***
Als Cynric ein Treffen mit Gaius vorgeschlagen hatte, glaubte Eilan zuerst, ihre stummen Gebete seien erhört worden. Doch bald erkannte sie, dass kaum eine Möglichkeit bestand, die Begegnung geheim zu halten. Und wenn man sie entdeckte, würde ihr niemand glauben, wie harmlos alles auch gewesen sein mochte.
Schließlich ging Eilan zu Caillean und fragte sie um Rat.
„Jetzt kannst du nichts mehr tun, denn du hast eingewilligt, ihn zu sehen“, erwiderte Caillean. „Aber ich werde jeden Augenblick in Hörweite sein. Wenn man mich später fragt, kann ich schwören, dass ihr beide kein einziges Wort gesagt habt, das nicht auch in Gegenwart der Eltern hätte ausgesprochen werden können.“
Eigentlich war Eilan sogar etwas erleichtert. Wenn sie in Anwesenheit der älteren Priesterin mit Gaius reden musste, dass bestand nicht die Gefahr, dass er von ihr etwas... Gefährliches... verlangen würde.
Irgendwie hatte sie Cynrics Nachricht entnommen, dass Gaius genau um Mittagszeit kommen würde. Aber als er nicht erschien, und die Zeit verging, beruhigte sie sich mit den Gedanken, dass der Ritt von Deva einige Zeit dauern würde. In ihrer Aufregung setzte sie sich Schließlich neben Caillean und griff hilfesuchend nach ihrer Hand, denn alle Ängste und Zweifel meldeten sich bereits wieder.
Ihr Herz begann heftig zu schlagen, als sie den Hufschlag eines Pferdes horte.
Er saß am Rand der Lichtung ab und band sein Pferd an einem Ast fest. Sie sah Gaius zum ersten Mal in Uniform der römischen Legion.
Wenn es ihn überraschte, zwei Frauen statt einer zu sehen, dann verriet er das nur mit einem kurzen Zucken der Wimpern. Er salutierte, nahm den Helm vom Kopf und klemmte ihn unter den Arm.
Eilan konnte den Blick nicht von ihm wenden. Noch nie hatte sie Gelegenheit gehabt, einen römischen Offizier länger als einen Augenblick aus so großer Nähe zu sehen.
Aber nachdem Gaius wirklich vor ihr stand, stellte sie mit Entsetzen fest, dass sie nicht mehr wusste, was sie ihm hatte sagen wollen.
***
Gaius blickte von Eilan zu der älteren Priesterin und überlegte, was um alles in der Welt er sagen sollte. Er hatte nicht im geringsten damit gerechnet, dass bei diesem Treffen eine andere Frau anwesend sein würde.
Wie konnte er nur so dumm sein! Wenn Eilan so etwas wie eine Vestalin war, konnte er doch kaum erwarten, sie ohne Aufsicht sehen zu können. Nein, er dürfte Eilan nicht vorwerfen, dass sie bei dieser Begegnung eine Zeugin haben wollte, die beschwören würde, dass ihre Reinheit unangetastet war.
Er wusste sofort, dass die ältere Priesterin ihm nicht traute – um genauer zu sein, sie traute ihnen beiden nicht.
Ganz so abwegig war das Misstrauen nicht, denn ohne die Priesterin hätte er Eilan vermutlich geküsst. Sie sah einfach bezaubernd aus in dem weißen, weiten Gewand.
Nach kurzem Schweigen erzählte ihm Eilan von dem Mädchen, das die Priesterinnen in ihre Obhut genommen hatten – ihre Worte klangen atemlos, ziemlich zusammenhangslos und unverständlich, aber er wusste sofort, dass es sich um das Kind der Schwester des Valerius handelte.
Er wusste, dass Valerius es als eine selbstverständliche Pflicht betrachtete, dem Kind ein Zuhause zu geben. Aber Valerius hatte keine eigene Familie und wollte auch nicht heiraten. Vielleicht wurde er sich damit einverstanden erklären, wenn er erfuhr, dass Eilan und die Priesterinnen von Vernemeton das Kind in ihre Obhut genommen hatten.
Gaius wurde plötzlich bewusst, dass er noch immer belanglose Dinge über das Mädchen sagte. Er spürte den ungeduldigen Blick der älteren Priesterin auf sich ruhen. Sie hatten alles gesagt, was über diesen Fall zu sagen gab, und begannen sich zu wiederholen. Es war Zeit, das Gespräch zu beenden und sich zu verabschieden.
Er schwieg und sah Eilan traurig an. Wie gerne hätte er sie in die Arme genommen und richtig Abschied von ihr genommen. Niedergeschlagen verneigte er sich höflich vor beiden Frauen und wünschte ihnen alles Gute.
***
Als Eilan am Abend zu Lhiannon ging, empfing die Hohepriesterin sie sehr ungehalten.
„Was habe ich gehört? Du hast dich außerhalb der Palisaden mit einem Mann getroffen? Dieses Verhalten schickt sich nicht für eine Priesterin von Vernemeton!“
Eilan stieg vor Empörung das Blut ins Gesicht. Deshalb war Caillean als Zeugin der Begegnung dabei gewesen!
Lhiannon seufzte. „Es wird Gerede geben. Die Göttin sei Dank, Caillean war dabei, aber sie hätte die Begegnung verhindern müssen.“ Lhiannon blickte nachdenklich zu Decke. Sie schwieg eine Weile und sagte dann. „Caillean hätte wissen müssen, dass wir uns nicht einmal dem Verdacht eines Skandals aussetzen dürfen. Deshalb werde ich sie und nicht dich bestrafen. Aber ich rate dir, mein Kind, eher du so etwas noch einmal tust, denke daran, dass eine andere für dich bestraft wurde.“
Später ging Eilan zu Caillean und sprach mit ihr unter vier Augen.
„Lhiannon hat mir gesagt, dass sie dich bestrafen will. Kannst du mir verzeihen? Wird die Strafe schlimm sein?“
„Im Wald steht ein kleines Haus. Dorthin wird sie mich vermutlich schicken, damit ich über mein Vergehen nachdenken kann, während ich das Haus wieder in Ordnung bringe. Vielleicht ist es Lhiannon nicht bewusst, aber für mich ist es besonders schön, mit meiner Musik und meinen Gedanken allein zu sein. Du brauchst nicht zu fürchten, dass es mir schlecht geht.“
„Ich hätte Angst ganz alleine im Wald zu sein“, erwiderte Eilan bedrückt.
„Bestimmt. Aber ich bin gern allein. Glaube mir, ich bin dort draußen in dem kleinem Haus glücklich und zufrieden“, sagte Caillean.
Eilan schwieg. Eine andere Frau als Lhiannon hätte sie vermutlich beide bestraft. Deshalb fühlte sie sich schuldig. Trotzdem bedauerte sie das Zusammentreffen mit Gaius nicht. Sie wünschte nur, dass sie ihm etwas von ihren wahren Gefühlen und Gedanken hätte vermitteln können.
Es war alles so verwirrend. Sie wollte wirklich eine Priesterin werden, und nichts schien ihr schöner und wichtiger zu sein. Wie konnte es nur geschehen, dass sich Gaius immer wieder in ihr Herz stahl?
Marsmädchens Postfach ist immer noch voll...