an. Ihr blickte ein aschfahles, verzerrtes Gesicht entgegen. Doch all das war nun egal.
Mit wenigen Handgriffen hatte sie sich zurechtgemacht und war in ihre Kleider gesprungen. Nur zehn Minuten später betrat sie das Krankenhaus. Ihr Magen rebellierte erneut, als die Wucht des nach oben steigenden Aufzuges ihn traf, doch sie ignorierte es.
Mit bangem Gefühl trat sie auf den Flur, der zur Intensivstation führte.
Dort blieb sie unsicher einen Augenblick stehen und wusste nicht, ob sie weitergehen sollte. Zu bang war ihr Herz ob des Grauens, das sie vorzufinden erwartete. Da hörte sie plötzlich Schritte auf sich zukommen und sah Simone, die ihr entgegengelaufen kam. Ihr Gesicht war tränenüberströmt.
Maries Herz schien auszusetzen und sie blieb wie angewurzelt stehen, bis Simone sie erreicht hatte.
„Marie! Oh Marie, Marie! Ich kann es selbst kaum glauben! Aber es ist wahr! Oh Marie!“
Marie schüttelte immer wieder den Kopf und merkte, wie sie ebenfalls zu schluchzen begann.
„Nein, Simone“, stammelte sie. „Sag, dass das nicht wahr ist.“
Dasah Simone sie überrascht an und Marie erkannte, dass ihre Augen lächelten. Sie spürte, wie sich eine unendliche Erleichterung in ihr ausbreitete.
„Aber nein, Marie, nicht doch, es ist nicht, was du denkst. Susan ist vor einer Stunde aus dem Koma erwacht, Marie!“
Marie sah Simone entgeistert an. „Simone… ist… das wirklich wahr?“
Simone nickte. „Ich muss sofort wieder zu ihr, mein liebes Kind. Warte du hier, Cedrik ist schon auf dem Weg…“
Und schon war sie wieder davon geeilt.
Marie blieb alleine im Gang zurück und spürte, wie ihre Knie weichen wurden. Sie atmete einige Male tief durch. In ihrem Kopf sprangen die Gedanken wie Heuschrecken durcheinander und in ihrer Brust tobte ein Sturm aus widersprüchlichsten Gefühlen! Susan war wach! Das war wunderbar! Und doch… was, wenn Susan sich an alles erinnern würde und sie sofort zur Rede stellen? Wie sollte sie Simone und Herbert jemals in die Augen sehen können? Marie spürte erneut Übelkeit in sich aufsteigen und ihr schwindelte.
„Marie? Alles in Ordnung?“
Sie sah auf und blickte in Cedriks veilchenblaue Augen.
Sein Anblick schien sie noch schwächer werden zu lassen und sie hatte das dringende Bedürfnis, sich irgendwo oder an irgendwem festzuhalten.
„Ja…“, sagte sie nur leise. „Wie… wie geht es Susan?“
Cedrik musterte sie besorgt und sagte dann: „Ich komme gerade von ihr. Sie sagt, sie will uns sehen … beide…“
Maries Augen weiteten sich und ihr Körper zuckte zusammen.
Sie sah Cedrik angsterfüllt an und stammelte dann. „Aber… nein… das geht nicht…“
Und bevor sie noch etwas sagen konnte, merkte sie, wie sich alles um sie herum zu drehen begann und ihr die Welt vor Augen verschwamm.
„Marie!!!!!“
Das letzte, was Marie noch spürte, war, wie sie Cedriks starke Arme fest umschlangen und mit ihr zu Boden gingen. Dann ließ sie sich dankbar in die ruhige Dunkelheit fallen, die sie zu umschließen begann.
Fortsetzung folgt.
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